Leitsatz (amtlich)

Zur Anwendbarkeit des § 836 BGB, wenn Abbruchunternehmer Gebäude oder Gebäudeteile niederreißen.

 

Normenkette

BGB § 836

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 12.07.1977)

LG Duisburg (Urteil vom 23.11.1976)

 

Tenor

I. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. Juli 1977 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Duisburg vom 23. November 1976 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten beider Rechtsmittelzüge fallen der Klägerin zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagte ließ im Jahre 1975 auf ihrem Werksgelände alte Werkhallen abreißen und an deren Stelle ein neues Blechwalzwerk errichten. Mit der Ausführung dieser Arbeiten beauftragte sie eine von zwei Bauunternehmen gegründete Arbeitsgemeinschaft und eine Maschinenfabrik. Die ARGE übertrug der Klägerin den Abbruch des Mauerwerks einer Halle. In Ausführung dieses Auftrags ließ die Klägerin durch einen Bagger unter Leitung ihres Bauleiters an einer im Jahre 1927 errichteten Werkshalle mit ausgemauertem Stahlfachwerk die Ausmauerung an einer Längs- und einer Giebelwand ausschlagen. Nach Abschluß der Arbeiten stürzte das nunmehr ohne Mauerwerk stehende Stahlskelett der Halle mit derem Dach ein. Dabei wurden der Baggerführer verletzt und der Bagger beschädigt.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ersatz der ihr infolge der Beschädigung des Baggers entstandenen Unkosten (Reparatur-, Transport- und Sachverständigenkosten sowie Miete für einen Ersatzbagger) und der eingetretenen Wertminderung des Baggers sowie der von ihr dem Baggerführer geleisteten Lohnfortzahlung, insgesamt 159.028,70 DM.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr zu 2/3 entsprochen. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat festgestellt, das Stahlfachwerk der Halle sei in zwei Außenwänden nicht mit Diagonalverstrebungen versehen gewesen. Ohne solche Verstrebungen sei eine Stahlkonstruktion nicht als Tragwerk geeignet. Das die Stahlfächer ausfüllende Mauerwerk habe zunächst eine aussteifende Funktion erfüllt und den Zusammenbruch der Konstruktion unter der Last des Daches verhindert. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, damit sei der Einsturz der Halle die Folge einer fehlerhaften Errichtung des Gebäudes gewesen, so daß die Beklagte gemäß § 836 Abs. 1 Satz 1 BGB der Klägerin und ihrem Baggerführer Schadensersatz leisten müsse. Die Beklagte sei nicht nach § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB entlastet, da sie nicht dargetan habe, daß sie zum Zwecke der Abwendung der Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe.

Die Klägerin müsse sich allerdings ein Mitverschulden des von ihr eingesetzten verantwortlichen Bauleiters anrechnen lassen (§ 254 BGB).

II.

Die Revision hat Erfolg.

1. Bedenken bestehen bereits dagegen, daß das Berufungsgericht die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten nach § 836 BGB bejaht hat.

a) Allerdings nimmt das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler an, daß die Halle im Sinne von § 836 BGB „eingestürzt” ist. Das Tatbestandsmerkmal des „Einsturzes” ist zwar bei Abbrucharbeiten dann nicht erfüllt, wenn ein Gebäude oder Gebäudeteil wegen Baufälligkeit oder aus anderen Gründen planvoll niedergerissen wird und der Abriß nach Plan – wenn auch teilweise schneller als beabsichtigt und leichter als bei einem in gutem Zustand befindlichen Gebäude – erfolgt (vgl. RG Recht 1912 Nr. 1790; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 12. Aufl., Rdn. 434 a.E.). So war es im Streitfall jedoch nicht, da das eingestürzte Stahlgerüst von der Klägerin nicht niedergelegt werden sollte.

b) Zweifelhaft ist jedoch, ob das nicht sachverständig beratene Berufungsgericht allein aufgrund des von der Klägerin vorgelegten Gutachtens davon ausgehen durfte, der Einsturz der Halle sei die Folge einer fehlerhaften Errichtung gewesen. Es hat insoweit offenbar den Privatgutachter mißverstanden. Dieser hat an keiner Stelle seines Gutachtens erwähnt, die Hallenkonstruktion sei nicht standsicher errichtet worden und Stahlfachwände, wie sie auf dem Fabrikgelände der Klägerin standen, müßten in jedem Falle mit Diagonalverstrebungen versehen sein. Er führt zwar aus, daß eine nicht ausgemauerte, aber belastete Stahlfachwand, die zur Standsicherheit eines Gebäudes beiträgt, Diagonalstreben besitzen müsse; ohne diese sei sie als Tragwerk nicht zulässig. Eine solche (in der Tat fehlerhafte) Hallenkonstruktion hatte die Beklagte jedoch nicht errichten lassen. Bei der Halle verhinderte nämlich, was auch das Berufungsgericht erwähnt, das bisher vorhandene Mauerwerk ein Ausknicken der Stiele. Damit spricht mangels anderweitiger gegenteiliger Feststellungen vieles dafür, daß die Halle bis zum Beginn der Abbrucharbeiten standsicher war. Ihr Einsturz wäre deshalb wahrscheinlich verhindert worden, wenn (in umgekehrter Reihenfolge wie bei ihrer Errichtung) zunächst die aus Glas und Betonplatten bestehende Dacheindeckung abgetragen und damit die Belastung der Stahlfachwand beseitigt worden wäre. War das aber der Fall, dann war die Halle auch nicht fehlerhaft erbaut. Denn ein Gebäude ist fehlerfrei i.S. des § 836 BGB errichtet, wenn es so ausgeführt ist, daß es weder während des Baues noch im fertigen Zustand zusammenstürzt oder sich Teile davon ablösen (vgl. BGH Urt. v. 20. Sept. 1962 – III ZR 106/61 = VersR 1962, 1105, 1106).

Eine weitere Klärung dieser Frage erübrigt sich jedoch, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt.

2. Eine Haftung der Beklagten aus § 836 BGB scheidet im Streitfall schon deshalb aus, weil die hier der Klägerin und ihrem Baggerführer entstandenen Schäden nicht in den Schutzbereich dieser besonderen Haftungsnorm fallen. Die in § 836 BGB geschaffene Haftungsregelung mit ihrer dem Geschädigten gewährten Beweiserleichterung kann nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht für die Klägerin und ihren Baggerführer gelten. Sie gehören nicht zu den Personen, die das Gesetz in § 836 BGB begünstigen will.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht zwar davon aus, daß eine Haftung des Gebäudebesitzers nach dieser Vorschrift durchaus auch gegenüber einem Abbruchunternehmer begründet sein kann. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Einsturz oder die Ablösung von Teilen nicht durch den Abbruch ursächlich bedingt ist, so wenn sich etwa unabhängig von den Abbrucharbeiten Teile des Gebäudes lösen und beim Herabfallen Schäden verursachen.

Dahinstehen kann, wie die Fälle zu beurteilen sind, in denen zwar die Abbrucharbeiten, z.B. die dabei entstehenden Erschütterungen, mitursächlich für den Einsturz sind, der Abbruchunternehmer aber die Primärursache, etwa einen Konstruktionsfehler oder einen Fehler bei der Bauerrichtung, nicht erkennen konnte.

b) In allen anderen Fällen aber, in denen die Tätigkeit des Abbruchunternehmers bzw. seiner Arbeiter zum Einsturz des Gebäudes oder zur Ablösung von Gebäudeteilen beigetragen hat, können diese ihre Ersatzansprüche nicht auf § 836 BGB stützen.

aa) Der hierin geregelten Haftung des Gebäudebesitzers liegt der Gedanke zugrunde, daß jeder für den durch seine Sachen verursachten Schaden einzustehen hat, soweit er ihn bei billiger Rücksichtnahme hätte verhüten können (BGHZ 58, 149, 156; Senatsurteil vom 18. Juni 1968 – VI ZR 153/67 = VersR 1968, 972, jeweils m.w.Nachw.). Wenn aber ein Abbruchunternehmer damit beginnt, ein Gebäude (oder einen Gebäudeteil) niederzureißen, abzutragen oder auf andere Weise zu beseitigen, dringt er mit seinen Arbeitern, seinen Maschinen und Werkzeugen in den Gefahrenbereich ein, für den bisher der Besitzer des Gebäudes verantwortlich war, und schafft dort neue, von dem Besitzer nicht, allenfalls beschränkt beherrschbare Gefahren. Der Unternehmer ist deshalb seinerseits verpflichtet, sich vor Beginn seiner Arbeiten und auch noch während ihrer Ausführung ständig zu vergewissern, ob er die Arbeiten gefahrlos durchführen kann. Er darf keinesfalls blindlings Anweisungen des Bestellers befolgen (vgl. BGH, Urteile vom 28. Februar 1956 – VI ZR 354/54 = VersR 1956, 288 und vom 23. Juni 1960 – VII ZR 71/59 = VersR 1960, 761, 762). Dem trägt z.B. die Bestimmung des § 4 Nr. 3 VOB Teil B Rechnung, in der es heißt, daß der Auftragnehmer einer Bauleistung den Bauherrn u.a. auf Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung (auch wegen der Sicherung gegen Unfallgefahren) hinweisen muß.

Hat er den Hinweis nicht gegeben und ist dadurch ein Gebäude eingestürzt, dann entspricht es nicht mehr der Grundvorstellung des § 836 BGB, wenn er oder seine Arbeiter wie unbeteiligte, vom Einsturz betroffene Dritte gegen den Gebäudebesitzer Ansprüche auf § 836 BGB stützen können und diesem nur der Mitverschuldenseinwand bleibt. Bei derartiger Gestaltung sind die Risikobereiche entscheidend anders verteilt, als sie dem Bild des § 836 BGB entsprechen.

Diese Schutzzweckbeschränkung berührt nicht die Frage, ob der Gebäudebesitzer in derartigen Fällen Dritten aus § 836 BGB haftet oder nicht (für eine Haftung z.B. Senatsurteil vom 18. Juni 1968 – VI ZR 153/67 = a.a.O.; vgl. auch RG WarnRspr 1919, Nr. 169).

bb) Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, daß die der Klägerin und ihrem Baggerführer entstandenen Schäden nicht in den Schutzbereich des § 836 BGB fallen.

Das Berufungsgericht hat – im Rahmen der Prüfung eines Mitverschuldens der Klägerin – festgestellt, schon zu Beginn der Arbeiten sei zu sehen gewesen, daß das Stahlfachwerk nicht mit Diagonalverstrebungen versehen war; für einen Baufachmann sei auch zu erkennen gewesen, daß das Mauerwerk eine aussteifende Funktion erfüllte und daß es nach der Entfernung des Mauerwerks an jeder Aussteifung mangelte. Das Berufungsgericht folgert daraus zutreffend, der Bauleiter hätte unter diesen Umständen nicht darauf vertrauen dürfen, daß das Stahlgerüst standsicher war. Da aber diese Umstände eindeutig in den Prüfungsbereich der Klägerin fielen und sie bei billiger Rücksichtnahme ihre Schäden hätte selbst vermeiden können (vgl. BGHZ 58, 156), trifft der dem § 836 BGB zugrundeliegende Gedanke auf die im Streitfall gegebene Gestaltung nicht zu.

3. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte auch aus § 823 BGB weder eigene noch gemäß § 4 LFZG auf sie übergegangene Ansprüche ihres Baggerführers zu.

Dies ergibt sich schon daraus, daß, wie ausgeführt, die Klägerin selbst es war, die die eigentliche Gefahr geschaffen hatte. Besondere Gefahrenabwendungspflichten bestanden demgegenüber für die Beklagte nicht, zumal sie mit der Ausführung der Arbeiten zwei bedeutende Bauunternehmen beauftragt hatte und nicht ersichtlich ist, daß sie die Gefahr hätte sehen oder Anlaß zu Zweifeln hätte haben müssen, daß ihre Auftragnehmer bzw. deren Subunternehmer, wie hier die Klägerin, den erkennbaren Gefahren und Sicherungserfordernissen nicht in genügender Weise Rechnung tragen würden (vgl. Senatsurteil vom 11. Mai 1976 – VI ZR 210/73 = VersR 1976, 954, 955 = BauR 1976, 441, 442).

 

Unterschriften

Dr. Weber, Scheffen, Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Deinhardt

 

Fundstellen

Haufe-Index 1722836

Nachschlagewerk BGH

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