Leitsatz (amtlich)

Ein Geschäftsführer darf eine langjährig praktizierte Geschäftspolitik (nahezu ausschließliche Zusammenarbeit mit einem bestimmten anderen Unternehmen) nicht ändern, ohne die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen.

 

Tatbestand

Der Kläger wurde im Jahre 1986 zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Beklagten, einer GmbH, bestellt. Diese entwickelt und vertreibt u.a. Datenverarbeitungsprogramme. Sie arbeitet in erster Linie mit der Firma H. (H.) zusammen, deren Produkte sie vertreibt. Die Programme der Beklagten werden fast ausschließlich auf H.-Hardware eingesetzt und sind für die Hardware der Konkurrenz, etwa der Firmengruppe D. (D.), nicht verwendbar. Nach § 1 Abs. 2 und 3 des Anstellungsvertrages vom 17. November 1986 bedurfte der Kläger zur „Weitergabe von Quellprogrammen” der Zustimmung der Gesellschafterversammlung und des Mitgeschäftsführers und Mehrheitsgesellschafters P., der 60% des Stammkapitals der Beklagten hält. Am 23. Oktober 1987 wurde der Kläger von der Gesellschafterversammlung abberufen; gleichzeitig wurde der Anstellungsvertrag fristlos gekündigt. Dem Kläger wurde vorgeworfen, er habe Quellprogramme unbefugt weitergegeben und es müsse befürchtet werden, daß er dieses Verhalten fortsetzen werde.

Der Kläger, der die Kündigung für unwirksam hält, hat u.a. rückständiges Gehalt zuzüglich einer Tantieme in Höhe von insgesamt 35.100,– DM nebst Zinsen eingeklagt und zur Berechnung der Tantiemeansprüche Auskunft über das Jahresergebnis 1987 verlangt. Die Beklagte hat hilfsweise mit einem Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger Vorenthaltung des Dienstwagens des Klägers aufgerechnet.

Das Landgericht hat durch Teilurteil der Klage hinsichtlich des genannten Zahlungsanspruchs und des Anspruchs auf Auskunftserteilung stattgegeben. In der Berufungsinstanz haben die Parteien den Rechtsstreit wegen des Auskunftsanspruchs übereinstimmend für erledigt erklärt. Im übrigen hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und ihr die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt. Die Revision der Beklagten hat der Senat durch Beschluß als unzulässig verworfen, soweit sie sich dagegen richtete, daß das Berufungsgericht die Kosten des für erledigt erklärten Auskunftsanspruchs der Beklagten auferlegt hat. Im übrigen verfolgt die Beklagte den Antrag auf Klageabweisung weiter, soweit das Berufungsgericht darüber entschieden hat. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat den – der Höhe nach unstreitigen – Zahlungsanspruch für begründet gehalten. Der Kläger habe zwar, so hat es ausgeführt, im Mai und September 1987 Quellprogramme der Beklagten zu Testzwecken in einem Umfang an ein anderes Unternehmen, die D.-Gruppe, weitergegeben, der grundsätzlich über das hinausgehe, wozu er im Rahmen des üblichen Geschäftsbetriebs befugt gewesen sei. Dies sei aber hier deswegen unschädlich gewesen, weil die übergebenen Programme – wenn auch in einem Fall ohne Wissen des Klägers – gegen unbefugte Benutzung durch Dritte gesichert gewesen seien und der Mitgeschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter P. mit der Weitergabe einverstanden gewesen sei; daß der daneben erforderliche Gesellschafterbeschluß nicht herbeigeführt worden sei, habe angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft kein die fristlose Kündigung rechtfertigendes Gewicht.

Diese Beurteilung ist nicht in jeder Hinsicht rechtsfehlerfrei.

1. Sie ist allerdings nicht zu beanstanden, soweit es allein darum geht, ob die Testversuche von Mai und September 1987 zu dem Zweck unternommen werden durften, durch eine begrenzte Zusammenarbeit mit der D.-Gruppe die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Firma Sch., eine Kundin der Beklagten, die ihre Hardware von H. auf D. umgestellt hatte, weiter mit der von der Beklagten hergestellten Software beliefert werden konnte.

a) Die Revision wendet sich zunächst dagegen, daß das Berufungsgericht gemeint hat, die Weitergabe der Programme sei deswegen nicht als ungewöhnliche und damit der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürftige Geschäftsführungsmaßnahme zu werten, weil wegen der durch den Mitarbeiter M. getroffenen Sicherheitsmaßnahmen die Interessen der Gesellschaft nicht gefährdet worden seien. Ob das Berufungsurteil so zu verstehen ist, ist nicht ganz zweifelsfrei. Seinen Ausführungen ist aber jedenfalls in ihrem Zusammenhang zu entnehmen, daß es die Vorfälle von Mai und September 1987 nicht als ausreichende Grundlage für eine außerordentliche Kündigung angesehen hat, weil der Beklagten nicht nur kein Schaden entstanden sei, sondern ein solcher auch nicht ernstlich gedroht habe. Das ist, soweit es nur um jene Vorfälle als solche geht, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Ob ein bestimmtes Verhalten als wichtiger Grund für eine Kündigung zu werten ist, ist, solange der Rechtsbegriff des wichtigen Grundes nicht verkannt ist, eine tatrichterliche Frage, die vom Revisionsgericht nur daraufhin zu überprüfen ist, ob der Tatrichter das ihm dabei eingeräumte Ermessen überschritten, insbesondere wesentliche Tatsachen außer acht gelassen oder nicht vollständig gewürdigt hat (BGH, Urt. v. 28. April 1960 – VII ZR 218/59, LM BGB § 626 Nr. 10; Sen.Urt. v. 21. April 1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761). Solche Rechtsfehler sind hier, soweit es nur um die Weitergabe der Quellprogramme in jenen beiden Fällen geht, nicht ersichtlich.

b) Die Revision rügt weiter, die Feststellung des Berufungsgerichts, P. sei mit dem Vorgehen des Klägers einverstanden gewesen, beruhe auf Verfahrensfehlern; jedenfalls hätte das Berufungsgericht einer derartigen Zustimmung nicht ein solches Gewicht beimessen dürfen, daß das Übergehen der Gesellschafterversammlung kein wichtiger Grund gewesen wäre. Auch dieser Revisionsangriff ist unbegründet, soweit es um die Übergabe der Quellprogramme im Zusammenhang mit der Lösung der im Verhältnis zur Firma Sch. entstandenen Probleme geht. Das Berufungsgericht hat dem Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme entnommen, daß P. von den damit in Zusammenhang stehenden Portierbarkeitsversuchen unterrichtet war. Soweit die Revision versucht, die Richtigkeit dieser Beweiswürdigung in Zweifel zu ziehen, ist dies revisionsrechtlich unzulässig. Verfahrensfehler vermag sie in diesem Zusammenhang nicht aufzuzeigen.

Es ist im Ergebnis auch nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht den Verstoß gegen die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung, den es als solchen erkannt hat, nicht für schwerwiegend genug gehalten hat, eine Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Es ist allerdings bedenklich, wenn das Berufungsgericht es als „bloßen Formalismus” bezeichnet, auf der Einschaltung der Gesellschafterversammlung zu bestehen. Ein Geschäftsführer, der die Gesellschafterversammlung übergeht, kann sich nicht darauf berufen, er hätte einen sein Verhalten deckenden Mehrheitsbeschluß herbeiführen können; denn anderenfalls würden die Mitwirkungsrechte der Minderheitsgesellschafter in unzulässiger Weise unterlaufen (Hachenburg/Mertens, GmbHG 7. Aufl. § 43 Rdn. 69; Rowedder/Koppensteiner, GmbHG 2. Aufl. § 43 Rdn. 27; Fleck, GmbHR 1974, 224, 226). Das hindert den Tatrichter aber nicht, es im Einzelfall im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse nicht als wichtigen Grund zur Kündigung zu werten, wenn ein Geschäftsführer sich in einer Angelegenheit, in der die Gesellschafterversammlung hätte eingeschaltet werden müssen, mit dem Einverständnis des Mehrheitsgesellschafters begnügt.

2. Die Würdigung des Tatsachenstoffs, die das Berufungsgericht vorgenommen hat, ist trotzdem insgesamt unzureichend und damit rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat sich ausdrücklich auf die Prüfung beschränkt, ob der Kläger gegen § 1 Abs. 2 und 3 seines Anstellungsvertrages verstoßen habe, indem er Quellprogramme ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung oder zumindest des Mehrheitsgesellschafters und Mitgeschäftsführers weitergegeben habe. Unter diesem Gesichtspunkt hat es die beiden Vorfälle im Mai und September 1987 als für die Gesellschaft letztlich ungefährliche und unschädliche Einzelaktionen beurteilt, die wegen des durch den Fall der Kundin Sch. aufgetretenen Bedürfnisses gerechtfertigt und durch die Zustimmung des Mehrheitsgesellschafters gedeckt gewesen seien. Damit hat es den vorgetragenen Tatsachenstoff unter einem zu engen rechtlichen Blickwinkel gewürdigt. Ein die Kündigung rechtfertigender Grund setzt nicht zwingend voraus, daß der Kläger gegen jene Bestimmungen des Anstellungsvertrages verstoßen hat. Eine außerordentliche Kündigung ist unabhängig von der besonderen vertraglichen Regelung auch und schon dann zulässig, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (§ 626 Abs. 1 BGB).

Die Beklagte hat während des gesamten Rechtsstreits mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß sie bisher ausschließlich mit H. zusammengearbeitet habe und daß zwischen ihr und H. eine Art „Symbiose” bestehe. Sie hat geltend gemacht, der Kläger und der weitere Mitgeschäftsführer Dr. K. hätten angestrebt, die darin zum Ausdruck kommende Geschäftspolitik langfristig zu ändern. Der Kläger hat dies nicht ernstlich in Abrede genommen. Er hat vorgetragen, es sei eine „behutsame Öffnung auf andere Herstellerfirmen” geplant gewesen; er habe als zur Entwicklung und Reorganisation eingestellter Geschäftsführer „die Übertragbarkeit von vorhandenen Programmen auf andere Hardware zu eruieren” gehabt. In einem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 13. Februar 1990 hat der Kläger selbst ausgeführt, es habe „eruiert werden (sollen), ob der Geschäftszweck der Beklagten erweitert werden” könne; er und Dr. K. seien „nicht so sehr in den Traditionen der Beklagten verhaftet (gewesen), als dies der heutige Geschäftsführer der Beklagten (P.) ist”, und sie hätten „deshalb Neuerungen stärker befürwortet als letzterer”.

Dieser Prozeßstoff bietet Anhaltspunkte dafür, daß die beiden Testversuche im Mai und September 1987 Teil einer umfassenden Neuorientierung der Geschäftspolitik waren. Derartige Maßnahmen und Entscheidungen, die den Rahmen des bisherigen Geschäftsbetriebs sprengen, gehören schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht zur Zuständigkeit des Geschäftsführers, sondern müssen von den Gesellschaftern getroffen werden (Hachenburg/Mertens aaO § 37 Rdn. 4; Scholz/U. H. Schneider, GmbHG 7. Aufl. § 37 Rdn. 14; a.A. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG 15. Aufl. § 37 Rdn. 6); der Gesellschaftsvertrag der Beklagten bestimmt dies in § 11 Abs. 2 Buchst. c ausdrücklich. Ging es um eine Znderung der Grundlagen der Geschäftspolitik, dann stellt sich die Frage, ob ein solcher Verstoß gegen das Organisationsrecht der Gesellschaft die Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigt, anders, als es das Berufungsgericht bisher gesehen hat. Es wird dann nicht so sehr darauf ankommen, ob die Gesellschaft durch die beiden Einzelaktionen konkret gefährdet worden ist, sondern eher darauf, ob gewährleistet war, daß der Kläger in Zukunft die ihm vorgegebenen Grundlagenentscheidungen der Gesellschafter ernst nahm. Was die Zustimmung des Mehrheitsgesellschafters betrifft, wird für die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie den Kläger entlasten könnte, darauf abzustellen sein, ob jener nicht nur die auf die Weiterbelieferung der Firma Sch. zugeschnittenen Testversuche, sondern auch die weitergehenden Planungen des Klägers (und des Mitgeschäftsführers Dr. K.) mittrug. Dabei könnte es eine Rolle spielen, daß bei dem Treffen mit Vertretern der D.-Gruppe am 22. Mai 1987 unstreitig auch Programme übergeben worden sind, die die Firma Sch. bis dahin nicht verwendet hatte. Die Beklagte hat weiter behauptet, der Kläger und Dr. K. hätten ihrem Mitgeschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter P. auf der auch vom Berufungsgericht erwähnten Geschäftsleiterbesprechung am 19. Mai 1987 die bereits für den 22. Mai 1987, also drei Tage später, vorgesehene Übergabe der Quellprogramme an D. verschwiegen. P. hat freilich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts später davon erfahren, ohne sich dagegen auszusprechen. Das besagt aber noch nicht, daß er den mit dem Testversuch verbundenen Zweck kannte und billigte. Wäre es so gewesen, dann wäre nicht ohne weiteres verständlich, warum er so ungehalten reagierte, als er am 21. September 1987 entdeckte, daß M. zu einem D.-Schulungskurs fahren und sechs – weitere – Quellprogramme mitnehmen wollte. Die Beklagte hat ferner behauptet, P. habe nichts davon gewußt, daß der Kläger Kontakt mit der Firma Ho., einem weiteren Konkurrenzunternehmen von H., aufgenommen habe; die Aufdeckung dieses Umstands war ausweislich des Protokolls über die Gesellschafterversammlung vom 23. Oktober 1987 auch der Grund für die sofortige Beurlaubung des Klägers. Dieser selbst scheint bisher nicht geltend gemacht zu haben, daß jene Kontaktaufnahme etwas mit den Problemen zu tun gehabt hätte, die im Verhältnis zur Firma Sch. aufgetreten waren (vgl. hierzu S. 6f. des Schriftsatzes des Klägers vom 3. Dezember 1987, GA 92f.). P. hat jedenfalls, wie der Kläger selbst vorgetragen hat, einen im Oktober 1987 verabredeten Besuch des Klägers bei Ho., als er davon erfuhr, sofort untersagt, womit der Kläger nicht einverstanden war.

3. Die Verurteilung der Beklagten läßt sich danach mit der bisherigen Begründung nicht aufrechterhalten. Das Berufungsgericht wird den vorgetragenen Sachverhalt unter den unter 2. genannten Gesichtspunkten erneut zu würdigen haben. Soweit erforderlich, wird es, was bisher von seinem Standpunkt aus zu Recht unterblieben ist, der Frage nachgehen müssen, ob die zweiwöchige Kündigungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB gewahrt worden ist (vgl. dazu Sen.Urt. v. 17. März 1980 – II ZR 178/79, WM 1980, 975f. = ZIP 1980, 661f.); der Kläger bestreitet das.

II. Für den Fall, daß das Berufungsgericht den Klageanspruch als solchen erneut bejahen sollte, ist zu der von der Beklagten erklärten Hilfsaufrechnung zu bemerken:

Die Beklagte macht mit ihr einen Anspruch auf Ersatz des Schadens geltend, der ihr deswegen entstanden sein soll, weil der Kläger den Dienstwagen, den er nach dem Anstellungsvertrag auch privat nutzen durfte, nach seiner Abberufung als Geschäftsführer zunächst nicht herausgegeben hat. Das Berufungsgericht hat die Aufrechnung als unbegründet an gesehen. Der dagegen gerichtete Angriff der Revision ist nicht gerechtfertigt. Der Kläger durfte das Fahrzeug grundsätzlich auch nach seiner Abberufung bis zur Beendigung seines Anstellungsverhältnisses privat weiterbenutzen (vgl. Sen.Urt. v. 8. Dezember 1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 111, und v. 9. April 1990 – II ZR 1/89, WM 1990, 1025, 1026 = ZIP 1990, 636). Er mußte es nur dann herausgeben, wenn die Beklagte für Geschäftszwecke auf das Fahrzeug angewiesen war; dann hatte er aber seinerseits Anspruch auf Ausgleich in Geld. Dafür, daß der Beklagten in der Zeit, als der Kläger das Fahrzeug noch besaß, ein konkreter, den dem Kläger zustehenden Nutzungswert übersteigender Schaden entstanden wäre, ist nichts vorgetragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 650010

BB 1991, 714

NJW 1991, 1681

ZIP 1991, 509

GmbHR 1991, 197

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