Entscheidungsstichwort (Thema)

Einmaliges, einzigartiges, kommunal bedeutungsvolles Rockkonzert. Unwesentliche Lärmimmissionen

 

Leitsatz (amtlich)

Von einem Rockkonzert ausgehende Lärmimmissionen, die die Richtwerte der sog. LAI-Hinweise überschreiten, können unwesentlich i. S. d. § 906 Abs. 1 S. 1 BGB sein, wenn es sich um eine Veranstaltung von kommunaler Bedeutung handelt, die an nur einem Tag des Jahres stattfindet und weitgehend die Einzige in der Umgebung bleibt. Dies gilt in aller Regel aber nur bis Mitternacht.

 

Normenkette

BGB § 906 Abs. 1 S. 1, § 1004

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Urteil vom 30.01.2003)

LG Heilbronn (Urteil vom 22.04.2002)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden unter Zurückweisung der weiter gehenden Rechtsmittel das Urteil des 13. Zivilsenats des OLG Stuttgart v. 30.1.2003 im Kostenpunkt und im Umfang des nachfolgenden Ausspruchs aufgehoben und das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Heilbronn v. 22.4.2002 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, dass von ihren Grundstücken, Gemarkung G. -F. , Parzellen-Nr. 2713 und 2739 bei dem Rockkonzert anlässlich des jährlich stattfindenden Sommerfestes des Sportvereins F. Geräusche auf das Grundstück der Kläger R. straße 27, G. -F. , Flurstück 2477, einwirken, die - gemessen 0,5m vor den Fenstern des klägerischen Wohnhauses - zwischen 20.00 Uhr und 24.00 Uhr einen Beurteilungspegel von 70 dB(A) und eine Geräuschspitze von 90 dB(A), sowie zwischen 24.00 Uhr und 08.00 Uhr einen Beurteilungspegel von 55 dB(A) und eine Geräuschspitze von 65 dB(A) überschreiten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden gegeneinander aufgehoben. Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger 60 % und die Beklagte 40 %.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen Lärmbelästigungen, die von einem alljährlich stattfindenden Sommerfest eines Sportvereins und dabei insbesondere von einem Rockkonzert ausgehen.

Die Kläger sind Eigentümer eines in einem allgemeinen Wohngebiet gelegenen Grundstücks. Auf dem Nachbargrundstück, das der beklagten Stadt gehört, befinden sich ein Bolzplatz, eine Sporthalle und ein Fußballfeld. Die Beklagte hat das Gelände einem Sportverein für Vereinsaktivitäten überlassen. Einmal im Jahr veranstaltet der Sportverein ein Sommerfest. Dabei finden in einem Festzelt Musikveranstaltungen statt, darunter ein Rockkonzert. Für das bis weit nach Mitternacht dauernde Rockkonzert wurden für das Grundstück der Kläger in den Jahren 2001 und 2002 Mittelungspegel von 55,9 bis 70,5 dB(A) und 53,3 bis 66 dB(A) gemessen.

Das LG hat die Beklagte unter Abweisung eines weiter gehenden Antrags verurteilt, es zu unterlassen, dass von ihrem Grundstück Geräusche auf das Grundstück der Kläger einwirken, die zwischen 8 Uhr und 20 Uhr einen Beurteilungspegel von 70 dB(A), in der Zeit von 6 Uhr bis 8 Uhr sowie von 20 Uhr bis 22 Uhr einen Beurteilungspegel von 65 dB(A) sowie zwischen 22 Uhr und 6 Uhr einen Beurteilungspegel von 55 dB(A) überschreiten. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der von dem OLG zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beeinträchtigung der Kläger durch den von dem Sommerfest und hier insbesondere von dem Rockkonzert ausgehenden Lärm sei wesentlich i. S. v. § 906 Abs. 2 S. 1 BGB. Dies folge aus der vor allem zur Nachtzeit ab 22 Uhr gravierenden Überschreitung der in der LAI-Freizeitlärmrichtlinie festgesetzten Lärmgrenzwerte; die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung werde dadurch indiziert. Diese Werte seien zwar nicht schematisch anzuwenden und erlaubten bei einem einmaligen Ereignis eine großzügigere Handhabung. Ein einmaliges Ereignis liege aber nicht vor, weil das Fest an drei Tagen stattfinde und auch die weiteren Veranstaltungen Lärm verursachten. Zudem seien die festgestellten Überschreitungen von 22 Uhr bis weit nach Mitternacht so gravierend, dass sie nicht hingenommen werden müssten.

II.

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Auf der Grundlage seiner Feststellungen bejaht das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft einen Unterlassungsanspruch der Kläger (§§ 1004, 906 BGB).

1. Nach § 906 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks von einem anderen Grundstück ausgehende Immissionen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nur unwesentlich beeinträchtigt. Ob Geräuschimmissionen wesentlich sind oder nicht, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und danach, was ihm unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist (BGH v. 6.7.2001 - V ZR 246/00, BGHZ 148, 261 [264] = MDR 2001, 1233 = BGHReport 2001, 775 - Hammerschmiede; Urt. v. 20.11.1998 - V ZR 411/97, MDR 1999, 351 = NJW 1999, 1029 [1030]). Die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung kann nicht mathematisch exakt, sondern nur auf Grund wertender Beurteilung festgesetzt werden (BGH v. 6.7.2001 - V ZR 246/00, BGHZ 148, 261 [264] = MDR 2001, 1233 = BGHReport 2001, 775 - Hammerschmiede). Dabei sind wesentliche Immissionen identisch mit erheblichen Belästigungen i. S. d. § 3 Abs. 1 BImSchG (BGH v. 25.3.1993 - III ZR 60/91, BGHZ 122, 76 [78] = MDR 1993, 1185).

Wann Lärmimmissionen im Einzelfall die Schwelle zur Wesentlichkeit überschreiten, unterliegt weitgehend tatrichterlicher Wertung. Revisionsrechtlich nachprüfbar ist, ob das Berufungsgericht die nötigen Tatsachenfeststellungen verfahrensfehlerfrei getroffen und bei ihrer Würdigung die zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkte zu Grunde gelegt hat (BGH v. 5.2.1993 - V ZR 62/91, BGHZ 121, 248 [252] = MDR 1993, 541 - Jugendzeltplatz). Dieser Nachprüfung hält das Berufungsurteil nicht in jeder Hinsicht stand.

2. a) Das Berufungsgericht orientiert sich an den Hinweisen des Länderausschusses für Immissionsschutz zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche (sog. LAI-Hinweise oder Freizeitlärm-Richtlinie, NVwZ 1997, 469). Das ist nicht zu beanstanden. Die LAI-Hinweise gelten für Freizeitanlagen, und zwar insbesondere für Grundstücke, auf denen Volksfeste, Platzkonzerte, Lifemusik-Darbietungen und ähnliche Veranstaltungen im Freien stattfinden. Sie sind ungeachtet der generellen Nutzung des Grundstücks der Beklagten als Sportplatz einschlägig, denn die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) regelt nur Immissionen, die von einer Sportanlage bei ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung, der Sportausübung, ausgehen (§ 1 Abs. 1 der 18. BImSchV).

Die von Sachverständigen ausgearbeiteten und von allen Ländern mitgetragenen LAI-Hinweise unterfallen zwar nicht § 906 Abs. 1 S. 2u. 3 BGB (Staudinger/Roth, BGB [2002], § 906 Rz. 193), können den Gerichten aber gleichwohl als Entscheidungshilfe dienen (vgl. BGH v. 23.3.1990 - V ZR 58/89, BGHZ 111, 63 [67] = MDR 1990, 706 - Volksfestlärm; v. 20.11.1992 - V ZR 82/91, BGHZ 120, 239 [256 f.] = MDR 1993, 868 - Froschlärm; v. 5.2.1993 - V ZR 62/91, BGHZ 121, 248 [253] = MDR 1993, 541 - Jugendzeltplatz; BVerwG DVBl. 2001, 1451 [1453]). Sie ersetzen nicht die Prüfung und Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, geben dieser Würdigung aber eine Orientierung. Werden die Richtwerte überschritten, so indiziert dies eine wesentliche Beeinträchtigung i. S. d. § 906 Abs. 1 BGB (vgl. BGH v. 23.3.1990 - V ZR 58/89, BGHZ 111, 63 [67] = MDR 1990, 706 - Volksfestlärm; v. 5.2.1993 - V ZR 62/91, BGHZ 121, 248 [251] = MDR 1993, 541 - Jugendzeltplatz). Der Tatrichter muss allerdings auch in diesem Fall berücksichtigen, dass es sich bei den technischen Regelwerken nur um Richtlinien handelt, die nicht schematisch angewendet werden dürfen.

b) Für die Frage der Wesentlichkeit von Lärmimmissionen sind Dauer und Häufigkeit der Einwirkung von erheblicher Bedeutung. Das Berufungsgericht vertritt daher zu Recht die Ansicht, dass bei einem einmaligen Ereignis eine großzügigere Handhabung der Richtwerte geboten, eine Überschreitung im Einzelfall also hinzunehmen sein kann. Rechtsfehlerhaft geht es jedoch davon aus, dass hier ein einmaliges Störereignis deswegen nicht vorliege, weil das Sommerfest an drei aufeinander folgenden Wochenendtagen stattfindet. Denn dass von den übrigen Veranstaltungen eine wesentliche Einwirkung auf das Grundstück der Kläger ausginge, hat es nicht festgestellt. Mithin ist revisionsrechtlich nur das Rockkonzert von Bedeutung und die weiter gehende Klage schon nicht schlüssig.

Richtig ist allerdings, dass die LAI-Hinweise der Seltenheit eines Ereig-nisses durch eine Sonderregelung in Ziff. 4.4. Rechnung tragen, in der für Veranstaltungen, die an nicht mehr als zehn Tagen oder Nächten im Kalenderjahr stattfinden (sog. seltene Störereignisse), höhere Richtwerte vorgegeben werden. Auch insoweit gibt die Richtlinie jedoch nur eine Orientierung und lässt Raum für die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG DVBl 2001, 1451 [1453] "Entscheidungshilfe mit Indizcharakter"). Hierzu gehört auch die Zahl der Störereignisse. Denn die Sonderregelung in Ziff. 4.4. der LAI-Hinweise erfasst Ereignisse, die bis zu zehn Tagen oder Nächten eines Jahres auftreten und einen relevanten Beitrag zur Überschreitung der Immissionsrichtwerte verursachen.

In dem der Entscheidung des Senats v. 23.3.1990 (BGH v. 23.3.1990 - V ZR 58/89, BGHZ 111, 63 = MDR 1990, 706 - Volksfestlärm) zu Grunde liegenden Fall wurde ein an das Grundstück des Klägers angrenzendes Gelände mehrmals im Jahr als Kirmes- und Festplatz genutzt. Für das Jahr 1987 waren beispielsweise für die Monate Juni, Juli und August vier jeweils über das ganze Wochenende, einmal sogar drei Tage dauernde Veranstaltungen angekündigt. Vorliegend ist dagegen mangels anderweitiger Feststellungen des Berufungsgerichts zu Gunsten der Revision davon auszugehen, dass das an nur einem Abend des Sommerfestes stattfindende Rockkonzert, gegen dessen Immissionen sich die Kläger in erster Linie wenden, weitgehend das einzige Ereignis ist, welches unter deutlicher Überschreitung der in den LAI-Hinweisen in Ziff. 4.4. für die Nachtzeit aufgestellten Richtwerte auf das Grundstück der Kläger einwirkt.

c) Das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung ferner nicht bedacht, dass bei seltenen Störereignissen auch die Bedeutung der Veranstaltung nicht unberücksichtigt bleiben kann. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats richtet sich die Beurteilung, ob eine Immission wesentlich i. S. d. § 906 BGB ist, nicht nur nach dem Maß der objektiven Beeinträchtigung. Im Interesse der Harmonisierung zivilrechtlicher und öffentlichrechtlicher Beurteilungsmaßstäbe hat der Senat eine Angleichung an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung vollzogen, die als erhebliche Belästigung alles ansieht, was einem verständigen Durchschnittsmenschen auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise nicht mehr zuzumuten ist (BGH v. 20.11.1992 - V ZR 82/91, BGHZ 120, 239 [255] = MDR 1993, 868 - Froschlärm; v. 6.7.2001 - V ZR 246/00, BGHZ 148, 261 [264] = MDR 2001, 1233 = BGHReport 2001, 775 - Hammerschmiede). Demgemäß können bei der Prüfung der Erheblichkeit oder Wesentlichkeit von Lärm auch schutzwürdige Interessen der Allgemeinheit und gesetzliche Wertungen eine Rolle spielen (vgl. BGH v. 5.2.1993 - V ZR 62/91, BGHZ 121, 248 [255] = MDR 1993, 541 - Jugendzeltplatz; v. 23.3.1990 - V ZR 58/89, BGHZ 111, 63 [68] = MDR 1990, 706 - Volksfestlärm).

aa) Volks- und Gemeindefeste, Feiern örtlicher Vereine, traditionelle Umzüge und ähnliche Veranstaltungen gehören zu den herkömmlichen, allgemein akzeptierten Formen gemeindlichen und städtischen Lebens. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass sie oftmals in der Nähe zur Wohnbebauung durchgeführt werden müssen und zwangsläufig zu Beeinträchtigungen der Nachbarschaft führen. Da solche Veranstaltungen für den Zusammenhalt der örtlichen Gemeinschaft von großer Bedeutung sein können, dabei auch die Identität dieser Gemeinschaft stärken und für viele Bewohner einen hohen Stellenwert besitzen, werden die mit ihnen verbundenen Geräuschentwicklungen von einem verständigen Durchschnittsmenschen bei Würdigung auch anderer Belange i. d. R. in höherem Maß akzeptiert werden als sonstige Immissionen. Das kann bei der Beurteilung, ob eine Lärmeinwirkung als wesentlich anzusehen ist, vor allem dann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn es sich um ein sehr seltenes Ereignis handelt, das weitgehend das Einzige in der Umgebung bleibt. In einem solchen Fall können auch Lärmimmissionen, die die Richtwerte der LAI-Hinweise überschreiten, ausnahmsweise noch unwesentlich sein (so auch VGH Kassel GewArch 1997, 162).

Die kommunale Bedeutung kann einem Ereignis nicht deshalb abgesprochen werden, weil Veranstalter nicht die Gemeinde, sondern ein privater Verein ist. Maßgeblich ist, dass das Ereignis von einem Großteil der Ortsbevölkerung getragen und akzeptiert wird. Unerheblich für die Frage der Wesentlichkeit der Immissionen ist ferner, ob der Nutzung eines Grundstücks als Festplatz eine langjährige Übung zu Grunde liegt. Bei der vom Tatrichter vorzunehmenden Würdigung, ob Geräuschimmissionen wesentlich sind, kann zwar dem Traditionscharakter einer Veranstaltung besonderes Gewicht zukommen. Umgekehrt steht der Annahme einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung aber nicht entgegen, dass eine Veranstaltung erst seit kurzer Zeit stattfindet. Andernfalls würden Gemeinden gehindert, eine kommunale Festivität zu begründen, wo Traditionsveranstaltungen fehlen, oder die Abläufe bei Festen zu ändern, die auf eine langjährige Übung zurückgehen. Demgemäß können auch die mit Gemeinde- und Vereinsfesten untrennbar verbundenen Musik- und Tanzveranstaltungen Änderungen in Art und Ausrichtung erfahren. Erlangen sie im Einzelfall überregionale Bedeutung, nimmt ihnen das die kommunale Bedeutung nicht, solange die jeweilige Veranstaltung weiterhin auch für die örtliche Bevölkerung bestimmt ist und von ihr angenommen wird.

bb) Bei nur einmal jährlich stattfindenden Veranstaltungen von kommunaler Bedeutung können selbst Lärmeinwirkungen unwesentlich sein, welche die für die Abend- und Nachtzeit aufgestellten Richtwerte der LAI-Hinweise überschreiten. Zwar gebührt nach 22 Uhr dem Schutz der ungestörten Nachtruhe grundsätzlich der Vorrang vor dem Interesse der Bevölkerung, Volksfeste und ähnliche Veranstaltungen zu besuchen (vgl. BGH v. 23.3.1990 - V ZR 58/89, BGHZ 111, 63 [70] = MDR 1990, 706 - Volksfestlärm). Insbesondere in Krankenhäusern oder sonstigen Kliniken, aber auch dort, wo die Bewohner der Umgebung bereits tagsüber einem höheren Lärmpegel als üblich ausgesetzt sind, ist eine Störung der Nachtruhe meist eine erhebliche Einwirkung auf die Gesundheit oder das Wohlbefinden und damit eine wesentliche Immission. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die Nachtruhe nicht generell geschützt wird. Dort, wo ruhestörende Tätigkeiten zur Nachtzeit durch landesrechtliche Normen ausdrücklich verboten sind, hat der Gesetzgeber zugleich Ausnahmen für den Fall vorgesehen, dass ein Vorhaben im Einzelfall Vorrang vor den schutzwürdigen Belangen Dritter hat (z. B. § 5 der LärmVO Hamburg, § 8 der LärmVO Berlin). Vorrang kann insbesondere Volksfesten und ähnlichen Veranstaltungen zukommen, wenn sie auf historischen oder kulturellen Umständen beruhen oder sonst von kommunaler Bedeutung sind, und deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der Veranstaltung gegenüber dem Schutzbedürfnis der Nachbarschaft überwiegt (vgl. § 9 Abs. 3 LImSchG Nordrhein-Westfalen, § 4 Abs. 4 LImSchG Rheinland-Pfalz, § 10 Abs. 4 LImSchG Brandenburg).

Eine solche Abwägung der widerstreitenden Interessen sieht auch das Gaststättengesetz vor. Nach § 12 Abs. 1 GaststG kann aus besonderem Anlass der Betrieb eines Gaststättengewerbes unter erleichterten Voraussetzungen vorübergehend gestattet werden. Die "erleichterten Voraussetzungen" beziehen sich auch auf den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. v. § 3 Abs. 1 BImSchG (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 GaststG), und gelten damit beispielsweise für die Lärmimmissionen, die von einer aus Anlass eines Volksfests betriebenen Außengastronomie ausgehen (vgl. VGH München NVwZ 1999, 555). Der Gesetzgeber bringt damit zum Ausdruck, dass bei besonderem Anlass und nur vorübergehendem Betrieb die bei der Erteilung der Erlaubnis zu beachtenden Vorschriften weniger streng zu handhaben sind als bei einem Dauerbetrieb. Immissionsschutzrechtliche Gesichtspunkte dürfen zwar nicht vernachlässigt werden, sie sind jedoch zu Art und Dauer des Betriebs in Beziehung zu setzen (vgl. Michel/Kienzle/Pauly, Das Gaststättengesetz, 14. Aufl. 2003, § 12 Rz. 5). Dies führt im Fall von Lärmbeeinträchtigungen dazu, dass bei der Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle nach § 3 BImSchG die Seltenheit des Anlasses und seine Bedeutung in die Würdigung einzubeziehen sind (VGH München NVwZ 1999, 555 [556]). Die Berücksichtigung dieser Kriterien ist nicht auf die gastronomischen Betriebe beschränkt, sondern gilt für den verständigen Durchschnittsmenschen gleichermaßen in Bezug auf das besondere Ereignis, an das sie anknüpfen. Insoweit hängt die Beurteilung der Beeinträchtigung als wesentlich auch von einer Interessenabwägung ab (BGH v. 23.3.1990 - V ZR 58/89, BGHZ 111, 63 [68] = MDR 1990, 706 - Volksfestlärm; a. A. Roth in Anm. JR 1991, 149).

cc) In welchem Umfang Lärmbeeinträchtigungen von Veranstaltungen mit besonderer historischer, kultureller oder kommunaler Bedeutung noch als unwesentlich angesehen werden können, ist weitgehend eine Frage des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind insbesondere Bedeutung und Charakter der Veranstaltung, ihr Ablauf, Dauer und Häufigkeit, die Nutzungsart und Zweckbestimmung sowie die Gesamtbelastung des beeinträchtigten Grundstücks während der Veranstaltung und durch andere seltene Störereignisse, ferner die zeitlichen Abstände dieser Ereignisse. Je gewichtiger der Anlass für die Gemeinde oder Stadt ist, desto eher ist der Nachbarschaft zuzumuten, an wenigen Tagen im Jahr Ruhestörungen hinzunehmen. Bei Festveranstaltungen von kommunaler Bedeutung, die nur einmal im Jahr für wenige Tage stattfinden, ist dabei auch eine deutliche Überschreitung der in den LAI-Hinweisen für seltene Störereignisse festgelegten Richtwerte denkbar. Hiervon ist selbst die Nachtzeit nicht generell ausgenommen, zumal es im Sommer noch bis gegen 22 Uhr hell bleibt und es dem Charakter bzw. der Tradition vieler Veranstaltungen entspricht, dass sie bis in die Nachtstunden andauern (so auch VGH BW v. 13.12.1993 - 8 S 1800/93, NVwZ-RR 1994, 633 [635]). Im Einzelfall kann von den Anliegern jedenfalls an einem Tag bis Mitternacht ein deutlich höherer Beurteilungspegel hinzunehmen sein. Eine über Mitternacht hinausgehende erhebliche Überschreitung der Richtwerte wird demgegenüber in aller Regel nicht mehr als unwesentlich zu qualifizieren sein.

Ob etwas Anderes gilt, wenn für die betreffende Veranstaltung eine weiter gehende Ausnahmegenehmigung nach öffentlichem Recht erteilt wurde, bedarf keiner Entscheidung. Die Beklagte hat zwar der Durchführung der Sportfeste in ihrer Eigenschaft als Ortspolizeibehörde zugestimmt. Auf die zivilrechtliche Beurteilung hat die Genehmigung aber schon deswegen keinen Einfluss, weil eine umfassende Prüfung immissionsschutzrechtlicher Belange im Rahmen eines gesetzlich vorgegebenen Verfahrens mit ihr ersichtlich nicht verbunden war.

Für die Beuteilung durch einen verständigen Durchschnittsmenschen von Bedeutung kann schließlich sein, ob sich die Veranstaltung an einen ebenso geeigneten, Anwohner insgesamt aber deutlich weniger beeinträchtigenden Standort innerhalb der Gemeinde bzw. des Ortsteils verlegen lässt. Können unter Wahrung des Charakters der Veranstaltung die Lärmimmissionen für Anwohner deutlich reduziert werden, unterbleibt aber ein Standortwechsel, so verringert sich das Maß dessen, was einem Anwohner an Geräuscheinwirkungen zuzumuten ist; i. d. R. werden dann die Richtwerte der LAI-Hinweise maßgebend sein.

III.

Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu treffen sind, hat der Senat in der Sache selbst entschieden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Angesichts der Unterstützung, die das Sommerfest und das Rockkonzert seitens der Gemeinde erfahren, kann der Veranstaltung die kommunale Bedeutung nicht abgesprochen werden. Gleichwertige alternative Standorte für das Festzelt sind nicht ersichtlich. Durch die von den Klägern vorgeschlagene Verlegung des Rockkonzerts in die benachbarte Sporthalle bliebe der Charakter der Veranstaltung nicht gewahrt. Er ist davon geprägt, dass das Konzert als Teil eines Sommerfestes weitgehend im Freien stattfindet.

Die Kläger müssen am Abend des Rockkonzerts allerdings nicht jegliche Lärmeinwirkung hinnehmen, sondern nur das nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen zumutbare Maß. Die Zumutbarkeit ist durch eine Begrenzung der Immissionen zu wahren. Hierfür geben die Richtwerte, die die LAI-Hinweise bei seltenen Störereignissen tagsüber außerhalb der Ruhezeiten vorsehen, eine Orientierung. Im vorliegenden Fall bietet es sich an, die Tageszeit i. S. d. LAI-Hinweise bis 24 Uhr auszudehnen. Damit ist für das Rockkonzert ein Beurteilungspegel von 70 dB(A) mit einer Geräuschspitze von 90 dB(A) maßgeblich. Eine Verlängerung über 24 Uhr hinaus kommt dagegen mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Belange der Kläger nicht in Betracht. Um ihnen eine ausreichende Nachtruhe zu ermöglichen, ist vielmehr von Mitternacht bis 8 Uhr des auf das Rockkonzert folgenden Tages der für die Nachtzeit vorgegebene Beurteilungspegel von 55 dB(A) einzuhalten.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1064816

DB 2004, 249

NJW 2003, 3699

NWB 2003, 3274

BGHR 2004, 88

BauR 2004, 300

DWW 2004, 25

NVwZ 2004, 510

EWiR 2004, 647

IBR 2003, 636

JurBüro 2004, 109

NZM 2003, 994

WM 2004, 886

ZfIR 2004, 83

DÖV 2004, 343

DVP 2005, 479

MDR 2004, 145

NuR 2004, 137

VersR 2004, 1141

ZUR 2004, 100

DVBl. 2004, 376

GuT 2003, 242

KommJur 2004, 152

RdW 2004, 155

UPR 2004, 31

BRS-ID 2003, 17

FSt 2004, 720

Immissionsschutz 2004, 79

JT 2004, 228

LL 2004, 159

LMK 2004, 3

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