Leitsatz (amtlich)

Nach dem Tod des Schuldners richtet sich der Anspruch des Neugläubigers auf Ausgleich einer Nachlassverbindlichkeit gegen den Erben.

 

Normenkette

InsO §§ 38, 87, 325

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Urteil vom 29.11.2012; Aktenzeichen 6 S 72/12)

AG Waldbröl (Entscheidung vom 27.03.2012; Aktenzeichen 6 C 251/11)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bonn vom 29.11.2012 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Am 1.9.2008 wurde über das Vermögen der Mutter des Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 17.12.2008 schloss die Mutter mit dem Kläger einen Mietvertrag über eine Wohnung in einer Seniorenresidenz. Der Beginn des Mietverhältnisses wurde auf den 1.1.2009 festgelegt. Die monatliche Miete betrug 740 EUR zzgl. einer Nebenkostenvorauszahlung i.H.v. 140 EUR. Gleichzeitig ging sie mit einer Gesellschaft, deren Geschäftsführer der Kläger war, ein als "Betreuungsvertrag" bezeichnetes Vertragsverhältnis ein, nach dessen Inhalt für die Grundversorgung ein weiteres Entgelt von monatlich 90 EUR geschuldet wurde. Am 30.11.2010 verstarb die Mutter; der Beklagte ist deren Alleinerbe. Mit Schreiben vom 1.12.2010 kündigte er das Mietverhältnis zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Rz. 2

Der Kläger macht restliche Mietzahlungen für die Monate Dezember 2010, Januar und Februar 2011 sowie Telefonkosten und vorgerichtliche Anwaltskosten geltend. Das AG hat der Klage stattgegeben. Dem Beklagten wurde die Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass seiner Mutter vorbehalten. Das LG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 3

Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.

I.

Rz. 4

Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision nicht auf einen Teil des Gesamtstreitstoffes beschränkt. Soweit das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat, die Revision werde zugelassen, weil der Frage, ob aufgrund der Regelung des § 325 InsO der Kreis der Insolvenzgläubiger insoweit erweitert werde, als auch Neugläubiger eines Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahrens durch den Übergang in das Nachlassinsolvenzverfahren zu Insolvenzgläubigern werden könnten, grundsätzliche Bedeutung zukomme und eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu bislang fehle, ergibt sich hieraus kein eindeutiger Beschränkungswille. Wird die Zulassung, wie hier, nicht im Tenor beschränkt, kann eine Zulassungsbeschränkung nur dann angenommen werden, wenn aus den Gründen klar und eindeutig hervorgeht, dass das Berufungsgericht die Möglichkeit einer Nachprüfung im Revisionsverfahren nur wegen eines abtrennbaren Teils seiner Entscheidung eröffnen wollte (vgl. BGH, Beschl. v. 14.5.2008 - XII ZB 78/12, NJW 2008, 2351 Rz. 16; Urt. v. 30.9.2010 - IX ZR 178/09, ZInsO 2010, 2089 Rz. 6; v. 20.1.2011 - IX ZR 58/10, WM 2011, 371 Rz. 5; vom 25.4.2013 - IX ZR 62/12, ZInsO 2013, 1081 Rz. 7). Dies ist hier nicht der Fall. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zeigen nur auf, weshalb es die Revision zugelassen hat.

II.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage gegen den Beklagten als Rechtsnachfolger und Erben seiner Mutter sei zulässig. Insbesondere sei er hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche aus dem Mietverhältnis prozessführungsbefugt. Hierbei handele es sich nicht um Insolvenzforderungen. Maßgeblich sei, dass die Forderungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien. Der Übergang des Insolvenzverfahrens nach dem Tod des Schuldners in das Nachlassinsolvenzverfahren erfasse nicht nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Forderungen. Dieser Übergang stelle kein neues Insolvenzverfahren dar. Der Erbe des Schuldners sei hinreichend durch die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung geschützt, so dass auch aus diesem Gesichtspunkt eine Erweiterung der Gruppe der Insolvenzgläubiger durch den Übergang in das Nachlassinsolvenzverfahren nicht geboten sei.

III.

Rz. 6

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Zu Recht ist das Berufungsgericht von der Passivlegitimation des Beklagten hinsichtlich der geltend gemachten Mietforderungen und deren Begründetheit ausgegangen.

Rz. 7

1. Die streitgegenständlichen Mietforderungen unterliegen nicht der Durchsetzungssperre des § 87 InsO.

Rz. 8

a) Die Sperre erfasst nur Insolvenzgläubiger. Gemäß § 38 InsO sind dies nur diejenigen Gläubiger, die einen bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Anspruch gegen den Schuldner haben. Neugläubiger sind durch § 87 InsO nicht gehindert, ihre nach Verfahrenseröffnung entstandenen Vermögensansprüche gegen den Schuldner unmittelbar geltend zu machen und in das beschlagnahmefreie Vermögen zu vollstrecken (BGH, Beschl. v. 28.6.2012 - IX ZR 211/11, NJW-RR 2012, 1465 Rz. 4; OLG Celle, NZI 2003, 201, 202; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 87 Rz. 4; FK-InsO/App, 6. Aufl., § 87 Rz. 7; Jaeger/Windel, InsO, § 87 Rz. 6).

Rz. 9

b) Die hier geltend gemachten Forderungen beziehen sich auf die Monate Dezember 2010, Januar und Februar 2011, sind mithin nach der am 1.9.2008 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin entstanden.

Rz. 10

2. Passivlegitimiert ist der Beklagte. Die Mietforderungen betreffen den Zeitraum nach dem Tod der Schuldnerin bis zum Ende des Mietverhältnisses, das der Beklagte mit Schreiben vom 1.12.2010 zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt hat. Hierbei handelt es sich um eine reine Nachlassverbindlichkeit, so dass der Erbe - hier der Beklagte - seine Haftung auf den Nachlass beschränken kann (vgl. BGH, Urt. v. 23.1.2013 - VIII ZR 68/12, NJW 2013, 933 Rz. 15).

Rz. 11

3. Die Passivlegitimation des Beklagten wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen seiner Mutter mit deren Tod unmittelbar in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet wurde.

Rz. 12

a) Der Tod des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt ohne Weiteres eine Überleitung des bisherigen Insolvenzverfahrens in das Nachlassinsolvenzverfahren, wobei dies sowohl für ein Regelinsolvenzverfahren als auch für ein Verbraucherinsolvenzverfahren gilt (vgl. BGH, Urt. v. 22.1.2004 - IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350, 354; Beschl. v. 21.2.2008 - IX ZB 62/05, BGHZ 175, 307 Rz. 6; Urt. v. 13.1.2011 - IX ZR 53/09, ZInsO 2011, 389 Rz. 12). Das bisherige Insolvenzverfahren nimmt daher ohne Unterbrechung seinen Fortgang mit dem Erben als neuem Schuldner (vgl. BGH, Urt. v. 22.1.2004, a.a.O.).

Rz. 13

aa) Nach ganz überwiegender Ansicht wird angenommen, dass nur das zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Erbfall erworbene pfändbare Vermögen des Erblassers zur Masse gehört, so dass sich die Neugläubiger des Erblassers an das bisher nicht pfändbare Restvermögen des Schuldners halten müssen (MünchKomm/InsO/Siegmann, 2. Aufl., Vor §§ 315 bis 331 Rz. 3; Uhlenbruck/Vallender, a.a.O., § 312 Rz. 49a; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 315 Rz. 31; Köke/Schmerbach, ZVI 2007, 497, 499; Roth in Roth/Pfeuffer, Praxishandbuch für Nachlassinsolvenzverfahren, S. 425 f.).

Rz. 14

bb) Demgegenüber wird - worauf sich auch die Revision stützt - vertreten, § 38 InsO werde durch § 325 InsO insoweit verdrängt, als auch Verbindlichkeiten des Schuldners, die dieser nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet hat und die gem. § 1967 BGB mit dem Erbfall Nachlassverbindlichkeiten werden, gem. § 325 InsO Insolvenzforderungen sind (Nöll, Der Tod des Schuldners in der Insolvenz, 2005, Rz. 354 ff., 437; HK-InsO/Marotzke, a.a.O., § 325 Rz. 2; Heyrath/Jahnke/Kühn, ZInsO 2007, 1202, 1204).

Rz. 15

b) Die erstgenannte Auffassung ist zutreffend.

Rz. 16

aa) Der Umfang der Insolvenzmasse wird abschließend durch die Vorschriften der §§ 35, 36 InsO bestimmt. In die Insolvenzmasse fällt nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen des Schuldners, das ihm zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er im Laufe des Verfahrens erlangt. Nicht in die Insolvenzmasse gehören gem. § 36 Abs. 1 InsO die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.2011 - IX ZR 180/10, BGHZ 189, 65 Rz. 21; Beschl. v. 10.11.2011 - IX ZA 99/11, WM 2011, 2376 Rz. 4). Das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners steht den Insolvenzgläubigern nicht zu, sondern ausschließlich den am Insolvenzverfahren nicht beteiligten Neugläubigern des Schuldners. Daher haftet der nach "Freigabe" einer selbständigen Tätigkeit gem. § 35 Abs. 2 InsO vom Schuldner durch diese Tätigkeit erzielte Neuerwerb während des eröffneten (Erst-)Verfahrens grundsätzlich nur den Neugläubigern, nicht aber den Insolvenzgläubigern (BGH, Beschl. v. 9.6.2011 - IX ZB 175/10, WM 2011, 1344 Rz. 11; Urt. v. 9.2.2012 - IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rz. 14, 28; Beschl. v. 13.6.2013 - IX ZB 38/10, WM 2013, 1612 Rz. 17; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1106).

Rz. 17

Der Tod des Schuldners ändert hieran nichts. Dessen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Verbindlichkeiten waren keine Insolvenzforderungen und können im Todesfall diese Eigenschaft nicht erhalten. Dies wäre einerseits eine Bevorzugung der bisherigen Insolvenzgläubiger zu Lasten der Neugläubiger, soweit es den Neuerwerb angeht. Andererseits ginge der Vorrang des § 325 InsO zu Lasten der Insolvenzgläubiger, soweit die Masse auch für nach Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeiten des Schuldners haften müsste (MünchKomm/InsO/Siegmann, a.a.O., Rz. 3a; Köke/Schmerbach, a.a.O.; Roth in Roth/Pfeuffer, a.a.O., S. 426; vgl. auch Fischinger, ZInsO 2013, 365, 369). Von einer strikten Trennung der den Insolvenzgläubigern zugewiesenen Vermögensmasse und dem insb. bei einer Freigabe (§ 35 Abs. 2 InsO) von Vermögensteilen aus der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter entstehendem (Sonder-)Vermögen geht auch die Senatsrechtsprechung aus, nach der im Falle der Freigabe über das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners ggf. ein zweites Insolvenzverfahren zu eröffnen ist (BGH, Beschl. v. 9.6.2011, a.a.O.). Sollten beim Tod des Schuldners bereits zwei Insolvenzverfahren anhängig sein, so werden diese jeweils unmittelbar in selbständige Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet; auch hier scheidet eine Zusammenführung beider Vermögensmassen aus (vgl. auch Köke/Schmerbach, a.a.O., S. 500; Roth in Roth/Pfeuffer, a.a.O., S. 426 f.).

Rz. 18

bb) Aus der Bestimmung des § 325 InsO kann nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Diese Vorschrift, nach der im Insolvenzverfahren über einen Nachlass nur die Nachlassverbindlichkeiten geltend gemacht werden können, spricht lediglich die Selbstverständlichkeit an, dass Eigenverbindlichkeiten des Erben im Insolvenzverfahren nicht verfolgt werden können (MünchKomm/InsO/Siegmann, a.a.O., § 325 Rz. 1). Sie ist die Kehrseite der Trennung zwischen dem Nachlass und dem Eigenvermögen des Erben (vgl. K. Schmidt, a.a.O., § 325 Rz. 2). Die Bestimmung ist keine Ersatzregelung, welche den Anwendungsbereich des § 38 InsO vom Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung auf den des Todes des Insolvenzschuldners erstreckt (MünchKomm/InsO/Siegmann, a.a.O., Vor §§ 315 bis 331 Rz. 3).

Rz. 19

4. Zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der Miete begründet ist.

Rz. 20

Das Mietvertragsverhältnis der Mutter des Beklagten unterliegt den allgemeinen mietvertraglichen Bestimmungen. Der Anwendungsbereich des Gesetzes zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsleistung (WBVG) ist nicht eröffnet. Die von der Revision für maßgeblich angesehene Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 1 WBVG, wonach das Mietverhältnis bei Heimverträgen bereits mit dem Tode des Betreuten endet, ist auf das verfahrensrechtliche Mietverhältnis nicht anwendbar.

Rz. 21

Nach § 17 Abs. 2 WBVG finden die Vorschriften dieses Gesetzes auf die bis zum 30.9.2009 geschlossenen Verträge, die keine Heimverträge i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 HeimG sind, keine Anwendung. Im Rahmen tatrichterlicher Würdigung der maßgeblichen Umstände hat das Berufungsgericht annehmen können, dass das hier in Rede stehende Vertragsverhältnis keinen Heimvertrag beinhaltet. Es hat in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des Heimgesetzes auf die Auslegungsregeln des § 1 Abs. 2 HeimG abgestellt (vgl. BGH, Beschl. v. 21.4.2005 - III ZR 293/04, NJW 2005, 2008, 2009) und hierbei der Ausgestaltung der Betreuungspauschale besonderes Gewicht beigemessen. Die vom Berufungsgericht getroffene Würdigung, die Betreuungspauschale - monatlich 90 EUR im Verhältnis zur Monatsmiete 740 EUR (zzgl. Nebenkostenpauschale von 140 EUR) - sei lediglich von untergeordneter Bedeutung i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 2 HeimG, erweist sich als beanstandungsfrei. Eine nicht mehr untergeordnete Bedeutung liegt vor, wenn die Betreuungspauschale für den Grundservice erheblich über 20 v.H. der Miete einschließlich Betriebskosten liegt (BT-Drucks. 14/5399, 19; Kunz in Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz, 10. Aufl., § 1 Rz. 14). Das Berufungsgericht konnte mithin davon ausgehen, dass kein Heimvertrag vorliegt und deshalb die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 WBVG, wonach das Mietverhältnis mit dem Tode des Bewohners ende, nicht eingreift.

 

Fundstellen

Haufe-Index 6212026

DB 2013, 8

DB 2014, 1312

DStR 2014, 12

NJW 2014, 389

EBE/BGH 2014

FamRZ 2014, 296

EWiR 2014, 253

NZM 2014, 74

WM 2014, 36

ZEV 2014, 117

ZEV 2014, 316

ZEV 2014, 6

ZIP 2014, 137

DZWir 2014, 131

ErbBstg 2014, 32

JZ 2014, 110

MDR 2014, 183

NZI 2014, 119

NZI 2014, 8

Rpfleger 2014, 155

ZInsO 2014, 40

ErbR 2014, 227

ZVI 2014, 74

FMP 2014, 32

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge