Leitsatz (amtlich)

›1. § 524 Abs. 2 ZPO erlaubt es dem Berufungsgericht jedenfalls in Arzthaftungsprozessen nicht, die gesamte umfangreiche Beweisaufnahme durch den Einzelrichter vornehmen zu lassen.

2. Die Frage, ob ein (grober) Behandlungsfehler für den eingetretenen Gesundheitsschaden kausal ist, ist vom Tatrichter nicht nach der medizinischen Sicht des Sachverständigen, sondern nach seiner persönlichen Überzeugung zu entscheiden. Diese setzt lediglich einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit voraus.

3. Eine allein von der Revision erhobene Verfahrensrüge kommt der Anschlußrevision auch dann nicht zugute, wenn sie sich auf die Durchführung der gesamten Beweisaufnahme durch den Einzelrichter (§ 524 Abs. 2 ZPO) bezieht.

4. Die Beweiserleichterung für den Patienten bei einem groben ärztlichen Behandlungsfehler erstreckt sich nur auf die Ursächlichkeit für den haftungsbegründenden "Primärschaden", nicht aber auch auf den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden.

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg

LG Hamburg

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz, weil er als Notarzt bei ihr Anzeichen für einen drohenden Herzinfarkt nicht erkannt und sie deshalb nicht rechtzeitig in ein Krankenhaus eingewiesen habe.

Die Klägerin verspürte am Abend des 30. Juli 1987 stärkere Schmerzen im Schulter- und Armbereich. Gegen 22.00 Uhr benachrichtigte sie den Notarztdienst. Um 23. 55 Uhr kam der Beklagte, der ein HWS-Schulter-Arm-Syndrom diagnostizierte. Da sich die Schmerzen in der Nacht noch. erheblich verstärkten, wurde erneut ein Notarzt gerufen. Nunmehr erschien Dr. B., der die Klägerin um 3. 30 Uhr mit der Diagnose "Herzinfarkt" in das Universitätskrankenhaus E. einwies, wo sie um 4.05 Uhr eintraf.

Die Klägerin erlitt einen Hinterwandinfarkt und während ihres stationären Aufenthaltes nach etwa 4 Wochen noch einen Vorderwandinfarkt. Nach ihrem Vorbringen kann sie keine Haushaltstätigkeiten mehr verrichten und ist auch sonst kaum noch belastbar. Sie hat vom Beklagten ein Schmerzensgeld, Fahrtkosten von 486, 10 DM und wegen vermehrter Bedürfnisse zuletzt eine Rente von monatlich 1.400 DM verlangt; ferner hat sie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle Zukunftsschäden begehrt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat der Klägerin unter Abweisung der weitergehenden Ansprüche ein Schmerzensgeld von 10.000 DM, die Fahrtkosten von 486, 10 DM sowie eine Monatsrente von anfangs 455 DM und ab Dezember 1990 von 565 DM zuerkannt; es hat ferner die begehrte Feststellung ausgesprochen. Gegen dieses Urteil richten sich die auf volle Klageabweisung zielende Revision des Beklagten und die Anschlußrevision der Klägerin, mit der sie den abgewiesenen Teil ihrer Klageanträge weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hält nach umfangreicher Beweisaufnahme durch den Einzelrichter das Unterlassen des Beklagten, die Klägerin in ein Krankenhaus einzuweisen, für einen groben Behandlungsfehler. Es legt deshalb die Beweislast dafür, daß dieses Versäumnis für den Schaden der Klägerin nicht ursächlich geworden ist, dem Beklagten auf und meint, er habe diesen Beweis nicht erbracht. Zwar habe der Sachverständige Prof. Sch. die Möglichkeit, den Herzinfarkt der Klägerin durch deren frühere Einweisung in ein Krankenhaus und eine dadurch schneller durchführbare Therapie noch vermeiden zu können, als sehr unwahrscheinlich bezeichnet; nach den Ausführungen des Sachverständigen könne eine solche Vermeidbarkeit aber nicht als hochgradig unwahrscheinlich festgestellt werden. Deshalb sei der Beklagte der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet. Seine Ersatzpflicht umfasse jedoch nicht die Folgen des späteren Vorderwandinfarktes. Denn das Risiko dieses Infarktes habe unabhängig von der Stenose im Hinterwandgefäß bestanden; es habe sich bei wertender Betrachtung nur zufällig im Gefolge der Behandlung des dortigen Infarktes verwirklicht. Sachlich habe der Vorderwand- mit dem Hinterwandinfarkt nichts zu tun; er beruhe auf einer Verengung des die Vorderwand versorgenden Gefäßes, die lediglich zugleich mit der Stenose des die Hinterwand versorgenden Gefäßes gefunden und dilatiert worden sei. Da nach den Ausführungen des Sachverständigen auch bei Vermeidung des Hinterwandinfarkts in jedem Fall am Vorderwandgefäß eine Dilatation habe vorgenommen werden müssen, sei die Gefahr eines dortigen Infarktes durch den vom Beklagten zu vertretenden Hinterwandinfarkt nicht nennenswert erhöht worden. Deshalb habe der Beklagte der Klägerin Ersatz nur für denjenigen Gesundheitsschaden zu leisten, der sich allein infolge des Hinterwandinfarktes eingestellt habe. Das rechtfertige ein Schmerzensgeld von 10.000 DM und eine monatliche Rente von anfangs 455 DM und später 565 DM.

II. Diese Ausführungen halten, soweit sie von der Revision des Beklagten angegriffen werden, einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsurteil ist insoweit schon deshalb aufzuheben, weil das Berufungsgericht seiner Entscheidung zum Nachteil des Beklagten einen verfahrensfehlerhaft festgestellten Sachverhalt zugrundegelegt hat.

a) Mit Recht beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht gegen die Vorschrift des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO verstoßen hat. Hiernach kann der Einzelrichter im Berufungsrechtszug, soweit nicht ein Einverständnis nach § 524 Abs. 4 ZPO vorliegt, nur "einzelne" Beweise erheben, und auch dies darf - neben einer weiteren Voraussetzung - nur insoweit geschehen, als "von vornherein anzunehmen ist, daß das Berufungsgericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag". Diese zwingende Vorschrift läßt es, wie der Senat bereits mehrfach ausgesprochen hat, in aller Regel nicht zu, daß in Arzthaftungsprozessen, in denen die Entscheidung im wesentlichen auf sachverständiger Beratung beruht, die Beweisaufnahme einschließlich der Befragung ärztlicher Gutachter allein durch den Einzelrichter erfolgt (Senatsurteile vom 24. Juni 1980 - VI ZR 7/79 - VersR 1980, 940; vom 3. Februar 1987 - VI ZR 56/86 - VersR 1987, 1089, 1091 und vom 23. März 1993 - VI ZR 26/92 - VersR 1993, 836, 838 f; s. ferner BGH, Urteil vom 30. Januar 1990 - XI ZR 162/89 - NJW 1991, 1302). So liegt es auch im Streitfall. Das Berufungsgericht hat die gesamte umfangreiche Beweisaufnahme durch den Einzelrichter vornehmen lassen. Dieser hat ein die Beweiserhebung aus dem ersten Rechtszug ergänzendes Gutachten des Sachverständigen Prof. Sch. eingeholt und die erstmalige Vernehmung des sachverständigen Zeugen Prof. K. beschlossen. Er hat anschließend den Zeugen um schriftliche Beantwortung einer Reihe weiterer Fragen gebeten und auch an Prof. Sch. mehrere schriftliche Fragen gerichtet. Sodann hat er auch dessen mündliche Anhörung beschlossen und durchgeführt, was nach den Darlegungen des Berufungsgerichts "schwierig und zeitraubend" war, 3 1/2 Stunden dauerte und den Termin "bis zur Erschöpfung aller Beteiligten" auslastete. Damit ist das Gericht erheblich über die Befugnisse des Einzelrichters hinausgegangen, die ihm nach dem Gesetz zustanden.

b) Der Verstoß gegen § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, durch einen Rügeverzicht des Beklagten nach § 295 Abs. 1 ZPO geheilt worden. Zwar hat der Beklagte die fehlerhafte Verfahrensweise nicht schon vor dem Einzelrichter beanstandet; er hat dies aber in der ersten mündlichen Verhandlung und damit rechtzeitig vor dem zur Entscheidung berufenen vollen Senat des Berufungsgerichts getan; allein darauf kommt es bei einem Verstoß gegen die von diesem Spruchkörper einzuhaltende Verfahrensweise an.

2. Mit Recht rügt die Revision ferner, daß das Berufungsurteil auch in weiteren Punkten nicht fehlerfrei ist. a) Entgegen der Ansicht der Revision liegt allerdings kein Verfahrensfehler darin, daß das Berufungsgericht den schon vom Landgericht bejahten Behandlungsfehler des Beklagten in Abweichung von der erstinstanzlichen Beurteilung als grob bewertet hat, ohne den Sachverständigen zu dieser Frage erneut zu hören. Denn der Fehler des Beklagten besteht nicht, wie die Revision geltend macht, in einem möglicherweise milder einzustufenden bloßen Diagnoseirrtum, sondern darin, daß der Beklagte die Klägerin entgegen ärztlichem Gebot nicht zum Zwecke der von ihm selbst nicht durchführbaren diagnostischen Abklärung eines möglichen Herzinfarktes in ein Krankenhaus eingewiesen hat. Hierzu hatte der Sachverständige Prof. Sch. bereits im ersten Rechtszug mehrfach klar gesagt, daß der Beklagte die Klägerin aufgrund der bei ihr bestehenden Symptome hätte einweisen müssen. Da das Berufungsgericht die Ausführungen des Sachverständigen nicht anders verstanden, sondern sie zum Schweregrad des Versäumnisses des Beklagten lediglich anders gewürdigt hat als das Landgericht, was als rechtliche Beurteilung allein in seiner Kompetenz und nicht in der Sachkunde des Gutachters stand, brauchte es den Sachverständigen zu diesem Punkt auch nicht erneut zu vernehmen.

b) Im Ergebnis liegt auch kein Verfahrensverstoß des Berufungsgerichts darin, daß es dem Antrag des Beklagten auf mündliche Anhörung des Sachverständigen zu seinem im ersten Rechtszug erstatteten Gutachten zur Frage des Behandlungsfehlers nicht entsprochen hat. Dabei kann es dahinstehen, ob der vom Berufungsgericht zutreffend angeführte Grundsatz, daß der Antrag einer Partei auf mündliche Erläuterung eines Gutachtens durch den Sachverständigen mit dem Ablauf des Termins endet, in dem über das Gutachten verhandelt wird (vgl. Senatsurteil vom 10. Januar 1989 - VI ZR 25/88 - VersR 1989, 378), wegen der hier gegebenen Besonderheiten (Verhandlung über das Gutachten im letzten Termin vor dem Landgericht, auf den nach ausführlicher Erörterung das den Beklagten günstige Urteil ergangen ist; Ladung und Anhörung des Sachverständigen vor dem Berufungsgericht zu weiteren Fragen) im Streitfall etwaigen Einschränkungen unterliegen könnte. Denn der Beklagte wollte nach seinem Antrag den Sachverständigen vor dem Berufungsgericht lediglich zu der Gewichtung des ärztlichen Verhaltens als groben Behandlungsfehler befragen; sowohl die Schwere des Fehlers als auch deren Bedeutung für eine Kausalitätsvermutung waren aber nicht vom Gutachter, sondern vom Gericht zu beurteilen.

c) Nicht rechtsfehlerfrei sind jedoch, und zwar unabhängig von dem unter II 1 dargelegten Verfahrensmangel, die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht die Kausalität des Behandlungsfehlers des Beklagten für den Eintritt des Hinterwandinfarktes bei der Klägerin bejaht.

aa) Das Berufungsgericht, das bei dem von ihm als grob bewerteten Versäumnis des Beklagten die Beweislast für die fehlende Ursächlichkeit zutreffend dem Beklagten auferlegt (ständ. Rspr.; vgl. zuletzt Senatsurteil vom 26. November 1991 - VI ZR 389/90 - VersR 1992, 238, 239), läßt offen, ob und mit welchem Erfolg die Klägerin bei früherer Krankenhauseinweisung einer Lysetherapie zugeführt worden wäre. Es meint aber, bei der Klägerin sei auf jeden Fall eine medikamentöse Behandlung mit Nitraten angezeigt gewesen und es lasse sich nicht hinreichend sicher feststellen, daß der Herzinfarkt der Klägerin dadurch nicht habe abgewendet werden können. Zu dieser auf die Darlegungen des Sachverständigen Prof. Sch. gegründeten Überzeugung ist das Berufungsgericht auf nicht rechtsfehlerfreie Weise gelangt. In seinem vom Einzelrichter eingeholten ersten Ergänzungsgutachten hat der Sachverständige ausgeführt, die Klägerin hätte auch bei früherem Einsatz der medikamentösen Therapie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Herzinfarkt bekommen. Er hat dann zwar bei seiner Vernehmung durch den Einzelrichter diese eindeutige Aussage nicht mehr wiederholt, aber weiterhin erklärt, daß die Möglichkeit, einen Herzinfarkt mit den Medikamenten noch zu vermeiden, bei einer Wahrscheinlichkeitsskala von 0-100 "eindeutig auf der Skalahälfte der Unwahrscheinlichkeit" gelegen habe. Auf wiederholtes Befragen, ob er die Möglichkeit der Vermeidung des Herzinfarktes als "hochgradig unwahrscheinlich" einstufe, hat der Sachverständige ausgeführt, daß ihm dies zu sehr nach 99 % klinge und daß ihm deshalb eine Formulierung als "sehr unwahrscheinlich" oder "eher in Richtung des sehr Unwahrscheinlichen als des nur Unwahrscheinlichen" lieber sei. Dabei ist der Sachverständige ersichtlich von einem medizinisch sicheren Grad der Vermeidbarkeit ausgegangen. Das Berufungsgericht meint nun, wegen der Zweifel des Sachverständigen daran, ob die von ihm letztlich gewahlte Formulierung im Rahmen des Seriösen verantwortlich gewagt werden könne, habe der Beklagte den Beweis für die fehlende Ursächlichkeit nicht erbracht. Das wird der dem Richter obliegenden Aufgabe zu eigener Überzeugungsbildung (§ 286 Abs. 1 ZPO) nicht gerecht. Das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung auf restliche, in der Gesamtschau der Äußerungen vom Sachverständigen selbst aus medizinischer Sicht als nur gering angesehene Zweifel; entscheidend ist aber nicht der Grad der Überzeugung des Sachverständigen, sondern die persönliche Überzeugung des Tatrichters, und diese setzt nicht den Ausschluß letzter Zweifel, sondern lediglich einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit voraus (BGHZ 7, 116, 119; 18, 311, 318; 53, 245, 255; Senatsurteil vom 9. Mai 1989 - VI ZR 268/88 - VersR 1989, 758, 759 m.w.N.).

Es ist deshalb bereits zweifelhaft, ob das Berufungsgericht, das entscheidend auf die Sicht des Sachverständigen abstellt, vom richtigen Beweismaß ausgegangen ist. Schon aus diesem Grunde kann seine Überzeugungsbildung nicht als rechtsfehlerfrei bezeichnet werden.

bb) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist im übrigen der Umfang der für den Patienten durch einen groben Behandlungsfehler des Arztes begründeten Beweiserleichterung nicht gänzlich unabhängig vom Grad der Unwahrscheinlichkeit der Ursächlichkeit des Fehlers für den eingetretenen Schaden; das Ausmaß der Beweiserleichterung ist vielmehr danach abzustufen, in welchem Maße wegen der besonderen Schadensneigung des Fehlers das Spektrum der für den Mißerfolg in Betracht kommenden Ursachen verbreitert bzw. verschoben worden ist (BGHZ 85, 212, 216 f; Urteil vom 28. Juni 1988 - VI ZR 217/87 - VersR 1989, 80, 81). Diesen Grundsätzen wird es nicht gerecht, wenn das Berufungsgericht trotz der auch nach seiner Ansicht eher in Richtung des sehr Unwahrscheinlichen gehenden Vermeidbarkeit des Hinterwandinfarktes ohne weitere Begründung zu Lasten des Beklagten von einer vollen Beweislastumkehr ausgeht.

III. Die Anschlußrevision der Klägerin erweist sich als unbegründet.

1. Diese Revision wendet sich nicht dagegen, daß der Einzelrichter des Berufungsgerichts die gesamte Beweisaufnahme durchgeführt hat. Das wäre aber erforderlich gewesen, wenn auch sie, und zwar mit Blick auf den Vorderwandinfarkt der Klägerin, die Beurteilung der Verantwortlichkeit des Beklagten durch das Berufungsgericht auf der Grundlage der allein vom Einzelrichter erhobenen Beweise beanstanden wollte. Denn unbeschadet des Umstands, daß die Anschlußrevision ihrem Wesen nach nicht als Rechtsmittel im eigentlichen Sinne, sondern lediglich als Antrag innerhalb des vom Revisionskläger eingelegten Rechtsmittels angesehen wird (GSZ BGHZ 4, 229, 233; 72, 339, 340; 80, 146, 148), gilt für sie nach der ausdrücklichen Regelung des § 556 Abs. 2 Satz 3 ZPO in gleicher Weise wie für die Revision die Vorschrift des § 554 Abs. 3 ZPO mit der hiernach gebotenen Angabe der Revisionsgründe. Erhebt daher, wie im Streitfall, die Anschlußrevision eine bestimmte Verfahrensrüge nicht, so muß insoweit bei der revisionsrechtlichen Prüfung das Verfahren des Berufungsgerichts als fehlerfrei zugrunde gelegt werden.

Eine andere Beurteilung ergibt sich im Streitfall auch nicht aus der Erwägung, daß die Wirkung einer Verfahrensrüge. der Revision auf die Anschlußrevision ausstrahlen kann, wenn die Angriffe beider Seiten in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl. dazu Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl., § 559 Rdn. 11). So liegt der Fall hier nicht, da die Beurteilung der Einstandspflicht des Beklagten durch das Berufungsgericht von der Revision ausschließlich in Bezug auf den Hinterwandinfarkt der Klägerin, von der Anschlußrevision hingegen allein mit Blick auf den vier Wochen später eingetretenen Vorderwandinfarkt bekämpft wird. Die Beurteilung der Verantwortlichkeit des Beklagten für beide Infarktgeschehen hat aber, wie sich insbesondere auch aus den nachfolgenden Ausführungen zu III 2 c) ergibt, nach unterschiedlichen Gesichtspunkten zu erfolgen.

2. Die von der Anschlußrevision erhobenen Rügen greifen nicht durch.

a) Ohne Erfolg muß der gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts gerichtete Angriff bleiben, auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Sch. lasse sich nicht die Feststellung treffen, daß sich durch die Fehlbehandlung des Vorinfarktzustandes der Klägerin an der Hinterwand das ohnehin gegebene Risiko eines Gefäßverschlusses bei der Dilatation der Stenose des Vorderwandgefäßes nicht nennenswert erhöht habe. Der Sachverständige hat seine bereits in einem ersten Gutachten geäußerte Ansicht über das Fehlen eines sachlichen Zusammenhangs zwischen Hinter- und Vorderwandinfarkt im ersten Ergänzungsgutachten und bei seiner Anhörung vor dem Berufungsgericht näher erläutert. Die Anschlußrevision will diese Darlegungen anders würdigen; sie zeigt jedoch keine durchgreifenden rechtlichen Gründe auf, aus denen das Berufungsgericht auf der Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme gehindert gewesen wäre, zu der in seinem Urteil niedergelegten Überzeugung zu kommen.

b) Fehl geht aus demselben Grunde auch die ebenfalls gegen die Beweiswürdigung gerichtete Rüge, das Berufungsgericht hätte aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen nicht, wie geschehen, die Schadensanteile der beiden Infarkte der Klägerin gegeneinander abgrenzen dürfen. Die Möglichkeit, daß die Klägerin auch schon als Folge des Hinterwandinfarktes nur noch leichte Hausarbeiten hätte verrichten können, brauchte das Berufungsgericht nicht zu veranlassen, sich von einer derart weitgehenden Auswirkung dieses Infarkts zu überzeugen.

c) Das Berufungsgericht mußte dem Beklagten die Verantwortung für den gesamten Schaden der Klägerin schließlich auch nicht im Wege der Beweislastverteilung deswegen auferlegen, weil es den Behandlungsfehler des Beklagten als grob angesehen hat und weil, wie die Anschlußrevision meint, dieser Fehler geeignet war, einen Schaden der hier eingetretenen Art herbeizuführen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erstreckt sich bei einem schweren Behandlungsfehler des Arztes die Beweiserleichterung des Patienten grundsätzlich nur auf die Frage der Ursächlichkeit für den haftungsbegründenden "primären" Schaden, nicht aber auch auf den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden ("Sekundärschäden"), die aus dem durch den Behandlungsfehler unmittelbar verursachten Gesundheitsschaden hervorgegangen sein sollen (Senatsurteile vom 9. Mai 1978 - VI ZR 81/77 - VersR 1978, 764, 765 und vom 28. Juni 1988 - VI ZR 210/87 - VersR 1989, 145; OLG Düsseldorf mit NA-Beschluß des Senats vom 6. Dezember 1988 - VI ZR 122/88 - VersR 1989, 192, 193). Nur als ein solcher Folgeschaden kann aber hier der nach dem Vorbringen der Klägerin infolge des Hinterwandinfarkts und der dadurch eingetretenen stärkeren Belastung der Vorderwand des Herzens verursachte dortige Infarkt angesehen werden. Der deshalb in der Beweislast der Klägerin verbliebene Nachweis der Kausalität des Behandlungsfehlers des Beklagten auch für diesen Schaden ist nicht erbracht.

IV. Das Berufungsurteil ist demzufolge allein auf die Revision des Beklagten aufzuheben, soweit es zu seinem Nachteil ergangen ist. Bei der Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993691

NJW 1994, 801

BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Beweislastumkehr 4

BGHR ZPO § 411 Abs. 3 Ermessen 3

BGHR ZPO § 524 Abs. 2 Satz 2 Arzthaftungsprozeß 1

BGHR ZPO § 556 Abs. 2 Verfahrensrüge 1

DRsp I(125)417e

MDR 1994, 303

VersR 1994, 52

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