Leitsatz (amtlich)

›Die Nichterfüllung ausländischen Rechts kann jedenfalls dann gerügt werden, wenn das Berufungsurteil keine Ausführungen zu der ausländischen Rechtspraxis hinsichtlich der Größenordnung eines zuzubilligenden Schmerzensgeldes enthält, obwohl die beklagte Partei im Prozeß auf eine solche Praxis hingewiesen hat.‹

 

Verfahrensgang

OLG München

LG Kempten

 

Tatbestand

Die Klägerin hat als Beifahrerin auf dem Motorrad ihres jetzigen Ehemannes bei einem Zusammenstoß mit einem Sattelzug samt Auflieger der Erstbeklagten, gefahren von dem Zweitbeklagten, am 5. Juli 1983 in der Nähe von N. (Bundesrepublik Deutschland) folgende Verletzungen erlitten: offene Luxationsfraktur am oberen Sprunggelenk des rechten Beines, offene Abtrennung des Fußes mit dessen totaler Zertrümmerung am linken Bein oberhalb des oberen Spunggelenkes, Trümmerfraktur des linken Oberschenkels, offene Trümmerfraktur des Ellenbogengelenkes am linken Arm sowie Schädelprellungen. Die Klägerin und der Zweitbeklagte sind österreichische Staatsangehörige; sie wohnen auch in Österreich. Die Erstbeklagte hat ebenfalls ihren Sitz in Österreich.

Die Klägerin hat von den Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes in einer Größenvorstellung von 150.000 DM, Ersatz ihrer materiellen Schäden sowie Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für etwaige Einbußen hinsichtlichen der Altersrente verlangt. Insbesondere zum Verdienstausfall trägt sie vor, sie sei infolge des Unfalles dauernd erwerbsunfähig, und beziffert ihren Schaden insoweit unter Berücksichtigung gezahlter Renten und Pensionen auf 441,34 DM monatlich.

Die Beklagten haben u.a. eingewandt, die Schmerzensgeldforderung sei, vor allem nach dem anzuwendenden österreichischen Recht, weit überhöht. Insgesamt 45.000 DM seien angemessen, so daß abzüglich vorprozeßual gezahlter 14.225 DM 30.775 DM anerkannt würden. Zum Verdienstausfall haben die Beklagten im wesentlichen geltend gemacht, die Klägerin habe inzwischen geheiratet, ein Kind geboren und sei als Hausfrau und Mutter tätig. Es sei wahrscheinlich, daß sie weitere Kinder haben werde und dann auch ohne die Behinderung durch die Unfallverletzungen nicht mehr in der Lage gewesen wäre, ihren früheren Beruf weiter auszuüben.

Das Landgericht hat die Beklagten u.a. zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 105.775 DM nebst Zinsen und einer Verdienstausfallrente ab 1. Mai 1985 bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin in Höhe von 441,34 DM monatlich verurteilt, den Feststellungsantrag der Klägerin indessen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Klägerin auch ihrem Feststellungsantrag stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen.

Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten ihre Anträge auf Abweisung der Schmerzensgeldklage über den anerkannten Betrag von 30.775 DM nebst Zinsen hinaus und auf Abweisung der Klage auf Zahlung einer Verdienstausfallrente ab 1. Mai 1985 weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht beurteilt, anders als das Landgericht, die Ansprüche der Klägerin in Anlehnung an die Rechtsprechung des erkennenden Senates (BGHZ 93, 214) nach österreichischem Deliktsrecht. Es führt aus, daß die Klägerin von der Erstbeklagten nach §§ 5, 9 und 13 des österreichischen Bundesgesetzes vom 21. Januar 1959 über die Haftung für den Ersatz von Schäden aus Unfällen beim Betrieb von Eisenbahnen und beim Betrieb von Kraftfahrzeugen (EKHG) Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verlangen könne, und daß ein solcher Anspruch auch gegen den Zweitbeklagten nach § 1325 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (AGBG) begründet sei. Beide Beklagte hafteten nach §§ 1301, 1302, 891 AGBG solidarisch.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes, so erwägt das Berufungsgericht weiter, seien nach österreichischem Recht Art und Schwere der Körperverletzung, Art, Intensität und Dauer der Schmerzen, Dauer der Erwerbsunfähigkeit und Unlustgefühle der Verletzten zu berücksichtigen, dagegen nicht die Schwere des Verschuldens des Schädigers und die soziale Stellung der Parteien. Nach § 1326 AGBG und § 12 HKHG könne die Klägerin ferner eine angemessene Entschädigung für die erlittene Verunstaltung verlangen. Der vom Landgericht zugebilligte Gesamtbetrag von 120.000 DM liege an der oberen Grenze des Ermessensbereiches, sei aber ausnahmsweise, vor allem mit Rücksicht auf das noch jugendliche Alter der im Unfallzeitpunkt 23 Jahre alten Klägerin, noch vertretbar.

Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Rente für den erlittenen Verdienstausfall ergebe sich aus §§ 1325 AGBG, §§ 13, 14 EKHG. Die Einwände der Beklagten hiergegen, die Klägerin wäre auch ohne den Unfall nicht in der Lage gewesen, ihren früheren Beruf weiter auszuüben, bewegten sich nur im Bereich von Vermutungen. Die Klägerin habe nach ihrem Vortrag das Kind gewünscht, um nach dem schweren Unfall einen neuen Lebensinhalt zu finden. Es sei also gerade wahrscheinlich, daß sie ohne Unfall jedenfalls vorerst kein Kind gehabt hätte und ihren Beruf nicht hätte aufgeben müssen. Im übrigen stünden der Klägerin auch ohne Berücksichtigung einer Weiterarbeit im Beruf Schadensersatzansprüche wegen Beeinträchtigung ihrer Pflichten als Hausfrau und Mutter nach § 13 Nr. 3 EKHG zu.

II.

Die dagegen gerichteten Revisionsangriffe, mit denen u.a. die fehlende Ermittlung österreichischen Rechtes durch das Berufungsgericht gerügt wird, sind zum Schmerzensgeldanspruch begründet und führen insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache.

1. Die Anwendung österreichischen Deliktsrechts auf die Ansprüche der Klägerin entspricht, wie auch von den Parteien nicht mehr in Zweifel gezogen wird, deutschem Kollisionsrecht.

2. Die §§ 549 Abs. 1, 562 ZPO entziehen die Frage, ob das Berufungsgericht ausländisches Recht zutreffend angewandt und ausgelegt hat, der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Daran ist entgegen der Ansicht der Revision festzuhalten, auch wenn diese Regelung im Hinblick auf zunehmende internationale Verflechtungen zuweilen als unzweckmäßig angesehen wird.

3. Das Berufungsgericht hat jedoch gegen § 293 ZPO verstoßen.

a) Mit der Revision gerügt werden kann ein Verstoß des Berufungsgerichtes gegen seine in § 293 ZPO statuierte Pflicht zur Ermittlung des anzuwendenden ausländischen Rechtes. Zwar liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, wie er sich die Kenntnis vom Inhalt des ausländischen Rechtes verschafft (vgl. u.a. Senatsurteil vom 30. März 1976 - VI ZR 143/74 - NJW 1976, 1581 = VersR 1976, 832, 834 m.w.N.). Die Urteilsgründe müssen aber erkennen lassen, daß er dieses Ermessen bei der Ermittlung des ausländischen Rechtes auch tatsächlich ausgeübt hat (BGH, Urteil vom 5. November 1980 - VIII ZR 230/79 - NJW 1981, 522, 526). Das ausländische Recht ist von Amts wegen zu ermitteln (BGHZ 36, 348, 353; ständige Rechtsprechung; vgl. auch Fastrich ZZP 97, 423, 425 m.w.N.). Dabei sind nicht nur die Rechtsquellen heranzuziehen, sondern es ist auch die konkrete Ausgestaltung des ausländischen Rechts in der Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 30. März 1976 aaO; Fastrich aaO Seite 428 und 439 m.w.N.).

b) Danach hätte das Berufungsgericht zur Höhe der in der österreichischen Rechtsprechung zugebilligten Schmerzensgeldsbeträge die österreichische Rechtspraxis ermitteln müssen. Daran fehlt es, wie die Revision mit Recht geltend macht. Insoweit geht es nicht nur um prozessuale Grenzen einer tatrichterlichen Schätzung nach § 287 ZPO. Es gehörte zu der dem Berufungsgericht obliegenden Ermittlung des ausländischen Rechts, der Frage nachzugehen, ob nach österreichischem materiellen Recht für derartige Entschädigungen von immateriellen Nachteilen auch die Größenordnung der in vergleichbaren Fällen von den Gerichten zugesprochenen Geldbeträge eine Rolle spielt, und bejahendenfalls sich mit dieser Praxis näher auseinanderzusetzen. Im angefochtenen Urteil sind zwar die Bemessungsgrundsätze für das Schmerzensgeld nach österreichischem Recht angeführt; zur Höhe der danach zu leistenden Beträge ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung dagegen insoweit nichts. Nicht auszuschließen ist, daß die Bezugnahme auf Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 12. Auflage, S. 35 ff., und auf Kuntz, Schmerzensgeld, Loseblattsammlung IX "Österreich", S. 17 ff. im Begründungszusammenhang nur die Rechtsgrundlagen für diese Bemessungsfaktoren belegen soll. Das Schweigen des Berufungsgerichtes kann deshalb bedeuten, daß es verfahrensfehlerhaft seiner Ermittlungspflicht zur ausländischen Rechtspraxis nicht nachgekommen ist. Selbst wenn dem Tatrichter auch insoweit ein Ermessen eingeräumt sein sollte, als es um die Heranziehung der ausländischen Rechtsprechung geht, wäre der Ermessungsspielraum im Streitfall überschritten, weil hier jedenfalls weitere Ermittlungen zumutbar und unerläßlich waren. Jedenfalls dann ist das Berufungsgericht verpflichtet, zur Ermittlung der einschlägigen ausländischen Rechtspraxis im Urteil Ausführungen zu machen, wenn die Parteien, wie im Streitfall, auf sie hingewiesen haben, weil anders eine Nachprüfung auf Grund der Verfahrensrüge aus § 293 ZPO erschwert oder unmöglich gemacht würde.

4. Das angefochtene Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler. Es ist mindestens nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht nach weiteren Ermittlungen zum anzuwendenden österreichischen Recht zu einer dem Beklagten günstigeren Entscheidung zur Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes kommen wird. Eine eigene Sachentscheidung ist dem erkennenden Senat schon deswegen verwehrt, weil er nicht befugt ist, das maßgebende ausländische Recht zu ermitteln und anzuwenden.

II.

Unbegründet ist die Revision dagegen, soweit sie mit der Verfahrensrüge des § 293 ZPO die Zurückweisung der Berufung gegen die Zuerkennung einer Verdienstausfallrente an die Klägerin beanstandet.

a) Das Berufungsgericht hat insoweit das anzuwendende österreichische Recht ermittelt. Es hat nämlich ausgeführt, daß nach § 1325 ABGB, §§ 13, 14 EKHG Schadensersatz wegen Minderung der Verdienstfähigkeit für die Zukunft durch Errichtung einer monatlich vorauszuzahlenden Rente zu leisten ist.

aa) Die Revision macht nur geltend, daß entgegen den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes die unfallbedingten Erwerbseinbußen nicht (mehr) auf die Unfallverletzungen zurückzuführen seien. Sie zeigt aber nicht auf, daß dem Berufungsgericht dabei Verfahrensfehler unterlaufen sind. Da es in Wahrheit um tatsächliche Feststellungen geht, kommt es auf die Ermittlung ausländischen Rechtes insoweit nicht an. Die Rüge, nach den - vom Berufungsgericht zutreffend ermittelten - österreichischen Rechtsvorschriften hätte eine Verdienstausfallrente nur bis zur Heirat der Klägerin zugesprochen werden dürfen, betrifft die im Revisionsrechtzug nicht nachprüfbare Anwendung des materiellen ausländischen Rechtes. Auch die Revision vermag überdies eine von der deutschen abweichende österreichische Rechtspraxis zur materiellen Begrenzung des Anspruchs auf Verdienstausfall und deren etwaige fehlende Ermittlung nicht aufzuzeigen.

bb) Soweit die Revision in dem Zusammenhang weiter rügt - übrigens wiederum, ohne Belege oder wenigstens Anhaltspunkte dafür vorzubringen -, das Berufungsgericht habe nicht ermittelt, ob nach österreichischem Recht wegen des zukünftigen Verdienstausfalles keine Leistungs-, sondern nur eine Feststellungsklage zulässig gewesen wäre, kann ihr schon deswegen nicht gefolgt werden, weil sie sich damit gegen die Anwendung des deutschen Prozeßrechtes wendet. Wird wie hier vor einem deutschen Zivilgericht geklagt, gilt deutsches Verfahrensrecht (die sog. lex fori).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992895

NJW 1988, 648

BGHR ZPO § 293 Satz 2 Ermessen 3

DAR 1987, 289

MDR 1987, 833

VRS 73, 182

VersR 1987, 818

Warn 1987, 112

IPRspr. 1987, 1

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