Leitsatz (amtlich)

›Zur Frage, inwieweit der durch unerlaubte Handlung Geschädigte (hier: der von einem Fischsterben nach Gewässerverunreinigung betroffene Forellenzüchter) verpflichtet ist, den Schaden alsbald, notfalls unter Aufnahme eines Kredits, zu beseitigen.‹

 

Verfahrensgang

OLG München

LG München II

 

Tatbestand

Der Kläger war von Mai 1983 bis Januar 1986 Pächter einer Fischzuchtanlage. Er nimmt die Beklagten, eine Landwirtin und deren Gelegenheitsgehilfen, für ein im März 1984 durch Gülleausbringung verursachtes Fischsterben auf Schadensersatz in Anspruch.

Das Landgericht hat der zuletzt auf Zahlung von 130.015,26 DM nebst Zinsen gerichteten Klage in Höhe von 119.648,-- DM nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht den zu ersetzenden Schadensbetrag auf 34.042,84 DM nebst Zinsen herabgesetzt. Mit der Revision, die die Beklagten zurückzuweisen begehren, verlangt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht, soweit zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.

I. Im Revisionsverfahren ist außer Streit, daß die Beklagten dem Kläger dem Grunde nach zum Ersatz des Schadens verpflichtet sind, der ihm daraus entstanden ist, daß die am 17. März 1984 von den Beklagten ausgebrachte Gülle in seine Fischteiche gelangte (§ 22 WHG, §§ 823, 831, 840 BGB).

Die Parteien streiten nur noch darüber, in welcher Höhe die Beklagten dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet sind (§§ 249 ff., 254 BGB).

II. Das Berufungsgericht hat den zu ersetzenden Schaden der Höhe nach auf (nur) 34.042,84 DM bemessen, nämlich 27.205, -- DM für den vernichteten Fischbestand, 5.358,24 DM Kreditaufnahmekosten und 1.479,60 DM Schadensminderungskosten.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, wie die Revision mit Recht geltend macht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verkennung des § 254 Abs. 2 Satz BGB.

1. Die Beklagten haben den Kläger im Wege des Schadensersatzes (§§ 249 ff. BGB) wirtschaftlich so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stehen würde. Der zu ersetzende Schaden umfaßt dabei, wie § 252 BGB klarstellt, auch den entgangenen Gewinn.

Das Landgericht ist im Grundsatz der Schadensberechnung des Klägers gefolgt. Es hat den Kläger nicht für verpflichtet gehalten (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB), im Wege des Deckungsgeschäfts alsbald nach dem Schadensereignis Forellensetzlinge und Forellenvorstreckbrut für einen Neubesatz der Fischzuchtanlage nachzukaufen, erforderlichenfalls unter Aufnahme eines entsprechenden Kredits. Es hat den Schaden des Klägers, sachverständig beraten, auf der Grundlage des Gewinns errechnet, den der Kläger bei einem - späteren - Verkauf der Fische im marktreifen Zustand als Speisefisch erwarten konnte.

Das Berufungsgericht ist dem nicht gefolgt. Es hat dem Kläger insoweit nur den Wiederbeschaffungswert des verlorengegangenen Bestandes an Forellensetzlingen und Forellenvorstreckbrut einschließlich entsprechender Finanzierungskosten zugebilligt.

Das begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dem Berufungsgericht kann nicht darin beigetreten werden, daß der Kläger nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB verpflichtet war, innerhalb angemessener Zeit nach dem Schadensereignis, bis etwa Mai 1984, den infolge der Wasserverunreinigung vernichteten Bestand an Setzlingen und Vorstreckbrut wiederzubeschaffen und die hierfür erforderlichen Kosten durch Abschluß eines Ratenkreditvertrages vorzufinanzieren.

2. Den Schadensersatzgläubiger trifft nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB die Obliegenheit, nach Möglichkeit und im Rahmen des Zumutbaren zur Minderung des ihm von dem anderen Teil zu ersetzenden Schadens beizutragen. Die Schadensersatzpflich des anderen Teils wird insoweit eingeschränkt: Bei Nichtbeachtung der Obliegenheit muß der Geschädigte den Rechtsnachteil hinnehmen, nicht seinen gesamten Schaden ersetzt zu erhalten.

Das Unterlassungsverschulden im Sinne des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB setzt nicht die Verletzung einer besonderen Rechtspflicht voraus, sondern umfaßt jeden Verstoß gegen Treu und Glauben, mithin ein Unterlassen derjenigen Maßnahmen, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach Lage der Sache ergreifen wurde, um Schaden von sich abzuwenden (vgl. Senatsurteile vom 7. Juni 1951 - III ZR 181/50 = NJW 1951, 797/798 und in BGHZ 4, 170, 174; seither st. Rspr.; s. auch BGH Urteil vom 24. November 1964 - VI ZR 173/63 = VersR 1965, 183, 185).

3. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze, von denen das Berufungsgericht an sich.ausgegangen ist, ergibt sich im Streitfall entgegen der Annahme des Oberlandesgerichts, daß dem Kläger nicht der Vorwurf gemacht werden kann, es entgegen Treu und Glauben unterlassen zu haben, den verlorengegangenen Fischbestand alsbald, und zwar unter Inanspruchnahme eines Ratenkredits, wiederzubeschaffen.

Der Geschädigte ist im Rahmen der ihm nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht nicht stets gehalten, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen (vgl. BGH Urteil vom 23. November 1964 - VIII ZR 117/63 = WM 1965, 102, 104; BGHZ 62, 103, 106/107; Senatsurteil vom 28. April 1988 - III ZR 120/87 = BGHR BGB § 288 Abs. 2 Bankkredit 1; Palandt/Heinrichs BGB 47. Aufl. § 325 Anm. 4 D a; MünchKomm/Grunsky BGB 2. Aufl. § 254 Rn. 57; BGB-RGRK/Alff 12. Aufl. § 254 Rn. 53 f.; Erman/Sirp BGB 7. Aufl. § 254 Rn. 42 f.). Dies muß vielmehr im Einzelfall von der Sache her geboten und ihm auch zuzumuten sein.

Insbesondere kann eine Pflicht des Geschädigten, zur Schadensbeseitigung einen Kredit aufzunehmen, nur unter besonderen Umständen angenommen werden (vgl. Palandt/Heinrichs aaO. § 254 Anm. 3 b ee, MünchKomm/Grunsky aaO.; Staudinger/Medicus BGB 12. Aufl. § 254 Rn. 51). Die Rechtsprechung hat eine solche Pflicht nur ausnahmsweise bejaht (vgl. etwa BGH Urteile vom 5. Juli 1963 - VI ZR 218/62 = VersR 1963, 1161, 1162 und vom 29. April 1965 - II ZR 281/63 = BB 1965, 926, 927). Es ist grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren (vgl. BGHZ 61, 346, 348). Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Vermeidung von Folgeschäden Kredit aufzunehmen. Vielmehr hat der Schädiger grundsätzlich auch die Nachteile zu ersetzen, die daraus herrühren, daß der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert hat (so mit Recht MünchKomm/Grunsky aaO.; vgl. auch OLG München VersR 1964, 442 und 1969, 1098; OLG Nürnberg VersR 1965, 246, 247; OLG Köln DB 1973, 177). Das Risiko, dem Geschädigten überhaupt zum Ersatz verpflichtet zu sein, trägt dabei der Schädiger, wie es umgekehrt zu Lasten des Geschädigten geht, wenn ein anfänglicher Streit über den Haftungsgrund später zu seinen Ungunsten geklärt wird.

Das Berufungsgericht hat die an den Kläger als Schadensersatzgläubiger der Beklagten zu stellenden Anforderungen überspannt. Seine Annahme, der Kläger sei nach den Umständen verpflichtet gewesen, die für einen alsbaldigen Neubesatz der Fischzuchtanlage erforderlichen 22.326,-- DM durch Aufnahme eines entsprechenden Kredits vorzufinanzieren, wird durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen. Soweit das Berufungsgericht zur wirtschaftlichen Situation des Klägers überhaupt Feststellungen getroffen hat, sprechen diese eher dagegen, daß der Kläger ein Darlehen von deutlich mehr als 20.000,-- DM hätte beschaffen können und daß es ihm von der Gesamtsituation her auch zuzumuten war, einen Kredit in dieser Höhe aufzunehmen, um die von den Beklagten geschuldeten Mittel für die alsbaldige Beseitigung des Schadens zu erlangen.

Der Kläger hatte seinen Fischzuchtbetrieb erst im Mai 1983 mit einer Verschuldung von 35.000, -- DM begonnen. Welche laufenden Zahlungen er hierauf zu leisten hatte, ist nicht festgestellt. Nennenswerte Eigenmittel standen dem Kläger, der seine Ausbildung zum Fischwirtschaftsmeister gerade erst abgeschlossen hatte, nicht zur Verfügung. Welche monatlichen Einkünfte er hatte und welche festen Ausgaben diesen gegenüberstanden, steht nicht fest. Angesichts der bereits bestehenden nicht unerheblichen Vorverschuldung, des Fehlens von Kreditsicherheiten und im Hinblick auch auf die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner Familie entbehrt die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger sei die Aufnahme eines Darlehens in der zur Schadensminderung erforderlichen Höhe möglich und auch zumutbar gewesen, der Grundlage. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellung, der Kläger habe nach dem Schadensereignis zunächst mit Fremdkapital weitergearbeitet und bei der Betriebsaufgabe im Januar 1986 mit einem Schuldenstand von 75.000,-- DM abgeschlossen. Dieser Umstand läßt nicht den Schluß zu, daß der Kläger das erforderliche Darlehen erhalten hätte. Der Kläger hat nach der von den Beklagten zu vertretenden Vernichtung eines wesentlichen Teils seines Fischbestandes in geringen zeitlichen Abständen fortlaufend jeweils kleinere Mengen vermarktungsfähiger Speisefische hinzugekauft und gleich weiterverkauft, um so durch Fortführung des Betriebes seinen Kundenstamm zu halten. Es fehlt jede Feststellung dahin, daß der Kläger diese Zusatzgeschäfte nicht von Fall zu Fall durch Inanspruchnahme von Lieferantenkredit, d.h. durch Ausnutzung entsprechender Zahlungsziele, sondern durch Aufnahme eines zusätzlichen Bankdarlehens finanziert hat. Die finanzielle Gesamtsituation des Klägers, der sich nach seinen Angaben in der Klageschrift vom 17. Mai 1985 zu dieser Zeit aufgrund des Schadensereignisses nahe seinem wirtschaftlichen Ruin sah und den Betrieb auch nicht länger als bis Anfang 1986 hat halten können, spricht dagegen, daß es dem Kläger möglich war, das für einen Neubesatz der Anlage erforderliche Darlehen zu beschaffen. Jedenfalls aber war dem Kläger unter den gegebenen Umständen eine Kreditaufnahme in der zur Schadensminderung erforderlichen Höhe von deutlich mehr als 20.000,-- DM nicht zumutbar. Die Voraussetzungen des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB liegen deshalb insoweit nicht vor.

Aus der Entscheidung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 5. Oktober 1982 - VI ZR 31/82 = r+s 1982, 256 f. = VersR 1983, 37, 890 f. ergibt sich nichts anderes. In jenem Fall waren für einen alsbaldigen Neubesatz der Forellenzuchtanlage mit Jungfischen ("Fischbrut") nicht mehr als 688,-- DM aufzuwenden. Jener Fall (vgl. auch OLG Nürnberg VersR 1965, 246, 247) ist deshalb mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.

4. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts muß sich der Kläger eine Kürzung seines Schadensersatzanspruchs nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB auch nicht deshalb gefallen lassen, weil er es unterlassen habe, die Beklagten auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen. Es kann dahinstehen, ob im Streitfall die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens drohte, auf den der Kläger die Beklagten nach Treu und Glauben hinzuweisen hatte (vgl. insoweit Palandt/Heinrichs aaO. § 254 Anm. 3 b bb; BGB-RGRK/Alff aaO. § 254 Rn. 59; MünchKomm/Grunsky aaO. § 254 Rn. 39 ff.; Staudinger/Medicus § 254 Rn. 34 ff.). Selbst wenn der Kläger - wie das Berufungsgericht angenommen hat - unter den gegebenen Umständen gehalten war, die Beklagten darauf aufmerksam zu machen, er sei außerstande, den eingetretenen Schaden alsbald mit eigenen Mitteln oder durch Aufnahme eines Kredits zu beseitigen, der Schaden werde deshalb den Produktionsausfall bis zur Marktreife der Fische umfassen, fehlt es doch jedenfalls an der Ursächlichkeit des Unterlassens einer solchen Warnung für die Höhe des Schadens. Die Warnpflicht soll dem Schädiger Gelegenheit geben, Gegenmaßnahmen gegen den drohenden Schaden zu ergreifen (vgl. MünchKomm/Grunsky aaO. § 254 Rn. 41). Eine Warnung kann deshalb nur erwartet werden, wenn sie nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (vgl. Staudinger/Medicus aaO. § 254 Rn. 38). Wenn der Schädiger sie ohnehin nicht beachtet hätte, ist ihr Unterlassen für den entstandenen Schaden nicht kausal (vgl. BGB-RGRK/Alff aaO. § 254 Rn. 59). So liegt es hier (vgl. auch BGH Urteil vom 20. Oktober 1955 - II ZR 196/54 = DB 1956, 110). Die Erstbeklagte hat den Kläger von ihrem Hof gewiesen und eine Diskussion über Schadensgrund und Schadenshöhe abgelehnt. Beide Beklagten haben im vorliegenden Rechtsstreit noch in der Berufungsinstanz, nachdem das Landgericht nach ausführlicher Beweiserhebung und Beweiswürdigung entschieden hatte, daß sie für den Schaden des Klägers verantwortlich seien, bestritten, daß ihr Verhalten zu dem Fischsterben in den Teichen des Klägers geführt habe. Eine Warnung des Klägers wäre deshalb aussichtslos gewesen. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Beklagten bei einem Hinweis des Klägers, der Schaden werde den gesamten Produktionsausfall bis zur Vermarktungsreife umfassen, den zum sofortigen Ankauf neuer Forellensetzlinge und neuer Forellenvorstreckbrut erforderlichen Betrag an den Kläger gezahlt hätten.

III. Das angefochtene Urteil hat nach allem keinen Bestand, soweit zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist. Bei der insoweit erforderlichen erneuten Verhandlung und Entscheidung der Sache wird das Berufungsgericht vielmehr den rechtlichen Ansatz des Klägers und des Landgerichts zugrundezulegen und sich mit den bislang (vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus folgerichtig) ungeprüften Einwendungen auseinanderzusetzen haben, die die Beklagten im übrigen gegen die Schadensberechnung des Landgerichts vorgebracht haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992942

BB 1988, 2278

NJW 1989, 290

BGHR BGB § 254 Abs. 2 Satz 1 Kausalität 1

BGHR BGB § 254 Abs. 2 Satz 1 Wiederbeschaffung 1

DRsp I(123)323d-f

ZIP 1988, 1402

JZ 1989, 102

MDR 1989, 45

RdL 1988, 287

VersR 1988, 1178

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