Leitsatz (amtlich)

Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten einer Reparaturbestätigung für sich genommen nicht ersatzfähig. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig.

 

Normenkette

BGB § 249

 

Verfahrensgang

LG Mühlhausen (Urteil vom 30.03.2016; Aktenzeichen 1 S 93/15)

AG Heilbad Heiligenstadt (Entscheidung vom 05.06.2015; Aktenzeichen 1 C 719/14)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Mühlhausen vom 30.3.2016 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Parteien streiten über die Ersatzfähigkeit der Kosten für eine Reparaturbestätigung.

Rz. 2

Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 22.7.2014 in Anspruch. Die volle Haftung des Beklagten für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit. Ein Privatsachverständiger ermittelte die Kosten für die Reparatur des Unfallschadens am Fahrzeug der Klägerin mit netto 4.427,07 EUR. Die Klägerin rechnete auf Gutachtenbasis mit dem Beklagten ab, der den ermittelten Betrag erstattete. Die Reparatur ließ die Klägerin von ihrem Lebensgefährten, einem gelernten Kfz-Mechatroniker vornehmen. Die Ordnungsgemäßheit der Reparatur ließ sie sich von dem Sachverständigen bestätigen, der für die Erstellung der Reparaturbestätigung 61,88 EUR in Rechnung stellte.

Rz. 3

Das AG hat die auf Erstattung dieser 61,88 EUR zzgl. Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das LG hat die vom AG zugelassene Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 4

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin bei der von ihr gewählten fiktiven Abrechnungsmethode kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Erstellung der Reparaturbestätigung zustehe. Die Entscheidung der Klägerin, den Unfallschaden fiktiv abzurechnen, sei Ausfluss ihrer Dispositionsfreiheit. Die Klägerin habe es dann aber auch hinzunehmen, dass bei dieser Schadensabrechnung keine Reparaturrechnung einer Fachwerkstatt vorliege, die Art und Umfang der vorgenommenen Reparaturen beschreibe. Wenn die Klägerin gleichwohl im Hinblick auf eine eventuelle spätere Veräußerung des Unfallwagens oder einen möglichen erneuten Unfall im selben Fahrzeugbereich einen Nachweis der ordnungsgemäßen Reparatur wünsche, müsse sie diesen Nachweis auf eigene Kosten einholen. Entgegen der Auffassung der Klägerin folge eine Erstattungsfähigkeit auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin dem Beklagten aufgrund der fiktiven Abrechnungsart die Umsatzsteuer auf die Reparaturkosten erspart habe. Die Klägerin vermische insoweit die konkrete und die fiktive Schadensabrechnung.

II.

Rz. 5

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin bei der von ihr gewählten fiktiven Schadensberechnung keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Reparaturbestätigung hat. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig.

Rz. 6

1. Der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 19.6.1973 - VI ZR 46/72, BGHZ 61, 56, 58; v. 29.10.1974 - VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182, 184; v. 23.3.1976 - VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241 ff.; v. 20.6.1989 - VI ZR 334/88, VersR 1989, 1056; v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 398; v. 17.10.2006 - VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263 Rz. 15). Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der im Gegenzug nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufrieden gibt (BGH, Urt. v. 3.12.2013 - VI ZR 24/13, VersR 2014, 214 Rz. 10).

Rz. 7

Entscheidet sich der Geschädigte für die fiktive Schadensabrechnung, sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten nicht (zusätzlich) ersatzfähig. Der Geschädigte muss sich vielmehr an der gewählten Art der Schadensabrechnung festhalten lassen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig (vgl. BGH, Urt. v. 15.7.2003 - VI ZR 361/02, VersR 2004, 1575; v. 15.2.2005 - VI ZR 172/04, BGHZ 162, 170, 175; v. 30.5.2006 - VI ZR 174/05, NJW 2006, 2320, 2321 Rz. 11; v. 17.10.2006 - VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263 Rz. 15; v. 13.9.2016 - VI ZR 654/15, MDR 2017, 27 Rz. 17). Übersteigen die konkreten Kosten der - ggf. nachträglich - tatsächlich vorgenommenen Reparatur einschließlich der Nebenkosten wie tatsächlich angefallener Umsatzsteuer den aufgrund der fiktiven Schadensabrechnung zustehenden Betrag, bleibt es dem Geschädigten - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - im Übrigen unbenommen, zu einer konkreten Berechnung auf der Grundlage der tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten überzugehen (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2012 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50; vom 17.10.2006 - VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263; v. 20.4.2004 - VI ZR 109/03, BGHZ 158, 388, 391 f.).

Rz. 8

2. Nach diesen Grundsätzen hat die fiktiv abrechnende Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz der im Rahmen der konkret durchgeführten Reparatur angefallenen Kosten für die Reparaturbestätigung. Bei den geltend gemachten Kosten für die Reparaturbestätigung des Sachverständigen handelt es sich nicht um Kosten, die nach der gewählten fiktiven Berechnungsweise zur Wiederherstellung des Unfallfahrzeugs erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB waren. Es handelt sich vielmehr um eine Position, die ursächlich auf der freien Entscheidung der Klägerin beruht, ihr Fahrzeug nicht in einem Fachbetrieb, sondern in Eigenregie reparieren zu lassen (Wenker, jurisPR-VerkR 24/2015 Anm. 2; ders., jurisPR-VerkR 3/2014 Anm. 1). Auf die Motivation der Klägerin, im Hinblick auf eine mögliche spätere Veräußerung des Fahrzeugs oder einen eventuellen weiteren Unfallschaden an derselben Fahrzeugstelle den Nachweis einer ordnungsgemäß durchgeführten Reparatur vorzuhalten, kommt es in diesem Zusammenhang nach der eigenen Disposition der Klägerin nicht an (vgl. Heßeler, NJW 2015, 2744; a.A. LG Heidelberg, Urt. v. 23.8.2013 - 2 O 75/12, juris Rz. 27; AG Singen, Urteil vom 25.7.2016 - 14 C 453/16, juris Rz. 3; AG Fulda NJW 2015, 2743 Rz. 13 f.; AG Stuttgart, Urt. v. 20.2.2015 - 44 C 5090/14, juris Rz. 15).

Rz. 9

Entgegen der Auffassung der Revision ändert hieran auch der Umstand nichts, dass die Klägerin dem Beklagten durch ihre Entscheidung für eine fiktive Schadensberechnung den Ersatz von Umsatzsteuer erspart hat, die bei einer konkreten Berechnungsweise auf die tatsächlich durchgeführte Reparatur angefallen wäre. Die Nichtersatzfähigkeit tatsächlich nicht angefallener Umsatzsteuer ist vielmehr direkte Folge der gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB und der darin liegenden Begrenzung der Dispositionsfreiheit des Geschädigten (vgl. hierzu zuletzt BGH, Urt. v. 13.9.2016 - VI ZR 654/15, MDR 2017, 27 Rz. 11 m.w.N.).

Rz. 10

3. Etwas anderes könnte gelten, wenn die Reparaturbestätigung aus Rechtsgründen zur Schadensabrechnung erforderlich gewesen wäre, etwa im Rahmen der Abrechnung eines zusätzlichen Nutzungsausfallschadens (vgl. AG Düsseldorf, Urt. v. 30.7.2015 - 235 C 11335/14, juris Rz. 18; AG Schwabach, Urt. v. 22.11.2012 - 2 C 999/12, juris Rz. 5 ff.; AG Mainz, Urt. v. 15.5.2012 - 86 C 113/12, juris Rz. 12; AG Frankfurt, Urt. v. 3.2.2011 - 29 C 2624/10, juris Rz. 97 ff.). Die Reparaturbescheinigung wäre - ihre Eignung im Übrigen vorausgesetzt - dann als Nachweis der tatsächlichen Gebrauchsentbehrung (vgl. zu dieser Anspruchsvoraussetzung BGH, Urt. v. 23.3.1976 - VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 249; v. 10.3.2009 - VI ZR 211/08, VersR 2009, 697 Rz. 9; Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rz. 96; Wussow/Zoll, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 41 Rz. 90) erforderlich zur Rechtsverfolgung i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Entsprechendes kann im Fall der den Wiederbeschaffungsaufwand überschreitenden fiktiven Reparaturkosten für den Nachweis der verkehrssicheren (Teil-)Reparatur des Unfallfahrzeugs und damit des tatsächlich bestehenden Integritätsinteresses des Geschädigten (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 29.4.2008 - VI ZR 220/07, NJW 2008, 1941; vom 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395; Geigel/Knerr, a.a.O., Rz. 35; Wussow/Zoll, a.a.O., Rz. 10 f.) gelten.

Rz. 11

Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall.

 

Fundstellen

Haufe-Index 10442344

NJW 2017, 1664

NJW 2017, 9

ZAP 2017, 290

DAR 2017, 264

DAR 2017, 312

JZ 2017, 289

JuS 2017, 1111

MDR 2017, 393

NZV 2017, 223

VRS 2017, 61

VersR 2017, 440

NJW-Spezial 2017, 169

RÜ 2017, 415

RdW 2017, 337

SVR 2017, 183

SVR 2017, 217

SVR 2017, 4

VRA 2017, 56

VRR 2017, 2

VRR 2017, 8

r+s 2017, 215

FMP 2017, 96

Jura 2017, 989

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