Leitsatz (amtlich)

a) Einer Bank kann das Wissen ihres Prokuristen, das dieser als Mitglied des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft erlangt hat und das dessen Verschwiegenheitspflicht gem. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG unterliegt, nicht zugerechnet werden.

b) Ein Mitglied eines Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft kann nicht im Vorhinein für einen bestimmten Themenbereich generell von der Schweigepflicht entbunden werden.

c) Die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ist nicht befugt, über die Offenbarung vertraulicher Angaben und Geheimnisse zu befinden.

 

Normenkette

BGB § 166; AktG §§ 93, 116

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 24.02.2015; Aktenzeichen 5 U 119/14)

LG München I (Urteil vom 04.12.2013; Aktenzeichen 32 O 5014/13)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG München vom 24.2.2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Berufung der Kläger gegen das Teilurteil der 32. Zivilkammer des LG München I vom 4.12.2013 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6.2.2014 wird, soweit sie nicht zurückgenommen worden ist, insgesamt zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits jeweils zur Hälfte.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Kläger begehren von der Beklagten Schadensersatz wegen behaupteter fehlerhafter Anlageberatung durch Mitarbeiter der inzwischen insolventen A AG.

Rz. 2

Die Kläger beantragten am 2.8.2006 über das Wertpapierhandelshaus D AG, der Rechtsvorgängerin der A AG (nachfolgend einheitlich: A AG), bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einer Direktbank (nachfolgend: Beklagte), die während des Revisionsverfahrens auf die Beklagte verschmolzen worden ist, die Eröffnung eines "Depotkontos unter Einschluss eines Finanzdienstleisters" (sog. Zins-Plus-Konto). Am selben Tag unterzeichneten die Kläger eine Transaktionsvollmacht zugunsten der A AG. Bei dem Zins-Plus-Konto handelte es sich um ein Tagesgeldkonto mit einer jährlichen Verzinsung der Einlage von 4,5 %, das zwingend mit einem Depotvertrag zur etwaigen Einbuchung von Wertpapieren verbunden war. Der Vertragszins von 4,5 % lag über dem Marktzins. Zwischen der A AG und der Beklagten war vereinbart, dass in ihrem Verhältnis die Beklagte lediglich den Marktzins zu zahlen hatte und die A AG die Differenz zu den an die Kunden zu zahlenden 4,5 % an die Beklagte zahlen musste. Im Kontoeröffnungsantrag vom 2.8.2006 heißt es auszugsweise:

"V. Ausschluss der Anlageberatung Die ... bank erfüllt lediglich ihre gesetzlichen Aufklärungs- und Erkundigungspflichten und führt Aufträge aus. Die ... bank spricht weder Empfehlungen für den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren aus noch bietet die Bank Beratungsleistungen."

Rz. 3

In der der A AG eingeräumten Transaktionsvollmacht vom gleichen Tag heißt es weiter:

"1. Ausschluss der Anlageberatung durch die ... bank; keine Prüfung von Transaktionen des/der Bevollmächtigten Im Rahmen dieser Geschäftsbeziehung erfüllt die ... bank lediglich ihre gesetzlichen Aufklärungs- und Erkundigungspflichten und führt Aufträge aus. Die ... bank gibt weder Empfehlungen für den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren noch bietet sie Beratungsleistungen. Auf Beratungsleistungen und Anlageentscheidungen des/der Bevollmächtigte/n hat die ... bank keinen Einfluss; die im Rahmen der Rechtsbeziehung Kunde-Bevollmächtigte/r gemachten Angaben und Vorgaben kennt die ... regelmäßig nicht. Die ... bank kontrolliert daher nicht die Einhaltung von Anlagevorgaben des/der Kunden gegenüber dem/der Bevollmächtigten. Die ... bank ist an Anlageentscheidungen und Vermögensdispositionen nicht beteiligt; sie kann die Einhaltung von Vereinbarungen zur Art und Weise der Vermögensanlage nicht überprüfen. ... 3. Rechtsstellung des/der Bevollmächtigten Der/die Bevollmächtigte ist nicht zur Abgabe von Erklärungen im Namen der ... bank berechtigt, er/sie wird nicht im Auftrag der ... bank tätig."

Rz. 4

Am 2.8.2006 schlossen die Kläger mit der A AG einen Vermögensverwaltungsvertrag, den sie am 7.4.2008 wieder kündigten. Vor Abschluss des Vertrages wurden die Kläger durch einen Mitarbeiter der A AG beraten.

Rz. 5

In der Zeit vom 16.8.2006 bis zum 16.1.2009 kaufte die A AG für die Kläger Wertpapiere für insgesamt 34.752,64 EUR, u.a. die folgenden:

- Inhaber-Teilschuldverschreibungen der H im Nennwert von 4.000 EUR am 7.4.2008 zu 3.911,15 EUR - Inhaber-Teilschuldverschreibungen der Ko AG im Nennwert von 4.000 EUR am 7.4.2008 zu 4.027,87 EUR - Inhaber-Genusscheine der D AG im Nennwert von 4.200 EUR am 7.4.2008 zu 4.496,60 EUR

Rz. 6

Nach zwischenzeitlichem Verkauf eines Teils der Wertpapiere für 16.151,26 EUR verlangen die Kläger unter Anrechnung von Ausschüttungen i.H.v. 849,83 EUR im Wege des Schadensersatzes zuletzt noch Zahlung von 17.751,55 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der dazugehörigen Wertpapiere, die Zahlung entgangener Anlagezinsen i.H.v. 3.339,85 EUR nebst Zinsen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs. Hierbei berufen sie sich auf Aufklärungs- und Beratungspflichtverletzungen der A AG, für die die Beklagte ihrer Ansicht nach aus verschiedenen Rechtsgründen einzustehen habe.

Rz. 7

Das LG hat die ursprünglich umfangreichere Klage insoweit durch Teilurteil abgewiesen. Im Berufungsverfahren haben die Kläger die vom LG nicht beschiedenen Anträge und einen Teil der Berufung zurückgenommen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 11.855,69 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückübertragung der betroffenen Wertpapiere verurteilt, den diesbezüglichen Annahmeverzug der Beklagten festgestellt und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.

Rz. 8

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

A.

I.

Rz. 9

Das Verfahren ist nicht unterbrochen. Da die Rechtsvorgängerin der Beklagten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war, trat die Beklagte aufgrund der Verschmelzung als Gesamtrechtsnachfolgerin gem. § 246 Abs. 1 ZPO ohne Unterbrechung des Verfahrens kraft Gesetzes in den Prozess ein (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2003 - II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 154 f.). Die Aussetzung des Verfahrens ist nicht beantragt worden.

II.

Rz. 10

Die Revision ist zulässig, insb. gem. § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht statthaft. Dieses hat die Revision entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht nur beschränkt auf die depotvertragliche Haftung der Beklagten kraft Wissenszurechnung zugelassen.

Rz. 11

1. Eine Beschränkung der Revision auf einzelne Rechtsfragen oder Anspruchselemente ist unzulässig. Anerkanntermaßen hat das Berufungsgericht aber die Möglichkeit, die Revision nur hinsichtlich eines tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teils des Gesamtstreitstoffs zuzulassen, auf den auch die Partei selbst die Revision beschränken könnte (st.Rspr.; vgl. nur Senat, Urt. v. 16.10.2012 - XI ZR 368/11, juris Rz. 18; v. 4.3.2014 - XI ZR 178/12, BKR 2014, 245 Rz. 21; BGH, Beschl. v. 16.12.2010 - III ZR 127/10, WM 2011, 526 Rz. 5; jeweils m.w.N.).

Rz. 12

Voraussetzung hierfür ist eine Selbständigkeit des von der Zulassungsbeschränkung erfassten Teils des Streitstoffs in dem Sinne, dass dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum nicht anfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann (Senat, Urt. v. 16.10.2012, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 16.12.2010, a.a.O.; jeweils m.w.N.). Allerdings muss es sich hierbei weder um einen eigenen Streitgegenstand handeln, noch muss der betroffene Teil des Streitstoffs auf der Ebene der Berufungsinstanz teilurteilsfähig sein (Senat, Urt. v. 4.3.2014, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 16.12.2010, a.a.O., m.w.N.; v. 7.6.2011 - VI ZR 225/10, ZUM 2012, 35 Rz. 4). Außerdem kann sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH die Beschränkung der Revisionszulassung auch aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergeben. Hat das Berufungsgericht die Revision wegen einer Rechtsfrage zugelassen, die nur für einen eindeutig abgrenzbaren Teil des Streitstoffs von Bedeutung ist, kann die gebotene Auslegung der Entscheidungsgründe ergeben, dass die Zulassung der Revision auf diesen Teil des Streitstoffs beschränkt ist (BGH, Urt. v. 20.3.2012 - XI ZR 340/10, juris Rz. 9, vom 16.10.2012, a.a.O., Rz. 14 und vom 4.3.2014, a.a.O., Rz. 18).

Rz. 13

2. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Revision im vorliegenden Fall für die Beklagte in vollem Umfang zugelassen.

Rz. 14

Das Berufungsgericht hat die Revision unbeschränkt zugelassen. Im Tenor ist eine Beschränkung nicht erfolgt. Auch in den Entscheidungsgründen heißt es nur, dass die Revision gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts für die Beklagte zuzulassen ist. Danach folgt die Begründung der Revisionszulassung, nämlich der Hinweis auf die Grundsatzbedeutung der Frage nach der Wissenszurechnung von außerhalb der Diensttätigkeit erlangtem Wissen trotz der grundsätzlichen Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 116 AktG. Aus dieser Begründung kann nicht zugleich die Darlegung eines Zulassungsgrundes und die Beschränkung der Revision auf diesen herausgelesen werden, zumal der Anwendungsbereich des § 116 AktG eine Rechtsfrage ist, auf die die Revision nicht wirksam beschränkt werden könnte.

B.

Rz. 15

Die Revision ist begründet. Sie führt, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur vollumfänglichen Zurückweisung der Berufung der Kläger.

I.

Rz. 16

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren erheblich, im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 17

Entgegen der Auffassung des LG stehe den Klägern ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen Verletzung einer Nebenpflicht zum Depotvertrag zu. Für die Beklagte sei aufgrund der ihr zurechenbaren Kenntnis ihres damaligen Prokuristen W (nachfolgend: W) eine systematische Fehlberatung der gemeinsamen Kunden durch die A AG positiv bekannt und objektiv evident gewesen.

Rz. 18

Auch bei gestaffelter Einschaltung mehrerer Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestehe eine Warnpflicht als Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB), wenn der Discount-Broker die tatsächliche Fehlberatung des Kunden bei dem in Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft entweder positiv kenne oder wenn diese Fehlberatung aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident sei.

Rz. 19

Die A AG habe durch ihre Berater die gemeinsamen Kunden der A AG und der Beklagten systematisch fehlberaten. Diese systematische Fehlberatung der Anlageberater der A AG mindestens gegenüber einem Teil der Kunden lasse sich am deutlichsten an zwei Ausprägungen belegen: der Fehleinstufung von Wertpapieren in Risikoklassen und der Nicht-Übereinstimmung eines verkauften Produkts mit dem, was den Kunden gegenüber angegeben worden sei.

Rz. 20

Der Zeuge W sei durch die Erörterung der Ergebnisse der K-Prüfung in der Aufsichtsratssitzung vom 11.7.2007 auf Anhaltspunkte für die systematische Fehlberatung mindestens bestimmter Kundengruppen aufmerksam geworden, jedenfalls seien diese danach evident gewesen.

Rz. 21

Der Beklagten seien die Erkenntnisse des Zeugen W zuzurechnen. Dieser habe die Kenntnisse in seiner beruflichen Funktion als Prokurist und damit als Vertreter der Beklagten erlangt.

Rz. 22

Der Wissenszurechnung stehe die Verschwiegenheitspflicht des Zeugen W als Aufsichtsrat der A AG aus § 116 AktG nicht entgegen. Zutreffend gehe die Beklagte davon aus, dass Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft der Verschwiegenheitspflicht nach § 116 AktG unterliegen würden und die Geltung des § 116 AktG zwingendes Recht sei. Nach allgemeiner Meinung sei aber disponibel, welche Daten der Geltung des § 116 AktG unterliegen. Die Aktiengesellschaft könne jederzeit ursprünglich geheim gehaltene Daten freigeben. Zwar würden die Erörterungen aus der Aufsichtsratssitzung am 11.7.2007 im Grundsatz ohne Weiteres dem Schutzbereich des § 116 AktG unterliegen. Der Senat sei aber der Auffassung, dass wegen der besonderen Konstellation der Geschäftsbeziehung zwischen der Beklagten und der A AG hier eine konkludente Willensbildung der A AG vorliege, wonach solche Daten, die für die Durchführung der Kooperation zwischen der A AG und der Beklagten erforderlich seien, in dem Umfang nicht der Verpflichtung zur Verschwiegenheit unterfallen sollten, in dem der Beklagten gegen die A AG ein Anspruch aus diesen Kooperationsvereinbarungen auf Bekanntgabe dieser Daten zustehe. Allen Beteiligten sei schon bei Berufung des Zeugen W in den Aufsichtsrat bewusst gewesen, dass bestimmte Kenntnisse, die der Zeuge W als Aufsichtsrat erwerben könnte, für seine berufliche Tätigkeit als Bereichsleiter ... der Beklagten mit besonderer Zuständigkeit für die Vertragsbeziehungen zur A AG wesentlich werden könnten. Wenn die Hauptversammlung der A AG unter solchen Umständen gerade den Zeugen W zum Aufsichtsrat bestelle, werde in dem Bestellungsakt zugleich zum Ausdruck gebracht, dass unter den genannten Begrenzungen diese Informationsweitergabe an die Beklagte gestattet sei. Dem stehe nicht entgegen, dass für die Informationsweitergabe üblicherweise der Vorstand der A AG zuständig sei. Dies stelle hier nur eine überflüssige Förmelei dar. Da die Beklagte aus den Kooperationsvereinbarungen einen Anspruch auf aktive Informationserteilung über die systematische Fehlberatung habe, sei es widersinnig, wenn sie sich auf eine Schutznorm berufen könne, die dem Schutz der A AG und nicht der Beklagten diene. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Verschwiegenheitspflicht in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates ausdrücklich aufgeführt sei. Diese könne nicht weiter gehen als die gesetzliche Verschwiegenheitsverpflichtung.

Rz. 23

Die Beklagte sei daher aufgrund der ihr zuzurechnenden Erkenntnisse des Zeugen W verpflichtet gewesen, den von der K festgestellten systematischen Beratungsfehlern nachzugehen. Der Senat sei davon überzeugt, dass zumindest die Feststellungen der K bewiesen seien. Dies habe die Beklagte aber allein aufgrund der ihr im Gefolge der Aufsichtsratssitzung vom 11.7.2007 zuzurechnenden Informationen nicht sogleich erkennen können und müssen. Die behaupteten Verstöße seien aber so schwerwiegend, dass die Beklagte aus den bestehenden Depotverträgen die Verpflichtung getroffen habe, die Feststellungen selbst zu überprüfen und sich dazu ergänzende Informationen zu verschaffen. Die für eine Validierung erforderlichen Informationen habe sich die Beklagte selbst beschaffen können, etwa durch Zugriff auf Erkenntnisse aus der Compliance und Revision bei der A AG. Außerdem habe sie Depots der Kunden auf das häufige Vorhandensein bestimmter nachrangiger Genussscheine und Anleihen nur selten am Markt gehandelter Emittenten überprüfen und sich aus den öffentlich zugänglichen Informationen in Verbindung mit ihrem Fachwissen als Bank ein eigenes Bild über die richtige Risikoeinstufung der Wertpapiere machen können. Darüber hinaus habe sie weitere Teile, wie insb. die Risikoeinstufung der einzelnen Kunden, bei der A AG in Erfahrung bringen und ggf. weitere Prüfberichte anfordern müssen. In der Zusammenschau dieser Informationen hätte sich dann für die Beklagte das oben dargestellte Bild einer systematischen Fehlberatung bestätigt.

II.

Rz. 24

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung in den wesentlichen Punkten nicht stand. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen eine Verurteilung der Beklagten zu Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB nicht.

Rz. 25

1. Das Berufungsgericht hat es bereits versäumt, die notwendigen Feststellungen zur individuellen Fehlberatung der Kläger bei den streitgegenständlichen Anlagegeschäften und damit zum objektiven Tatbestand einer nebenvertraglichen Pflichtverletzung der Beklagten aus dem Depotvertrag zu treffen.

Rz. 26

a) Nur wenn die Kläger bei den konkreten, den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Anlagegeschäften fehlerhaft beraten worden sind, kommt eine Haftung der Beklagten für die entstandenen Schäden unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer nebenvertraglichen Warnpflicht in Betracht. Wie der Senat in seiner Grundsatzentscheidung vom 19.3.2013 (XI ZR 431/11, BGHZ 196, 370 Rz. 27) betont hat, besteht eine Warnpflicht als Nebenpflicht nur dann, wenn der Discount-Broker die tatsächliche Fehlberatung des Kunden bei dem in Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft entweder positiv kennt oder wenn diese Fehlberatung aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident ist (so auch BGH, Urt. v. 12.11.2013 - XI ZR 312/12, WM 2014, 24 Rz. 25; v. 4.3.2014 - XI ZR 178/12, BKR 2014, 245 Rz. 24; v. 4.3.2014 - XI ZR 313/12, BKR 2014, 203 Rz. 23). Objektives Tatbestandsmerkmal der Warnpflicht einer Direktbank als Nebenpflicht aus dem Depotvertrag ist die fehlerhafte Beratung des Anlegers im konkreten Einzelfall (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 10.12.2013 - XI ZR 508/12, WM 2014, 124 Rz. 20 f. zur sittenwidrigen Überteuerung einer Eigentumswohnung; v. 6.5.2008 - XI ZR 56/07, BGHZ 176, 281 Rz. 14 f. zum Missbrauch der Vertretungsmacht im bargeldlosen Zahlungsverkehr). Wurde der Kunde fehlerfrei und damit ordnungsgemäß durch das kundennähere Unternehmen beraten, besteht keine Warnpflicht der kundenferneren Direktbank. Im genannten Grundsatzurteil des Senats konnte diese Frage nur deshalb dahinstehen, weil die Fehlberatung der dortigen Klägerin und Revisionsführerin vom damaligen Berufungsgericht offen gelassen worden war, so dass ihr Vorliegen in der Revisionsinstanz als wahr zu unterstellen war (BGH, Urt. v. 19.3.2013 - XI ZR 431/11, BGHZ 196, 370 Rz. 24).

Rz. 27

b) Erst im Rahmen der subjektiven Voraussetzungen einer Warnpflicht kann, sofern der Direktbank die tatsächliche Fehlberatung des Kunden im Einzelfall nicht positiv bekannt ist, die Kenntnis von der systematischen und damit regelmäßigen Fehlberatung der Anleger durch das kundennähere Unternehmen die tatsächliche Fehlberatung des Kunden im Einzelfall objektiv evident erscheinen lassen. Die systematische Fehlberatung von Anlegern kann aber nicht die tatsächliche Fehlberatung des jeweiligen Anspruchstellers ersetzen. Dies gilt umso mehr, als das Berufungsgericht im vorliegenden Fall lediglich die systematische Fehlberatung "mindestens gegenüber einem Teil der Kunden" der A AG feststellt, so dass der Schluss von der systematischen Fehlberatung auf die tatsächliche Fehlberatung des einzelnen Kunden von vornherein nicht möglich ist.

Rz. 28

c) Ob die Kläger tatsächlich bei den Anlagegeschäften falsch beraten worden sind, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Insbesondere wurden die noch streitgegenständlichen Wertpapiere nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Rahmen des Vermögensverwaltungsvertrages beschafft. Eine dennoch vor jedem einzelnen Geschäft erfolgte Beratung der Kläger durch einen Mitarbeiter der A AG hat das Berufungsgericht wiederum nicht festgestellt. Die durch das Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen daher eine Verurteilung der Beklagten unabhängig von den Angriffen der Revision in den folgenden Punkten aus Rechtsgründen nicht, so dass das angegriffene Urteil schon deshalb keinen Bestand haben kann.

Rz. 29

2. Aber auch die subjektiven Voraussetzungen einer Warnpflicht hat das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei bejaht. Ob das Berufungsgericht die systematische Fehlberatung der Anleger durch Berater der A AG, aus der es eine objektive Evidenz der Fehlberatung der Kläger herleiten will, und die der Beklagten zurechenbare Kenntnis des Zeugen W von dieser systematischen Fehlberatung rechtsfehlerfrei festgestellt hat, erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls steht einer Zurechnung des - unterstellten - Wissens des Zeugen W aus der Aufsichtsratssitzung vom 11.7.2007 von einer - ebenfalls unterstellten - systematischen Fehlberatung der Anleger durch die A AG bzw. von Umständen, die diese objektiv evident erscheinen lassen, die Verschwiegenheitspflicht des § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG entgegen.

Rz. 30

Das Berufungsgericht hat von der Revision unbeanstandet und damit bindend festgestellt, dass der Zeuge W dieses - unterstellte - Wissen nicht gegenüber anderen Berufsträgern der Beklagten offenbart hat. Es könnte daher nur dann eine Warnpflicht der Beklagten ausgelöst haben, wenn es ohne tatsächliche Weitergabe der Beklagten zugerechnet werden könnte. Einer solchen Zurechnung steht jedoch die Verschwiegenheitspflicht des Zeugen W als Aufsichtsratsmitglied der A AG aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG entgegen. Eine konkludente Befreiung des Zeugen W von dieser Schweigepflicht bei seiner Bestellung durch die Hauptversammlung für alle Daten, die die Geschäftsbeziehung zur Beklagten betreffen und auf deren Bekanntgabe die Beklagte einen vermeintlichen Anspruch hat, ist rechtlich nicht zulässig.

Rz. 31

a) Noch zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass es sich bei den vorläufigen Ergebnissen der Prüfung durch die K um vertrauliche Angaben bzw. ein Geheimnis der A AG i.S.d. § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG handelt. Dabei muss es sich um nicht allgemein bekannte (offenkundige) Tatsachen handeln, an deren Geheimhaltung ein objektives Interesse des Unternehmens besteht (BGH, Urt. v. 5.6.1975 - II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329 und Beschl. v. 5.11.2013 - II ZB 28/12, WM 2013, 2361 Rz. 47). Ohne Weiteres bestand ein objektives Interesse der A AG daran, die noch vorläufigen und nicht vom Vorstand oder anderen Berufsträgern der A AG überprüften Feststellungen der K zum Kernbereich des Geschäftsbetriebs der A AG zumindest vorläufig geheim zu halten. Einem Unternehmen droht bei sofortiger Veröffentlichung oder Weitergabe solcher Informationen erheblicher wirtschaftlicher Schaden. Für die Qualifikation einer Information als vertrauliche Angabe oder Geheimnis ist die Frage der vertraglichen oder gesetzlichen Offenbarungs- bzw. Mitteilungspflicht ohne Bedeutung.

Rz. 32

b) Aufgrund der Vertraulichkeit dieser Angaben bestand für den Zeugen W eine Pflicht zur Verschwiegenheit. Diese Pflicht besteht gegenüber allen nicht zu den Organmitgliedern der Gesellschaft gehörenden Personen (Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl., § 116 AktG Rz. 56; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 116 AktG Rz. 103 und 106; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl., § 116 Rz. 219 und 246; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., § 21 Rz. 611; Flore, BB 1993, 133, 134; Keilich/Brummer, BB 2012, 897, 898), insb. für in den Aufsichtsrat gewählte Bankenvertreter gegenüber ihrem Arbeitgeber (Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl., BankGesch (7), A/16; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 242; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 265; Schröter in Bankrechtstag 2002, S. 161, 168). Nur wenn diese Verschwiegenheitsverpflichtung absolut gilt, ist gewährleistet, dass der Aufsichtsrat seine gesetzliche Überwachungs- und Beratungsfunktion erfüllen kann, da diese das notwendige Korrelat zu den umfassenden Informationsrechten des Aufsichtsrats bildet (BT-Drucks. 14/8769, 18) und der Vorstand den Aufsichtsrat frühzeitig über sensible Vorfälle, Daten und Vorhaben informieren kann, ohne dass er die Weitergabe - speziell an das finanzierende Kreditinstitut oder die Hausbank - und die damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile für das Unternehmen befürchten muss (Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl., § 116 AktG Rz. 49). Für solche Umstände, die unter die Verschwiegenheitspflicht aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG fallen und durch deren Weitergabe das Aufsichtsratsmitglied seine Schweigepflicht verletzen würde, scheidet eine Wissenszurechnung - gleich auf welcher Rechtsgrundlage - von vornherein aus (Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 242; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 265; Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 1998, S. 276; Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 477; Buck-Heeb, WM 2008, 281, 284; Schröter in Bankrechtstag 2002, S. 161, 168; Faßbender/Neuhaus, WM 2002, 1253, 1256).

Rz. 33

Eine Kollision der Pflichten des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber seinem Arbeitgeber und der Gesellschaft, in deren Aufsichtsrat er gewählt oder entsandt wurde, rechtfertigt eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht nicht, da diese wegen der meist nebenberuflichen Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied ganz bewusst im System angelegt ist und dieses Spannungsfeld vom Gesetzgeber gesehen und, wie der Straftatbestand des § 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG deutlich belegt (Lutter, ZHR (1981) 145, 224, 242; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 265; Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 477), zugunsten der von der Schweigepflicht geschützten Gesellschaft entschieden worden ist (BT-Drucks. 14/8769, 18; vgl. hierzu Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 116 AktG Rz. 116; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 265; Buck-Heeb, AG 2015, 801, 811). Die aufgrund der Aufsichtsratssitzung vom 11.7.2007 in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied der A AG erlangte - unterstellte - Kenntnis des Zeugen W von einer angenommenen systematischen Fehlberatung der Kunden der A AG durch deren Mitarbeiter könnte der Beklagten daher nicht zugerechnet und zur Begründung einer Warnpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB herangezogen werden.

Rz. 34

c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann ein Aufsichtsratsmitglied nicht im Vorhinein für einen bestimmten Themenbereich generell von der Schweigepflicht entbunden werden. Das Schweigegebot des § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG ist eine abschließende Regelung, die nicht durch Satzung oder Geschäftsordnung gemildert oder verschärft werden kann (BGH, Urt. v. 5.6.1975 - II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 326 f.). Allein das objektiv zu beurteilende Interesse des Unternehmens an der Geheimhaltung bestimmt die Reichweite und den Inhalt der Verschwiegenheitspflicht. Deshalb ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Revisionserwiderung gerade nicht disponibel, welche Informationen der Geltung des § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG unterliegen sollen (Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl., § 116 Rz. 233), da andernfalls die Verschwiegenheitspflicht nach Belieben ausgehöhlt und damit abgemildert oder ergänzt und damit verschärft werden könnte, was aber ihrem Charakter als zwingendes Recht widerspräche. Eine im Vorhinein erklärte bereichsweite Befreiung eines Aufsichtsratsmitgliedes ist daher weder ausdrücklich noch konkludent rechtlich möglich.

Rz. 35

d) Darüber hinaus ist die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft nicht befugt, über die Offenbarung vertraulicher Angaben und Geheimnisse zu befinden. Eine vertrauliche Angabe oder ein Geheimnis unterfällt solange der Schweigepflicht, bis sie bzw. es allgemein bekannt geworden oder durch den Vorstand freiwillig oder aufgrund gesetzlicher Pflicht offenbart worden ist (Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl., § 116 AktG Rz. 50; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 32). Allein der Vorstand ist "Herr der Gesellschaftsgeheimnisse" und kann im Einzelfall nach sorgfältiger Abwägung der widerstreitenden Interessen für eine Offenbarung optieren und die betreffende vertrauliche Angabe oder das Geheimnis öffentlich machen (BGH, Urt. v. 5.6.1975 - II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329 und Beschl. v. 14.1.2014 - II ZB 5/12, WM 2014, 618 Rz. 77; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl., § 116 AktG Rz. 62; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 116 AktG Rz. 102; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl., § 116 Rz. 239; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl., § 116 Rz. 51; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, AktG, 2. Aufl., § 116 Rz. 50; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., § 14 Rz. 401; Wilsing/von der Linden, ZHR 178 (2014), 419, 432). Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Gesellschaft zur Offenbarung vertraglich oder gesetzlich verpflichtet ist. Auch hier liegt es in der Entscheidungsgewalt des Vorstandes, wann und wie er welche Informationen zur Erfüllung der Verpflichtung der Gesellschaft offenbart. Zwar ist anerkannt, dass sich der Aufsichtsrat in Einzelfällen selbst von der Verschwiegenheitspflicht befreien kann, jedoch betrifft dies nur aus dem Aufsichtsrat selbst stammende Umstände, wie Abstimmungsgegenstände und Diskussionsinhalte (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2012 - II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 Rz. 40; v. 19.2.2013 - II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rz. 30), und würde lediglich dazu führen, dass das Aufsichtsratsmitglied für eine tatsächlich erteilte Auskunft nicht haftbar wäre. Die vom Berufungsgericht angenommene Befreiung des Zeugen W von der Verschwiegenheitspflicht durch die Hauptversammlung aus Anlass seiner Bestellung war schon aufgrund dieser Zuständigkeitsregelung rechtlich nicht möglich und kann daher eine Wissenszurechnung an die Beklagte nicht begründen. Die gesetzliche Kompetenzverteilung innerhalb der Aktiengesellschaft stellt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keine "überflüssige Förmelei" dar.

Rz. 36

e) Eine im Einzelfall durch den Vorstand der A AG erteilte Befreiung im Sinne einer ausdrücklichen oder konkludenten Entscheidung zur Offenbarung der vorläufigen Ergebnisse der Prüfung durch die K hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und wurde von den Parteien in den Tatsacheninstanzen auch nicht behauptet. Der insoweit von der Revisionserwiderung gehaltene Vortrag ist neu und damit in der Revisionsinstanz unbeachtlich (§ 559 Abs. 1 ZPO). Im Übrigen ist die Annahme, der Vorstand habe den Zeugen W allein aufgrund der Unterrichtung über vertrauliche Angaben in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied konkludent von der Verschwiegenheitspflicht entbunden, lebensfremd, da der Vorstand verpflichtet ist, den Aufsichtsrat umfassend zu informieren. Könnte allein darin schon die konkludente Entscheidung für eine Offenbarung erblickt werden, wäre die Schweigepflicht des Aufsichtsrates faktisch aufgehoben.

Rz. 37

f) Weil die Verschwiegenheitspflicht aus § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG eine Wissenszurechnung generell ausschließt, kann dahinstehen, ob es sich um vom Zeugen W privat oder im Zusammenhang mit seiner Funktion als Prokurist der Beklagten erlangtes Wissen handelt. Der Senat muss auch nicht über die Anwendbarkeit des § 166 BGB (analog) im konkreten Fall befinden.

Rz. 38

3. Rechtsfehlerhaft ist außerdem die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei aufgrund der behaupteten Verstöße der A AG verpflichtet gewesen, die Feststellungen der K selbst zu prüfen und sich die dazu erforderlichen Informationen zu verschaffen. In den Fällen, in denen die - hier unterstellte - Fehlberatung des Kunden nicht objektiv evident, sondern nur möglich oder wahrscheinlich ist, besteht keine Pflicht der Bank, diesem Verdacht nachzugehen und die erforderlichen Ermittlungen anzustellen.

Rz. 39

a) Wie bereits ausgeführt, besteht eine Warnpflicht als Nebenpflicht nur dann, wenn der Discount-Broker die tatsächliche Fehlberatung des Kunden bei dem in Auftrag gegebenen Wertpapiergeschäft entweder positiv kennt oder wenn diese Fehlberatung aufgrund massiver Verdachtsmomente objektiv evident ist (BGH, Urt. v. 19.3.2013 - XI ZR 431/11, BGHZ 196, 370 Rz. 27; v. 12.11.2013 - XI ZR 312/12, WM 2014, 24 Rz. 25; v. 4.3.2014 - XI ZR 178/12, BKR 2014, 245 Rz. 24; v. 4.3.2014 - XI ZR 313/12, BKR 2014, 203 Rz. 23). Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH muss ein Kreditinstitut im Falle von nebenvertraglichen Aufklärungs-, Warn- und Hinweispflichten nur das ihm präsente Wissen offenbaren. Die Bank ist also nur verpflichtet, von ihr als wesentlich erkanntes Wissen zu offenbaren, nicht aber sich durch eigene Nachforschungen hinsichtlich etwaiger Risiken den Wissensvorsprung erst zu verschaffen (BGH, Urt. v. 18.11.2003 - XI ZR 322/01, WM 2004, 172, 173 m.w.N.; v. 29.4.2008 - XI ZR 221/07, WM 2008, 1121 Rz. 19). Ausnahmsweise steht die bloße Erkennbarkeit von aufklärungspflichtigen Tatsachen der positiven Kenntnis dann gleich, wenn sich diese einem zuständigen Bankmitarbeiter nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen musste; er ist dann nach Treu und Glauben nicht berechtigt, seine Augen vor solchen Tatsachen zu verschließen (BGH, Beschl. v. 28.1.1992 - XI ZR 301/90, WM 1992, 602, 603; BGH, Urt. v. 7.4.1992 - XI ZR 200/91, WM 1992, 977; v. 29.4.2008 - XI ZR 221/07, WM 2008, 1121 Rz. 20; v. 6.5.2008 - XI ZR 56/07, BGHZ 176, 281 Rz. 14; v. 10.12.2013 - XI ZR 508/12, WM 2014, 124 Rz. 21).

Rz. 40

b) Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Beklagte das tatsächliche Vorliegen der von der K vermeintlich festgestellten systematischen Beratungsfehler weder erkennen konnte noch musste, selbst wenn - wie nicht - sie Kenntnis vom Beratungsgegenstand der Aufsichtsratssitzung vom 11.7.2007 hatte. Diese waren mithin auch nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht objektiv evident. Damit bestand keine Hinweis- und Warnpflicht der Beklagten gegenüber den Klägern. Eine Verpflichtung der Beklagten, wie vom Berufungsgericht gefordert, sich aufgrund des Verdachts einer Fehlberatung die zur Validierung der Feststellungen der K erforderlichen Informationen zu beschaffen, die richtige Einstufung der Wertpapiere in Risikoklassen vorzunehmen und bei der A AG nachzufragen, in welchen Risikoklassen die einzelnen Kunden erfasst waren, bestand nicht.

III.

Rz. 41

Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Wie der Senat zu mehreren Parallelfällen bereits entschieden hat und auch das Berufungsgericht nicht verkennt, scheidet eine Haftung der Beklagten aus einem Beratungsvertrag, aus § 128 HGB analog und aus §§ 826, 830 BGB aus (BGH, Urt. v. 19.3.2013 - XI ZR 431/11, BGHZ 196, 370 Rz. 41 m.w.N.; v. 12.11.2013 - XI ZR 312/12, WM 2014, 24 Rz. 21; v. 4.3.2014 - XI ZR 313/12, BKR 2014, 203 Rz. 21).

IV.

Rz. 42

Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das führt dazu, dass die Berufung der Kläger gegen das klageabweisende Urteil des LG unter Aufhebung des Berufungsurteils zurückzuweisen ist.

Rz. 43

1. Weitere Beweismittel oder weitergehenden substantiierten Vortrag für eine, etwa bei der Compliance- und Revisionstätigkeit der Beklagten für die A AG erlangte, Kenntnis der Beklagten von der - unterstellten - Falschberatung der Kläger bei den streitgegenständlichen Wertpapiergeschäften oder die objektive Evidenz der diese Falschberatung begründenden Tatsachen als Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten aus der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht (§§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) aus dem Depotkonto-Vertrag bieten die Kläger nicht an.

Rz. 44

2. Ansprüche, die sich auf eine mögliche fehlerhafte Beratung der Kläger vor Abschluss des Vermögensverwaltungsvertrages durch die A AG oder auf einen Verstoß der A AG bei den einzelnen Wertpapierkäufen gegen die Anlagerichtlinien stützen, verfolgen diese mit ihrer Berufung nicht weiter.

 

Fundstellen

Haufe-Index 9423657

BB 2016, 1345

BB 2016, 1421

DB 2016, 1307

DB 2016, 6

DStR 2016, 14

NJW 2016, 2569

NWB 2016, 1784

EWiR 2016, 423

NZG 2016, 910

StuB 2016, 524

WM 2016, 1031

WuB 2016, 672

ZIP 2016, 1063

AG 2016, 493

DZWir 2016, 400

JZ 2016, 476

MDR 2016, 779

BKR 2016, 299

GWR 2016, 314

GmbHR 2016, 818

NJW-Spezial 2016, 592

NWB direkt 2016, 665

ZBB 2016, 212

AR 2016, 131

BOARD 2016, 221

CB 2016, 260

GmbH-Stpr. 2016, 381

Konzern 2016, 352

ZCG 2016, 168

finanzen.steuern kompakt 2016, 8

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