Leitsatz (amtlich)

a) Wenn sich über den Inhalt des durch eine deutsche Kollisionsnorm berufenen ausländischen Rechts keine sicheren Feststellungen treffen lassen, sind grundsätzlich die Sachnormen des deutschen Rechts anzuwenden.

In Fällen, in denen die Anwendung des inländischen Rechts äußerst unbefriedigend wäre, kann auch die Anwendung des dem an sich berufenen Rechts nächstverwandten oder des wahrscheinlich geltenden Rechts gerechtfertigt sein (Bestätigung von BGHZ 69, 387).

b) Zur Anfechtung der Ehelichkeit durch das Kind nach türkischem Recht.

 

Normenkette

EGBGB Art. 7 ff (Deutsches internationales Privatrecht), Art. 18

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 08.02.1980)

AG Berlin-Wedding

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 8. Februar 1980 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger, seine Mutter und der Beklagte sind türkische Staatsangehörige. Die Mutter des Klägers war mit dem Beklagten verheiratet. Die Ehe ist durch Urteil eines türkischen Gerichts geschieden worden, das am 17. Februar 1975 rechtskräftig geworden ist. Der Kläger wurde am 12. Juli 1975 geboren. Er lebt mit seiner Mutter in Berlin. Der Beklagte lebt in der Türkei.

Mit der Klage hat der Kläger seine Ehelichkeit angefochten. Er hat vorgetragen, seine Mutter habe seit dem Jahre 1970 vom Beklagten getrennt gelebt und während der Empfängniszeit mit diesem keinen Geschlechtsverkehr gehabt. Sein Erzeuger sei ein türkischer Staatsangehöriger, mit dem seine Mutter in Berlin zusammenlebe.

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger sein Anfechtungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Formelle Hindernisse stehen der Klage nicht entgegen.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist nach § 640 a Abs. 1 Satz 1 i.V. mit §§ 12, 13 ZPO gegeben. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob der im Rahmen des § 13 ZPO geltende Grundsatz, daß die Frage nach dem inländischen Wohnsitz auch für einen Ausländer nach deutschem Recht zu beantworten ist (BGH WM 1975, 915), auch für den abgeleiteten Wohnsitz eines minderjährigen Kindes gilt (bejahend: Stein/Jonas/Schumann, ZPO 20. Aufl. § 13 Rdn. 1 und 6 m.w.N.). Da keine Entscheidung ergangen ist, aufgrund deren die Mutter ihre Teilhabe an der elterlichen Sorge für den Kläger verloren hätte, hat der Kläger sowohl nach deutschem (§ 11 BGB) wie nach türkischem Recht (Art. 21 des türkischen Bürgerlichen Gesetzbuches, im folgenden: TBGB) zumindest auch in Berlin einen Wohnsitz. Auf die Frage, ob die Türkei als Heimatstaat der Parteien für Statusverfahren der vorliegenden Art die ausschließliche internationale Zuständigkeit ihrer Gerichte in Anspruch nimmt und ob die Entscheidung des deutschen Gerichts dort anerkannt werden wird, kommt es für die deutsche Zuständigkeit nicht an. Eine dem § 606 b Nr. 1 ZPO entsprechende Vorschrift besteht für Kindschaftssachen nicht.

Das Amtsgericht hat in seinem klageabweisenden Urteil dem Kläger das Rechtsschutzinteresse für die Klage abgesprochen mit der Begründung, daß das Urteil in der Türkei höchstwahrscheinlich nicht anerkannt werden würde und der Kläger die Möglichkeit habe, die Klage in seinem Heimatstaat zu erheben. Dieser Auffassung, mit der sich das Berufungsgericht nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat, kann nicht beigetreten werden. Selbst wenn die Wirkungen des Urteils auf das Inland beschränkt wären, würde das Rechtsschutzinteresse des Klägers schon daraus folgen, daß mit der Entscheidung wenigstens für das Inland sein nichtehelicher Status festgestellt und ihm dadurch die Möglichkeit eröffnet wäre, die Vaterschaft des (im Inland lebenden) Mannes, den er für seinen Erzeuger hält, geltend zu machen und diesen auf Unterhalt in Anspruch zu nehmen.

II.

1. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger ein Anfechtungsrecht abgesprochen und dies wie folgt begründet:

Maßgebend sei nach Art. 18 Abs. 1 EGBGB das türkische Recht. Das türkische Bürgerliche Gesetzbuch sehe ein Anfechtungsrecht des Kindes, wie vom Berufungsgericht schon früher dargelegt worden sei (KG DAVorm 1977, 525), nicht vor. Allerdings sei nicht nur der Gesetzeswortlaut zu berücksichtigen, sondern das ausländische Recht in der Ausgestaltung durch Rechtsprechung und Rechtslehre zugrunde zu legen. Eine türkische Rechtsprechung bestehe jedoch zur Frage des Anfechtungsrechts des Kindes nicht. Daß türkische Gerichte wahrscheinlich ein solches Recht bejahen würden, genüge nicht, denn das deutsche Gericht dürfe kein bloß wahrscheinlich geltendes ausländisches Recht anwenden, von dessen Geltung es nicht überzeugt sei.

Selbst wenn festgestellt werden könnte, daß die türkischen Gerichte der einhelligen Auffassung der türkischen Rechtslehre folgen werden, die ein Anfechtungsrecht des Kindes bejahe, wäre das Berufungsgericht nicht davon überzeugt, daß dem Kläger im vorliegenden Fall von einem türkischen Gericht ein Anfechtungsrecht zugestanden würde. Die türkische Rechtslehre stütze sich auf Entscheidungen schweizerischer Gerichte, die ein Anfechtungsrecht des Kindes nur dann zuließen, wenn die anderen Anfechtungsberechtigten ihre Anfechtungsfrist hätten verstreichen lassen. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben. Der Beklagte sei nach Art. 242 TBGB zur Anfechtung berechtigt. Es stehe bisher nicht fest, daß er von der Geburt des Klägers Kenntnis erhalten habe. Der Kläger habe vorgetragen, daß der Beklagte von seiner Existenz keine Ahnung habe. Ob der Beklagte die zu Händen seiner Tante zugestellte Klage erhalten und verstanden habe, sei ungewiß.

Der Ausschluß des Kindes von der Möglichkeit einer Ehelichkeitsanfechtung im türkischen Recht stelle keinen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes dar, so daß Art. 30 EGBGB nicht anzuwenden sei.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand und tragen die angefochtene Entscheidung nicht.

a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß für die sachliche Beurteilung des Klagebegehrens das türkische Recht maßgebend ist. Die Anfechtung der Ehelichkeit bestimmt sich gemäß Art. 18 Abs. 1 EGBGB, der von Rechtsprechung und Lehre zu einer allseitigen Kollisionsnorm entwickelt worden ist, nach dem Recht des Staates, dem der Ehemann der Mutter zur Zeit der Geburt des Kindes angehört hat. Die gegen diese Regelung in einem Teil der Literatur (Nachweise in BGHZ 75, 32, 35) erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht durch (BGH a.a.O. mit zust. Anmerkung Heldrich FamRZ 1979, 1006). Die Frage, ob in dem – hier vorliegenden – Fall, daß die Ehe der Mutter vor der Geburt des Kindes geschieden worden ist, die Staatsangehörigkeit des Ehemannes im Zeitpunkt der Scheidung maßgebend ist (vgl. Palandt/Heldrich, BGB 40. Aufl. Art. 18 EGBGB Anm. 2 m.w.N.), kann offen bleiben, weil der Beklagte auch in diesem Zeitpunkt türkischer Staatsangehöriger war. Eine Zurückverweisung auf deutsches Recht (Art. 27 EGBGB), die vom Revisionsgericht zu beachten wäre (BGHZ 45, 351, 354 m.w.N.), enthält das türkische Recht nicht.

b) Das Berufungsgericht hat, ohne dies näher zu erörtern, angenommen, daß der Kläger nach türkischem Recht als eheliches Kind anzusehen ist (vgl. hierzu Art. 241 TBGB). Davon ist nach §§ 549 Abs. 1, 562 ZPO bei der Revisionsentscheidung auszugehen.

c) Das Berufungsgericht hat sich, wie dem Gesamtinhalt seiner Ausführungen zu entnehmen ist, nicht in der Lage gesehen, festzustellen, ob nach dem derzeitigen türkischen Rechtszustand dem Kläger ein Anfechtungsrecht zusteht oder nicht. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Die Ausführungen des Berufungsgerichts können nicht – wie die Revision meint – dahin verstanden werden, daß es die Frage nach dem Bestehen eines Anfechtungsrechts des Kindes nach türkischem Recht verneinen wollte. Das Berufungsgericht ist zwar noch in der von ihm angeführten Entscheidung vom 10. Dezember 1976 (KG DAVorm 1977, 525; ebenso KG OLGZ 1977, 452) zu dem Ergebnis gelangt, daß nach türkischem Recht das Kind seine Ehelichkeit nicht anfechten könne. Auf diese Entscheidung hat es jedoch ausdrücklich nur zum Beleg dafür Bezug genommen, daß das türkische bürgerliche Gesetzbuch (seinem Wortlaut nach) ein Anfechtungsrecht des Kindes nicht enthält. Dagegen hat es nicht festgestellt, daß die türkische Rechtspraxis ein solches Anfechtungsrecht verneine. Es hat im Gegenteil unterstellt, daß die türkische Rechtsprechung, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit der Frage noch nicht befaßt war, dem Kind wahrscheinlich ein Anfechtungsrecht zubilligen würde.

Zum besseren Verständnis dieser Ausführungen muß auf die Rechtsentwicklung zurückgegriffen werden, von der das Berufungsgericht nach den von ihm in Bezug genommenen Unterlagen ausgegangen ist: Das türkische Bürgerliche Gesetzbuch ist dem schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) nachgebildet und sieht – ebenso wie ursprünglich das ZGB – die Anfechtung der Ehelichkeit durch das Kind nicht vor. In der Schweiz hatte sich jedoch in neuerer Zeit die Auffassung durchgesetzt, daß gleichwohl dem Kind unter bestimmten Voraussetzungen ein Anfechtungsrecht zustehe. Das schweizerische Bundesgericht hat mit Urteil vom 23. November 1962 (BGE 88 II 477) ein Anfechtungsrecht des Kindes jedenfalls für den Fall bejaht, daß die Mutter nach Auflösung der Ehe den Erzeuger geheiratet und der frühere Ehemann die Anfechtungsfrist versäumt hat. (Inzwischen ist in der Schweiz das Anfechtungsrecht des Kindes in dem am 1. Januar 1978 in Kraft getretenen Art. 256 Nr. 2 ZGB gesetzlich geregelt; das Kind kann danach die Vermutung der Vaterschaft des Ehemannes der Mutter anfechten, wenn während seiner Unmündigkeit der gemeinsame Haushalt der Ehegatten aufgehört hat). Nach türkischer Rechtspraxis ist zur Auslegung des türkischen Bürgerlichen Gesetzbuches auch ein Rückgriff auf die schweizerische Rechtsprechung und Lehre zulässig. In der türkischen Rechtslehre wird nach der im Rechtsstreit vom Kläger vorgelegten Auskunft des türkischen Justizministeriums ein Anfechtungsrecht des Kindes bejaht, wenn der Ehemann der Mutter oder die an seiner Stelle zur Anfechtung Berufenen (Art. 245 TBGB) die Anfechtungsfrist versäumt haben. Nach einer weiteren, vom Berufungsgericht eingeholten Auskunft des türkischen Justizministeriums entspricht es inzwischen der einhelligen Auffassung in der türkischen Rechtsliteratur, daß dem Kind ein Anfechtungsrecht zusteht (vgl. dazu auch Krüger, StAZ 1980, 2, 3); eine türkische Rechtsprechung liegt dagegen zu dieser Frage bisher nicht vor.

Nach dieser vom Berufungsgericht ermittelten Lage ist die Rechtsentwicklung hinsichtlich des Anfechtungsrechts des Kindes in der Türkei derzeit im Fluß, und das Berufungsgericht hat sich nicht imstande gesehen, zu beurteilen, wie die türkischen Gerichte diese Frage entscheiden würden. Dem Berufungsurteil kann auch nicht entnommen werden, daß das Berufungsgericht ein Anfechtungsrecht des Kindes nach türkischem Recht jedenfalls dann für nicht gegeben erachtet hat, wenn die Anfechtungsfrist für den früheren Ehemann der Mutter noch nicht abgelaufen ist. Das Berufungsgericht hat zwar darauf hingewiesen, daß selbst bei Berücksichtigung der schweizerischen Rechtsprechung durch die türkischen Gerichte nur ein subsidiäres Anfechtungsrecht des Kindes in Betracht käme. Es hat aber, obwohl es vom Fortbestehen des Anfechtungsrechts des Beklagten ausgegangen ist, die Klage nicht aus diesem Grunde abgewiesen. Vielmehr hat es aufgrund der vorgenannten Erwägung nur ausgesprochen, daß es selbst für den Fall der Übernahme der türkischen Rechtslehre durch die türkischen Gerichte nicht davon überzeugt wäre, daß dem Kläger ein Anfechtungsrecht zugestanden würde. Eine Feststellung, mit welcher Maßgabe die türkischen Gerichte ein Anfechtungsrecht des Kindes äußerstenfalls bejahen würden, enthält das Berufungsurteil nicht.

bb) Die Entscheidung des Berufungsgerichts weist insoweit keinen im Revisionsverfahren nachprüfbaren Rechtsfehler auf. Unter dem ausländischen Recht, das der Richter nach den Normen des deutschen internationalen Privatrechts anzuwenden hat, sind nicht lediglich die positiven Gesetzesnormen, sondern das Recht zu verstehen, wie es aufgrund der Rechtslehre und der Rechtsprechung wirklich gestaltet ist (BGH NJW 1963, 252 m.w.N.). Eine im ausländischen Recht umstrittene Rechtsfrage darf der deutsche Richter nicht unter Anwendung inländischer Auslegungskriterien beurteilen. Vielmehr muß die ausländische Rechtspraxis ergründet werden, wobei die Ermittlung der Rechtsprechung im Vordergrund steht. Wenn einschlägige Entscheidungen der ausländischen Gerichte nicht vorliegen, sind Auslegung oder Rechtsfortbildung nur in der Weise zulässig, wie sie von dem ausländischen Richter, hätte er den Fall zu entscheiden, vorzunehmen sein würden. In schwierigen und grundlegenden Fragen bedarf es hierzu eines ausreichenden Einblicks in das fremde Rechtssystem und das fremde Rechtsdenken, der dem einheimischen Richter oft fehlen wird (vgl. zu allem: Buchholz, Festschrift Hauß – 1978 – S. 15, 23). Wenn danach der deutsche Richter nicht in der Lage ist, eine im ausländischen Recht umstrittene, in der Rechtsprechung noch nicht entschiedene Frage sicher zu beurteilen, kann er den Inhalt des zur Anwendung berufenen ausländischen Rechts insoweit nicht feststellen.

Allerdings muß der Tatrichter seiner nach § 293 ZPO bestehenden Pflicht genügen, das ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln, und dabei von den ihm zugänglichen Erkenntnisquellen Gebrauch machen (BGHZ 36, 348, 353; BGH NJW 1976, 1581). Dies hat das Berufungsgericht jedoch im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung der Revision getan. Es hat zusätzlich zu den vom Kläger im ersten Rechtszug vorgelegten Unterlagen – einer Auskunft des türkischen Justizministeriums und einem Sachverständigengutachten – noch eine ergänzende Auskunft des türkischen Justizministeriums eingeholt, und zwar insbesondere auch zu der Frage, ob eine Praxis türkischer Gerichte zur Frage des Anfechtungsrechts des Kindes besteht. Die Auskunft hat ergeben, daß insoweit keine Rechtsprechung türkischer Gerichte vorliegt. Es ist nicht ersichtlich und auch von der Revision nicht geltend gemacht, daß dem Berufungsgericht zusätzliche Erkenntnisquellen zur Verfügung gestanden hätten, aus denen sich etwas anderes ergeben hätte. Die Art und Weise, in der sich der Tatrichter die Kenntnis des ausländischen Rechts verschafft, liegt im übrigen in seinem pflichtgemäßen Ermessen und ist grundsätzlich im Revisionsverfahren nicht nachprüfbar (BGH NJW 1963, 252; 1975, 2142, 2143). Die Revision macht mit ihrer auf § 293 ZPO gestützten Verfahrensrüge geltend, das Berufungsgericht hätte bei der Ermittlung des Inhalts des türkischen Rechts zu dem Ergebnis kommen müssen, die türkische Rechtsprechung werde dem Kind ein Anfechtungsrecht zubilligen, weil sie sich mit Sicherheit an der schweizerischen Rechtsprechung orientieren und auch gemäß Art. 1 Abs. 2 TBGB der türkischen Rechtslehre folgen werde. Damit greift sie jedoch die Feststellungen des Berufungsgerichts über den Inhalt des türkischen Rechts an, die nicht der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegen (§§ 549 Abs. 1, 562 ZPO).

d) Rechtsfehlerhaft ist es jedoch, daß das Berufungsgericht aus dem Umstand, daß es nicht feststellen konnte, ob dem Kläger nach türkischem Recht ein Anfechtungsrecht zusteht oder nicht, gefolgert hat, daß die Klage abzuweisen sei. Die im Schrifttum umstrittene Frage, wie zu verfahren ist, wenn sich über den Inhalt des durch eine deutsche Kollisionsnorm berufenen ausländischen Rechts keine sicheren Feststellungen treffen lassen, ist vom Bundesgerichtshof in BGHZ 69, 387, 393 ff. dahin entschieden worden, daß in diesem Fall grundsätzlich die Sachnormen des deutschen Rechts anzuwenden sind. In Fällen, in denen die Anwendung des inländischen Rechts äußerst unbefriedigend wäre, kann auch die Anwendung des dem an sich berufenen Recht nächstverwandten oder des wahrscheinlich geltenden Rechts gerechtfertigt sein (BGHZ a.a.O. S. 394). Dagegen kann die dem Berufungsurteil zugrundeliegende Auffassung, daß zum Nachteil der Partei zu entscheiden sei, die aus dem nicht feststellbaren ausländischen Recht für sich Rechte ableitet, nicht gebilligt werden. Sie würde auf eine subjektive Beweislast hinsichtlich ausländischer Rechtssätze hinauslaufen, die nach deutschem Recht nicht besteht.

Im vorliegenden Fall würde nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts die Anwendung des deutschen Rechts, nach dem ein Anfechtungsrecht des Kindes nach Maßgabe der §§ 1593 ff. BGB in Betracht kommt, nicht unbefriedigend erscheinen, weil der Fall durch den Inlandsaufenthalt von Mutter und Kind eine Inlandsbeziehung aufweist und überdies ein Anfechtungsrecht des Kindes auch dem türkischen Rechtsdenken jedenfalls nicht völlig fremd wäre. Danach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben (§§ 563, 564 ZPO). Das Berufungsgericht wird in der neuen Verhandlung das Anfechtungsrecht des Kindes nach deutschem Recht zu prüfen haben, wenn es wiederum nicht feststellen kann, ob dem Kläger nach dem an sich maßgebenden türkischen Recht ein Anfechtungsrecht zusteht oder nicht.

Die bisherigen Erwägungen des Berufungsgerichts zu einem möglicherweise in Betracht kommenden subsidiären Anfechtungsrecht des Kindes nach türkischem Recht geben noch Anlaß zu folgendem Hinweis: Wenn das Berufungsgericht aufgrund der neuen Verhandlung die Überzeugung gewinnen sollte, das Kind könne nach türkischem Recht seine Ehelichkeit anfechten, wenn die Anfechtungsfrist für den Ehemann der Mutter verstrichen sei, dann dürfte es nicht ohne weiteres – wie im angefochtenen Urteil – zu Lasten des klagenden Kindes davon ausgehen, daß der Beklagte von der Geburt des Klägers bisher keine Kenntnis hat. Das Verfahren unterliegt den Regeln des deutschen Prozeßrechts und damit nach Maßgabe der §§ 616 Abs. 1, 617, 640 Abs. 1, 640 d ZPO dem Untersuchungsgrundsatz. Dieser würde es erforderlich machen, den Beklagten zu befragen, ob und wann er von der Geburt des Klägers Kenntnis erhalten hat, wenn es für die Entscheidung darauf ankäme. Der Kläger hat zwar vorgetragen, daß der Beklagte ursprünglich von seiner Geburt nichts wußte. Da dem Beklagten jedoch die Klage – wenn auch zu Händen seiner Tante – zugestellt worden ist, kann die Fortdauer dieser Unkenntnis nicht unterstellt werden.

 

Unterschriften

Lohmann, Portmann, Seidl, Krohn, Macke

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502482

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