Leitsatz (amtlich)

Fehler eines Vorunternehmers können dem Auftraggeber im Verhältnis zum Nachfolgeunternehmer regelmäßig nicht zugerechnet werden; insoweit ist der Vorunternehmer nicht Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers.

 

Normenkette

BGB § 278; VOB/B (1973) § 2 Nr. 5, § 6 Nr. 6

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.12.1983; Aktenzeichen 1 U 67/82)

OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 01.12.1983; Aktenzeichen 1 U 68/82)

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 27.01.1982; Aktenzeichen 2/4 O 6/78)

LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 09.12.1981; Aktenzeichen 2/4 O 6/78)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 1983 teilweise sowie das Ergänzungsurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. Januar 1982 ganz aufgehoben und neu gefaßt wie folgt:

Die Klage wird abgewiesen, soweit ihr nicht durch Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. Dezember 1981 stattgegeben worden ist. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges haben die Klägerin 13/14 und die Beklagte 1/14 zu tragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin beauftragte im Juni 1964 die Beklagte mit den Gründungsarbeiten für den Neubau eines Dienstgebäudes der W.-Verwaltung IV in W. gegen eine Vergütung von rund 900.000 DM. Dem Auftrag lag die VOB/B zugrunde. Die Arbeiten wurden von der Beklagten termingerecht ausgeführt und von der Klägerin abgenommen. Die mit dem Rohbau beauftragte Arbeitsgemeinschaft (im folgenden; ARGE) machte jedoch Bedenken geltend gegen die ordnungsgemäße Ausführung der Gründungsarbeiten in einem Teilbereich der Baustelle. Eine Überprüfung bestätigte die Beanstandungen. Für die Mängelbeseitigung mußten Kosten in Höhe von rund 35.000 DM auf gewandt werden, die die Beklagte zunächst übernahm. Außerdem konnte die ARGE erst mehrere Monate später mit ihren Arbeiten beginnen. Wegen dieser Verzögerung berühmt sie sich gegenüber der Klägerin eines Schadensersatzanspruches in Höhe von rund 564.328 DM.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen Schaden zu ersetzen, der ihr dadurch entstanden ist und noch entstehen wird, daß sich die Rohbauarbeiten infolge der mangelhaften Gründungsarbeiten verzögert haben.

Darüber hinaus hatte die Klägerin im vorliegenden Verfahren noch die negative Feststellungsklage erhoben, daß die Beklagte die von ihr zunächst getragenen rund 35.000 DM Mängelbeseitigungskosten von ihr, der Klägerin, nicht ersetzt verlangen könne. Dieser negativen Feststellungsklage hatten Landgericht und Oberlandesgericht stattgegeben; das greift die Beklagte nicht mehr an.

Auch die positive Feststellungsklage hat bei beiden Tatrichtern Erfolg gehabt. Mit ihrer – angenommenen – Revision, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der positiven Feststellungsklage weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht kommt zu dem von der Revision nicht angegriffenen Ergebnis, daß die Arbeiten der Beklagten mangelhaft gewesen seien. Es meint deshalb, daß der Klägerin ein Schadensersatzanspruch aus § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B zustehe. Die Feststellungsklage der Klägerin sei nämlich begründet, wenn der von der ARGE behauptete Bauverzögerungsschaden durch die fehlerhaften Gründungsarbeiten der Beklagten verursacht worden sei und die Klägerin der ARGE hierfür hafte. Dies sei der Fall. Der ARGE stehe gegen die Klägerin ein entsprechender Anspruch zu, und zwar gemäß § 6 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B (1952) = § 6 Nr. 6 VOB/B (1973) bzw. §§ 284, 285 BGB. Die Klägerin treffe zwar an dem verzögerten Beginn der Rohbauarbeiten kein eigenes Verschulden, auch nicht hinsichtlich ihrer Koordinierungspflicht. Sie müsse sich jedoch das Verschulden der Beklagten zurechnen lassen, weil diese als ihr Erfüllungsgehilfe tätig geworden sei. Die Klägerin habe in ihrer Ausschreibung von allen Bewerbern die Vorlage eines Bauzeitenplanes gefordert. Den von der ARGE erstellten Plan habe sie dem mit dieser geschlossenen Vertrag auch zugrundegelegt. Sie sei danach verpflichtet gewesen, dieser die Baustelle fristgerecht für die Durchführung der Rohbauarbeiten zur Verfügung zu stellen. Da sie sich zur Erfüllung dieser Verpflichtung der Beklagten bedient habe, hafte sie gemäß § 278 BGB für deren Verschulden. Allein dieses Ergebnis entspreche der der Vorschrift des § 6 Nr. 6 VOB/B (1973) zugrunde liegenden Bewertung der Interessenlage. Denn danach seien die durch den Vorunternehmer verursachten Behinderungen von Nachfolgeunternehmern dem Risikobereich des Auftraggebers zuzuordnen. Der Auftraggeber müsse daher auch dann haften, wenn die Behinderung zwar nicht von ihm selbst, aber von einem Vorunternehmer zu vertreten sei, zu dem der Nachfolgeunternehmer in keinen vertraglichen Beziehungen stehe.

Die hiergegen gerichtete Revision hat Erfolg. Die positive Feststellungsklage ist unbegründet. Durch die von der Beklagten verursachte Bauverzögerung ist der Klägerin kein Schaden entstanden. Denn die Klägerin ist nicht verpflichtet, der ARGE deren Baustillstandskosten zu ersetzen.

1. Der ARGE steht ein Anspruch aus § 6 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B (1952) = § 6 Nr. 6 VOB/B (1973) gegen die Klägerin nicht zu, weil diese die hindernden Umstände nicht zu vertreten hat. Die Klägerin selbst trifft – unstreitig – kein Verschulden. Das Verschulden der Beklagten kann ihr nicht zugerechnet werden, weil die Voraussetzungen des § 278 BGB nicht vorliegen.

a) In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob ein Vorunternehmer Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers im Verhältnis zum Nachfolgeunternehmer ist, wenn dieser auf der Leistung des Vorunternehmers aufbaut. Dies wird teils generell bejaht (OLG Celle BB 1964, 738 mit zustimmender Anmerkung von v. Lüpke; Daub/Piel/Soergel/Steffani, VOB/B, ErlZB 9.7; Ingenstau/Korbion, VOB, 10. Aufl., B § 13 Rdn. 60; Nicklisch in Nicklisch/Weick, VOB/B, § 10 Rdn. 14). Nach der überwiegend vertretenen Auffassung ist der Vorunternehmer jedoch regelmäßig nicht Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers (vgl. OLG Braunschweig, Schaefer/Finnern Rspr. Bau Z 2.414 Bl. 215, 217 RS; OLG Frankfurt – 17. Zivilsenat –, BauR 1980, 570; Daub/Piel/Soergel/Steffani, VOB/B, ErlZB 13.83; Heiermann/Riedl/Schwaab, VOB, 3. Aufl., B § 10 Rdn. 13; Soergel in MünchKomm, BGB, § 633 Rdn. 59; Glanzmann in BGB-RGRK, 12. Aufl., Anh. zu §§ 633-635 Rdn. 6; Kaiser, Das Mängelhaftungsrecht der VOB/Teil B, 4. Aufl., Rdn. 145; Herding/Schmalzl, Vertragsgestaltung und Haftung im Bauwesen, 2. Aufl., S. 464; Walzel, BauR 1984, 569).

b) Auch nach Ansicht des Senats braucht sich der Auftraggeber ein Verschulden des Vorunternehmers im Verhältnis zum Nachfolgeunternehmer nicht gemäß § 278 BGB als eigenes Verschulden zurechnen zu lassen, wenn keine besonderen Umstände vorliegen.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist zwar derArchitekt Erfüllungsgehilfe des Bauherrn, soweit Planungs- und Koordinierungsaufgaben in Frage stehen. Der Bauherr hat dem Unternehmer zuverlässige Pläne zur Verfügung zu stellen und diejenigen Entscheidungen zu treffen, die für die reibungslose Ausführung des Baues erforderlich sind. Bedient er sich hierbei eines Architekten, so ist dieser sein Erfüllungsgehilfe, und der Bauherr muß für dessen Verschulden einstehen (zuletzt Senat NJW 1984, 1676, 1677 m.N., insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 90, 344; s.a. Stötter BauR 1978, 18 ff mit zahlreichen Beispielen).

Im Gegensatz zu diesen Fällen des Planungs- oder Koordinierungsverschuldens des Architekten kann der Unternehmer beimangelhafter Ausführung seiner Werkleistung dem Bauherrn jedoch nicht entgegenhalten, der Architekt habe seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Bauaufsicht verletzt. Denn insoweit ist der Architekt nicht Erfüllungsgehilfe des Bauherrn, weil dieser dem Unternehmer im Rahmen des Bauvertrages keine Beaufsichtigung schuldet, der Unternehmer also keinen Anspruch auf ordnungsgemäße Beaufsichtigung durch den Architekten hat (vgl. z. B. Senat NJW 1972, 447, 448; BGHZ 70, 187, 191 m.N.; Urteil vom 6. Mai 1982 – VII ZR 172/81 = BauR 1982, 514, 516 = ZfBR 1982, 170, 171).

Ebenso hat der Senat entschieden, daß der zuerst tätige Bauhandwerker nicht Erfüllungsgehilfe des Bauherrn ist bezüglich seiner Bauleistung, auf der der später tätige Bauhandwerker aufbaut (Urteile vom 1. Juli 1971 – VII ZR 224/69 = Betrieb 1971, 1764, 1765, insoweit in BGHZ 56, 312 und NJW 1971, 1800 nicht abgedruckt; vom 29. November 1971 – VII ZR 101/70 = WM 1972, 800, 802 = Betrieb 1972, 184, 185, insoweit in NJW 1972, 447 nicht abgedruckt; vgl. auch Senat NJW 1978, 1157 Nr. 6, wonach derjenige, der einem Werkunternehmer im Rahmen von dessen Gewährleistungsverpflichtung ein Ersatzteil liefert, nicht Erfüllungsgehilfe des Werkunternehmers ist).

c) Das Berufungsgericht meint nun, der zur Entscheidung stehende Sachverhalt liege anders. Es gehe nicht um die Frage, ob sich ein Bauherr mangelhafte Werkleistungen des Vorunternehmers im Verhältnis zum Nachfolgeunternehmer zuordnen lassen müsse. Maßgebend sei vielmehr lediglich, ob ein durch mangelhafte Erfüllung der Vorleistung bedingterBaustillstand der Klägerin (als Bauherrn) angelastet werden könne.

Das ist so nicht richtig. Das Berufungsgericht stellt nämlich ausdrücklich fest, daß der Baustillstand nicht auf einem Verschulden der Klägerin beruht. Insbesondere habe diese nicht ihre Koordinierungspflicht verletzt. Das Berufungsgericht sieht als Ursache für die Bauverzögerung, die zu dem Schaden der ARGE geführt haben soll, vielmehr allein diemangelhaften Gründungsarbeiten der Beklagten an. Im Ergebnis geht es damit doch um die Frage, ob die Klägerin im Verhältnis zu der ARGE diese Mängel zu vertreten hat, weil sie sich insoweit der Beklagten als Erfüllungsgehilfin bedient hat. Das ist jedoch nicht der Fall.

aa) Die Vorschrift des § 278 BGB will den Gläubiger vor möglichen haftungsausschließenden Folgen einer arbeitsteiligen Wirtschaft schützen. Der Schuldner soll sich der Haftung für Leistungsstörungen nicht dadurch entziehen können, daß er Gehilfen einsetzt (vgl. etwa Medicus, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., S. 144). Für die Anwendung der Vorschrift verbleibt daher kein Raum, soweit der Gläubiger die betreffende Leistung selbst verantworten kann und will. So ist es aber in Fällen der vorliegenden Art die Regel.

Die Errichtung eines Bauwerks besteht fast immer aus einer Vielzahl nacheinander auszuführender und aufeinander aufbauender Werkleistungen verschiedener Unternehmer. Der einzelne Auftragnehmer nimmt dabei hin, daß sein Auftraggeber die für seine Arbeiten notwendigen Vorleistungen typischerweise nicht selbst erbringt, weil er dazu gar nicht in der Lage ist. Auch will sich der Auftraggeber regelmäßig dem einzelnen Auftragnehmer gegenüber nicht zur Erbringung der notwendigen Vorarbeiten verpflichten. Der mit der Vorleistung befaßte Auftragnehmer ist demgemäß in den werkvertraglichen Pflichtenkreis des Auftraggebers gegenüber den anderen Baubeteiligten nicht miteinbezogen. Er erbringt vielmehr seine Leistung lediglich im Rahmen des zwischen ihm und dem Auftraggeber geschlossenen Werkvertrages.

Andererseits stehen die einzelnen Auftragnehmer nicht vollkommen unverbunden nebeneinander. Unter ihnen besteht vielmehr eine Art objektiver Zweckgemeinschaft. Denn um eine einwandfreie Bauleistung zu erreichen, ist der eine auf den anderen angewiesen; die Leistung des einen ist Voraussetzung für die Leistung des anderen. Dem trägt auch die VOB/B Rechnung, indem sie den Auftragnehmer verpflichtet, dieVorleistung eines anderen Unternehmers zu überprüfen (§§ 4 Nr. 3, 13 Nr. 3 VOB/B). Hat er Bedenken gegen die Leistungen anderer Unternehmer, gemeint sindVorunternehmer (vgl. Ingenstau/Korbion, aaO, § 4 Rdn. 100; Senatsurteil NJW 1974, 747 Nr. 5), so hat er sie dem Auftraggeber unverzüglich schriftlich mitzuteilen. Die Verletzung dieser Hinweis- und Prüfungspflicht kann Gewährleistungsansprüche auslösen, wenn darauf ein Mangel des hergestellten Werkes beruht, obwohl die eigenen Arbeiten des Auftragnehmers vertragsgerecht erbracht worden sind (vgl. z. B. Senatsurteil vom 20. März 1975 – VII ZR 221/72 = BauR 1975, 341, 342; vgl. auch BGH NJW 1983, 875, 876).

Diese Verpflichtung des Nachfolgeunternehmers zeigt, daß sich sein eigener Risikobereich und derjenige des Vorunternehmers teilweise überschneiden. Der Nachfolgeunternehmer ist in gewissem Umfang für die Vorleistungen mitverantwortlich. Damit wird gleichzeitig deutlich, daß auch nach den Vorstellungen der Verfasser der VOB/B insoweit der Vorunternehmer nicht Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers ist. Denn es wäre widersprüchlich, wenn der Nachfolgeunternehmer einerseits auch gegenüber dem Auftraggeber einen Anspruch auf mangelfreieVorleistung hätte und andererseits bei entsprechender Schlechtleistung des Vorunternehmers – unter bestimmten Voraussetzungen – doch selbst für sichdaraus ergebende Mängel seines eigenen Werkes haften muß, wie es die VOB/B vorsieht.

bb) Fehler eines Vorunternehmers können dem Auftraggeber im Verhältnis zum Nachfolgeunternehmer demnach regelmäßig nicht zugerechnet werden. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn aufgrund besonderer Umstände davon auszugehen ist, daß der Auftraggeber dem Nachfolgeunternehmer für diemangelfreie Erbringung der Vorleistungen einstehen will.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann jedoch allein aus der Erstellung eines Bauzeitenplanes nicht auf eine derartige Risikoübernahme durch den Auftraggeber geschlossen werden. Bei einem Großbauvorhaben der vorliegenden Art ist ein Bauzeitenplan für eine ordnungsgemäße Ablaufplanung unerläßlich. Der Auftraggeber ist daher im Rahmen seinerKoordinierungspflicht gehalten, auf die Erstellung eines Bauzeitenplanes hinzuwirken. Aus der Erfüllung dieser Pflicht kann der Auftragnehmer aber nicht folgern, daß der Auftraggeber damit gleichzeitig auch für diemangelfreie Erbringung der Vorleistungen verantwortlich zeichnen will. Die in einem solchen Plan enthaltenen Fristen sind im übrigen auch nicht ohne weiteres verbindlich, wie die Regelung in § 5 Nr. 1 Satz 2 VOB/B zeigt. Danach gelten die in einem Bauzeitenplan enthaltenen Einzelfristen nur dann als Vertragsfristen, wenn dies im Vertrag ausdrücklich vereinbart ist. Sind somit schon die Einzelfristen nicht ohne weiteres verbindlich, so bedarf es erst recht einer ausdrücklichen Vereinbarung für die vom Berufungsgericht angenommene Verpflichtung der Klägerin, selbst auch für einefehlerfreie Erbringung derVorleistungen einstehen zu wollen.

Da für eine derartige Vereinbarung nichts vorgetragen ist, kommt ein Anspruch der ARGE gegen die Klägerin aus § 6 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B (1952) = § 6 Nr. 6 VOB/B (1973) nicht in Betracht.

2. Daraus folgt zugleich, daß die Klägerin der ARGE auch nicht aus § 642 BGB haftet. Denn wenn die Herstellung einermangelfreien Vorleistung nicht in den Verantwortungsbereich der Klägerin fällt, fehlt es schon an einer von ihr gegenüber dem Nachfolgeunternehmer pflichtwidrig unterlassenen Mitwirkungshandlung. Bei der hier gegebenen vertraglichen Gestaltung war die Klägerin der ARGE lediglich insoweit zur Mitwirkung verpflichtet, als sie den Auftrag für die Gründungsarbeiten an eine hierfür fachlich qualifizierte Firma zu vergeben und für einen geordneten zeitlichen Ablauf zu sorgen hatte. Daß die Klägerin gegen diese Mitwirkungspflichten (bzw. entsprechende Obliegenheiten) verstoßen hat, ist nicht ersichtlich.

Ein Anspruch aus § 642 BGB scheidet danach schon aus, weil die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind. Deshalb kann offen bleiben, ob diese Vorschrift neben § 6 Nr. 6 VOB/B (1973) überhaupt Anwendung findet (bejahend z. B. Soergel in MünchKomm, aaO, § 642 Rdn. 11; Glanzmann in BGB-RGRK, aaO, § 642 Rdn. 18; verneinend: Ingenstau/Korbion, aaO, B § 6 Rdn. 47; Nicklisch, aaO, § 6 Rdn. 51).

3. Die Klägerin schuldet der ARGE auch keinen Ausgleich von Mehraufwendungen gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B. Allerdings hat der Senat bereits ausgesprochen, daß bei Behinderungen i. S. von § 6 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B (1952) = § 6 Nr. 6 VOB/B (1973) ein – verschuldensunabhängiger – Anspruch aus § 2 Nr. 5 VOB/B gegeben sein kann, und daß zu Anordnungen im Sinne dieser Bestimmung auch solche über die Bauzeit und über den Beginn der Ausführungen gehören können (BGHZ 50, 25, 30; Urteil vom 21. Dezember 1970 – VII ZR 184/69 = BauR 1971, 202, 203).

Die ARGE verlangt im vorliegenden Fall jedoch nicht Bezahlung für eine Mehrbelastung, die auf einer Anordnung der Klägerin i. S. von § 2 Nr. 5 VOB/B beruht. Wie die als Beispiel für eine derartige Anordnung erwähnte Änderung des Bauentwurfs zeigt, muß es sich hierbei um eine einseitige Maßnahme des Auftraggebers handeln, die ihren Ausgangspunkt indessen Verantwortungsbereich hat. Hieran fehlt es jedoch im vorliegenden Fall. Die ARGE selbst hatte von sich aus auf Bedenken gegen die Vorleistungen der Beklagten hingewiesen. Da die Beklagte diese Bedenken nicht kurzfristig ausräumen konnte, kam es zwangsläufig zu dem Baustopp, ohne daß es noch einer besonderen Anordnung durch die Klägerin bedurfte. Nun mag eine „Anordnung” auch dann vorliegen können, wenn sich die Parteien stillschweigend auf eine tatsächliche Situation einstellen. Voraussetzung wäre jedoch immer, daß die Änderung der Ausführung durch Umstände ausgelöst wird, die zum Verantwortungsbereich des Auftraggebers gehören, ihm also zuzurechnen sind (im Ausgangspunkt ebenso Weick in Nicklisch/Weick, aaO, § 2 Rdn. 61). Daß das hier nicht der Fall war, ist vorstehend unter 1 bereits im einzelnen dargelegt worden.

4. Schließlich kann die Klägerin auch nicht den Schaden der ARGE nach den Grundsätzen der sogenannten Schadensliquidation im Drittinteresse von der Beklagten ersetzt verlangen (a.A. für einen gleichgelagerten Fall OLG Frankfurt BauR 1980, 570; s.a. LG Freiburg BauR 1980, 467; Brandt BauR 1973, 13, 15 ff).

Die Fälle, in denen ein solches Recht besteht (vgl. etwa Palandt/Heinrichs, 44. Aufl., Vorbem. 6 b vor § 249 BGB), weisen zwar verschiedene Gestaltung auf. Ihnen ist aber gemeinsam, daß der aus dem Vertrag Berechtigte und der Träger des durch den Vertrag geschützten Interesses verschiedene Personen sind. Der durch eine Vertragsverletzung verursachte Schaden tritt deshalb nicht bei dem aus dem Vertrag Berechtigten, sondern bei dem Dritten ein, wobei der Ersatzpflichtige an sich mit dem Schadenseintritt beim ersatzberechtigten Gläubiger rechnen mußte und sein Risiko daraufhin kalkulieren konnte (vgl. nur BGHZ 40, 91, 100).

An einer derartigen Schadensverlagerung fehlt es in Fällen der vorliegenden Art (ebenso Locher/Löffelmann NJW 1982, 970, 971; Walzel, BauR 1984, 569, 572). Der Nachfolgeunternehmer ist nicht Träger des durch den Vertrag zwischen Bauherrn und Vorunternehmer geschützten Interesses. Er tritt nicht aufgrund besonderer Umstände als Geschädigter an Stelle des Auftraggebers als eigentlichen Anspruchsberechtigten. Dieser kann durchaus eigenen (Bauverzögerungs-)Schaden erleiden, zu dem dann – typischerweise – zusätzliche Schäden von Nachfolgeunternehmern kommen können. Die Anwendung der Grundsätze über die Schadensliquidation im Drittinteresse würde demnach zu einer nicht nur dem allgemeinen Vertragsrecht, sondern insbesondere auch dem Haftungssystem der VOB/B widersprechenden Schadenshäufung führen, die für den einzelnen Auftragnehmer in ihren Auswirkungen nicht mehr übersehbar und damit auch nicht mehr kalkulierbar wäre. In allen Fällen, in denen diese Gefahr besteht, hat der Bundesgerichtshof denn bisher auch immer die Schadensliquidation im Drittinteresse versagt (vgl. BGHZ 40, 91, 107; BGH Urteil vom 12. Juli 1968 – V ZR 14/67 = Betrieb 1968, 2168, 2169; vgl. auch BGH NJW 1977, 2208, 2209).

5. Nach alledem kann das Berufungsurteil in dem von der Revision angegriffenen Umfang nicht bestehen bleiben. Die Klage ist insoweit unbegründet und unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 92, 97 ZPO.

 

Unterschriften

G, B, O, W, Q

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 27.06.1985 durch Werner, Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 512620

BGHZ

BGHZ, 128

NJW 1985, 2475

Nachschlagewerk BGH

ZfBR 2000, 110

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