Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob ein Beamter, der seine in angemieteten Räumen eines Hauses untergebrachte Dienststelle zur Mittagspause verlässt und dabei auf einem auf demselben Grundstück verlaufenden Weg, der die Hauseingangstür mit dem öffentlichen Gehweg verbindet, wegen Glatteises stürzt, am allgemeinen Verkehr teilnimmt.

 

Normenkette

BeamtVG § 46 Abs. 2 S. 2; ErwZulG § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Urteil vom 20.12.2002)

LG Offenburg

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des OLG Karlsruhe - 14. Zivilsenat in Freiburg - v. 20.12.2002 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger, der als Kriminalhauptkommissar bei der Polizeidirektion in O. tätig ist, nimmt das beklagte Land wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Seine Dienststelle befindet sich in angemieteten Räumen auf dem Grundstück S. Straße 1a in O. . Der Hauseingang liegt nicht unmittelbar an der S. Straße, sondern an der Seite des Gebäudes. Man erreicht ihn vom Gehweg in der S. Straße über eine auf diesem Grundstück gelegene Treppe und einen am Gebäude entlangführenden Weg. Als der Kläger am 12.2.1999 das Gebäude verließ, um zur Mittagspause in die Stadt zu gehen, stürzte er auf der teilweise vereisten Treppe. Der Unfall wurde als Dienstunfall anerkannt. Wegen eines Schadens an der durch den Sturz beschädigten Armbanduhr erhielt der Kläger auf der Grundlage des Beamtenversorgungsgesetzes eine Entschädigung von 150 DM. Seinen behaupteten weiter gehenden Schaden von 10.979,28 DM macht er mit der Begründung geltend, der Unfall habe sich bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Als Grundlage für den vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruch kommt die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des beklagten Landes in Betracht. Ihm oblag auf Grund des mit dem Eigentümer des Hauses geschlossenen Mietvertrages im Wechsel mit anderen Wohnungsmietern die Pflicht, die Treppe, auf der sich der Unfall ereignet hat, zu der fraglichen Zeit in einem sicheren Zustand zu halten. Darüber hinaus hatte es mit Rücksicht auf Besucher der Dienststelle und aus Fürsorge für die dort Beschäftigten von dem verabredeten Turnus mit dem Vermieter unabhängige Amts- und Verkehrssicherungspflichten, die verletzt worden sein können.

2. Da der Unfall mit bindender Wirkung für dieses Verfahren (vgl. BGH, Urt. v. 14.1.1993 - III ZR 33/88, BGHZ 121, 131 [134 f.] = MDR 1993, 742) als Dienstunfall anerkannt worden ist, sind die Rechte des Klägers nach § 46 Abs. 1 S. 1 BeamtVG allerdings auf die in den §§ 33 bis 43a und 46a BeamtVG geregelten Ansprüche beschränkt, hier für den erlittenen Sachschaden auf Ersatz nach § 32 BeamtVG. Weiter gehende Ansprüche, wie den vorstehend zu 1 erwähnten, können gegen einen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn außer bei einer hier nicht in Betracht kommenden vorsätzlichen unerlaubten Handlung nur geltend gemacht werden, wenn sich der Unfall nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen v. 7.12.1943 (RGBl. I, 674; im Folgenden: ErwZulG) bei der "Teilnahme am allgemeinen Verkehr" ereignet hat (§ 46 Abs. 2 S. 2 BeamtVG). Die Regelung will eine Schlechterstellung des Versorgungsberechtigten in Fällen vermeiden, in denen zwischen dem Unfall und der dienstlichen Tätigkeit nur ein verhältnismäßig loser Zusammenhang besteht (vgl. Amtl. Begründung, DJ 1944, 21).

a) Wie in der Rechtsprechung des BGH, auch des Senats, geklärt ist, ist für die Beurteilung, ob ein Unfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist, maßgeblich das Verhältnis zu dem in Anspruch genommenen Schädiger in den Blick zu nehmen (vgl. BGH BGHZ 17, 65 [66 f.]; BGHZ 33, 339 [349 f.]; BGHZ 64, 201 [203]; Urt. v. 21.11.1958 - VI ZR 255/57, VersR 1959, 52 [53]), wobei es unerheblich ist, ob der für den Dienstunfall verantwortliche Dienstherr derjenige des verletzten Beamten ist oder eine andere "öffentliche Verwaltung" i. S. d. § 1 Abs. 1 ErwZulG, mag sie demselben oder einem anderen Dienstherrn unterstehen. Dabei lassen sich die Fälle, in denen ein Beamter während einer Dienstfahrt für seine eigene Verwaltung im öffentlichen Straßenverkehr einen Unfall erleidet, den eine andere Verwaltung verursacht hat, meist ohne weiteres als Teilnahme am allgemeinen Verkehr verstehen (vgl. etwa BGH, Urt. v. 21.11.1958 - VI ZR 255/57, VersR 1959, 52 [53]; BGHZ 64, 201; v. 2.11.1989 - III ZR 133/88, MDR 1990, 520 = NJW-RR 1990, 461 [462]). In anderen Fällen hat die Rechtsprechung zusätzlich in Erwägung gezogen, ob sich der Unfall in einem Gefahrenkreis ereignet hat, für den die Zugehörigkeit zum Organisationsbereich des verantwortlichen Dienstherrn im Vordergrund steht, oder ob den Unfall nur ein loser äußerlicher Zusammenhang mit dem dienstlichen Organisationsbereich verbindet, der Bedienstete also "wie ein normaler Verkehrsteilnehmer" verunglückt ist (vgl. BGH BGHZ 17, 65 [67]; BGHZ 33, 339 [352]; Urt. v. 14.1.1993 - III ZR 33/88, BGHZ 121, 131 [136] = MDR 1993, 742; Urt. v. 13.1.1976 - VI ZR 58/74, NJW 1976, 673 [674]; Urt. v. 19.10.1978 - III ZR 59/77, VersR 1979, 32 f.; Beschl. v. 22.2.1989 - III ZR 234/88, VersR 1990, 404; v. 26.3.1992 - III ZR 81/91, VersR 1992, 1514; Urt. v. 9.2.1995 - III ZR 164/94, MDR 1995, 472 = VersR 1995, 561). Bei der Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen hat der BGH wiederholt zum Ausdruck gebracht, ob sich ein Unfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet habe, sei nach der besonderen Lage des Einzelfalls zu entscheiden, was in erster Linie tatrichterlicher Würdigung unterliege (vgl. BGH, Beschl. v. 26.3.1992 - III ZR 81/91, VersR 1992, 1514; Urt. v. 14.1.1993 - III ZR 33/88, BGHZ 121, 131 [136] = MDR 1993, 742).

b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine Teilnahme des Klägers am allgemeinen Verkehr verneint hat. Zwar wäre für einen Unfall des Klägers während eines Spaziergangs in der Mittagspause - etwa wenn er durch ein Fahrzeug der öffentlichen Hand angefahren würde - die Teilnahme am allgemeinen Verkehr ebenso zu bejahen wie in Fällen eines Unfalls auf dem Weg von zu Hause zur Arbeitsstelle und zurück (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 13.1.1976 - VI ZR 58/74, NJW 1976, 673 [674]; v. 19.1.1988 - VI ZR 199/87, MDR 1988, 487 = NJW-RR 1988, 602 [603]; v. 5.11.1991 - VI ZR 20/91, BGHZ 116, 30 [34] = MDR 1992, 164). Hier indes ereignete sich der Unfall im unmittelbaren Bereich der in einem Mietshaus gelegenen Diensträume des Klägers auf der auf privatem Grund liegenden Zuwegung. Wäre die Dienststelle in einem dem Dienstherrn gehörenden Gebäude untergebracht, könnte nicht zweifelhaft sein, dass ein auf der Zuwegung liegender Unfallort im unmittelbaren Organisationsbereich der Behörde läge.

Für die hier vorliegende Fallgestaltung kann nichts Anderes gelten. Die Revision macht zwar geltend, angesichts der alleinigen Organisationsmacht des Grundstückseigentümers könne nicht - wie das Berufungsgericht meine - davon gesprochen werden, dass die Behörde den Umfang sowie Art und Weise des Zugangs zu ihren Diensträumen habe bestimmen können. Auf die alleinige Organisationsmacht des beklagten Landes und mietvertragliche Besonderheiten bei der Ausgestaltung der Verkehrssicherungspflicht für die Immobilie kommt es jedoch nicht entscheidend an. Abgesehen davon, dass das beklagte Land zum Unfallzeitpunkt nach dem Turnus verpflichtet war, den Zugang zum Gebäude und die Treppen in einem sicheren Zustand zu halten, war es auch in der übrigen Zeit, in der andere Mieter mit dieser Pflicht belastet waren, im Interesse seiner Bediensteten und seiner Besucher nicht frei von jeder Verantwortung. Auch wenn es eine Dienststelle in angemieteten Räumen eines Hauses unterbrachte, musste es für sichere Verhältnisse in ihnen und auf dem unmittelbar zu ihnen führenden Zugang sorgen. Insoweit befand sich der Kläger, als er sich zur Mittagspause in die Stadt begeben wollte, auf der Zuwegung noch in einem Gefahrenkreis, der - wie der VI. Zivilsenat in einer zu § 636 RVO ergangenen Entscheidung formuliert hat - zur Organisationsaufgabe seines Unternehmens, hier seiner Dienststelle, gehörte (vgl. BGH, Urt. v. 19.1.1988 - VI ZR 199/87, MDR 1988, 487 = NJW-RR 1988, 602 [603]). Diese Organisationsaufgabe endete nicht, wie der Kläger in den Vorinstanzen gemeint hat, an der Wohnungstür. Dass auch andere Personen, die mit der Dienststelle keine Berührung hatten, diese Zuwegung nutzten, ändert nichts daran, dass der Kläger hier nicht als "normaler Verkehrsteilnehmer", sondern als Bediensteter des beklagten Landes im Gefahrenkreis seiner Dienststelle den Unfall erlitten hat. Deswegen ist es auch ohne Bedeutung, dass der Kläger seinen vollen Schaden geltend machen könnte, wenn einem anderen Mieter oder dem Eigentümer die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zuzurechnen wäre, und dass dies auch - unabhängig davon, wen die Verkehrssicherungspflicht traf - für sonstige Besucher des Hauses gilt. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil die Treppe - wie der Kläger behauptet hat - von Fußgängern benutzt worden ist, um über einen "Trampelpfad" auf einem kürzeren Weg in den angrenzenden Park zu gelangen. Auch wenn der Eigentümer einen solchen Verkehr geduldet hat, hat die Zuwegung ihre Verbindung zum Organisationsbereich der Dienststelle behalten (vgl. BGH, Urt. v. 9.2.1995 - III ZR 164/94, MDR 1995, 472 = VersR 1995, 561 [562]) und kann nicht dem öffentlichen Straßenraum gleichgestellt werden. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, dass nach dem Vortrag des Klägers mit der Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht - anders als bei landeseigenen Dienstgebäuden - nicht die nutzende Behörde selbst, sondern die Liegenschaftsverwaltung des beklagten Landes betraut gewesen sein soll (vgl. BGH, Beschl. v. 22.2.1989 - III ZR 234/88, VersR 1990, 404; Urt. v. 9.2.1995 - III ZR 164/94, MDR 1995, 472 = VersR 1995, 561 [562]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1090807

EBE/BGH 2004, 10

NJW-RR 2004, 234

DÖD 2004, 139

MDR 2004, 275

NZV 2004, 133

VersR 2004, 473

BayVBl. 2004, 504

GV/RP 2004, 675

GuT 2004, 8

IVH 2004, 21

FSt 2004, 692

FuBW 2004, 621

FuNds 2004, 558

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