Leitsatz (amtlich)

Die für die Haftung eines einer Anwaltssozietät angehörenden Rechtsanwalts geltenden Rechtsgrundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn die Anwälte nur nach außen hin den Anschein erweckt haben, zwischen ihnen bestehe eine Sozietät (Ergänzung zu BGHZ 56, 355).

 

Normenkette

BGB §§ 611, 167, 425

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main

LG Darmstadt

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 12. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. Juli 1976 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen dem Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Im Dezember 1973 wurde bei einem Verkehrsunfall der Zaun am Hausgrundstück des Klägers beschädigt. Sein Rechtsschutzversicherer empfahl ihm, die Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. B. in O. mit der Geltendmachung seiner Ersatzansprüche zu beauftragen. Er suchte daraufhin Dr. B. in dessen Kanzlei auf. An dem Haus, in dem sich das Anwaltsbüro befand, war ein Schild angebracht, auf dem außer Dr. B. auch der Beklagte und außerdem noch Rechtsanwalt Lothar R. als Rechtsanwälte aufgeführt waren. Nach der Unterredung mit dem Kläger teilte Dr. B. dem Haftpflichtversicherer des schuldigen Kraftfahrers mit, daß er den Kläger vertrete, und meldete sich auch bei dem Rechtsschutzversicherer des Klägers; Abschrift seiner Schadensanmeldung übersandte er dem Kläger. Für diese drei Schreiben verwendete er ebenso wie für spätere Briefe an den Kläger und an den Haftpflichtversicherer des Schädigers Briefbögen, auf denen im Kopf außer ihm auch der Beklagte und Rechtsanwalt Lothar R. aufgeführt waren. Der Rechtsschutzversicherer des Klägers wandte sich mit seinem Antwortschreiben an die „Herren Rechtsanwälte Dr. Wolfgang B. pp.” und bat diese im Auftrag ihres Versicherten, dessen Ersatzansprüche geltend zu machen. Auf die Bitte der Haftpflichtversicherung des Schädigers um Zusendung seiner Vollmacht ließ Dr. B. den Kläger ein Vollmachtsformular für außergerichtliche Angelegenheiten unterzeichnen; in diesem war nur er als der bevollmächtigte Rechtsanwalt vorgedruckt. Darin wurde ihm auch Vollmacht zur Empfangnahme von Geld erteilt.

Ende Januar 1974 erhielt Dr. B. eine für den Kläger bestimmte Entschädigung von 1.939,20 DM. Er leitete den Betrag jedoch nicht an den Kläger weiter.

Der Kläger nimmt, nachdem er gegen Dr. B. ein rechtskräftiges Urteil erstritten hat, den Beklagten als Gesamtschuldner mit Dr. B. auf Schadensersatz in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht ihr stattgegeben.

Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht vermochte nach Vernehmung von Dr. B. nicht festzustellen, es sei dem Kläger bekannt gewesen und habe seinem Wunsche entsprochen, daß nur Dr. B. mit der Geltendmachung der Ersatzforderung beauftragt sein sollte. Es hat auch nicht die Feststellung getroffen, daß der Beklagte aufgrund eines Gesellschaftsvertrages Sozius von Dr. B. war. Es schließt aus dem gemeinsamen Praxisschild und der Verwendung der gemeinsamen Briefbogen, daß der Kläger den Auftrag an alle hier aufgeführten Rechtsanwälte erteilt habe und daß Dr. B. – wie bei einer Sozietät – bei der Annahme des Mandats auch namens der beiden anderen Anwälte gehandelt habe. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des erkennenden Senats in BGHZ 56, 355 kommt es zu dem Ergebnis, daß auch der Beklagte Vertragspartner des Anwaltsvertrages gewesen sei, daher gesamtschuldnerisch mit Dr. B. für die von diesem begangene Vertragsverletzung hafte.

II.

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.

1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, daß jemand, der eine Anwaltssozietät aufsucht und einen Auftrag erteilt, grundsätzlich das Mandat allen ihm als Mitglieder dieser Sozietät erscheinenden Anwälten übertragen will, und daß der ihm gegenübertretende Anwalt aus der Anwaltssozietät regelmäßig in deren Namen handelt, wenn er ein ihm angetragenes Mandat annimmt (BGHZ 56, 355, 359; BGH, Urt. v. 13. Juli 1971 – VI ZR 140/70 = VersR 1971, 1119, 1120 und Beschluß vom 24. November 1972 – IV ZB 37/72 = VersR 1973, 231, 232; vgl. auch Kornblum BB 1973, 218, 224; Seltmann VersR 1974, 97). Er verpflichtet dabei nicht nur sich, sondern auch seine Sozien.

Dem Berufungsgericht ist weiter darin zu folgen, daß diese Rechtsfolge auch dann eintritt, wenn zwischen den Anwälten keine echte Sozietät besteht, wie der Beklagte dies behauptet, sondern wenn die Anwälte nur nach außen hin durch gemeinsames Praxisschild, Briefbögen, Stempel usw. den Anschein einer Sozietät erwecken, in Wirklichkeit aber sich nur zu einer Bürogemeinschaft verbunden haben oder ein Anstellungsverhältnis besteht oder aus anderen Gründen ein „Nichtsozius” in die gemeinsame „Anwaltsfirma” aufgenommen worden ist. In einem derartigen Fall erscheinen alle Anwälte als Mitglieder der Sozietät; sie erzeugen gegenüber dem Rechtsverkehr den Anschein, daß der handelnde Anwalt sie sämtlich vertritt. An diesem von ihnen gesetzten Rechtsschein müssen sich deshalb alle Anwälte festhalten lassen (vgl. Müller NJW 1969, 903, 905; Kornblum, a.a.O. S. 224 Fn. 161 und AnwBl. 1973, 153, 154; vgl. auch BGHZ 40, 297, 304). Dies ergibt sich aus den von der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätzen zur sog. Duldungs- und Anscheinsvollmacht (BGHZ 5, 111, 116; BGH, Urteile vom 27. September 1956 – II ZR 178/55 = LM BGB § 164 Nr. 9 und vom 4. Mai 1971 – VI ZR 126/69 – LM BGB § 164 Nr. 34).

2. Aufgrund dieser Rechtslage ist das Berufungsgericht nach der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme fehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger habe anläßlich seines ersten Besuches in der Anwaltskanzlei alle auf dem Praxisschild erwähnten Anwälte beauftragt, seine Ersatzansprüche geltend zu machen und Dr. B. habe namens aller dieser Anwälte das Mandat übernommen. In dieser Form bestätigte überdies später der Rechtsschutzversicherer des Klägers, der diesen bereits unmittelbar nach dem Schadensereignis an die „Kanzlei” des Rechtsanwalts Dr. B. verwiesen hatte, den Anwaltsvertrag, indem er nochmals in dessen Auftrag die „Herren Rechtsanwälte Dr. Wolfgang B. pp.” bat, die Schadensersatzansprüche ihres Versicherungsnehmers geltend zu machen (§ 16 Abs. 2 ARB; vgl. auch die beiden gleichzeitig verkündeten Urteile gegen denselben Beklagten VI ZR 220/76 und 232/76).

a) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht bei seiner rechtlichen Würdigung den auf den Briefbogen der Anwaltskanzlei in einer unteren Ecke aufgedruckten Vermerken: „Konten nur RA Dr. B.” keine Bedeutung beimißt, weil darin nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kam, daß allein Dr. B. mit der Vertretung des Klägers beauftragt sein sollte.

Der erkennende Senat folgt dem Berufungsgericht auch darin, daß die mehr als 10 Tage nach dem Abschluß des Anwaltsvertrages vom Kläger allein auf Dr. B. ausgestellte Vollmacht weder einen Hinweis darauf liefert, der Kläger habe von Anfang an nur mit Dr. B. einen Vertrag schließen wollen, noch daß Dr. B. den Anwaltsvertrag nunmehr dahin beschränken wolle, daß anstelle eines Gemeinschaftsauftrages ein Einzelmandat für ihn treten solle. Mit Recht führt das Berufungsgericht aus, eine erst im Laufe der Bearbeitung der Sache ausgestellte Einzelvollmacht lasse keinen zuverlässigen Schluß darauf zu, mit wem ursprünglich der Anwaltsvertrag geschlossen worden ist. Im Streitfalle konnte sich das Berufungsgericht für seine Ansicht zusätzlich noch auf das Begleitschreiben stützen, mit dem Rechtsanwalt Dr. B. dem Kläger das Vollmachtsformular zusandte, da auch in dessen Kopf sämtliche Anwälte aufgeführt waren, und Dr. B. die Vollmacht ohne jede weitere Erklärung, lediglich mit dem Hinweis anforderte, die gegnerische Haftpflichtversicherung wünsche eine Vollmacht. Zutreffend schließt das Berufungsgericht daraus, der Kläger habe bei dieser Sachlage nicht auf den Gedanken kommen müssen, die Fassung der Vollmacht diene der Klarstellung, mit wem der Anwaltsvertrag geschlossen war, sondern habe davon ausgehen dürfen, es handle sich nur um eine Formalität.

b) Der vom Kläger mit allen Anwälten, die nach außen hin als Mitglieder der Kanzlei Dr. B. erschienen, einschließlich des Beklagten geschlossene Anwaltsvertrag umfaßte auch die Einziehung der von dem gegnerischen Haftpflichtversicherer gezahlten Summe. Zwar ist für die Empfangnahme von Zahlungen durch einen Rechtsanwalt, die für seinen Mandanten bestimmt sind, und deren Weiterleitung im allgemeinen ein besonderer Auftrag erforderlich (vgl. Gerold/Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 6. Aufl., Rdn. 3; Lauterbach/Hartmann, Kostengesetze, 18. Aufl., § 22 BRAGO, Anm. 2 A, beide zu § 22 BRAGO). Diesen Auftrag mag der Kläger erst mit Unterzeichnung der Vollmacht erteilt haben. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, er habe diesen Zusatzauftrag nur an Rechtsanwalt Dr. B. erteilt. Zwar dürfte dann, wenn im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beauftragung eines Anwalts einer Sozietät eine nur auf einen dieser Anwälte ausgestellte Vollmacht unterzeichnet wird, ein Einzelmandat anzunehmen sein (vgl. BGHZ 56, 355, 358). Im Streitfall jedoch, in dem bereits ein Vertrag mit allen Anwälten bestand und allenfalls eine Erweiterung dieses Vertrags in Betracht kam, muß davon ausgegangen werden, daß der Kläger auch diesen Auftrag nur allen Anwälten gemeinsam erteilte und Rechtsanwalt Dr. B. ihn in dieser Form annahm. Auch dies wird dadurch bestätigt, daß Dr. B. die Vollmacht mit einem Schreiben anforderte, in dem alle Anwälte im Briefkopf aufgeführt waren, und dessen Inhalt keine Einschränkung erkennen ließ. Dem auf dem Briefbogen angebrachten Vermerk: „Konten nur RA Dr. B.” kommt insoweit ebenfalls keine entscheidende Bedeutung zu. Eine solche Kontenerrichtung nur für den „Seniorpartner” einer Anwaltssozietät ist durchaus mit dem Abschluß eines Anwaltsvertrages über die Erhebung von Mandantengelder, der mit allen Anwälten der Sozietät geschlossen wird, vereinbar.

3. Die Mandatserteilung an den Beklagten führt auch wie das Berufungsgericht weiter zutreffend ausführt zur Haftung des Beklagten für die von Rechtsanwalt Dr. B. nicht weitergeleiteten Mandantengelder. Der Senat hält insoweit an seiner bereits in BGHZ 56, 355, 361 f vertretenen Auffassung fest (kritisch zu der Begründung: Erman/Westermann, BGB, 6. Aufl. § 425 Rdn. 3). Entgegen der Ansicht der Revision muß jeder von mehreren Rechtsanwälten, der Vertragspartner eines Anwaltsvertrages ist, auch für vorsätzliche Verletzungen des Anwaltsvertrages, die der Sozius begeht, einstehen, und dies auch dann, wenn diese Vertragsverletzung zugleich eine strafbare Handlung ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609603

BGHZ, 247

NJW 1978, 996

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