Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung von § 477 BGB a.F. bei der Verjährung von Gewährleistungsansprüchen aus Kaufverträgen, die vor dem 01.01.2002 geschlossen wurden

 

Leitsatz (amtlich)

Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 EGBGB sind auf Ansprüche aus vor dem 1.1.2002 geschlossenen Schuldverhältnissen auch dann anzuwenden, wenn die Ansprüche erst nach diesem Tag entstanden sind. Daher gilt für Gewährleistungsansprüche aus vor dem 1.1.2002 geschlossenen Kaufverträgen die Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. auch dann, wenn die Ansprüche erst nach diesem Tag entstanden sind.

 

Normenkette

EGBGB Art. 229; EGBGB § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 12.11.2004; Aktenzeichen 5 S 145/04)

AG Herne-Wanne (Urteil vom 14.04.2004; Aktenzeichen 2 C 554/03)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Bochum v. 12.11.2004 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit seiner am 13.11.2003 erhobenen Klage Minderung und Schadensersatz i.H.v. 4.000 EUR wegen Mängeln eines Wohnwagens, den er im August/September 2001 von der Beklagten gekauft hatte und der am 16.5.2002 an ihn ausgeliefert worden war.

Das AG hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das LG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Der Kläger könne ggü. der Beklagten Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag nicht mehr geltend machen, weil eventuell entstandene Gewährleistungsansprüche nach § 477 BGB a.F. verjährt seien. Die Verjährung von Ansprüchen, die am 1.1.2002 bereits bestanden hätten und noch nicht verjährt seien, richte sich gem. Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB grundsätzlich nach neuem Recht. Hiervon mache jedoch Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB eine Ausnahme, wenn die alte Verjährungsfrist - wie im Falle des § 477 BGB - kürzer sei als die nach neuem Recht. Diese Überleitungsvorschrift sei entsprechend anzuwenden, wenn - wie hier - Gewährleistungsansprüche nach dem 1.1.2002 entstanden seien, der zu Grunde liegende Kaufvertrag aber vor diesem Tag abgeschlossen worden sei.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand, so dass die Revision des Klägers zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat die Klage mit Recht im Hinblick auf die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung abgewiesen.

1. Die Revision stellt nicht in Frage, dass Gewährleistungsansprüche des Klägers aus dem im August/September 2001 geschlossenen Kaufvertrag im Zeitpunkt der Klageerhebung verjährt waren, wenn hierfür die Verjährungsfrist von sechs Monaten nach § 477 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der bis zum 1.1.2002 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) maßgebend ist.

2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht die Verjährung der geltend gemachten Gewährleistungsansprüche nach § 477 Abs. 1 BGB a.F. beurteilt hat. Sie meint, diese Ansprüche unterlägen nicht der kurzen Verjährung des § 477 BGB a.F., sondern verjährten nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung erst in zwei Jahren. Dies trifft nicht zu.

a) Nach der allgemeinen Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB ist auf Schuldverhältnisse, die - wie der vorliegende Kaufvertrag - vor dem 1.1.2002 entstanden sind, das Bürgerliche Gesetzbuch, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden. Zum Verjährungsrecht trifft Art. 229 § 6 EGBGB - als lex specialis - eine differenzierende, von dem Grundsatz des Art. 229 § 5 EGBGB teilweise abweichende Regelung. Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB bestimmt als Ausnahme von Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB, dass auf die am 1.1.2002 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche bereits das neue Verjährungsrecht Anwendung findet. Hiervon regeln jedoch Art. 229 § 6 Abs. 3 und 4 EGBGB wiederum Rückausnahmen, die unter bestimmten Voraussetzungen zur Geltung des früheren Verjährungsrechts zurückführen. Nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB kommt es für die Frage, ob die alten oder die neuen Verjährungsfristen anzuwenden sind, auf einen Fristenvergleich an, der dazu dient, das gesetzgeberische Prinzip des Vorrangs der früher vollendeten Verjährung zu verwirklichen (Gsell, NJW 2002, 1297).

b) Mit Recht hat das Berufungsgericht die Regelung des Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB auf den vorliegenden Fall angewendet und aus ihr hergeleitet, dass für die Verjährung der vom Kläger geltend gemachten Gewährleistungsansprüche aus dem im August/September 2001 geschlossenen Kaufvertrag noch die Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. Anwendung findet, weil diese kürzer ist als die neue Verjährungsfrist von zwei Jahren nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB.

Vergeblich hält die Revision der Anwendung des Art. 229 § 6 Abs. 3 BGB entgegen, dass die vom Kläger geltend gemachten Gewährleistungsansprüche nicht, wie Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB es voraussetze, am 1.1.2002 bereits bestanden hätten, sondern erst danach - mit der Auslieferung des Fahrzeugs am 16.5.2002 - entstanden seien. Zwar bezieht sich der Wortlaut des Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB in der Tat nur auf Ansprüche, die am 1.1.2002 bereits bestanden. Um solche Ansprüche handelt es sich hier nicht. Etwaige Gewährleistungsansprüche des Klägers bestanden am 1.1.2002 noch nicht; sie konnten erst mit der Übergabe des Wohnwagens am 16.5.2002 entstehen. Damit ist jedoch die Anwendung des Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB und auch des Abs. 3 dieser Vorschrift nicht ausgeschlossen.

Die Regelung des Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB über die Geltung des neuen Verjährungsrechts für Ansprüche aus vor dem 1.1.2002 entstandenen Schuldverhältnissen ist, wie der Senat bereits entschieden hat, nicht auf am 1.1.2002 bereits bestehende Ansprüche beschränkt, sondern erstreckt sich - erst recht - auf solche Ansprüche, die nach dem 1.1.2002 entstanden sind (BGH, Urt. v. 19.1.2005 - VIII ZR 114/04, BGHZ 162, 30 = BGHReport 2005, 481 m. Anm. Langenberg = MDR 2005, 439 = NJW 2005, 739, unter II 2b). Die vom Kläger geltend gemachten Gewährleistungsansprüche werden damit nicht nur von Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB, sondern auch von Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB erfasst, so dass für sie die ggü. § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB kürzere Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. maßgebend ist.

aa) Die Anwendung der Bestimmung in Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB über den Fristenvergleich auf nach dem 1.1.2002 entstandene Ansprüche aus Altverträgen folgt daraus, dass die Überleitungsvorschrift zum neuen Verjährungsrecht (Art. 229 § 6 EGBGB) eine in sich zusammenhängende Regelung darüber enthält, unter welchen Voraussetzungen auf Ansprüche aus vor dem 1.1.2002 entstandenen Schuldverhältnissen bereits die neuen Vorschriften zum Verjährungsrecht oder noch die bisherigen Verjährungsvorschriften Anwendung finden. Die Bestimmung in Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB über den für die Geltung der Verjährungsfrist maßgeblichen Fristenvergleich regelt selbst nicht, für welche Ansprüche der Fristenvergleich anzustellen ist; der Anwendungsbereich des Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB ergibt sich aus Abs. 1 der Vorschrift. Deshalb ist mit der Ausdehnung des Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB auf nach dem 1.1.2002 entstandene Ansprüche aus Altverträgen auch der Fristenvergleich für diese Ansprüche nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB eröffnet.

Dem steht nicht entgegen, dass die Ausdehnung des Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB auf einer Erst-recht-Argumentation beruht, mit der sich eine Rückkehr zum alten Verjährungsrecht als Folge des Fristenvergleichs nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB nicht ohne weiteres begründen lässt (so zutreffend Gsell, NJW 2002, 1297). Dies spricht nicht gegen die Anwendung der Bestimmung über den Fristenvergleich auf nach dem 1.1.2002 entstandene Ansprüche aus Altverträgen. Denn Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB regelt hinsichtlich der Anwendung des neuen Verjährungsrechts - ebenso wie die allgemeine Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB - nur einen Grundsatz, der durch die nachfolgenden Bestimmungen des Art. 229 § 6 EGBGB - insb. auch durch die über den Fristenvergleich nach Abs. 3 dieser Vorschrift - eingeschränkt wird. Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist deshalb so zu lesen, dass die neuen Verjährungsvorschriften auf die am 1.1.2002 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche - erst recht auf die danach erst entstandenen - Anwendung finden, soweit nicht in den nachfolgenden Absätzen des Art. 229 § 6 EGBGB ein anderes bestimmt ist. Auf Grund dieser Regelungssystematik der Überleitungsvorschrift ist der Fristenvergleich nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB auf alle Ansprüche anzuwenden, die unter Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB fallen - nicht nur auf die am 1.1.2002 schon bestehenden, sondern auch auf die danach erst entstandenen.

bb) Im Hinblick auf die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche, um die es im vorliegenden Rechtsstreit geht, bestehen darüber hinaus auch sachliche Gründe, die es rechtfertigen, dass sich die kürzere Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. ggü. der längeren Frist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht nur bei den am 1.1.2002 bereits bestehenden, sondern auch bei den erst danach entstandenen Gewährleistungsansprüchen durchsetzt (ebenso Grothe in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., Art. 229 § 6 Rz. 9; Gsell, NJW 2002, 1297 [1303]; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 11. Aufl., Anh. vor § 194 Rz. 8; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., EGBGB, Art. 229 § 6 Rz. 5; a.A. Mansel/Budzikiewicz, Das Neue Verjährungsrecht, § 10 Rz. 27).

Der in Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB geregelte Vorrang der kürzeren Verjährungsfrist dient dem Schutz des Schuldners (BT-Drucks. 14/6440, 273). Der Gesetzgeber hat unter diesem Gesichtspunkt die grundsätzliche Geltung der neuen Verjährungsvorschriften für noch nicht verjährte Ansprüche aus Altverträgen (Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB) durch Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB eingeschränkt und ist damit im Interesse des Schuldnerschutzes (Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 11. Aufl., Anh. vor § 194 Rz. 8; Grothe in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., Art. 229 § 6 Rz. 9) hinsichtlich der Verjährung zum Grundsatz der Geltung alten Rechts für vor dem 1.1.2002 entstandene Schuldverhältnisse (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB) zurückgekehrt. Dieser Zweck des Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB spricht dafür, den Fristenvergleich auf die am 1.1.2002 schon entstandenen und die danach erst entstehenden Gewährleistungsansprüche aus vor diesem Tag geschlossenen Kaufverträgen gleichermaßen anzuwenden und somit für beide Fälle die Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. gelten zu lassen. Eine unterschiedliche Behandlung ist unter dem für Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB maßgeblichen Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes nicht gerechtfertigt. Im Schrifttum wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Geltung der längeren Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB bei nach dem 1.1.2002 entstandenen Gewährleistungsansprüchen aus Altverträgen zum Nachteil des Schuldners dieser Ansprüche zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Eingriff in das Äquivalenzverhältnis und damit in die Privatautonomie führen würde (Grothe in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., Art. 229 § 6 Rz. 9; Gsell, NJW 2002, 1297 [1303]; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., EGBGB, Art. 229 § 6 Rz. 3; a.A.: Mansel/Budzikiewicz, Das Neue Verjährungsrecht, § 10 Rz. 27).

Ob, wie die Revision meint, Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB auf Ansprüche aus vor dem 1.1.2002 geschlossenen Sukzessiv- oder Dauerlieferungsverträgen keine Anwendung finden dürfe, damit nicht auf lange Zeit noch die Verjährungsfristen nach altem Recht gelten, ist hier nicht zu entscheiden. Denn um einen solchen Vertrag handelt es sich bei dem Kaufvertrag der Parteien nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1458911

NJW 2006, 44

BGHR 2006, 277

EWiR 2006, 647

IBR 2006, 11

WM 2006, 345

ZIP 2006, 527

MDR 2006, 558

VuR 2006, 69

VRA 2006, 22

VRR 2006, 63

LL 2006, 165

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