Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausgleichsanspruch des BGB-Gesellschafters im Abwicklungsstadium einer Steuerberatungsgesellschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei Fortführung der ehemaligen Steuerberater-Gemeinschaftspraxis als Einzelpraxis kann dem ausscheidenden Gesellschafter schon während des Abwicklungsstadiums der Gesellschaft ein Ausgleichsanspruch zustehen – auch wenn noch keine abgeschlossene Auseinandersetzungsrechnung vorliegt – soweit der verbleibende Gesellschafter sich einen wesentlichen Teil der Güter der Gesellschaft ohne Gegenleistung nutzbar macht und feststeht, daß dem Ausscheidenden ein bestimmter Betrag zusteht.

 

Normenkette

BGB § 730 Abs. 2 S. 2; StBerG §§ 56, 33

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 06.12.1993; Aktenzeichen 25 U 7681/92)

LG Berlin (Entscheidung vom 28.09.1992; Aktenzeichen 30 O 361/91)

 

Tenor

Auf die Revisionen des Klägers und des Beklagten wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Kammergerichts vom 6. Dezember 1993 mit Ausnahme der in Nr. 1b des Urteilstenors enthaltenen Feststellung aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Beide Parteien sind Steuerberater. Am 12. November 1989 schlossen sie einen Sozietätsvertrag, nach dem der Kläger gegen Zahlung von insgesamt 330.000,– DM zur Hälfte an der Praxis des Beklagten und an der H.-GmbH, deren einziger Gesellschafter der Beklagte war, beteiligt werden sollte. Außerdem vereinbarten die Parteien, daß der Kläger die Praxis gegen Zahlung weiterer 330.000,– DM ab 1. März 1993 allein fortführen sollte. Der Kläger zahlte mindestens 250.000,– DM und nahm die Tätigkeit für die Sozietät auf. Eine notariell beurkundete Abtretung von Geschäftsanteilen der H.-GmbH fand nicht statt.

Schon im Jahre 1990 kam es zu erheblichen Differenzen zwischen den Parteien, die dazu führten, daß der Beklagte mit Schreiben vom 4. Februar 1991 die Sozietät zum 31. März 1991 kündigte. Versuche der Parteien, sich gütlich zu einigen, schlugen fehl. Mit Schreiben vom 17. April 1991 teilte der Kläger mit, daß er wegen einer beruflichen Neuorientierung weder an der Übernahme von Mandanten noch von Mitarbeitern der bisherigen Gemeinschaftspraxis interessiert sei.

Der Kläger hat in erster Instanz u.a. die Feststellung begehrt, daß die zwischen den Parteien bestehende Steuerberatungs-Sozietät bis zum 30. Juni 1991 als werbende Gesellschaft tätig gewesen sei und sich seit dem 1. Juli 1991 in Liquidation befinde. Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Berufung des Klägers hat das Kammergericht zunächst durch Versäumnisurteil vom 23. März 1993 zurückgewiesen. Mit seinem Einspruch hat der Kläger u.a. beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 933.860,75 DM zu zahlen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger (Nr. 1a) durch den Beklagten so zu stellen ist, als sei der Kläger zu 50 % an der H.-GmbH beteiligt und (Nr. 1b) er dem Beklagten auf die nach § 2 des Sozietätsvertrags vom 12. November 1989 sich ergebende Restschuld von 80.000,– DM 48.000,– DM geleistet hat. Im übrigen hat es sein Versäumnisurteil aufrechterhalten und die weitergehende Klage abgewiesen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter, soweit ihnen das Berufungsgericht nicht stattgegeben hat. Der Beklagte wendet sich mit seiner Revision gegen Nr. 1a des Berufungsurteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Parteien führen zur Aufhebung des Urteils, soweit dieses angefochten wird, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Revision des Klägers:

Das Berufungsgericht stellt fest, daß beide Parteien im Berufungsrechtszug übereinstimmend davon ausgehen, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sei aufgelöst, befinde sich also in der Liquidationsphase. Dabei läßt es den genauen Auflösungszeitpunkt offen; als solchen lehnt es den 30. Juni 1991 ausdrücklich ab. Es wertet die Tätigkeit des Beklagten nach der Auflösung der Gesellschaft als Notgeschäftsführung und verneint einen Auseinandersetzungsanspruch des Klägers. Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Die Geschäftsführung steht in der Abwicklungsgesellschaft allen Gesellschaftern gemeinsam zu (§ 730 Abs. 2 Satz 2 BGB). Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, daß der Beklagte durch sein Verhalten eine gemeinsame Geschäftsführung vereitelt und den Kläger von allen erforderlichen Maßnahmen ausgeschlossen hat. Das Berufungsgericht stellt fest, daß der Beklagte es dem Kläger untersagte, die Praxisräume zu betreten, und die vorher von der Sozietät betreuten Mandate auf sich übergeleitet hat. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger vorgetragen, daß der Beklagte ihm alle Unterlagen vorenthalten habe, so daß es ihm unmöglich gewesen sei, eine Liquidation des Gesellschaftsvermögens herbeizuführen. Dann kann sich der Beklagte aber nicht mehr darauf berufen, eine Auseinandersetzungsrechnung liege nicht vor. Vielmehr ist nunmehr von der vorläufigen Rechnung des Klägers auszugehen.

Überdies hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang nicht beachtet, daß der Beklagte vorgetragen hat, er habe nach der Kündigung mit den Mandanten der Sozietät Kontakt aufgenommen und diese „nach der Nichtmitwirkung des Klägers” anschließend „statt auf die Einzelpraxis S. auf die H.-GmbH vertraglich verpflichtet”. Damit räumt der Beklagte ein, die verbliebenen Mandate verwertet zu haben. Dieser der Sozietät zustehende Wert ist in die Auseinandersetzungsrechnung aufzunehmen. Es ist ferner unstreitig, daß der Beklagte die Praxisräume, die Ausstattung und das Personal übernommen hat. Die Annahme des Berufungsgerichts, es fehle an einer wirtschaftlichen Realisation des Praxiswertes durch den Beklagten, erweist sich damit als unzutreffend. Seine Erwägung, die Mandate seien gleichwohl Bestandteil der Liquidationsmasse geblieben, ist unzutreffend (vgl. dazu näher II).

2. Selbst wenn man dem Berufungsgericht folgt, eine Auseinandersetzungsrechnung liege nicht vor, hat es doch verkannt, daß ein Ausnahmefall gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann einem Gesellschafter schon während des Abwicklungsstadiums ein Ausgleichsanspruch zustehen, wenn der andere Gesellschafter sich den wesentlichen Teil der Güter der Gesellschaft ohne Gegenleistung nutzbar macht (Sen.Urt. v. 14. Januar 1980 – II ZR 218/78, NJW 1980, 1628 = WM 1980, 496). Von dem Grundsatz, daß im Abwicklungsstadium ein Gesellschafter von dem anderen nichts verlangen kann, solange nicht eine abgeschlossene Auseinandersetzungsrechnung vorliegt, ist nämlich dann eine Ausnahme zu machen, wenn feststeht, daß ihm jedenfalls ein bestimmter Betrag zusteht (vgl. Sen.Urt. v. 10. Mai 1993 – II ZR 111/92, ZIP 1993, 919, 920 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Beklagte hat den Mandantenstamm und die gesamte Praxis übernommen und den Kläger völlig ausgeschlossen. Daß dem Ansprüche der Gesellschaft gegen den Kläger gegenüberstehen könnten, welche höher sind, ergibt sich aus dem Sachverhalt nicht. Damit ist davon auszugehen, daß der Kläger einen Ausgleich erhalten muß.

3. Als Auflösungszeitpunkt bietet sich entgegen den Darlegungen des Berufungsgerichts der 1. Juli 1991 an.

In mehreren Schreiben, welche das Berufungsgericht auch würdigt, hat der Beklagte unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß sich die Gesellschaft bürgerlichen Rechts seit dem 1. Juli 1991 in Liquidation befinde. Bereits das Kündigungsschreiben des Beklagten vom 4. Februar 1991 enthält den Vorschlag, die Sozietät zum 31. März oder spätestens zum 30. Juni 1991 aufzulösen, „soweit es geht, gütlich”. In den Schreiben vom 30. September 1991 an das Finanzamt und vom 26. Juni 1991 an die Mandanten wird als maßgeblicher Zeitpunkt der 1. Juli 1991 genannt. Dies stimmt mit dem Vortrag des Klägers überein, der Beklagte habe ihm Anfang Juli 1991 Hausverbot erteilt.

Das Berufungsgericht stellt darauf ab, dies alles enthalte keine auf die Auflösung der Sozietät abzielende Willenserklärung. Damit läßt es jedoch wesentlichen Sachverhalt außer acht. Es ist zwar richtig, daß der Kläger zunächst die Feststellung begehrt hat, durch die Kündigungen sei die Sozietät nicht beendet worden. Er hat dann aber im Berufungsverfahren (hilfsweise) die Feststellung verlangt, daß sich die Sozietät seit dem 1. Juli 1991 in Liquidation befinde. Hierin könnte eine nachträgliche einvernehmliche Festlegung der Parteien auf den 1. Juli 1991 zu sehen sein. Unter diesem Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht den Streitstoff bisher nicht gewürdigt, obwohl es selber von der Auflösung der Gesellschaft ausgeht, ohne allerdings einen genauen Zeitpunkt hierfür festzustellen.

II. Revision des Beklagten:

Die Revision des Beklagten wendet sich mit Erfolg dagegen, daß das Berufungsgericht feststellt, der Kläger sei durch den Beklagten so zu stellen, als sei dieser zu 50 % an der H.-GmbH beteiligt.

1. Ein in notarieller Form geschlossener Vertrag über die Abtretung eines Geschäftsanteils an dieser GmbH liegt nicht vor. Die entsprechende Vereinbarung in § 2 des Gesellschaftsvertrages haben die Parteien nicht vollzogen. Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es insoweit die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft anwendet. Allerdings hat der Senat früher auf diese Grundsätze zurückgegriffen, wenn die Übertragung eines Anteils wegen sittenwidriger Übervorteilung nichtig ist (§ 138 BGB) oder die Nichtigkeit infolge Anfechtung wegen Irrtums (§ 119 BGB) oder arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) eintritt (§ 142 Abs. 1 BGB) und ein solcher Rechtsmangel von dem übertragenden Gesellschafter geltend gemacht wird (vgl. BGHZ 55, 5, 8; Sen.Urt. v. 13. März 1975 – II ZR 154/73, WM 1975, 512, 514). Diese Grundsätze hat er im Hinblick auf § 16 GmbHG jedoch nicht auf den Fall übertragen, daß der Anteilserwerber einen dieser Rechtsmängel aufzeigt (BGHZ 84, 47, 49). Inzwischen hat er sie ganz aufgehoben (Sen.Urt. v. 22. Januar 1990 – II ZR 25/89, WM 1990, 505, 507).

2. Entgegen der Meinung des Klägers ist das Berufungsgericht nicht davon ausgegangen, daß die Parteien im Sozietätsvertrag festgelegt haben, der Kläger sei von Anfang an schuldrechtlich so zu stellen, als sei er zu 50 % an der GmbH beteiligt. Hätte das Berufungsgericht diesen Ausgangspunkt gewählt, hätte es eines Rückgriffs auf die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft nicht bedurft. Die Auslegung, die der Kläger wählt, ist durch den Sozietätsvertrag auch nicht gedeckt. Dort heißt es in § 2, der Gesellschaftsvertrag der GmbH „wird notariell dahingehend geändert, daß Herr Sch. zu 50 % aus Gesellschaftskapital und am Gewinn und Verlust beteiligt wird”. Der Sozietätsvertrag wurde nicht notariell beurkundet. Dies wird bei der Auslegung dieses Vertrages zu berücksichtigen sein. Führt diese zu dem Ergebnis, daß die Anteilsübertragung durch besonderen Vertrag erfolgen sollte, so dürfte es nach dem bisher unterbreiteten Sachverhalt nicht geboten sein, hiervon unter Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben eine Ausnahme zu machen.

III. Damit das Berufungsgericht die erforderlichen weiteren Feststellungen treffen kann, wird die Sache zurückverwiesen.

 

Fundstellen

GmbHR 1996, 116

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge