Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob von der Zusicherung der Vollvermietung eines Einkaufszentrums ausgegangen werden kann, wenn die Parteien den gegenwärtigen Vermietungszustand in die Präambel des Mietvertrags aufgenommen haben.

 

Normenkette

BGB § 537 a.F., § 276 culpa in contrahendo

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG (Urteil vom 29.05.2002; Aktenzeichen 4 U 1234/01)

LG Gera

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer OLG in Jena v. 29.5.2002 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Mietvertrages und rückständigen Mietzins.

Die Klägerin mietete von der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit schriftlichem Vertrag v. 3./10.3.1992 792,56 qm Gewerberaum im Einkaufszentrum "L. " in J. zu einem monatlichen Mietzins von 22 DM/m2 (= 17.436,32 DM) auf die Dauer von 13 Jahren.

In der Präambel des Vertrages heißt es:

"Der Vermieter vermietet in J. ein Einkaufszentrum, bestehend aus einem Baumarkt mit Gartencenter mit einer Verkaufsfläche von mindestens 5.000 m2, ein Lebensmittelmarkt mit einer Fläche von ca. 1.000 qm und einem weiteren Fachmarkt von ebenfalls etwa 1.000 m2.

Innerhalb dieses Einkaufszentrums mietet die Firma R. eine Fläche für einen Schuhmarkt zu folgenden Bedingungen: ..."

Seit 15.12.1994 betrieb die Klägerin im Einkaufszentrum einen Schuhmarkt. Das Einkaufszentrum war voll vermietet und entsprechend der Präambel belegt. Ab 1997 stand das Einkaufszentrum zum Teil leer. Insgesamt waren drei Mieter, darunter die Unternehmen, die den Lebensmittelmarkt und den Baumarkt betrieben hatten, ausgezogen. Mit Vertrag v. 23./27.7.1998 trat die Beklagte als Nachfolgerin der Vermieterin in den Mietvertrag ein.

Mit Schreiben v. 2.12.1998 forderte die Klägerin die Beklagte zur Wiederherstellung der vertraglichen Belegungssituation bis 31.1.1999 auf und drohte die fristlose Kündigung des Mietvertrages für den Fall an, dass das vereinbarte Belegungskonzept nicht nachgewiesen werde. Am 4.2.1999 kündigte die Klägerin den Mietvertrag zum 28.2.1999 und zog zu diesem Zeitpunkt aus. Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten v. 4.8.2000 wiederholte die Klägerin die fristlose Kündigung.

Die Klägerin hat die Feststellung begehrt, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung v. 4.2.1999 zum 28.2.1999, hilfsweise durch die wiederholte Kündigung v. 4.8.2000 zum 31.8.2000 beendet worden sei. Hilfsweise hat sie die Feststellung begehrt, dass die Monatsmiete für das Mietverhältnis ab 1.3.1999, hilfsweise ab 1.9.2000, (im Wege der Vertragsanpassung) 6.768,36 DM (netto) betrage. Die Beklagte hat widerklagend die Zahlung von 328.460,55 DM nebst Zinsen verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen und der Widerklage antragsgemäß stattgegeben. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Auf die Anschlussberufung der Beklagten hat das OLG die Klägerin zur Zahlung von weiteren 212.460,13 EUR verurteilt. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Nichtauslastung (fehlende Vollvermietung) eines Einkaufszentrums sei kein Fehler i.S.v. § 537 BGB a.F. (§ 536 BGB n.F.) der an einen einzelnen gewerblichen Mieter vermieteten Gewerbeeinheit. Die ab 1997 nicht der Präambel entsprechende Belegungssituation des "L. " betreffe nicht die Gebrauchstauglichkeit des Mietobjektes, sondern das allgemeine Verwendungsrisiko für eine Mietsache, das grundsätzlich beim Mieter liege. Diese Risikoverteilung ändere sich nicht dadurch, dass die angemieteten Räume in einem Einkaufszentrum lägen und beide Vertragsparteien bei Abschluss des Mietvertrages von einer bestimmten Belegungssituation ausgegangen seien. Zu einer Risikoteilhabe des Vermieters komme es nur in Ausnahmefällen. Dies erfordere eine eindeutige vertragliche Regelung, die hier fehle. Die Präambel enthalte eine solche Abänderung der üblichen Risikoverteilung nicht. Die Beschreibung des Einkaufszentrums in der Präambel bedeute lediglich, mit welchen Mietern das Einkaufszentrum zu diesem Zeitpunkt betrieben werden solle. Die Zusicherung einer Vollvermietung mit der Folge, dass sich der Vermieter am unternehmerischen Risiko des Mieters beteiligen wolle, lasse sich bei sachgerechter Auslegung auch unter Einbeziehung der Präambel nicht herleiten. Nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte habe die Klägerin nicht von einer Beteiligung der Vermieterin am unternehmerischen Risiko des Mieters ausgehen dürfen.

Die Vollvermietung eines Einkaufszentrums und die Art der Belegung stelle auch keine Eigenschaft i.S.v. § 537 Abs. 2 BGB a.F. dar. Die Art der Belegung des Einkaufszentrums habe weder etwas mit der Beschaffenheit der an die Klägerin vermieteten Fläche zu tun, noch hafte der Mietsache dadurch ein bestimmter Zustand an. Insoweit fehle es bei der in der Präambel liegenden "Beschreibung" an einer zusicherungsfähigen Eigenschaft. Eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage scheide wegen des hier der Klägerin obliegenden Geschäftsrisikos aus.

Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Verletzung einer vorvertraglichen oder vertraglichen Nebenpflicht berufen. Eine Aufklärungspflicht über das Sonderkündigungsrecht der anderen Mieter habe bei Abschluss des Vertrages nicht bestanden. Ein Vertragspartner brauche den anderen über den Inhalt der Verträge mit dritten Vertragspartnern nicht aufzuklären. Ein Recht der Klägerin auf Abschluss eines Mietvertrages, der inhaltlich den Verträgen mit anderen Mietern entsprochen hätte, habe nicht bestanden.

2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass es keinen Mangel der Mietsache darstellt, wenn das Einkaufszentrum nicht während der gesamten Laufzeit des Mietvertrages voll vermietet ist. Auch die Annahme, dass die Vollvermietung des Einkaufszentrums nicht als zusicherungsfähige Eigenschaft i.S.v. § 537 Abs. 2 BGB a.F. angesehen werden kann, ist nicht zu beanstanden. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats (BGH, Urt. v. 16.2.2000 - XII ZR 279/97, MDR 2000, 821 = NJW 2000, 1714 ff.). Auch die Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt, weil der Mieter das Verwendungsrisiko zu tragen hat. Das alles stellt die Revision nicht in Frage.

b) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Beklagte hafte wegen Verschuldens bei Vertragsschluss, weil sie in der Präambel die Vollvermietung zugesichert habe.

aa) Zutreffend geht die Revision allerdings davon aus, dass dem Mieter dann, wenn der Anwendungsbereich der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften nicht betroffen ist und auch die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage aus Rechtsgründen nicht zum Zuge kommen, ein Anspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss zustehen kann. Dieser kann Grund für eine fristlose Kündigung - unter Heranziehung des § 554a BGB a.F. - sein. Der Anspruch wäre nicht durch die Sonderregelungen ausgeschlossen, da diese - wie dargelegt - hier nicht eingreifen. Ein solcher Anspruch setzt hier aber voraus, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Klägerin unter Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht schuldhaft unzutreffende Informationen in Bezug auf das Mietobjekt erteilt hat (BGH, Urt. v. 16.2.2000 - XII ZR 279/97, MDR 2000, 821 = NJW 2000, 1714 ff. [1718]).

bb) Ohne Rechtsverstoß konnte das Berufungsgericht hier jedoch davon ausgehen, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Klägerin weder in der Präambel noch sonst im Mietvertrag eine Vollvermietung über die gesamte Laufzeit des Mietvertrages zugesichert, sondern lediglich den Vermietungszustand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses beschrieben hat.

Die Auslegung von Verträgen ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Dessen Auslegung ist für das Revisionsgericht bindend, wenn sie rechtsfehlerfrei vorgenommen worden ist und zu einem vertretbaren Auslegungsergebnis führt, auch wenn ein anderes Auslegungsergebnis möglich erscheint oder sogar näher liegt. Die Auslegung durch die Tatrichter kann deshalb vom Revisionsgericht grundsätzlich nur darauf überprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf einem im Revisionsverfahren gerügten Verfahrensfehler beruht (Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 546 Rz. 5 m.w.N. aus der Rspr. des BGH in Fn. 4). Solche revisionsrechtlich relevanten Auslegungsfehler vermag die Revision nicht aufzuzeigen, und sie liegen auch nicht vor.

Die Revision macht geltend, wenn mit der Präambel lediglich der Vermietungszustand bei Abschluss des Mietvertrages habe beschrieben werden sollen, dann wäre im Text das Perfekt gewählt worden ("hat vermietet") und nicht - wie geschehen - das Präsens ("vermietet"), das hier auch futurisch verstanden werden könne. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe damit geworben, dass das Objekt mit einem Baumarkt, Lebensmittelmarkt und einem weiteren Fachmarkt betrieben werde, und damit die erwartete Attraktivität des Einkaufszentrums durch konkrete Angaben über Bestandteile des Einkaufszentrums herausgestellt. Dass sie damit für die gesamte Laufzeit des Mietvertrages die Vollvermietung zusichern wollte, musste das Berufungsgericht der Präambel indes nicht entnehmen. Die Benutzung des Präsens zwingt nicht zu einer solchen Auslegung. Die Annahme des Berufungsgerichts, es handle sich um die bloße Beschreibung der Mietsituation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ohne jegliche Garantie, dass diese Situation auf Dauer bestehen bleibe, ist rechtlich möglich und damit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht durfte bei seiner Auslegung auch berücksichtigen, dass im Vertrag die Rechtsfolgen für den Fall einer Änderung der Belegungssituation nicht ausgesprochen sind. Seine Annahme, damit habe die Klägerin nach Treu und Glauben nicht von einer Änderung der gesetzlichen Risikoverteilung ausgehen dürfen, enthält ebenfalls keinen revisiblen Auslegungsfehler. Letztlich versucht die Revision lediglich, ihre Auslegung an die Stelle der des Berufungsgerichts zu setzen. Das ist ihr aber verwehrt. Aus dem Vortrag der Klägerin lassen sich auch keine mündlichen Zusicherungen für eine Vollvermietung entnehmen (vgl. BGH, Urt. v. 16.2.2000 - XII ZR 279/97, MDR 2000, 821 = NJW 2000, 1714 ff. [1718]).

c) Ohne Erfolg macht die Revision schließlich Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung geltend. Soweit sie sich hierbei auf die Behauptung stützt, dass zwischenzeitlich alle einzelhandelsrelevanten Mieter ausgezogen seien und die Beklagte sich nicht um eine Neuvermietung der geräumten Ladenflächen bemühe und bis heute keinerlei Initiative zur Neubelegung der leer stehenden Flächen ergriffen habe, kann sie damit nicht gehört werden. Denn dazu fehlt es an ausreichendem Vortrag der Klägerin in den Vorinstanzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1176406

BGHR 2004, 1404

DWW 2004, 234

NJW-RR 2004, 1236

IBR 2004, 602

NZM 2004, 618

WM 2005, 1000

ZMR 2004, 664

ZfIR 2004, 968

MDR 2004, 1233

NJ 2004, 555

GuT 2004, 164

Info M 2004, 18

MietRB 2004, 261

NJW-Spezial 2004, 197

IWR 2004, 72

JWO-MietR 2004, 234

MK 2004, 152

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