Leitsatz (amtlich)

a) Die Frage, ob der vom Geschädigten gewählte Mietwagentarif erforderlich war i. S. d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, kann ausnahmsweise offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif in der konkreten Situation "ohne Weiteres" zugänglich gewesen wäre, so dass ihm eine kostengünstigere Anmietung unter dem Blickwinkel der ihm gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (im Anschluss an BGH vom 2.2.2010 - VI ZR 139/08, a. a. O., Rz. 12).

b) In diesem Zusammenhang kann auch das Angebot des Haftpflichtversicherers an den Geschädigten, ihm eine günstige Anmietmöglichkeit zu vermitteln, beachtlich sein.

 

Normenkette

BGB § 254 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 26.08.2015; Aktenzeichen 8 S 2232/15)

AG Nürnberg (Entscheidung vom 20.02.2015; Aktenzeichen 21 C 6266/14)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des LG Nürnberg-Fürth vom 26.8.2015 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger macht gegen den beklagten Haftpflichtversicherer restliche Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall vom 27.9.2012 geltend. Die Einstandspflicht der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit.

Rz. 2

Am Vormittag des 28.9.2012 führte der Kläger mit einem Mitarbeiter der Beklagten ein Telefonat über den vorgenannten Verkehrsunfall, wobei ihm nach dem Sachvortrag der Beklagten angeboten worden sei, ihm einen Mietwagen zu einem günstigen Tagespreis zu vermitteln. Darauf sei der Kläger jedoch nicht eingegangen. Am Nachmittag desselben Tages mietete der Kläger bei der Autovermietung L. GmbH ein dem unfallbeschädigten Pkw vergleichbares Mietfahrzeug an. Für die Mietdauer bis zum 12.10.2012 berechnete ihm das Mietwagenunternehmen Kosten i. H. v. 1.632,82 EUR. Die Beklagte zahlte an den Kläger lediglich Mietwagenkosten i. H. v. 570 EUR, die bei Anmietung eines Mietfahrzeuges zu einem Tagesmietpreis von 38 EUR angefallen wären. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger den Differenzbetrag von 1.062,82 EUR nebst Zinsen geltend.

Rz. 3

Das AG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 4

Das Berufungsgericht ist nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass dem Kläger ohne Weiteres eine ihm seitens der Beklagten nachgewiesene günstigere Anmietmöglichkeit zugänglich gewesen wäre. Der Aussage des Zeugen P., des Mitarbeiters der Beklagten, sei zu entnehmen, dass ein Hinweis erfolgt sei, dass der Kläger bei Einschaltung der Beklagten ein Ersatzfahrzeug über die Firma Europcar oder Enterprise zu einem Tagespreis von 38 EUR inklusive sämtlicher Nebenkosten hätte anmieten können. Indem der Kläger das ihm zumutbare Mietwagenangebot nicht angenommen habe, habe er gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen. Es stelle einen groben Verstoß gegen die auch im Rahmen der Erstattung von Mietwagenkosten geltende Schadensminderungspflicht des Geschädigten dar, wenn dieser grundlos eine Möglichkeit ausschlage, ein günstigeres Angebot wahrzunehmen. Deshalb könne er nur die Mietwagenkosten ersetzt verlangen, die ihm bei Wahrnehmung des Vermittlungsangebots der Beklagten entstanden wären. Diese seien vorgerichtlich bereits i. H. v. 570 EUR gezahlt worden.

II.

Rz. 5

Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

Rz. 6

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann der Geschädigte vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand grundsätzlich den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren, von mehreren möglichen Wegen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann (vgl. etwa BGH, Urt. v. 2.2.2010 - VI ZR 139/08, VersR 2010, 545 Rz. 10 und vom 18.12.2012 - VI ZR 316/11, VersR 2013, 330 Rz. 8, jeweils m. w. N.).

Rz. 7

2. Die Frage, ob der vom Geschädigten gewählte Tarif erforderlich war i. S. d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, kann ausnahmsweise offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif in der konkreten Situation "ohne Weiteres" zugänglich gewesen wäre, so dass ihm eine kostengünstigere Anmietung unter dem Blickwinkel der ihm gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (vgl. BGH, Urt. v. 2.2.2010 - VI ZR 139/08, a. a. O., Rz. 12). So liegt der Fall hier. Die Feststellungen des Berufungsgerichts, dass die seitens der Beklagten dem Kläger angebotenen günstigeren Anmietmöglichkeiten "ohne Weiteres" zugänglich gewesen wären, lassen entgegen der Auffassung der Revision keinen Rechtsfehler erkennen.

Rz. 8

3. Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gem. § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 16.4.2013 - VI ZR 44/12, VersR 2013, 1045 Rz. 13 m. w. N.). Einen solchen Fehler zeigt die Revision nicht auf.

Rz. 9

a) Die Revision geht selbst davon aus, dass nach der vorgenannten Rechtsprechung des erkennenden Senats das Angebot des Haftpflichtversicherers an den Geschädigten, ihm ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung zu stellen oder zu vermitteln, beachtlich sein kann (vgl. zur Schadensgeringhaltungspflicht bei der Verwertung von Unfallfahrzeugen BGH, Urt. v. 1.6.2010 - VI ZR 316/09, VersR 2010, 963 Rz. 9 f.). Sie meint jedoch, die Vorinstanzen hätten nicht festgestellt, dass der Mitarbeiter der Beklagten dem Kläger mitgeteilt habe, was er zur Anmietung dieses Fahrzeugs hätte tun müssen, wo es sich befinde, und ab wann es zur Verfügung stehe. Für den Kläger sei deshalb in keiner Weise überprüfbar gewesen, ob das Angebot der Beklagten überhaupt zu einem "zugänglichen Fahrzeug" hätte führen können.

Rz. 10

b) Die Rüge der Revision, die Vorinstanzen hätten keine hinreichenden Feststellungen zur Zugänglichkeit der von der Beklagten vorgeschlagenen Mietwagenangebote getroffen, hat keinen Erfolg. Das AG, dessen Beweiswürdigung das Berufungsgericht folgt, hat sich nämlich nicht - wie die Revision geltend macht - mit der Feststellung begnügt, es bestehe kein Zweifel daran, dass eine Fahrzeuganmietung zu den vom Zeugen genannten Preisen tatsächlich möglich gewesen wäre. Es hat sich dabei vielmehr auf die als glaubhaft angesehene Aussage des Zeugen P. gestützt, wonach dieser regelmäßig - sollte vom Geschädigten ein Mietwagen gewünscht werden - dessen Telefonnummer notiere und an das Mietwagenunternehmen weitergebe, welches sich dann bei dem Geschädigten melde und Zeitpunkt und Art der Fahrzeugzustellung vereinbare. Da die genauen Übergabemodalitäten (sinnvollerweise) dabei unmittelbar zwischen dem von der Beklagten vermittelten Mietwagenunternehmen und dem Kläger vereinbart werden können, musste dem Kläger - entgegen der Ansicht der Revision - nicht bereits seitens des Haftpflichtversicherers mitgeteilt werden, wo sich das Fahrzeug befindet und ab wann es konkret zur Verfügung gestellt wird.

Rz. 11

c) Aus den Ausführungen des AG ergibt sich weiter, dass sich dessen Überzeugungsbildung auch darauf gründet, dass der Zeuge im Einzelnen dargelegt habe, wie problemlos eine solche Anmietung üblicherweise stattfinde. Er habe ausgesagt, er könne aus Erfahrung sagen, dass ein solches Fahrzeug zur Verfügung gestellt werde. In seiner langjährigen Bearbeitungszeit sei es niemals vorgekommen, dass ein Fahrzeug nicht zum entsprechenden Zeitpunkt zur Verfügung gestanden habe. Bei dem Fahrzeug des Klägers habe es sich auch keineswegs um ein "Exotenfahrzeug" gehandelt, für das ein großes Mietwagenunternehmen kein entsprechendes oder gleichwertiges Fahrzeug anbieten könne. Darüber hinaus werde in Fällen, in denen ein klassengleiches Fahrzeug nicht vorhanden sei, notfalls ohne Aufpreis ein höherwertiges zur Verfügung gestellt.

Rz. 12

4. Nach alledem durfte sich auch das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler in tatrichterlicher Würdigung die Überzeugung bilden, dass die von der Beklagten vorgeschlagenen Anmietmöglichkeiten dem Kläger "ohne Weiteres" zugänglich gewesen wären. Aufgrund dieser Feststellungen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht in der Anmietung eines teureren Mietfahrzeuges durch den Kläger einen Verstoß gegen die sich aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebende Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens gesehen und nur die Mietwagenkosten als ersatzfähig erachtet hat, die dem Kläger bei Wahrnehmung des Vermittlungsangebots der Beklagten entstanden wären. Die Revision zeigt keinen übergangenen Sachvortrag auf, wonach es dem Kläger unzumutbar gewesen sein könnte, den Mietwagen nicht von den von der Beklagten benannten Mietwagenunternehmen, sondern zu einem wesentlich höheren Preis bei dem von ihm ausgewählten Unternehmen anzumieten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 9499895

BB 2016, 1666

NJW 2016, 2402

DAR 2016, 507

DAR 2017, 305

JZ 2016, 508

MDR 2016, 8

MDR 2016, 881

NZV 2016, 4

NZV 2016, 419

VersR 2016, 1071

DV 2017, 4

NJW-Spezial 2016, 458

VRA 2016, 130

VRA 2016, 163

VRR 2016, 9

r+s 2016, 431

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