Leitsatz (amtlich)

Ein zur Unanwendbarkeit des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB führender triftiger Grund liegt jedenfalls nicht vor, wenn der Gläubiger nach einer Bezifferung seiner Schadensersatzansprüche im Mahnverfahren zur Reduzierung seines Prozessrisikos diese Ansprüche im Streitverfahren nicht in voller Höhe geltend macht, um das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens abzuwarten.

 

Normenkette

BGB § 204 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 14.11.2012; Aktenzeichen 7 U 28/12)

LG Lüneburg (Urteil vom 13.01.2012; Aktenzeichen 2 O 223/08)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Celle vom 14.11.2012 teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Auf die Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Lüneburg vom 13.1.2012 unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 34.528,03 EUR nebst Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 31.787,13 EUR für die Zeit vom 18.1.2008 bis zum 6.6.2011 und aus 34.528,03 EUR seit dem 7.6.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den erst- und zweitinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 46 % und der Beklagte 54 % zu tragen.

Von den Kosten des Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahrens haben die Klägerin 53 % und der Beklagte 47 % zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen Mängeln der Bauleistung nach Kündigung des zwischen den Parteien am 24.6.2003 geschlossenen Bauvertrages über die Errichtung eines Bürogebäudes. Soweit für die Revision noch von Interesse, begehrt sie einen Betrag von 19.000 EUR für die fehlerhafte Holzunterkonstruktion des vom Beklagten neu zu errichtenden Obergeschosses.

Rz. 2

Nachdem es im Juli 2004 zum wiederholten Male zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien gekommen war, erklärte der Beklagte im August 2004 die fristlose Kündigung des Vertrages. Mit Anwaltsschreiben vom 23.12.2004 nahm die Klägerin den Beklagten auf Erstattung einer Überzahlung in Anspruch.

Rz. 3

Wegen der von ihr behaupteten Mängel der Bauleistung hat die Klägerin zunächst einen Mahnbescheid über einen Betrag von 97.803,09 EUR beantragt. Der Mahnbescheidsantrag ist am 27.12.2007 bei Gericht eingegangen. Mit Anspruchsbegründung vom 29.1.2009 hat die Klägerin Forderungen i.H.v. 42.787,13 EUR, darunter 8.000 EUR als "mindestens" erforderliche Kosten für die Beseitigung der Mängel der Holzunterkonstruktion, in das streitige Verfahren übergeleitet. Nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens hat die Klägerin ihre Klage mit am 1.6.2011 beim LG eingegangenem Schriftsatz auf 64.367,13 EUR, davon 19.000 EUR für die Mangelbeseitigung der Holzunterkonstruktion, erweitert. Der Beklagte erhebt insoweit die Einrede der Verjährung.

Rz. 4

Das LG hat den Beklagten zur Zahlung von 61.367,13 EUR nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht den von dem Beklagten zu zahlenden Betrag auf 45.528,03 EUR nebst Zinsen, darunter 19.000 EUR für die mangelhafte Holzunterkonstruktion, reduziert.

Rz. 5

Der Senat hat die Revision zugunsten des Beklagten insoweit beschränkt zugelassen, als das Berufungsgericht ihn über einen Betrag von 8.000 EUR nebst Zinsen hinaus zur Zahlung weiterer 11.000 EUR nebst Zinsen für die mangelhafte Holzunterkonstruktion verurteilt hat. In diesem Umfang erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 6

Die Revision hat im Umfang ihrer Zulassung Erfolg.

I.

Rz. 7

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, hinsichtlich der Ansprüche der Klägerin wegen der mangelhaften Holzunterkonstruktion i.H.v. 19.000 EUR sei keine Verjährung eingetreten, auch wenn mit der Klagebegründung vom 29.1.2009 insoweit lediglich ein Betrag von 8.000 EUR geltend gemacht und die Klage erst am 1.6.2011 auf 19.000 EUR erweitert worden sei.

Rz. 8

Zwar sei die Klageerweiterung nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt. Diese betrage gem. § 634a Abs. 1 BGB fünf Jahre und habe mit dem Schreiben der Klägerin vom 23.12.2004 zu laufen begonnen. Mit diesem Schreiben, mit dem die Rückzahlung der Überzahlungen begehrt und wegen der Mängel Schadensersatzansprüche vorbehalten worden seien, werde seitens der Klägerin dokumentiert, dass sie vom Beklagten keine Leistungen mehr verlange. Eine Abnahme sei aber dann entbehrlich, wenn der Besteller nicht mehr Erfüllung des Vertrages, sondern Schadensersatz verlange und damit nur noch ein Abrechnungsverhältnis bestehe. Der weitere Ablauf der Verjährungsfrist sei durch den Mahnbescheidsantrag vom 27.12.2007 gehemmt worden. Nachdem das Verfahren in der Zeit nach dem 29.7.2008 nicht betrieben worden sei, hätte gem. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die Verjährungshemmung am 29.1.2009 für den Teil des mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Anspruchs, der von der Anspruchsbegründung vom 29.1.2009 nicht erfasst gewesen sei, geendet. Für diesen Teil seien zwischen dem Ende der Hemmung und dem Eingang der Klageerweiterung am 1.6.2011 mehr als zwei weitere Jahre vergangen mit der Folge, dass die mit der Klageerweiterung geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich verjährt seien.

Rz. 9

Hinsichtlich der mit der Klageerweiterung geltend gemachten weiteren 11.000 EUR für die mangelhafte Holzunterkonstruktion habe die Verjährungshemmung jedoch entgegen § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB angedauert. Diese Vorschrift sei nicht anzuwenden, wenn für das Untätigbleiben des Berechtigten ein triftiger und für den Prozessgegner erkennbarer Grund bestanden habe, der auch prozesswirtschaftlicher Art sein könne. Für die Klägerin habe ein solcher Grund darin bestanden, dass sie für die Bezifferung ihres gesamten Anspruchs hinsichtlich der mangelhaften Holzunterkonstruktion noch das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens habe abwarten wollen und daher "aus Vorsicht" zunächst nur einen Mindestschaden von 8.000 EUR eingeklagt habe.

II.

Rz. 10

Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf Zahlung des erst mit der Klageerweiterung geltend gemachten weiteren Betrages von 11.000 EUR für die mangelhafte Holzunterkonstruktion verjährt.

Rz. 11

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht noch davon ausgegangen, dass die am 1.6.2011 bei Gericht eingegangene Klageerweiterung außerhalb der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgte. Diese Frist begann mit dem Schreiben der Bevollmächtigten der Klägerin vom 23.12.2004 zu laufen, mit dem der Übergang in das Abrechnungsverhältnis bewirkt wurde (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.2006 - VII ZR 146/04, BGHZ 167, 345 Rz. 20 ff.). Die Verjährung wurde sodann durch die Einleitung des Mahnverfahrens am 27.12.2007 gehemmt. Ebenfalls noch zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, dass infolge des Nichtbetreibens des Verfahrens in der Zeit nach dem 29.7.2008 gem. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die Verjährungshemmung am 29.1.2009 für den nicht von der Anspruchsbegründung vom 29.1.2009 umfassten Teil des mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Anspruchs hätte enden müssen, so dass die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits vor Eingang der Klageerweiterung am 1.6.2011 abgelaufen wäre.

Rz. 12

2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB hinsichtlich des mit der Klageerweiterung geltend gemachten weiteren Betrages von 11.000 EUR für die mangelhafte Holzunterkonstruktion keine Anwendung finde.

Rz. 13

a) Zwar kann nach der Rechtsprechung des BGH § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB unanwendbar sein, wenn für das Untätigbleiben des Gläubigers ein triftiger Grund vorliegt. Triftige Gründe sind danach etwa das Abwarten des Ausgangs eines einschlägigen Strafverfahrens, das Zuwarten im Deckungsprozess auf den Ausgang des Haftungsprozesses oder das Ruhen des Verfahrens zur Beschaffung von Beweisen (Beispiele bei Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl., § 204 Rz. 47). Hierbei kommt es weder auf eine Absicht der Parteien an, die verjährungsrechtlichen Regelungen zu umgehen, noch auf bloße Motive, mögen diese auch als vernünftig erscheinen. Maßgeblich sind die nach außen erkennbaren Umstände des Prozessstillstands, aus denen der erforderliche triftige Grund für die Untätigkeit der betreffenden Partei hervorgehen muss (st.Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2009 - II ZR 32/08, NJW 2009, 1598 Rz. 27; Urt. v. 18.10.2000 - XII ZR 85/98, NJW 2001, 218, 219; BGH, Urt. v. 27.1.1999 - XII ZR 113/97, NJW 1999, 1101, 1102; Urt. v. 24.1.1989 - XI ZR 75/88, BGHZ 106, 295, 299). Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob und inwieweit an dieser zu § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. entwickelten Rechtsprechung angesichts der Neuregelung des Verjährungsrechts im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz uneingeschränkt festzuhalten ist, denn ein solcher triftiger Grund liegt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht vor.

Rz. 14

b) Er ist nicht darin zu sehen, dass die Klägerin für die Bezifferung ihres gesamten Anspruchs hinsichtlich der mangelhaften Holzunterkonstruktion noch das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens abwarten wollte und daher "aus Vorsicht" zunächst nur einen Mindestschaden von 8.000 EUR eingeklagt hat.

Rz. 15

Diese Auffassung des Berufungsgerichts steht auch mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen, unter denen eine Verjährungshemmung gem. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB endet, nicht in Einklang.

Rz. 16

Danach ist ein zur Unanwendbarkeit des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB führender triftiger Grund für das Nichtbetreiben des Verfahrens etwa dann nicht gegeben, wenn eine Partei, ohne dass besondere Umstände vorliegen, lediglich wegen außergerichtlicher Verhandlungen der Parteien das Verfahren nicht weiter betreibt (vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2009 - II ZR 32/08, NJW 2009, 1598 Rz. 28; Urt. v. 18.10.2000 - XII ZR 85/98, NJW 2001, 218, 219; Urt. v. 27.1.1999 - XII ZR 113/97, NJW 1999, 1101, 1102). Ein triftiger Grund für das Nichtbetreiben des Verfahrens liegt auch dann nicht vor, wenn eine Partei lediglich aus prozesswirtschaftlichen Erwägungen den Ausgang eines Musterprozesses abwartet (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2000 - XII ZR 85/98, NJW 2001, 218, 219; Urt. v. 23.4.1998 - III ZR 7/97, NJW 1998, 2274, 2276; Urt. v. 21.2.1983 - VIII ZR 4/82, NJW 1983, 2496, 2497).

Rz. 17

Hier gilt nichts anderes. Ebenso wie in den Fällen, in denen die Parteien den Ausgang eines Musterprozesses abwarten wollen, bevor sie das Verfahren weiter betreiben, dient auch in der vorliegenden Fallgestaltung, bei der die Klägerin nach Bezifferung ihrer Ansprüche im Mahnverfahren auf eine volle Bezifferung dieser Ansprüche im Streitverfahren zunächst verzichtet, das Nichtbetreiben des Verfahrens ausschließlich der Reduzierung des Prozessrisikos der Partei. Das rechtfertigt es nicht, dass trotz Nichtbetreibens des Verfahrens hinsichtlich der noch nicht geltend gemachten Ansprüche die Hemmung der Verjährung aufrechterhalten bleibt, und zwar auch dann nicht, wenn wie hier noch ein Sachverständigengutachten zur Mängelfrage eingeholt wird. Kann der Kläger seinen Anspruch noch nicht abschließend beziffern, so ist es ihm regelmäßig möglich und zuzumuten, eine Feststellungsklage zu erheben oder eine Leistungsklage mit einer Feststellungsklage zu verbinden.

Rz. 18

Für den Beklagten wäre entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts der vermeintliche triftige Grund auch nicht erkennbar gewesen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 6.5.2009 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie den über den Zahlungsantrag aus der Antragsbegründungsschrift vom 29.1.2009i.H.v. 42.787,13 EUR hinausgehenden Zahlungsantrag aus dem Mahnbescheid nicht weiter verfolge. Die Klägerin teilt hier mit, in Höhe des Differenzbetrages sei eine Klagerücknahme nicht angezeigt, weil "Gegenstand des streitigen Verfahrens" entsprechend ihrem Streitantrag nur der Betrag von 42.787,13 EUR sei; sollte jedoch das Gericht der Auffassung sein, dass die volle Summe des Mahnbescheidsantrages in das Streitverfahren übergegangen sei, werde "hiermit der Antrag auf Durchführung des Streitverfahrens hinsichtlich des Betrages von 55.015,96 EUR zurückgenommen".

III.

Rz. 19

Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben, soweit der Beklagte über den Betrag von 8.000 EUR nebst Zinsen hinaus zur Zahlung weiterer 11.000 EUR nebst Zinsen für die mangelhafte Holzunterkonstruktion verurteilt worden ist. Insoweit ist die Klage abzuweisen, § 563 Abs. 3 ZPO.

IV.

Rz. 20

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 7712552

NJW 2015, 1588

BauR 2015, 1161

EBE/BGH 2015, 141

IBR 2015, 328

JurBüro 2015, 444

WM 2015, 1079

ZAP 2015, 409

JZ 2015, 286

MDR 2015, 496

ZfBR 2015, 471

NJW-Spezial 2015, 365

NZBau 2015, 363

FMP 2015, 118

Jura 2015, 1006

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