Leitsatz (amtlich)

›a) Zur Anwendbarkeit von § 296 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach den §§ 527, 528 ZPO nicht vorliegen.

b) Hat das Berufungsgericht einen Teil der in erster Instanz angebotenen und in der Berufungsbegründung nur pauschal in Bezug genommenen Beweise berücksichtigt, so dürfen die übrigen nicht als grob nachlässig verspätet zurückgewiesen werden, wenn der Berufungskläger sie erst in einem späteren Schriftsatz wiederholt.‹

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück

OLG Oldenburg (Oldenburg)

 

Tatbestand

Die Klägerin, die bis zum 10. Dezember 1982 von der Erstbeklagten mit runderneuerten Reifen beliefert wurde, hat von beiden Beklagten (von der Zweitbeklagten als persönlich haftender Gesellschafterin der Erstbeklagten) die Auszahlung eines Überschusses aus Gutschriften in Höhe von insgesamt 15.054,77 DM nebst Zinsen gefordert, ferner weitere 56.776,90 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 30 März 1983 teils als Kaufpreisrückzahlung, teils als Schadensersatz aufgrund behaupteter mangelhafter Lieferungen nach arglistiger Vorspiegelung der Mängelfreiheit. Die Beklagten haben die Forderungen im wesentlichen bestritten, Verjährung eingewandt und mit einer Gegenforderung von 54.982,20 DM wegen unterlassener Rückgabe von 9.646 Karkassen (zu je 5,-- DM zuzüglich Mehrwertsteuer) aufgerechnet.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Gutschriftsansprüche durch Aufrechnung erloschen und die übrigen Ansprüche jedenfalls verjährt seien. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Auf die Anschlußberufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels festgestellt, daß die Gutschriftsansprüche nur in Höhe von 12.054,77 DM durch Aufrechnung erloschen, in Höhe von 3.000,-- DM dagegen von Anfang an unbegründet seien.

Der erkennende Senat hat die Revision der Klägerin nur angenommen, soweit ihre Gewährleistungsansprüche von 56.776,90 DM nebst Zinsen für unbegründet erklärt worden sind. In dieser Höhe verfolgt die Klägerin ihre Klageforderung weiter. Die Beklagten beantragen Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I. Nach der Beschränkung der Revision aufgrund der Teilnahme ist nur noch darüber zu entscheiden, ob die Klägerin Gewährleistungsansprüche auf Kaufpreisrückzahlung und Schadensersatz wegen mangelhafter Reifenlieferungen nach vorheriger arglistiger Zusicherung der Mängelfreiheit geltend machen kann.

II. 1. Das Berufungsgericht hält die behauptete arglistige Vorspiegelung, die einer Verjährung der Klageansprüche nach § 477 Abs. 1 BGB entgegenstünde, für schlüssig dargetan. Es versagt der Klägerin dennoch jeden Anspruch und führt dazu aus: Die Klägerin habe nicht bewiesen, daß die von ihr als mangelhaft bezeichneten und teilweise noch bei ihr lagernden Reifen von der Erstbeklagten geliefert worden seien. Der Zeuge S. habe zwar bekundet, daß die Klägerin runderneuerte Reifen ausschließlich von der Erstbeklagten bezogen habe. Dem stehe aber die Aussage des Zeugen W. entgegen, wonach Fahrer der Klägerin ihm wiederholt gesagt hätten, daß auch von anderen, ausländischen Firmen runderneuerte Reifen bezogen würden. W. habe auch die weiteren Angaben der Beklagten bestätigt, wonach Reifen mit dem Herkunftszeichen der Erstbeklagten im Ausland hergestellt oder reimportiert sein könnten. Gegenbeweise hätte die Klägerin spätestens nach dem Beweisbeschluß vom 22. März 1985 und vor der darin angeordneten Vernehmung des Zeugen W. anbieten müssen, weil für sie erkennbar geworden sei, daß das Berufungsgericht die Frage der Lieferung durch Dritte für erheblich hielt; sie habe weitere Zeugen aber erst nach der Vernehmung des Zeugen W. vom 19. April 1985 und nach Anberaumung des Termins zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 10. Juli 1985 in einem Schriftsatz vom 13. Juni 1985 und damit grob nachlässig verspätet benannt. Durch Vernehmung dieser Zeugen und der sodann notwendigen Einholung eines Sachverständigengutachtens wäre der Rechtsstreit verzögert worden, weil die umfangreiche Beweisaufnahme einschließlich einer Augenscheinseinnahme der von der Klägerin im Termin vorgelegten mehr als 100 Reifen am 10. Juli 1985 nicht habe durchgeführt werden können.

2. Die vorstehenden Ausführungen halten den Angriffen der Revision und der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht Beweisangebote der Klägerin als grob nachlässig verspätet zurückgewiesen.

a) Das angefochtene Urteil enthält keinen ausdrücklichen Hinweis, welchen gesetzlichen Verspätungstatbestand das Berufungsgericht seiner zurückweisenden Entscheidung zugrunde gelegt hat. Da es einen Beweisantritt nach dem 22. März 1985, also nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (19. Oktober 1984) noch als rechtzeitig angesehen hätte, scheidet § 527 ZPO als Rechtsgrundlage aus. Dasselbe gilt für § 528 Abs. 3 ZPO schon deshalb, weil das Landgericht kein Vorbringen der Klägerin als verspätet zurückgewiesen hat. Auch auf § 528 Absätze 1 und 2 ZPO hat sich das Berufungsgericht ersichtlich nicht gestützt. Denn es hat keinerlei Feststellung darüber getroffen, daß die Klägerin die Beweisantritte bereits in der ersten Instanz hätte vorbringen können und müssen.

Grundlage der Entscheidung war danach § 296 Abs. 2 ZPO. Diese Vorschrift regelt unter anderem die Folgen der Verletzung der allgemeinen, nicht von gesetzten Fristen beeinflußten Prozeßförderungspflicht (§ 282 Abs. 1 ZPO). Sie ist nach § 523 ZPO auch im Berufungsverfahren mindestens subsidiär anwendbar, weil nicht ersichtlich ist, daß die Präklusionsvorschriften der §§ 527 ff. ZPO abschließende Sonderregelungen darstellen sollen (im Ergebnis ebenso Zöller/Schneider, ZPO, 14. Aufl. § 527 Rdn. 2 und 3; Baumbach/Albers, ZPO, 44. Aufl. § 527 Anm. 3; Putzo, NJW 1977, 1, 7).

b) Auf die Benennung von Beweismitteln im Schriftsatz vom 13. Juni 1985 und in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 1985 durfte das Berufungsgericht seine Entscheidung nicht stützen, weil die Beweisanträge zum Teil nicht als neu und deshalb nicht als verspätet zu behandeln waren, die etwaige Verspätung aber jedenfalls nicht auf grober Nachlässigkeit der Klägerin beruhte.

aa) Die vom Berufungsgericht als entscheidend behandelte Frage, ob die von der Klägerin beanstandeten, in einem Beweissicherungsverfahren von der DEKRA am 6. Oktober 1983 begutachteten Reifen überhaupt von der Erstbeklagten stammten, war erst in der Berufungsinstanz zum ausdrücklichen und wesentlichen Streitpunkt geworden. Vor dem Landgericht hatte die Klägerin vorgetragen, die Reifen seien sämtlich von der Erstbeklagten geliefert (Zeugen: J. S., P., G., W.) und runderneuerte Reifen seien - mit einer andere Sorten betreffenden Ausnahme - von keiner anderen Firma bezogen worden. Diese Behauptung hatten die Beklagten nur mit dem Hinweis bestritten, bei zurückgegebenen Reifen hätten sich ständig auch solche befunden, die nicht von der Erstbeklagten stammten (Schriftsatz vom 9. März 1985 mit Zeugenbenennung W.). Das Landgericht hatte diese Frage nicht erörtert, sondern den Gewährleistungsanspruch mangels arglistigen Verhaltens der Beklagten wegen Verjährung und teilweise wegen fehlenden substantiierten Sachvortrags verneint. In der Berufungsbegründung der Klägerin vom 19. Oktober 1984 und in der Erwiderung der Beklagten vom 29. November 1984 war die Frage ebenfalls nicht bzw. nur unter wiederholendem Hinweis auf das Vorbringen und die Beweisantritte erster Instanz erwähnt. Das Berufungsgericht hat diesen Streitstand dennoch als ausreichende Grundlage für seinen Beweisbeschluß vom 6. Februar 1985 angesehen, mit dem die Vernehmung des Zeugen S. darüber angeordnet wurde, ob die Klägerin runderneuerte Reifen nur von der Erstbeklagten bezogen habe.

bb) Bei dieser Sachlage liegt es nahe, eine "Verspätung" der Beweisantritte im Schriftsatz vom 13. Juni 1985 jedenfalls hinsichtlich der Zeugen P., G. und W. schon deshalb zu verneinen, weil diese Zeugen für die zweite Instanz bereits in zulässiger Weise benannt waren. Zwar genügt der Berufungskläger grundsätzlich den Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift nach § 519 Abs. 3 ZPO nicht schon - wie hier geschehen - durch pauschale Bezugnahme auf nicht erledigte Beweisantritte seines erstinstanzlichen Vorbringens, so daß das Gericht diese Beweisangebote im allgemeinen nicht zu beachten braucht (BGHZ 7, 170, 172; Baumbach/Albers, aaO., § 519 Anm. 2 C a; Zöller/Schneider, aaO., 527 Rdn. 10). Hat das Berufungsgericht aber einen Teil der Beweisangebote - hier die Benennung des Zeugen S. - bereits berücksichtigt, so hat es die Zulässigkeit des Beweisangebotes anerkannt und ist daran gehindert, in derselben Weise Bezug genommene andere Beweiserbieten zurückzuweisen.

cc) War die Zurückweisung schon aus diesem Grunde nicht gerechtfertigt, so kann die Klägerin durch ihr weiteres Prozeßverhalten erst recht nicht grob nachlässig gehandelt haben.

Grob nachlässig i.S. von § 296 Abs. 2 ZPO handelt eine Prozeßpartei nur, wenn sie ihre Prozeßförderungspflicht in besonders hohem Maße vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterläßt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen (vgl. zu den nur in Einzelheiten unterschiedlichen Formulierungen der Rechtsprechung Baumbach/Hartmann, aaO., § 296 Anm. 3 C b aa m.w.N.). Dieser Vorwurf läßt sich der Klägerin für die Zeit nach dem 22. März 1985 nicht machen. Nachdem das Berufungsgericht den Beweisantritt für den Zeugen S. beachtet hatte, durfte die Klägerin darauf vertrauen, daß es die übrigen Beweisangebote ebenso behandeln werde. Daran änderte auch die weitere Prozeßentwicklung nichts. Die im Beweisbeschluß des Einzelrichters vom 22. März 1985 gestellte Beweisfrage, ob die Klägerin auch von anderen Lieferanten als von der Erstbeklagten runderneuerte Reifen bezogen habe, entsprach inhaltlich und sinngemäß derjenigen im Beweisbeschluß vom 6. Februar 1985. Deshalb konnte sich der Eindruck aufdrängen, der nach § 524 ZPO mit der weiteren Vorbereitung (und damit mit der Erhebung einzelner Beweise) beauftragte Einzelrichter wolle eine Vorklärung darüber herbeiführen, inwieweit der Zeuge W. konkrete Angaben über die tatsächlich von der Klägerin bezogenen Reifen machen könne. Die seit dem früheren Beweisbeschluß berechtigte Annahme, das Berufungsgericht wolle zunächst nur einen Teil der benannten Zeugen vernehmen lassen und auf die weiteren Angebote nur bei Bedarf eingehen, wurde durch die Verfahrensbehandlung des Einzelrichters nicht hinfällig. Das gilt besonders deshalb, weil das Berufungsgericht in seiner vollständigen Besetzung weder einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Zeugen W. noch von derjenigen des im Wege der Rechtshilfe vor dem Amtsgericht Montabaur vernommenen Zeugen S. hatte.

3. Da das Berufungsgericht entscheidungserhebliche Beweisangebote zu Unrecht nach § 296 Abs. 2 ZPO unbeachtet gelassen hat, mußte das angefochtene Urteil im Umfang der Teilannahme der Revision aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. In der neuen Verhandlung werden auch die nachgeschobenen weiteren Beweisangebote der Parteien zu berücksichtigen sein, weil es dadurch zu einer Verzögerung im Sinne der Präklusionsvorschriften nicht mehr kommen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992867

NJW 1987, 501

BGHR ZPO § 296 Abs. 2 Beweisantritt 1

BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2 Bezugnahme 1

MDR 1987, 229

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