Entscheidungsstichwort (Thema)

Patentnichtigkeitsverfahren. Auslegung der Patentansprüche. Unangemessene Anspruchsbreite. Erfinderische Leistung

 

Leitsatz (amtlich)

Im Patentnichtigkeitsverfahren bedarf es der Feststellung des Gegenstands eines angegriffenen Patentanspruchs nur in dem Umfang, wie dies zur Prüfung der Bestandsfähigkeit des Patents gegenüber dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund erforderlich ist. Für diese Feststellung gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Feststellung des Sinngehalts und bei der Auslegung des Patents im Verletzungsstreit. Dabei darf im Nichtigkeitsverfahren nicht etwa deshalb eine einengende Auslegung der angegriffenen Patentansprüche zu Grunde gelegt werden, weil mit dieser die Schutzfähigkeit eher bejaht werden könnte.

Eine "unangemessene Anspruchsbreite" füllt für sich gesehen einen der gesetzlichen Nichtigkeitsgründe grundsätzlich nicht aus.

Eine von einem bestimmten Zweck oder Ergebnis losgelöste, letztlich nach Belieben getroffene Auswahl eines engeren Bereichs aus einem größeren ist für sich grundsätzlich nicht geeignet, eine erfinderische Leistung zu begründen.

 

Normenkette

PatG § 4 (1981), § 21 Abs. 1 (1981), § 81 ff. (1981); EPÜ §§ 56, 138 Abs. 1; IntPatÜG Art. II § 6 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BPatG (Urteil vom 12.10.1999)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des BPatG v. 12.10.1999 abgeändert:

Das europäische Patent 0 433 563 wird unter Abweisung der weiter gehenden Klage mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass sein Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält, auf die sich die Patentansprüche 2 und 3 zurückbeziehen:

"1. Verfahren zur Herstellung einer Gummibahn mit folgenden Verfahrensschritten:

- der noch ungehärteten Gummimasse wird vor der Vulkanisation eine Fraktion vulkanisierten, zerkleinerten Materials mit unregelmäßiger Grundstruktur in räumlich gleichmäßiger Verteilung beigemischt, die eine durch Siebanalyse ermittelbare Partikelgröße des Materials von 0,7 mm 0,1 mm in einer Menge von 1 - 4 Gew.%, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht, aufweist,

- das so erhaltene Gemisch wird kalandriert

- und anschließend ausvulkanisiert,

- so dass die so hergestellte Gummibahn blasenfrei ist."

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin drei Viertel und die Beklagte ein Viertel.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 13.9.1990 unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung v. 22.12.1989 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 433 563 (Streitpatents), das ein "Verfahren zur Herstellung einer blasenfreien, kalandrierten Gummibahn" betrifft und drei Patentansprüche umfasst, die in der Verfahrenssprache Deutsch wie folgt lauten:

"1. Verfahren zur Herstellung einer blasenfreien, kalandrierten Gummibahn, in dem man der noch ungehärteten Gummimasse, vor der Vulkanisation, eine Fraktion vulkanisierten, zerkleinerten Materials mit unregelmäßiger Grundstruktur in räumlich gleichmäßiger Verteilung beimischt, wobei man eine durch Siebanalyse ermittelbare Partikelgröße des Materials von 0,7 mm 0,1 mm wählt bei einer Dosierung von 1 - 4 Gew.%, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht, und wobei man anschließend das Gemisch ausvulkanisiert.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass man zusätzlich, unmittelbar vor der Vulkanisation, auf die Oberfläche der Gesamtmischung vulkanisiertes, zerkleinertes Material mit einer Korngröße von 20 - 80 % der gewünschten Enddicke der Gummibahn gleichmäßig aufstreut in einer Menge zwischen 5 und 50 g/m2, und dass man anschließend mittels einer glatten Walze bei einem Druck von 3 - 15 bar das aufgestreute Material bis zum Oberflächen-Niveau der Gummimasse eindrückt.

3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass man als letzten Schritt vor der Vulkanisation die Oberfläche des Vulkanisates mit einer Prägestruktur versieht."

Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Sie hat geltend gemacht, dass dessen Gegenstand nicht patentfähig sei, weil er durch den Stand der Technik, wie ihn insbesondere die US-Patentschrift 2.535.034 (Armstrong), die deutsche Patentschrift 36 23 795 (Rehau) und die Unterlagen der nach dem Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 8v. 20.10.1949 (AHK 8) übergeleiteten, unter dem Aktenzeichen M 3872 XII/39a geführten deutschen Altpatentanmeldung v. 22.7.1941 (Michelin; Beschreibung v. 26.5.1952; Hinweis auf die Auslegung v. 30.10.1952) bildeten, vorweggenommen, jedenfalls aber für den Fachmann nahe gelegt gewesen sei; sie hat sich zudem auf weitere Literaturstellen gestützt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten; das BPatG hat sie abgewiesen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel weiter. Sie macht weiter sinngemäß geltend, dass die Erfindung nicht so deutlich offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit Folgendem, hinsichtlich kleiner Versehen korrigiertem Patentanspruch 1, auf den sich die Patentansprüche 2 und 3 zurückbeziehen sollen:

"1. Verfahren zur Herstellung einer Gummibahn mit folgenden Verfahrensschritten:

- der noch ungehärteten Gummimasse wird vor der Vulkanisation eine Fraktion vulkanisierten, zerkleinerten Materials mit unregelmäßiger Grundstruktur in räumlich gleichmäßiger Verteilung beigemischt, die eine durch Siebanalyse ermittelbare Partikelgröße des Materials von 0,7 mm 0,1 mm in einer Menge von 1 - 4 Gew.%, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht, aufweist,

- das so erhaltene Gemisch wird kalandriert und anschließend ausvulkanisiert,

- so dass die so hergestellte Gummibahn blasenfrei ist."

Die Klägerin sieht auch die hilfsweise verteidigte Fassung der Patentansprüche als nicht schutzfähig an.

Prof. Dr.-Ing. D. M. , hat im Auftrag des Senats ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

 

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Berufung führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang seines Patentanspruchs 1 und der Unteransprüche in Rückbeziehung auf diesen, während sie ohne Erfolg bleibt, soweit die Beklagte das Streitpatent mit den Patentansprüchen nach Hilfsantrag verteidigt. Insoweit kann - was zu Lasten der Klägerin geht - der Senat nicht feststellen, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig ist (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Buchst. a; Art. 52 ff. EPÜ). Die in Rückbeziehung auf den nicht bestandsfähigen Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht verteidigten Patentansprüche 2 und 3 des Streitpatents werden in der Rückbeziehung auf den hilfsweise verteidigten Patentanspruch 1 von diesem mitgetragen. Durchgreifende Bedenken gegen die Ausführbarkeit der unter Schutz gestellten Gegenstände bestehen nicht (Art. II § 6 Nr. 2 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Buchst. b EPÜ); dies gilt sinngemäß auch für die hilfsweise verteidigten Patentansprüche.

II. 1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer blasenfreien, kalandrierten Gummibahn. Ein auf eine solche Gummibahn gerichteter Sachanspruch ist im Streitpatent nicht enthalten. Danach ist die Gummibahn als solche zwar vom Schutz des Streitpatents als unmittelbares Verfahrenserzeugnis erfasst (§ 9 Nr. 3 PatG i. V. m. Art. 64 EPÜ), sie ist dagegen nicht Gegenstand des Patents (vgl. BGH v. 11.7.1985 - X ZB 26/84, BGHZ 95, 295 [298] = MDR 1986, 492 - borhaltige Stähle).

2. Das Streitpatent bezeichnet es als üblich, zur Herstellung von Elastomer-Bahnenwerkstoffen und von bahnenförmigen Dichtungsmaterialien im Kalandrierverfahren einen Rohling entsprechender Dicke herzustellen und diesen sodann einem kontinuierlichen Vulkanisationsprozess zu unterziehen. Dabei entstehe jedoch kein blasenfreier Rohling, weil sich im Kalandrierverfahren vorgebildete Blasen in der Rohlingsbahn im Fertigerzeugnis nachteilig bemerkbar machten; insbesondere träten Ausschuss und Fehlerstellen auf, die bei Flachdichtungen die Funktionsfähigkeit gefährdeten.

3. Durch das Streitpatent soll demgegenüber ein Verfahren zur Verfügung gestellt werden, mit dem ohne sonstige Qualitätsverluste blasenfreie kalandrierte Gummibahnen hergestellt werden können (vgl. Beschreibung S. 2 Z. 24 - 27).

4. a) Hierzu lehrt das Streitpatent ein Verfahren mit folgenden Merkmalen:

(1) Der noch ungehärteten Gummimasse wird beigemischt

(1.1) eine Fraktion vulkanisierten Materials

(1.2) in räumlich gleichmäßiger Verteilung

(1.3) in einer Dosierung von 1 - 4 Gew.%, bezogen auf das Gesamtmischungsgewicht.

(2) Das beigemischte vulkanisierte Material

(2.1)ist zerkleinert,

(2.1.1) weist eine Partikelgröße von 0,7 mm 0,1 mm auf und

(2.2) hat eine unregelmäßige Grundstruktur.

(3) Anschließend wird das Gemisch ausvulkanisiert.

b) Die Beschreibung des Streitpatents gibt erläuternd an, systematische Versuche hätten überraschenderweise ergeben, dass bei Einhaltung der in Patentanspruch 1 angegebenen Grenzen ein Optimum an Blasenfreiheit in der Elastomerbahn erreicht werde. Zerkleinertes Material mit unregelmäßiger Raumstruktur sei mühelos zu erreichen, wenn man vulkanisierte Teile wie Produktionsrückstände in einer Prallmühle vermahle.

c) Die Angabe, dass die Beimischung vor der Vulkanisierung erfolgt, enthält dabei keinen sachlichen Überschuss gegenüber der weiteren Angabe im Patentanspruch, dass das Gemisch anschließend ausvulkanisiert wird.

d) Das Kalandrieren stellt nach der Formulierung des Patentanspruchs 1 keinen eigenen Verfahrensschritt dar, es ist vielmehr lediglich als Eigenschaft oder Zustand ("kalandriert") des angestrebten Produkts formuliert. In welcher Form diesem die Eigenschaft des Kalandriertseins vermittelt wird, ergibt sich aus der Formulierung des Patentanspruchs nicht. Die Eigenschaft, in bestimmter Weise hergestellt zu sein, muss einem Verfahrenserzeugnis auch nicht notwendig anzusehen sein. Aus der Sicht des Fachmanns erscheint sie daher nur als ein Hinweis, mit dem nicht ein Herstellungsschritt, sondern ein Zustand des Verfahrenserzeugnisses kurz und prägnant umschrieben wird.

Dies zeigt zugleich, dass bei einem Patentanspruch, der wie hier auf ein Herstellungsverfahren gerichtet ist, Angaben, die sich auf Eigenschaften des mit dem Verfahren herzustellenden Erzeugnisses beziehen, aber selbst nicht als Verfahrensschritt formuliert sind, jedenfalls nicht notwendig und nicht ohne weiteres Einschränkungen des Gegenstands des Patentanspruchs dahin bedeuten, dass eine aus der Eigenschaft abzuleitende weitere, im Patentanspruch aber nicht als Verfahrensschritt genannte Maßnahme ihrerseits zum Gegenstand des Patentanspruchs gehört.

III. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Erfindung im Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann, als den der Senat in Übereinstimmung mit den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen einen Hochschulingenieur der Fachrichtung Verfahrenstechnik mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Kautschukverarbeitung ansieht, sie ausführen kann.

1. Die Klägerin hat ihre Auffassung im Wesentlichen damit begründet, dass Patentanspruch 1 nach seiner Formulierung jede beliebige Gummimasse und damit auch solche erfasse, bei denen Blasenbildung nicht auftrete. Das steht der Ausführbarkeit indessen schon deshalb nicht entgegen, weil auch bei derartigen Ausgangsmaterialien die Verfahrensschritte, die Gegenstand des Patentanspruchs sind, ausgeführt werden können; nur hierauf kann es aber nach der Formulierung des Patentanspruchs ankommen, nicht dagegen auf eine Sinnhaftigkeit der Anweisung bei allen denkbaren Ausführungsformen. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, entstände bei der Anwendung des Verfahrens auf Gummimassen, bei denen Blasenbildung nicht auftritt, im Übrigen ebenfalls eine blasenfreie Gummibahn.

2. Die Klägerin macht weiter geltend, nur einer der in der Beschreibung angegebenen Versuche führe mit den dort angegebenen Parametern zu einer blasenfreien Bahn. Hierauf kommt es indessen schon deshalb nicht an, weil es für die Bejahung der Ausführbarkeit ausreicht, wenn lediglich ein gangbarer Weg zum Ausführen der Erfindung offenbart ist (vgl. BGH v. 3.5.2001 - X ZR 168/97, BGHZ 147, 306 [316 ff.] = BGHReport 2001, 703 - Taxol).

3. Aus dem gleichen Grund geht auch das Argument der Klägerin fehl, es wären Angaben über die Druckverhältnisse und die Temperatur bei der Vulkanisation erforderlich gewesen, da Blasenbildung nur dann auftrete, wenn der Vulkanisationsprozess bei geringem Druck ausgeübt werde. Darüber hinaus hat der gerichtliche Sachverständige insoweit bei seiner Anhörung zur Überzeugung des Senats ausgeführt, dass das Auffinden dieser Parameter von einem Anwender des patentgemäßen Verfahrens auch ohne nähere Hinweise in der Streitpatentschrift erwartet werden konnte.

4. Die schließlich von der Klägerin jedenfalls implizit vertretene Auffassung, Patentanspruch 1 müsse eine vollständige Lehre zum technischen Handeln aufweisen, ist, wie der Senat erst kürzlich ausgeführt hat, rechtlich nicht zutreffend. Die Angaben, die der Fachmann zur Ausführung der Erfindung benötigt, müssen nicht sämtlich im Patentanspruch enthalten sein; es genügt vielmehr, wenn sie sich aus dem Inhalt der Patentschrift insgesamt ergeben (BGH, Urt. v. 1.10.2002 - X ZR 112/99, BGHReport 2003, 291 = GRUR 2003, 235 - Kupplungsvorrichtung II). Bei den in den Patentanspruch aufgenommenen Maßnahmen ist bei der Prüfung der ausführbaren Offenbarung deshalb nicht danach zu fragen, ob diese bei isolierter Betrachtung für sich als "hinreichend" gewertet werden können.

5. Daran, dass der Fachmann die in Patentanspruch 1 genannten Maßnahmen im Verfahrensgang vornehmen kann, bestehen auch nach dem in der mündlichen Verhandlung überzeugend näher erläuterten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen keine Zweifel.

6. Die von der Klägerin weiter angesprochene Anspruchsbreite bildet keinen Grund, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Auch wenn die Patentansprüche über einen der Erfindung angemessenen Umfang hinausgehen sollten, füllt das für sich gesehen keinen der gesetzlichen Nichtigkeitsgründe aus (vgl. Busse, PatG, 5. Aufl. 1999, § 34 PatG Rz. 88). Sofern sich aus der Rspr. insbesondere des House of Lords (GRUR Int. 1998, 412 [419] - Biogen/Medeva; sog. "Biogen insuffiency"; vgl. auch Gerechtshof Den Haag BIE 1999, 394 [397]) etwas Anderes ergeben sollte, könnte der Senat für eine solche Auffassung keine Stütze in dem abschließenden Katalog der Nichtigkeitsgründe erkennen. In diesem Zusammenhang kommt es zudem darauf, wieweit die Ausführungsbeispiele zu blasenfreien Gummibahnen führen, schon deshalb nicht an, weil die Gummibahnen nicht Gegenstand des Patentanspruchs sind. Schließlich erscheint der Angriff aber auch sachlich nicht als berechtigt, weil nach den von der Klägerin nicht widerlegten Ausführungsbeispielen jedenfalls eines zu einer blasenfreien und mehrere zu deutlich blasenärmeren Bahnen führen.

IV. Der wie unter II. erläutert verstandene Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung ist gegenüber dem Stand der Technik nicht schutzfähig.

1. a) Der Prüfung der Schutzfähigkeit ist die in den Patentansprüchen unter Schutz gestellten Lehre zu unterziehen. Dabei bedarf es der Feststellung des Gegenstands der angegriffenen Patentansprüche nur in dem Umfang, wie dies zur Prüfung der Bestandsfähigkeit des Patents gegenüber den geltend gemachten Nichtigkeitsgründen erforderlich ist. Für diese Feststellung gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Feststellung des Sinngehalts und bei der Auslegung des Patents im Verletzungsstreit (vgl. BGH, Urt. v. 7.11.2000; berichtigt am 9.1.2001 - X ZR 145/98, BGHReport 2001, 174 = GRUR 2001, 232 - Brieflocher).

b) Grundlage für die Bestimmung der danach geschützten Lehre ist das Verständnis der Patentansprüche durch den maßgeblichen Fachmann. Erscheinen - auch unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen - Formulierungen in den Patentansprüchen als mehrdeutig, ist gleichwohl zu ermitteln, welche Vorstellungen der Fachmann mit ihnen verbindet. Dabei darf im Nichtigkeitsverfahren nicht etwa deshalb eine einengende Auslegung der angegriffenen Patentansprüche zu Grunde gelegt werden, weil mit dieser die Schutzfähigkeit eher bejaht werden könnte.

2. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung ist allerdings neu; keine der Entgegenhaltungen offenbart ein Verfahren mit sämtlichen dort vorgesehenen Maßnahmen.

a) Die auf das Jahr 1941 zurückgehende Patentanmeldung M 3872 XII/39a (Michelin) betrifft ein Verfahren zur Aufarbeitung von Altkautschuk, der aus abgenutzten Erzeugnissen wie Reifen in großen Mengen anfällt. Nach dem dort gemachten Vorschlag werden einer vulkanisationsfertig vorliegenden Kautschukmischung polyedrisch gekörnte (vulkanisierte) Altkautschukteile einverleibt. Die Angabe, "die Mengenanteile der Körner und des Frischgemisches sind beliebig", stellt es dabei in das Belieben der Fachwelt, in welchen Mengen die Beimischung erfolgt, und erfasst somit auch die Mengenangabe des Streitpatents. Dabei kann dahinstehen, ob dies in einer für die Prüfung auf Schutzfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik relevanten Weise geschieht, etwa als Offenbarung einer Bereichsangabe in der Form ≪100 % und ≫0 % (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.1999 - X ZR 40/95, GRUR 2000, 591 [593 f.] - Inkrustierungsinhibitoren), wogegen Bedenken geltend gemacht werden könnten, weil die Angabe, die Werte könnten beliebig gewählt werden, sich einer konkreten Bereichsangabe gerade enthält. Angaben zur Teilchengröße in der Entgegenhaltung fehlen ganz und sind, wie der gerichtliche Sachverständige auf Befragen in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dieser auch nicht zu entnehmen. Damit mag zwar der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents unter die allgemeinere Lehre der Entgegenhaltung fallen; ein Neuheitshindernis stellt dies schon deshalb nicht dar, weil das Streitpatent eine zusätzliche Maßnahme vorsieht, die die Entgegenhaltung nicht offenbart.

b) Die auf eine Anmeldung aus dem Jahr 1946 zurückgehende US-Patentschrift 2.535.034 (Armstrong) betrifft die Herstellung von Kautschukfolien und -platten ("sheets"). Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die dabei auftretende Blasenbildung zu verhindern, ohne auf das Material während des Aushärtens hohe Drücke aufbringen zu müssen. Die Entgegenhaltung schlägt hierfür die Zugabe verschiedener Zusatzstoffe zum unvernetzten (d. h. noch nicht vulkanisierten) Kautschuk sowie bestimmte Temperatur- und Druckführungen vor. Das Material kann kalandriert werden und wird einer Aushärtung unterzogen. Ein Hinweis auf die Beimischung vulkanisierten Materials findet sich nicht; das haben auch das sachkundig besetzte BPatG und der gerichtliche Sachverständige so gesehen. Damit sind die Merkmalsgruppen (1) und (2) nicht vorweggenommen.

c) Die deutsche Patentschrift 36 23 795 (Rehau) betrifft die Verwendung einer Fraktion gehärteter Partikel aus elastomerem Material als Beimischung zu Elastomeren vor deren Aushärtung. Dadurch sollen "definiert unruhige" Oberflächen von Elastomerprodukten erzeugt werden. Hierunter fällt, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend angegeben hat, eine etwa auftretende Blasenbildung nicht. Die einzusetzenden Materialien umfassen auch die Gummimasse und die Fraktion vulkanisierten Materials nach Patentanspruch 1 des Streitpatents. Das beizumischende Material weist dabei in teilweiser Übereinstimmung mit dem Streitpatent eine Partikelgröße von 0,1 mm bis 1 mm auf. Das Ausgangsmaterial wird im Lauf des Herstellungsverfahrens einer Härtung unterzogen (Beschreibung Sp. 3 Z. 55 f.); von diesem Begriff ist, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, auch das Ausvulkanisieren erfasst. Damit nimmt diese Entgegenhaltung jedenfalls die Merkmale (1), (1.1), (2), (2.1.1) und (3) vorweg. Die Anteile betragen jedoch abweichend vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents 5 bis 60, bevorzugt 20 bis 40, Teile von 100 Teilen und liegen daher außerhalb des in Merkmal (1.3) des Patentanspruchs 1 des Streitpatents genannten Bereichs; dass die Angabe hier anders als im Streitpatent nicht auf das Gewicht, sondern auf das Volumen abstellt, spielt wegen des nahezu gleichen spezifischen Gewichts der Materialien nach den überzeugenden Angaben des gerichtlichen Sachverständigen im Ergebnis keine Rolle. Dies schließt es aus, Patentanspruch 1 des Streitpatents als durch die Entgegenhaltung neuheitsschädlich getroffen anzusehen.

d) Der sonst noch genannte Stand der Technik liegt weiter ab und kann die Neuheit der in Patentanspruch 1 des Streitpatents unter Schutz gestellten Lehre nicht in Frage stellen.

3. Bei Anlegung der oben genannten Maßstäbe erfasst Patentanspruch 1 selbst dann, wenn man alle in ihm enthaltenen Angaben als Lösungsmerkmale verstehen wollte, Ausführungsformen, die durch den Stand der Technik jedenfalls nahe gelegt sind. Damit beruht er nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 54, 56 EPÜ).

a) Der Formulierung in Patentanspruch 1 des Streitpatents lässt sich eine exakte Eingrenzung des Begriffs "kalandriert" nicht entnehmen. Die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen hat ergeben, dass dieser Begriff auch so verstanden werden kann, dass er nicht nur das Kalandrieren als einzigen Arbeitsschritt zur Ausbildung der Bahnform, sondern als weitere Alt. auch ein Extrudieren mit anschließendem Glattwalzen umfasst. Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen wird das (reine) Kalandrierverfahren vor allem bei der Herstellung breiterer Gummibahnen eingesetzt, während das Extrudierverfahren mit anschließendem Glattwalzen (das der gerichtliche Sachverständige zunächst ebenfalls, nach näherer Diskussion mit den Parteien und dem Gericht aber im weiteren Verlauf seiner Anhörung nicht mehr, dem Kalandrieren zugeordnet hat) bevorzugt bei der Erzeugung schmalerer Gummistreifen in Betracht kommt. Dass die Ausführungsbeispiele des Streitpatents durchwegs ein Kalandrieren im engeren Sinn, d. h. nicht das Extrudieren mit nachfolgendem Walzen, betreffen, führt schon wegen ihres Beispielcharakters in den Augen des Fachmanns nicht zu einer Festlegung auf ein engeres Verständnis. Dieses aus der Sicht des Fachmanns unsichere Verständnis des "Kalandriertseins" (s. oben II.4.d) legte es selbst unter Berücksichtigung des weiteren Umstands, dass die Gefahr der Blasenbildung gerade bei einem Kalandrieren im engeren Sinn bestand, für ihn jedenfalls nicht nahe, darin unter Außerachtlassen der für eine Verfahrensmaßnahme ungewöhnlichen sprachlichen Einkleidung einen konkreten Verfahrensschritt, insbesondere mehr als das Vorhandensein einer breit ausgewalzten, dünnen Kautschukbahn zu sehen, wie sie auch mittels eines Extrudier- und Walzverfahrens erzeugt werden kann.

b) Patentanspruch 1 bezieht somit jedenfalls auch die nach den unwidersprochen gebliebenen und für den Senat überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen am Prioritätstag des Streitpatents bereits bekannte Kombination von Extrusion mit nachfolgendem Glattwalzen ein. Auch wenn dabei die Beifügung von Körnchen zur Herstellung der Blasenfreiheit schon deshalb nicht erforderlich ist, weil bei einem solchen Verfahren nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen eine Blasenbildung nicht auftritt, kam diese Maßnahme aus der Sicht des Fachmanns aber etwa zur Herstellung von unruhigen Oberflächen, wie dies die deutsche Patentschrift 36 23 795 beschreibt, in Betracht. Dass die im Streitpatent unter Schutz gestellten Parameter von den in dieser deutschen Patentschrift genannten abweichen, lässt vor dem Hintergrund, dass es nach dem unter II. erläuterten Verständnis des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner erteilten Fassung auf den Zweck der Beimischung nicht ankommt, die Annahme einer erfinderischen Tätigkeit nicht zu. Eine von einem bestimmten Zweck oder Ergebnis losgelöste, letztlich nach Belieben getroffene Auswahl eines engeren Bereichs aus einem größeren ist für sich nämlich grundsätzlich nicht geeignet, eine erfinderische Leistung zu begründen.

c) Dabei kommt es notwendigerweise schon auf Grund der Beliebigkeit der Maßnahme nicht darauf an, ob der Fachmann Anlass hatte, diese vorzunehmen. Der insbesondere in der Praxis des Europäischen Patentamts entwickelte sog. "could-would-test" (vgl. u. a. Schulte, PatG, 6. Aufl. 2001, § 4 Rz. 62; Benkard, EPÜ, 2002, Art. 56 Rz. 60; Kroher in Singer/Stauder, EPÜ, 2. Aufl. 2000, Art. 56 Rz. 58 ff.; White, C.I.P.A. Guide to the Patents Acts. 5th ed., 2001, Rz. 3.33, jew. m. w. N.) mag vielfach für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wertvolle Fingerzeige geben. Er kann aber in solchen Fällen nicht weiterführen, in denen - wie hier - dem Fachmann eine beliebige Auswahl an Möglichkeiten zur Verfügung stand; Kriterien für eine Vorzugswürdigkeit einer bestimmten Alt. aber fehlen.

d) Bei der gleichmäßigen Verteilung und der unregelmäßigen Grundstruktur des beizufügenden Materials handelt es sich ersichtlich um Trivialitäten, die sich mehr oder weniger zwangsläufig oder nach Belieben ergeben. Die schließlich noch im Patentanspruch 1 des erteilten Patents aufgeführte Maßnahme des anschließenden Ausvulkanisierens ist eine Selbstverständlichkeit.

V. Der Senat kann demgegenüber nicht feststellen, dass das in Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner hilfsweise verteidigten Fassung unter Schutz gestellte Verfahren gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig ist. Insoweit sprechen vielmehr gewichtige Argumente für das Vorliegen einer erfinderischen Leistung. Gegen seine urspüngliche Offenbarung bestehen keine Bedenken; auch ist er durch das erteilte Patent gedeckt, die Patentinhaberin konnte sich daher auf ihn zurückziehen.

1. Diese Fassung unterscheidet sich von der des erteilten Patents dadurch, dass sie deren weitere Angaben zu Merkmalen der anspruchsgemäßen Problemlösung macht. Sie enthält den weiteren Verfahrensschritt des Kalandrierens des Gemischs vor dem Ausvulkanisieren sowie eine Festlegung dahin, dass das Verfahrenserzeugnis, die Gummibahn, infolge der Durchführung des Verfahrens blasenfrei ist. Mit der Formulierung "so dass" im Zusammenhang mit der Beschreibung des durch das patentgemäße Verfahren zu erhaltenden Erzeugnisses wird zum Ausdruck gebracht, dass das Erzeugnis maßgeblich zumindest auch auf diesen Maßnahmen beruhen muss, d. h., dass die weiteren Maßnahmen jedenfalls im Sinn nicht hinwegzudenkender Bedingungen für die Blasenfreiheit (mit)ursächlich sein müssen. Bestärkt wird dies dadurch, dass auch das Kalandrieren als Verfahrensschritt ausdrücklich in das geschützte Verfahren einbezogen wird. Da diese Maßnahme - in ihrem engeren Verständnis - nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen bei seiner Anhörung im besonderen Maß die Gefahr von Gaseinschlüssen mit sich bringt, unterstreicht ihre Einbeziehung die kausale Verknüpfung auch dieser vorgeschlagenen Maßnahme mit den Eigenschaften des herzustellenden Erzeugnisses.

2. Der Gegenstand des hilfsweise verteidigten Patentanspruchs 1 ist neu, wie sich schon aus den Ausführungen zu Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung ergibt.

3. Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sieht der Senat als nächstkommenden Stand der Technik die deutsche Patentschrift 36 23 795 an, die sich zwar ein anderes Ziel gesetzt hat als das Streitpatent, aber die meisten merkmalsmäßigen Übereinstimmungen mit diesem aufweist. Für die Dosierungsangabe in Merkmal (1.3) lässt sich ein Naheliegen nicht feststellen. Insbesondere war aus der Sicht des Fachmanns ein Grund dafür, den in der Entgegenhaltung genannten Mengenbereich zu unterschreiten, nicht zu erkennen. Die danach bevorzugten Werte lagen am anderen Ende des offenbarten Bereichs. Für eine Eignung der Zugabe zur Vermeidung einer Blasenbildung ist der Entgegenhaltung für den hier interessierenden Wertebereich nichts zu entnehmen; sie ist dort überhaupt nicht angesprochen. Auch dem Stand der Technik im Übrigen sind zielführende Hinweise nicht zu entnehmen. Für den Fachmann ergab sich damit keinerlei Hinweis auf die für die Verhinderung einer Blasenbildung geeigneten Maßnahmen. Da die Zugabe der vulkanisierten Teile nach der deutschen Patentschrift 36 23 795 einem ganz anderen Zweck dient, hatte der Fachmann keinen Anlass, sich darüber Gedanken zu machen, ob er mit der - gegenüber dem unteren Grenzwert allerdings relativ geringen - Modifikation der Dosierung gegenüber dieser Entgegenhaltung eine Beeinflussung der Blasenbildung erreichen konnte. Damit fehlte es zugleich an einer Anregung, die dort offenbarten Werte mit der Zielrichtung der Blasenfreiheit zu ändern.

Die US-Patentschrift 2.535.034 geht zur Vermeidung der Blasenbildung einen ganz anderen Weg und sieht schon eine Beimischung vulkanisierten Materials nicht vor.

Der allgemeinen Angabe in der Michelin-Anmeldung, man könne - zur Wiederverwendung von Altkautschuk - Beimischungen in beliebiger Menge vornehmen, konnte der Fachmann, wenn er vor das Problem der Vermeidung der Blasenbildung gestellt war, ebenfalls keine Anregung entnehmen, die Dosierung der Beimischung gegenüber dem Rehau-Patent zu diesem Zweck auf bestimmte Werte zu konzentrieren. Die Entgegenhaltung enthält hierzu keinen Hinweis.

Gesichtspunkte, die bei dem hilfsweise verteidigten Patentanspruch 1 gleichwohl eine Verneinung der erfinderischen Tätigkeit rechtfertigen könnten, sind nicht hervorgetreten.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 ZPO.

 

Fundstellen

BGHZ 2004, 179

NJW 2004, 1742

BGHR 2004, 116

EWiR 2004, 353

GRUR 2004, 47

BPatGE 2005, 290

GRUR-Int. 2004, 145

IIC 2004, 577

Mitt. 2004, 70

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