Leitsatz (amtlich)

Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung das Urteil in allen diesen Punkten angreifen. Sie hat daher für jede der Erwägungen darzulegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (ständige Rechtsprechung).

 

Normenkette

ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2 a.F.

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 06.06.2000)

LG Düsseldorf

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des OLG Düsseldorf v. 6.6.2000 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagten zu 1 bis 3 bildeten zusammen mit dem verstorbenen Rechtsanwalt K., dessen Rechtsnachfolger die Beklagten zu 4 und 5 sind, eine Rechtsanwaltssozietät. Die Klägerin, die die Sozietät mit der Vertretung ihrer Interessen in einem Rechtsstreit über die Zahlung von nachehelichem Unterhalt beauftragt hatte, nimmt die Beklagten auf Schadensersatz mit der Begründung in Anspruch, Rechtsanwalt K. habe in diesem Verfahren ohne ihre Zustimmung einen Vergleich abgeschlossen. Mit ihrer Klage hat sie Zahlung der Differenz zwischen den ausgehandelten und den ihrer Meinung nach geschuldeten Unterhaltsbeträgen für einen bestimmten Zeitraum sowie Erstattung der Kosten des Unterhaltsrechtsstreits begehrt. Ferner verlangt sie Zahlung eines Betrages von 280.000 DM mit der Begründung, ihr hätten in dieser Höhe gegen ihren geschiedenen Ehemann Ansprüche auf Nutzungsentschädigung gem. § 745 BGB wegen des gemeinsamen Hausgrundstücks zugestanden, die wegen des von Rechtsanwalt K. geschlossenen Vergleichs nicht mehr geltend gemacht werden könnten.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das OLG als unzulässig verworfen, soweit das LG einen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen entgangener Nutzungsentschädigungsansprüche verneint hat. Insoweit fehle es an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung innerhalb der Begründungsfrist. Im Übrigen hat es eine anwaltliche Pflichtverletzung verneint und die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision der Klägerin hat der Senat nicht angenommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist gem. § 547 ZPO a.F. unbeschränkt statthaft, soweit das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen hat. Sie ist aber nicht begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das LG habe die Klage hinsichtlich des auf entgangene Nutzungsentschädigung gestützten Schadensersatzanspruchs aus zwei unabhängig voneinander bestehenden Gründen abgewiesen: Zum einen sei nicht dargelegt, dass der Klägerin unter Berücksichtigung der Belastungen des Grundstücks, die von ihrem Ehemann allein getragen würden, eine Nutzungsentschädigung gem. § 745 Abs. 2 BGB zugestanden habe. Zum anderen sei eine Nutzungsentschädigung durch den von Rechtsanwalt K. abgeschlossenen Vergleich nicht geregelt und damit auch nicht ausgeschlossen worden. Die Berufungsbegründung der Klägerin bemerke dazu lediglich im Anschluss an eine kurze Darlegung zu einer Pflichtverletzung: "Weitere Ausführungen zur Höhe des Ausgleichsanspruchs der Klägerin, außer den bereits im ersten Rechtszug vorgetragenen, behalten wir uns deshalb vor und bitten den Senat um einen richterlichen Hinweis, sollte ein solcher ergänzender Sachvortrag für erforderlich oder wünschenswert gehalten werden". Dies reiche nicht aus. Der erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangene Schriftsatz v. 18.1.2000 könne das Versäumnis einer ausreichenden Begründung nicht mehr heilen.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F. muss die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie der neuen Tatsachen (Beweismittel und Beweiseinreden) enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat. Der Begründungszwang soll erreichen, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungsführer die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dadurch soll eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs erreicht werden. Gericht und Gegner sollen schnell und sicher erfahren, wie der Berufungsführer den Streitfall beurteilt wissen will, damit sie sich auf die Angriffe erschöpfend vorbereiten können. Die Berufungsbegründung muss daher jeweils auf den Streitfall zugeschnitten sein und die einzelnen Punkte tatsächlicher oder rechtlicher Art deutlich machen, auf die sich die Angriffe erstrecken sollen. Es reicht nicht aus, die Würdigung durch den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (BGH, Urt. v. 18.6.1998 - IX ZR 389/97, MDR 1998, 1114 = NJW 1998, 3126; Urt. v. 18.9.2001 - X ZR 196/99, NJW-RR 2002, 209 [210] m. w. N.). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung das Urteil in allen diesen Punkten angreifen. Sie hat daher für jede der mehreren Erwägungen darzulegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH v. 25.11.1999 - III ZB 50/99, BGHZ 143, 169 [171] = MDR 2000, 291; Urt. v. 13.11.2001 - VI ZR 414/00, MDR 2002, 535 = BGHReport 2002, 167 = NJW 2002, 682 [683] m. w. N.).

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass bezüglich des vom LG verneinten Anspruchs auf Schadensersatz wegen entgangener Nutzungsentschädigung die Berufungsbegründung der Klägerin den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F. nicht genügt.

a) Das LG hat einen Schadensersatzanspruch der Klägerin insoweit mit dreifacher Begründung verneint: Ein Schaden durch den Verlust des Anspruchs gegen den Ehemann auf Nutzungsentschädigung könne nur entstanden sein, wenn die Klägerin gegen den Ehemann einen entsprechenden Anspruch gehabt hätte; einen solchen Anspruch habe sie nicht substanziiert dargelegt. Selbst wenn sie jedoch den Anspruch gehabt haben sollte, sei dieser nicht durch eine Pflichtwidrigkeit von Rechtsanwalt K. erloschen. Durch den Vergleich sei der Anspruch nicht ausgeschlossen worden; denn der Vergleich habe diesen nicht erfasst. Schließlich hat das LG durch Verweis auf seine Erwägungen zur Abweisung eines Schadensersatzanspruchs wegen entgangenen nachehelichen Unterhalts weiter ausgeführt, es sei bereits zweifelhaft, ob die Klägerin hinreichend substanziiert dargelegt habe, dass Rechtsanwalt K. den Vergleich ohne Zustimmung der Klägerin oder ohne ausreichende Beratung über die Vor- und Nachteile des Vergleichs abgeschlossen habe. Jedenfalls sei sie dafür beweisfällig geblieben.

b) Die Berufungsbegründung befasst sich zwar in dem Abschnitt "Nachehelicher Unterhalt" hinreichend mit der Auffassung des LG, die Klägerin habe nicht substanziiert dargelegt und keinen hinreichenden Beweis dafür angetreten, dass Rechtsanwalt K. den Vergleich ohne ihre Zustimmung abgeschlossen habe. Hinsichtlich der beiden anderen das klageabweisende landgerichtliche Urteil insoweit tragenden Begründungen (kein Nutzungsentschädigungsanspruch der Klägerin gegen ihren Ehegatten, keine Einbeziehung eines eventuellen Anspruchs in den Vergleich) fehlt es jedoch an einer den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F. genügenden Bezeichnung von Berufungsgründen.

aa) Unter der Überschrift "Nutzungsentschädigung" wird auf S. 7 der Berufungsbegründung der Klägerin einleitend ausgeführt, das LG verneine einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus mehreren Gründen, von denen vorgreiflich, weil den Grund des Anspruchs betreffend, die Erwägung sei, dass der Anspruch des Gemeinschafters gem. § 745 BGB durch den Unterhaltsvergleich schon deshalb nicht erloschen sei, weil sich dieser Vergleich hierauf gar nicht erstreckt habe. Sodann heißt es dort: "Diese Rechtsauffassung wird zur Überprüfung durch den Senat gestellt und damit zugleich mit der gleichzeitig mit der Berufungsbegründung ausgebrachten Streitverkündung dem Streitverkündeten Gelegenheit gegeben, diese - seine - Rechtsmeinung durch Tatsachen und Beweismittel zu untermauern." In dem am selben Tage wie die Berufungsbegründung beim OLG eingegangenen Schriftsatz, mit dem dem Ehemann der Klägerin der Streit verkündet wurde, ist zur Begründung der Streitverkündung lediglich ausgeführt, mit ihrer Klage habe sich die Klägerin der Rechtsmeinung des Streitverkündeten angeschlossen, dass ihre Ansprüche gem. § 745 Abs. 2 BGB durch den abgeschlossenen Vergleich mit erledigt worden seien. Das LG teile diese Rechtsauffassung nicht mit der Folge, dass die Klägerin, falls es bei dieser Entscheidung auch über die Berufungsinstanz hinaus verbleiben sollte, diese Ansprüche gegen den Streitverkündeten richten müsse.

Diese Ausführungen in der Berufungsbegründung enthalten - auch i. V. m. der Streitverkündungsschrift - keine hinreichend bestimmten Angriffe gegen die Feststellung des LG; in dem von Rechtsanwalt K. abgeschlossenen Vergleich über den nachehelichen Unterhalt sei die Nutzungsentschädigung für das gemeinsame Haus nicht aufgenommen und damit auch nicht ausgeschlossen worden. Das LG hat sich unter Berücksichtigung der Prozessgeschichte und des mündlich vereinbarten Vergleichstextes näher mit dem Inhalt des Vergleichs befasst. Mit den Erwägungen des LG setzt sich die Berufungsbegründung der Klägerin nicht auseinander, sondern sie beschränkt sich auf die pauschale Angabe, die Rechtsauffassung des LG werde zur Überprüfung gestellt. Das genügt den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F. nicht.

bb) Die anschließende Darstellung in der Berufungsbegründung, soweit das LG eine Aufforderung der Klägerin zum Zwecke der Nutzungsänderung vermisse, falle auch dies in den Verantwortungsbereich von Rechtsanwalt K., der auch in dieser Angelegenheit von der Klägerin von Anfang an mandatiert gewesen sei, lässt nicht erkennen, auf welche Erwägungen des LG sie sich beziehen soll. Das LG hat keine "Aufforderung der Klägerin zum Zwecke der Nutzungsänderung" vermisst. Es hat zu einem Anspruch gem. § 745 Abs. 2 BGB lediglich ausgeführt, nach dieser Vorschrift könne der weichende Ehegatte mit seinem Auszug eine Neuregelung der Verwaltung und der Nutzung des gemeinsamen Hauses fordern. Unter Umständen ergebe sich daraus auch ein Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung, allerdings erst ab dem Zeitpunkt des Verlangens einer Neuregelung. Die begehrte Neuregelung müsse gem. § 745 Abs. 2 BGB billigem Ermessen entsprechen. So könne z. B. eine Ausgleichspflicht entfallen, wenn der nutzende Ehegatte statt einer Nutzungsentschädigung die Pflicht zur Zins- und Tilgungszahlung übernehme. Im Folgenden hat das LG aber nicht etwa das Verlangen einer Neuregelung durch die Klägerin vermisst, sondern es hat auf das Fehlen jeglichen Vortrags der Klägerin "dazu, auf Grund dessen beurteilt werden kann, ob die von ihr begehrte Regelung - Zahlung einer Nutzungsentschädigung - der Billigkeit entspricht", abgestellt. Insbesondere hat es die Behauptungen der Klägerin zur Tragung der laufenden Belastungen für das gemeinsame Haus und zu den Einkommensverhältnissen ihres geschiedenen Ehemannes als unsubstanziiert angesehen. Darauf geht die Berufungsbegründung überhaupt nicht ein.

cc) Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich der Berufungsbegründung auch nicht entnehmen, dass die Klägerin weiterhin den Standpunkt einnehme, ihr stehe die Nutzungsentschädigung entsprechend ihrem erstinstanzlichen Vortrag zu diesem Punkt zu, und damit stehe fest, inwieweit das landgerichtliche Urteil unter tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten angegriffen werde. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung zur Berücksichtigung erstinstanzlichen Vorbringens entwickelt hat, auf das in der Berufungsinstanz Bezug genommen wird (vgl. BVerfG v. 16.10.1991 - 2 BvR 458/89, NJW 1992, 495), sind auf die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit einer Berufungsbegründung nicht anwendbar (BGH, Urt. v. 18.6.1998 - IX ZR 389/97, MDR 1998, 1114 = NJW 1998, 3126). Entscheidend ist vielmehr, ob die Berufungsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des landgerichtlichen Urteils enthält. Daran fehlt es hier schon deshalb, weil in der Berufungsbegründung nicht, wie die Revision meint, eine konkrete Bezugnahme auf erstinstanzlichen Vortrag zur Frage der Nutzungsentschädigung in bestimmt bezeichneten Schriftsätzen erfolgt ist. Neben der an den Anfang der Berufungsbegründung gestellten pauschalen Bezugnahme ("Unter Wiederholung des gesamten erstinstanzlichen Vorbringens und der Beweiserbieten") ist auf erstinstanzlichen Vortrag in dem die Nutzungsentschädigung betreffenden Teil der Berufungsbegründung lediglich hinsichtlich der Höhe des Ausgleichsanspruchs der Klägerin verwiesen. Die Wendung "Weitere Ausführungen zur Höhe des Ausgleichsanspruchs der Klägerin, außer den bereits im ersten Rechtszug vorgetragenen, behalten wir uns deshalb vor" lässt schon nicht erkennen, auf welchen konkreten erstinstanzlichen Vortrag Bezug genommen werden soll. Es wird daher nicht dargelegt, welche tatsächlichen Behauptungen entgegen der Auffassung des LG eine hinreichend substantiierte Darlegung eines Anspruchs der Klägerin gegen ihren Ehemann auf Nutzungsentschädigung enthalten sollen. Die Bitte um einen vorsorglichen gerichtlichen Hinweis vermag diesen Mangel der Berufungsbegründung ebenso wenig zu heilen wie der Vortrag in dem nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz v. 18.1.2000. Die Berufung muss innerhalb der Begründungsfrist gem. § 519 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO a.F. in einer den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F. genügenden Form begründet werden. Die von der Revision angeführte Entscheidung des VIII. Zivilsenats des BGH (BGH v. 5.10.1983 - VIII ZR 224/82, MDR 1984, 310 = NJW 1984, 177) betraf den Fall, dass der Beklagte den Klageanspruch in erster Instanz erfolglos dem Grunde nach sowie mit der Einrede der Verjährung bekämpft und seine Berufung innerhalb der Begründungsfrist nur mit den Erfordernissen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO genügenden Ausführungen zur Verjährung begründet hatte. Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben.

 

Fundstellen

BGHR 2004, 318

BauR 2004, 561

FamRZ 2004, 435

NJW-RR 2004, 641

WM 2004, 442

MDR 2004, 405

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