Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 30. Dezember 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin, Mutter zweier Söhne, ließ durch den beklagten Arzt am 11. Mai 1993 eine ambulante Sterilisation durch elektrische Koagulation mit anschließender Durchtrennung der Tuben durchführen. Der Text der vorgedruckten „Einwilligungserklärung”, die die Klägerin vor dem Eingriff unterzeichnete, gibt keine spezifischen Hinweise auf die Durchführung und möglichen Folgen einer Sterilisation; er enthält insbesondere keinen Hinweis auf die Versagerquote. In den Krankenunterlagen findet sich ein Vermerk des Beklagten, in dem es heißt:

„Mündliche Aufklärung über den Eingriff

(1) …

(2) sehr geringe Wahrscheinlichkeit, trotz Sterilisation schwanger zu werden.”

Im Februar 1994 stellte die Klägerin fest, daß sie wieder schwanger geworden war. Nachdem im Schwangerschaftsverlauf wiederholt Komplikationen aufgetreten waren, kam es in der 21. Schwangerschaftswoche zur Geburt eines toten Jungen.

Die Klägerin verlangt wegen der physischen und psychischen Belastungen der Schwangerschaft und Fehlgeburt von dem Beklagten ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 30.000 DM. Ferner macht sie geltend, daß ihr der Beklagte zum Ersatz ihrer mit der Fehlgeburt zusammenhängenden Aufwendungen in Höhe von insgesamt 23.886,80 DM verpflichtet sei. Außerdem begehrt sie die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz der weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus der fehlgeschlagenen Sterilisation. Die Klägerin wirft dem Beklagten eine fehlerhafte Durchführung des Eingriffs vor. Ferner habe es der Beklagte versäumt, sie darüber aufzuklären, daß trotz der Sterilisation ein Schwangerschaftsrestrisiko verbleibe; wäre sie über das Versagerrisiko einer Sterilisation aufgeklärt worden, dann hätte sie empfängnisverhütende Mittel verwendet.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Prozeßbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht ist auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gelangt, daß dem Beklagten ein Behandlungsfehler nicht unterlaufen sei; er habe weder den Zeitpunkt für die Sterilisation – mehr als drei Monate nach der Geburt des zweiten Sohnes der Klägerin – noch die Sterilisationsmethode fehlerhaft gewählt. Ebensowenig sei die Durchführung des Eingriffs zu beanstanden. Auch der Vorwurf eines Aufklärungsversäumnisses sei nicht gerechtfertigt. Es bedeute kein Aufklärungsversäumnis, daß der Beklagte die in Betracht kommenden Sterilisationsmethoden nicht im einzelnen mit der Klägerin erörtert habe; entscheidend sei, daß er ein bewährtes Operationsverfahren gewählt habe, das dem medizinischen Standard entsprochen habe. Die Klägerin könne ihre Schadensersatzansprüche auch nicht mit Erfolg darauf stützen, daß sie über das trotz der Sterilisation verbleibende Risiko einer erneuten Schwangerschaft nicht sachgerecht unterrichtet worden sei. Dabei komme es – was der Beklagte behaupte und die Klägerin bestreite – nicht darauf an, ob die Klägerin von dem Beklagten oder dem sie betreuenden Gynäkologen überhaupt über das mit dem Sterilisationseingriff verbundene Versagerrisiko aufgeklärt worden sei. Sie habe nämlich nicht bewiesen, daß eine solche Aufklärung sie veranlaßt hätte, von der Sterilisation Abstand zu nehmen oder neben der Sterilisation zusätzlich Verhütungsmittel zu verwenden. Dies bedeute, daß ein etwaiges Aufklärungsversäumnis des Beklagten für die Schwangerschaft, aus der die Klägerin ihre Schadensersatzansprüche herleite, nicht ursächlich geworden sei.

II.

Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis nicht stand.

1. Allerdings bleibt die Revision ohne Erfolg, soweit sie geltend macht, dem Berufungsgericht seien bei der tatrichterlichen Würdigung des Sachverständigengutachtens Versäumnisse unterlaufen.

Die Rüge der Revision, das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen sei in sich widersprüchlich und das Berufungsgericht habe dies dem Sachverständigen vorhalten müssen, greift nicht. Zwar hat der Sachverständige ausgeführt, daß vor allem bei der bipolaren Koagulation die Koagulationszange im mittleren Tubendrittel mehrmals neben- und übereinander angesetzt und so die Tube konfluierend koaguliert werden sollte. Hierbei handelt es sich indes, wie die Revisionserwiderung zu Recht ausführt, um eine allgemeine einleitende Bemerkung, der sich im übrigen nicht entnehmen läßt, daß nur ein solcher Einsatz der Koagulationszange eine fachgerechte Tubensterilisation gewährleistet. Soweit der Sachverständige anschließend auf den hier in Rede stehenden Eingriff zu sprechen kommt, lassen seine Ausführungen nicht erkennen, daß der Einsatz der Koagulationszange zu irgendwelchen Beanstandungen Anlaß gibt. Der Sachverständige hat im Gegenteil im einzelnen dargelegt, daß sich der lückenlosen Dokumentation im Operationsbericht keine Ursache für die Rekanalisation der Eileiter entnehmen lasse, die auf ein fehlerhaftes operatives Vorgehen zurückgeführt werden könnte. Dies hat der Sachverständige bei seiner Befragung vor dem Berufungsgericht wiederholt. Diese fallbezogenen Ausführungen, bei denen sich der Sachverständige auf den Operationsbericht und das vorliegende Fotomaterial gestützt hat, sind schlüssig und widerspruchsfrei; sie gaben dem Tatrichter keinen Anlaß zu irgendwelchen Vorhaltungen.

Die Revision hat auch keinen Erfolg, wenn sie geltend macht, das Berufungsgericht habe versäumt zu klären, welchen konkreten Zeitraum der Sachverständige im Auge gehabt habe, als er ausführte, daß bei einer laparoskopischen Tubensterilisation „unmittelbar” nach einer Schwangerschaft ein zwei- bis fünfmal höheres Schwangerschaftsrisiko bestehe. Hierzu ist einmal zu bemerken, daß auch dieser Hinweis Teil der allgemeinen einleitenden Ausführungen des Sachverständigen ist. Wenn dann der Sachverständige in seinen anschließenden Erwägungen zum konkreten Fall keinen Anlaß gesehen hat, unter diesem Gesichtspunkt Bedenken geltend zu machen, er vielmehr dargelegt hat, daß der Beklagte den Eingriff mit der zu fordernden ärztlichen Sorgfalt nach dem derzeit gültigen medizinischen Standard durchgeführt hat, bestand für das Berufungsgericht kein Anlaß, diesen Punkt zur Sprache zu bringen. Im übrigen war es dem Berufungsgericht unbenommen, in Wahrnehmung seiner Kompetenz zur tatrichterlichen Würdigung des Prozeßstoffs (§ 286 ZPO) zu dem Ergebnis zu gelangen, daß bei einem Abstand von mehr als drei Monaten nicht mehr von einer Sterilisation „unmittelbar” nach einer Schwangerschaft gesprochen werden kann.

2. Die Rügen der Revision greifen indes durch, soweit das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, die Klägerin habe nicht die Wahrheit ihrer Behauptung bewiesen, daß sie sich bei einer Aufklärung über das trotz einer Sterilisation verbleibende Risiko einer erneuten Schwangerschaft zur Verwendung zusätzlicher Verhütungsmittel entschlossen hätte.

Zwar geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß die Klägerin für ihre Behauptung die Beweislast trägt. Bei der Aufklärung des Patienten über das Versagerrisiko eines Sterilisationseingriffs handelt es sich um eine sog. Sicherungsaufklärung. Hier trifft – anders als bei der sog. Risikoaufklärung – den Patienten die Beweislast; er muß beweisen, wie er sich verhalten hätte, wenn ihn der Arzt aufgeklärt hätte (vgl. Senatsurteil vom 28. März 1989 – VI ZR 157/88 – VersR 1989, 700, 701). Das Berufungsgericht durfte jedoch nicht ohne Vernehmung des als Zeugen benannten Ehemannes der Klägerin den Prozeßstoff einer abschließenden tatrichterlichen Würdigung daraufhin unterziehen, ob die Klägerin ihre Behauptung bewiesen hat, daß sie Verhütungsmittel genommen hätte, wenn sie der Beklagte über das trotz der Sterilisation verbliebene Risiko einer erneuten Schwangerschaft aufgeklärt hätte. Die Klägerin hatte schon in der ersten Instanz behauptet und durch das Zeugnis ihres Ehemannes sowie ihre eigene Parteivernehmung unter Beweis gestellt, daß sie – hätte der Beklagte sie über das trotz der Sterilisation fortbestehende Schwangerschaftsrisiko aufgeklärt – empfängnisverhütende Mittel verwendet hätte, weil sie und ihr Ehemann auf keinen Fall ein weiteres Kind haben wollten. Sie hat dieses Vorbringen in der Berufungsbegründung wiederholt und geltend gemacht, daß ihre beantragte Vernehmung als Partei und die ihres Ehemannes als Zeuge nachgeholt werden müßten. Das Berufungsgericht, das dahinstehen läßt, ob der Klägerin durch den Beklagten oder den sie betreuenden Gynäkologen eine Aufklärung über das Versagerrisiko einer Sterilisation zuteil geworden ist, hat weder den Ehemann der Klägerin als Zeugen noch die Klägerin als Partei vernommen; es hat lediglich die Klägerin gemäß § 141 ZPO angehört. Wenn nun das Berufungsgericht auf dieser Grundlage eine Beweiswürdigung vornahm mit dem Ergebnis, daß es sich nicht davon habe überzeugen können, daß die Klägerin bei richtiger Belehrung Verhütungsmittel genommen hätte, so daß der Kausalitätsbeweis nicht geführt sei, dann unterlief ihm hierbei ein nach § 286 ZPO erheblicher Verstoß gegen das Gebot der Erschöpfung der Beweismittel. Nach diesem Gebot war das Berufungsgericht verpflichtet, vor einer abschließenden tatrichterlichen Würdigung des Prozeßstoffs dem Antrag der Klägerin auf Vernehmung ihres Ehemannes stattzugeben und das Ergebnis dieser Zeugenvernehmung in die Beweiswürdigung einzubeziehen.

 

Unterschriften

Groß, Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler, Dr. Greiner

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 25.01.2000 durch Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI557117

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