Leitsatz (amtlich)

Ist eine Zustellungsurkunde versehentlich nicht unterschrieben worden, so kann die Unterschrift mit dem Zugang der Urkunde beim Gericht nicht mehr wirksam nachgeholt werden. Dies ist auch dann nicht möglich, wenn das Versehen von der Geschäftsstelle nach Rückkehr der Zustellungsurkunde bemerkt und die unvollständige Urkunde zur Vervollständigung sogleich an die Postanstalt zurückgesandt worden ist (im Anschluß an das Urteil vom 22. Februar 1961 – IV ZR 262/60 – LM ZPO § 195 Nr. 2).

 

Normenkette

ZPO § 191 Nr. 7, §§ 195, 212

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 05.12.1979)

AG Mönchengladbach-Rheydt

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. Dezember 1979 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien sind seit dem 19. Juni 1974 geschieden. Der Beklagte lebt mit der Zeugin V. in einer eheähnlichen Gemeinschaft und wohnt mit ihr zusammen in einem seit dem 1. Oktober 1975 gemieteten Haus.

Durch Urteil vom 16. März 1979 hat das Amtsgericht den in der ersten Instanz nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beklagten verurteilt, an die Klägerin Unterhalt von monatlich 378,16 DM für die Zeit ab 2. Juni 1978 zu zahlen. Das Urteil sollte durch die Post mit Zustellungsurkunde an den Beklagten zugestellt werden. Die Zustellungsurkunde gelangte am 3. April 1979 zu der Geschäftsstelle zurück. Doch war die vorbereitete Zustellungsurkunde unvollständig; den Eintragungen in dem Vordruck war lediglich zu entnehmen, daß der Postbedienstete zu Mönchengladbach 2 den Brief an die „Vermieterin Hildegard V., die zur Annahme bereit war” übergeben hat. Hingegen fehlten Datum und Unterschrift. Die Geschäftsstelle sandte den Vordruck mit der Bitte zurück, die Zustellungsurkunde ordnungsgemäß zu unterschreiben. Am 6. oder 7. April 1979 ergänzte der Zeuge B., der damals für sechs Wochen aushilfsweise als Postzusteller tätig war, die Zustellungsurkunde mit dem Datum „31. März 1979” und seiner Unterschrift. Am 7. April 1979 ging die Urkunde wieder beim Amtsgericht ein und wurde zu den Akten genommen.

Der Beklagte legte am 22. Mai 1979 Berufung ein und beantragte zugleich hinsichtlich der Berufungsfrist, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Oberlandesgericht hat nach Beweiserhebung die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen und dessen Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat angenommen, daß das Urteil des Amtsgerichts dem Beklagten am 31. März 1979 im Wege der Ersatzzustellung durch Aushändigung an die Zeugin Vander zugestellt und die Berufung somit am 22. Mai 1979 verspätet eingelegt worden sei.

Hierzu hat es u.a. ausgeführt, die Zustellung sei nicht deshalb unwirksam, weil der Postbedienstete, Zeuge B., die Zustellungsurkunde erst nachträglich vervollständigt habe, indem er das zunächst fehlende Datum und seine Unterschrift nachgeholt habe. Zwar sei nach Beendigung des Zustellungsversuchs die Vervollständigung der Urkunde nicht mehr nachholbar, wenn der Entwurf der Zustellungsurkunde an die zustellende Behörde zurückgelangt sei. Doch sei vorliegend der Zustellungsvorgang am 3. April 1979 noch nicht beendet gewesen; die Geschäftsstelle habe „die Annahme der ihr übersandten Urkunde abgelehnt und sie an die Post zurückgesandt”, so daß zu diesem Zeitpunkt die Zustellungsurkunde noch nicht im Sine von § 212 Abs. 2 ZPO „überliefert” worden sei. Insofern unterscheide sich der vorliegende von dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – LM ZPO § 195 Nr. 2 –. Dort sei die Zustellungsurkunde zu den Akten genommen und ihre Unvollständigkeit erst nach etwa zwei Jahren bemerkt worden.

II.

Die Revision hält die Zustellung u.a. deshalb für unwirksam, weil die Zustellungsurkunde wegen wesentlicher Mängel unwirksam sei. Die Vervollständigung der Zustellungsurkunde etwa eine Woche später sei unzulässig gewesen, da die nachträglich vorgenommene Eintragung in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Zustellung stehe.

III.

Der Revisionsangriff hat Erfolg.

Der Beklagte hat die Berufungsfrist nicht versäumt; denn die Zustellung des von ihm angefochtenen amtsgerichtlichen Urteils war nicht wirksam. Die Berufungsfrist hatte nicht zu laufen begonnen. Da die Einlegung der Berufung vor Fristbeginn zulässig ist, hat das Berufungsgericht die Berufung zu Unrecht verworfen.

Der Postbedienstete, Zeuge B., hat den Entwurf der Zustellungsurkunde unvollständig ausgefüllt und nicht unterschrieben, so daß der Zustellungsvorgang einen wesentlichen Mangel enthielt. Der Mangel der Unterschrift hat zur Folge, das eine Beurkundung des eingeleiteten Zustellungsvorgangs unterblieb und eine wirksame Zustellung nicht vorgenommen wurde (RGZ 124, 127; BGHZ 8, 314, 316; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 12. Aufl. § 75 II 1 c S. 394; Zöller/Stephan, ZPO 12. Aufl. vor § 166 Anm. 4).

Die nachträgliche Vervollständigung der Zustellungsurkunde durch den Postbediensteten konnte die Unwirksamkeit der Zustellung nicht beseitigen.

Die Zustellung mittels Zustellungsurkunde besteht in der beurkundeten Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks (RGZ 124, 22, 26; 163, 181, 187; BGHZ 8, 314, 316). Die Ausstellung der Zustellungsurkunde setzt hierbei einen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem tatsächlichen Übergabeakt voraus. Daran fehlt es hier.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 22. Februar 1961 (LM ZPO § 195 Nr. 2 = MDR 1961, 583 = JR 1961, 346 = BB 1961, 692) die Nachholung der Errichtung der Urkunde nicht mehr als zulässig angesehen, wenn der nichtunterschriebene Entwurf der Urkunde an die zustellende Behörde zurückgelangt ist. Er hat hierzu ausgeführt, schon aus Rechtsgründen komme es nicht in Betracht, daß nach diesem Zeitpunkt noch eine Zustellungsurkunde über die seinerzeit durchgeführte Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks errichtet werde. Dieser Ansicht ist das Schrifttum im wesentlichen gefolgt (Kohlrust/Eimert, Das Zustellungsverfahren nach dem Verwaltungszustellungsgesetz, Kommentar § 3 Anm. 5; Schulte, NJW 1975, 2209; Stein/Jonas/Pohle, ZPO 10. Aufl. § 191 Anm. 7; Thomas/ Putzo, ZPO 10. Aufl. § 190 Anm. 3 a; Wieczorek, ZPO 2. Aufl. § 190 Anm. B II, § 212 Anm. B; Zöller/Stephan, a.a.O. § 191 Anm. 7). Der erkennende Senat tritt dieser Auffassung bei.

Dem Berufungsgericht, das sich der Ansicht des Bundesgerichtshofs grundsätzlich anschließen will, kann nicht darin beigepflichtet werden, daß der vorliegende Fall eine abweichende Beurteilung rechtfertigt. Es meint, daß der Zustellungsvorgang jedenfalls dann nicht abgeschlossen sei, wenn die unvollständige Urkunde sogleich zurückgesandt werde. Die Zustellungsurkunde sei in diesem Falle der Geschäftsstelle nicht „überliefert”.

Das Berufungsgericht verkennt insoweit, daß die Überlieferung der Zustellungsurkunde gemäß § 212 Abs. 2 ZPO, die der Überlieferung nach §§ 195 Abs. 3 und 190 Abs. 4 ZPO entspricht, kein wesentliches Element des Zustellungsvorgangs ist. Diese Bestimmungen schreiben lediglich vor, was nach der erfolgten Zustellung des Schriftstücks mit der errichteten Zustellungsurkunde zu geschehen hat. Den Vorschriften ist nicht zu entnehmen, daß der Zustellungsvorgang erst mit der zustimmenden Annahme durch die die Zustellung veranlassende Stelle (Geschäftsstelle oder Gerichtsvollzieher) vollendet wird. Demgemäß kann die Unterschrift jedenfalls mit dem Zugang beim Gericht nicht mehr wirksam nachgeholt werden (Wieczorek, ZPO 2. Aufl. § 212 B).

Auch wenn hier zwischen der Rückgabe und der Vervollständigung der Urkunde nur wenige Tage liegen, ändert dies nichts an der Unzulässigkeit der Nachholung. Gerade im vorliegenden Fall zeigt sich, daß auch bei einer nur wenige Tage später erfolgten Vervollständigung der Urkunde der Zweck der vom Gesetz vorgeschriebenen förmlichen Beurkundung nicht mehr erreicht werden kann: die Sicherung des Nachweises von Zeit und Art der Übergabe. Der Postbedienstete, Zeuge B. hat nämlich bei seiner Vernehmung bekundet, er könne „nicht mit letzter Sicherheit angeben, daß die Zustellung am 31. März 1979 erfolgt sei”.

Das angefochtene Urteil kann(schon) hiernach keinen Bestand haben.

 

Unterschriften

Dr. Grell, Knüfer, Lohmann, Blumenröhr, Krohn

 

Fundstellen

Haufe-Index 1237698

NJW 1981, 874

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