Leitsatz (amtlich)

a) Zur Abgrenzung der Kündigungsmöglichkeiten des Reisenden nach den §§ 651 e und 651 j BGB

b) Die Kündigung des Reisevertrages nach § 651 e BGB begründet ein beiderseitiges Rückgewährschuldverhältnis. Hat der Reisende den Reisepreis vorweg entrichtet, kann der Reiseveranstalter nicht einwenden, er sei nicht mehr bereichert.

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 21.10.1981)

LG Frankfurt am Main

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Oktober 1981 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe von 4.412 DM nebst Zinsen abgewiesen worden ist.

In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beklagte veranstaltet Pauschalreisen. Im Oktober 1979 buchte der Kläger bei ihr eine Flugpauschalreise für zwei Personen auf die im Indischen Ozean gelegene Insel M. (mit Halbpension im Hotel Me.) für die Zeit vom 22. Dezember 1979 bis 6. Januar 1980. Den Gesamtpreis von 6.568 DM entrichtete er vor Antritt der Reise.

Während des Hinflugs tobte auf M. der Zyklon "C.". Der Flug wurde daher auf der Insel R. für fünf Stunden unterbrochen. Auf M. wurden der Kläger und seine Begleiterin zunächst in einem anderen Hotel provisorisch untergebracht. Am folgenden Tag wurde ihnen das gebuchte Zimmer im Hotel Me. zugewiesen. Infolge des Unwetters gab es in den Hotels weder elektrisches Licht noch fließendes Wasser; die Verpflegung entsprach nicht dem hausüblichen Niveau. Der Swimming-Pool konnte wegen Verschmutzung nicht benutzt werden, da die Umwälzpumpe nicht lief. Am 28. Dezember 1979 buchten der Kläger und seine Begleiterin bei der Örtlichen Vertretung der Beklagten die vorzeitige Heimreise und flogen am selben Tag nach Deutschland zurück. Die Beklagte erstattete dem Kläger vom gezahlten Reisepreis 1.960 DM als eingesparte Verpflegungs- und Unterbringungskosten.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Rückzahlung der übrigen Reisekosten, also 4.608 DM, sowie 1.932 DM Schadensersatz verlangt, insgesamt also 6.540 DM nebst Zinsen.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 88 DM nebst Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger weitere 108 DM nebst Zinsen zuerkannt. Mit der - zugelassenen - Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt der Kläger weiterhin die vollständige Rückzahlung des Reisepreises, also weiterer 4.412 DM; Schadensersatz verlangt er nicht mehr.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger habe den Vertrag nur nach § 651 j BGB kündigen können. Diese Spezialvorschrift für Fälle höherer Gewalt schließe die Anwendung des sonstige Leistungsstörungen erfassenden § 651 e BGB aus. Die Kündigung gemäß § 651 j habe zur Folge, daß der Reiseveranstalter zwar den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung verliere, statt dessen aber eine angemessene Entschädigung für die von ihm erbrachten Leistungen verlangen könne. Es komme anders als bei der Kündigung nach § 651 e BGB nicht darauf an, ob diese Leistungen für den Reisenden von Interesse gewesen seien.

Bei der Bemessung der Entschädigung seien die Kosten des Fluges von und nach M. (3.824 DM für zwei Personen) voll in Ansatz zu bringen. Für die Hotelleistungen seien wegen ihrer starken Beeinträchtigung 50 % des üblichen Preises als Entschädigung angemessen, nämlich 98 DM täglich. Somit betrage der Entschädigungsanspruch der Beklagten insgesamt 4.412 DM (3.824 DM Flugkosten 588 DM Hotelkosten). Nachdem die Beklagte auf den im voraus bezahlten Reisepreis von 6.568 DM vorprozessual bereits 1.960 DM erstattet habe, ergebe sich noch ein nicht verjährter Rückzahlungsanspruch des Klägers von 196 DM aus dem Rückgewährschuldverhältnis.

Gegen die dem Berufungsurteil zugrundeliegende Auslegung der §§ 651 e und j BGB wendet sich die Revision des Klägers im Ergebnis mit Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht wendet zu Recht die am 1. Oktober 1979 in Kraft getretenen Vorschriften über den Reisevertrag (§§ 651 a ff. BGB) an; die Parteien haben den Vertrag im Oktober 1979 geschlossen.

Nach § 651 e BGB kann der Reisende den Vertrag kündigen, wenn die Reise infolge eines Mangels der in § 651 c BGB bezeichneten Art erheblich beeinträchtigt wird. Eine Reise weist nach § 651 c BGB u.a. dann einen Mangel auf, wenn sie mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen aufheben oder mindern.

Eine derart erhebliche Beeinträchtigung ergab sich hier aus dem Ausfall der Wasser- und Stromversorgung und dem eingeschränkten Verpflegungsstandard im gebuchten Hotel. Davon geht das Berufungsgericht zu Recht aus; auch die Parteien haben darüber nicht gestritten. Der Kläger durfte daher den Reisevertrag nach § 651 e BGB kündigen und tat dies noch auf Mauritius. Vorheriger Fristsetzung bedurfte es nicht, da die Beklagte den Mängeln ohnehin nicht abhelfen konnte (§ 651 e Abs. 2 Satz 2 BGB).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war der Kläger nicht auf die Kündigung nach § 651 j BGB beschränkt.

1.

Nach § 651 j BGB können sowohl der Reiseveranstalter als auch der Reisende den Vertrag kündigen, wenn die Reise infolge bei Vertragsschluß nicht voraussehbarer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird. Da die hier aufgetretenen Mängel sämtlich von dem unvorhergesehenen und besonders verheerenden Zyklon "C." ausgelöst wurden, waren an sich sowohl die Voraussetzungen des § 651 e als auch die des § 651 j BGB gegeben. Damit stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese beiden Vorschriften zueinander stehen.

2.

Ihre Abgrenzung hat erhebliche Bedeutung, weil die Kündigung nach § 651 e BGB zu teilweise anderen Rechtsfolgen führt als jene nach § 651 j BGB. Zwar verliert der Reiseveranstalter in beiden Fällen den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Er kann statt dessen für die bereits erbrachten oder zur Beendigung der Reise noch zu erbringenden Reiseleistungen jeweils eine nach § 471 BGB zu bemessende Entschädigung verlangen (§ 651 e Abs. 3 Satz 2, § 651 j Abs. 2 Satz 1 BGB). Bei der Kündigung nach § 651 j schließt das aber eine Entschädigung auch für die Leistungen ein, die für den Reisenden "infolge der Aufhebung des Vertrages" kein Interesse haben. Bei der Lösung des Vertrages nach § 651 e entfällt ein Ausgleich für solche Leistungen (Abs. 3 Satz 3); diese Kosten fallen dem Reiseveranstalter zur Last. Gemäß § 651 j hat Mehrkosten grundsätzlich der Reisende zu tragen (Abs. 2 Satz 3), - mit Ausnahme etwaiger Mehrkosten der Rückbeförderung, die sich die Parteien - anders als im Falle des § 651 e Abs. 4 Satz 2 - hälftig zu teilen haben (§ 651 j Abs. 2 Satz 2).

Die Kündigung aufgrund der Vorschrift des § 651 e BGB ist somit für den Reisenden günstiger. Die Kündigung gemäß § 651 j BGB kann ihm keine rechtlichen Vorteile verschaffen, die er nicht auch über § 651 e BGB erzielen würde. Daß der Reisende nach § 651 e Abs. 2 BGB in der Regel erst kündigen kann, wenn der Veranstalter eine ihm gesetzte Abhilfefrist hat verstreichen lassen, hat im Vergleich zur Kündigungsmöglichkeit nach § 651 j BGB kaum praktische Bedeutung. Wenn die Reise durch nicht voraussehbare höhere Gewalt erheblich beeinträchtigt wird, ist rechtzeitige Abhilfe oft unmöglich und Fristsetzung dann entbehrlich. Dafür gibt gerade der vorliegende Fall ein Beispiel.

3.

Das Schrifttum vertritt überwiegend die Meinung, daß der Reisende zwischen den Kündigungsrechten aus § 651 e und j BGB wählen könne (Palandt/Thomas, BGB, 41. Aufl., § 651 j Anm. 1; Löwe in MünchKomm, BGB, § 651 j Rdn. 2; Erman/Seiler, BGB, 7. Aufl., § 651 j Rdn. 8; a.A. Teichmann in Jauernig, BGB, 2. Aufl., § 651 e Rdn. 1 sowie in JZ 1979, 737, 741 r.Sp.).

Diese Auffassung hält das Berufungsgericht für falsch. Ein derartiges Wahlrecht bedeute im Ergebnis, daß § 651 j BGB niemals Anwendung finde, wenn die Reise durch höhere Gewalt mangelhaft werde und der Reisende die Kündigung ausspreche. Ihm müsse wegen der vorteilhafteren Regelung immer daran gelegen sein, die Kündigung auf § 651 e BGB zu stützen. Andererseits habe dann der Reiseveranstalter ein starkes Interesse daran, einer Kündigung des Reisenden aus § 651 e mit der für ihn günstigeren Kündigung gemäß § 651 j BGB zuvorzukommen. Der Umfang der von dem Reiseveranstalter zu beanspruchenden Entschädigung hänge daher, lege man die überwiegende Auffassung des Schrifttums zugrunde, davon ab, welche Partei bei dem Kündigungswettlauf als erste durchs Ziel gehe. Das könne nicht richtig sein. Vielmehr sei § 651 j BGB eine die Kündigungsmöglichkeit des § 651 e BGB verdrängende Spezialvorschrift (ebenso Teichmann aaO). Eine Wahl zwischen den Rechten aus beiden Vorschriften komme nur dann in Betracht, wenn eine Reise durch höhere Gewalt erheblich beeinträchtigt werde und unabhängig davon ein erheblicher sonstiger Mangel der Leistungen bestehe.

4.

Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das würde zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Verschlechterung der Stellung des Reisenden gegenüber der bisherigen Rechtslage führen, wie sie nach allgemeinem Werkvertragsrecht bestand. Zudem geht sie von einem zu engen Anwendungsbereich des § 651 j BGB aus.

a)

Solange sich die Gewährleistungspflicht des Reiseveranstalters allein an der Regelung der §§ 633 ff BGB ausrichtete, war nicht zweifelhaft, inwieweit er für Mängel der von ihm geschuldeten Leistung einzustehen hatte. Sofern die Mängel den Wert der Reise nicht bloß unerheblich minderten, war der Reisende - gegebenenfalls nach erfolgter Fristsetzung (§ 634 BGB) berechtigt, die Wandelung des Vertrages zu erklären (vgl. BGHZ 77, 310, 318, 320). Den Wert der von dem Reiseveranstalter erbrachten Leistungen hatte er alsdann zu ersetzen (§§ 634 Abs. 4, 467, 346 Satz 2 BGB). War die erbrachte Reiseleistung angesichts der Gesamtumstände objektiv ganz oder doch zum Teil wertlos, so hatte der Reisende keine oder nur eine entsprechend geringere Entschädigung zu leisten (vgl. Ballhaus und Glanzmann in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 346 Rdn. 21, § 634 Rdn. 13 jeweils allgemein zu Werkleistungen). Ebenso konnte eine Minderung bei schwerwiegenden Mängeln der Reise zu einem vollständigen Wegfall des Vergütungsanspruches führen (vgl. z.B. OLG Hamm NJW 1975, 123, 124; auch BGHZ 42, 232, 234 sowie BGH, Urteil vom 9. Dezember 1971 - VII ZR 211/69 = LM BGB § 634 Nr. 12 für andere Werkleistungen). Bei alldem kam es nicht darauf an, worauf die Mängel der Unterbringung zurückzuführen waren. Auch wenn sie allein auf äußeren Einflüssen wie etwa Unwetterkatastrophen beruhten und vorbeugende Maßnahmen des Reiseveranstalters oder seiner Erfüllungsgehilfen ausgeschlossen waren, änderte das an der Gewährleistungspflicht des Reiseveranstalters nichts. Etwas anderes galt lediglich für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen (§ 635 BGB), die Verschulden voraussetzen.

b)

An dem Grundsatz, daß der Reiseveranstalter für Mängel der Reiseleistung einzustehen hat, ohne daß die Frage nach der Ursache der Fehler von Belang ist, hält das neue Reisevertragsrecht fest.

Die Gewährleistungsrechte des Reisenden aus §§ 651 c - e BGB sind insofern weitgehend den §§ 633, 634 BGB nachgebildet. Sie bestehen unabhängig von einem dem Reiseveranstalter zurechenbaren Verschulden. Der Gesetzgeber hatte nicht die Absicht, diesen Grundsatz in § 651 j BGB zu durchbrechen und aus der Vorschrift des § 651 e BGB und dem sonstigen System der Gewährleistung die Fälle unvorhersehbarer höherer Gewalt herauszunehmen. Die Bestimmung des § 651 j BGB sollte vielmehr im Anschluß an § 11 des von der Bundesregierung vorgeschlagenen Entwurfs eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag eine Sonderregelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage darstellen; dafür bestehe angesichts der starken Beziehung des Reiserechts auch zum Ausland und den damit notwendig verbundenen Risiken für die Vertragsabwicklung ein besonderes Bedürfnis (vgl. BT-Drucksachen 8/786, S. 21; 8/2343, S. 12). Daß Kündigungsmöglichkeiten nach § 651 e und j BGB miteinander konkurrieren könnten, hat der Gesetzgeber nicht angenommen.

c)

In der Tat geht der Wortlaut des § 651 j BGB über den des § 651 e BGB hinaus und erfaßt (zumindest auch) Fälle, in denen die von dem Reiseveranstalter geschuldete Reiseleistung mangelfrei erbracht wird und lediglich die Geschäftsgrundlage des Vertrages betroffen ist (vgl. insoweit Teichmann JZ 1979, 737, 740 r.Sp.). Ein Kündigungsrecht nach § 651 e BGB besteht nämlich nur dann, wenn die Reise durch einen Mangel im Sinne des § 651 c BGB (erheblich) beeinträchtigt wird, der Reiseveranstalter also seine vertraglichen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt. Demgegenüber kann nach § 651 j BGB bei erheblicher Beeinträchtigung der Reise durch nicht vorhersehbare höhere Gewalt schlechthin gekündigt werden; daß der Reiseveranstalter seinen Leistungspflichten nachgekommen ist, steht der Kündigung nicht entgegen. Ein derartiger Fall hätte hier etwa vorgelegen, wenn die Leistungen im Hotel Me. zwar trotz des vorangegangenen Wirbelsturms einwandfrei gewesen wären (etwa bei Ausstattung des Hotels mit ausreichenden Wasser- und Speisevorräten sowie mit einem Notaggregat samt Treibstoff), die von dem Taifun angerichteten Schäden aber den Aufenthalt am Strand und auf der Insel weitgehend unmöglich gemacht hätten. Solche Beeinträchtigungen hätten allein die (gemeinsam vorausgesetzte) Geschäftsgrundlage des Vertrages, nicht aber die Erfüllungspflichten des Reiseveranstalters betroffen.

d)

Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts läuft daher die Vorschrift des § 651 j BGB auch für das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Beeinträchtigung der Reise nicht leer, wenn der Reisende die Kündigung bei erheblichen Mängeln der Reiseleistung auf § 651 e BGB stützen kann, mögen sie auch allein die Folge höherer Gewalt sein. Vielmehr ermöglicht gerade der weitere Anwendungsbereich des § 651 j BGB eine angemessene, den Absichten des Gesetzgebers gerecht werdende Abgrenzung der beiden Vorschriften: Der Reisende kann nach § 651 e BGB in den Fällen kündigen, in denen der Reiseveranstalter - und sei es auch infolge nicht voraussehbarer höherer Gewalt - seinen Leistungspflichten aus dem Reisevertrag nicht nachkommt. § 651 e BGB ist insoweit die speziellere Vorschrift gegenüber § 651 j BGB. Diese Bestimmung regelt die Kündigungsmöglichkeiten des Reisenden entgegen ihrem weitergehenden Wortlaut nur dann, wenn die Reise aufgrund höherer Gewalt zwar erheblich beeinträchtigt ist, Mängel im Sinne des § 651 c BGB aber nicht aufgetreten sind.

Hier von einem "Wahlrecht" des Reisenden zwischen den verschiedenen Kündigungsmöglichkeiten zu sprechen, wie es im Schrifttum geschieht, ist irreführend. Da die Kündigung nach § 651 e BGB in allen Folgewirkungen für den Reisenden rechtlich und wirtschaftlich günstiger ist, wäre es für ihn nie sinnvoll, sich statt dessen gemäß § 651 j BGB vom Vertrag zu lösen. Inwieweit der Reiseveranstalter den Vertrag nach § 651 j BGB selbst kündigen kann, bleibt offen. Hier hat nur der Reisende gekündigt. Dem Berufungsgericht ist jedoch darin rechtzugeben, daß es nicht zu dem von ihm befürchteten Kündigungswettlauf der Vertragspartner mit unterschiedlichen Rechtsfolgen kommen darf, - je nachdem, wer zuerst gekündigt hat. Ein derartiges - unerträgliches Ergebnis hat der Senat aber auch bisher in anderen rechtlichen Zusammenhängen stets zu vermeiden gewußt (vgl. z.B. BGHZ 44, 271, 276/277; 60, 353, 361).

e)

Daß der Reisende bei Mängeln der Reiseleistung infolge unvorhersehbarer höherer Gewalt den Vertrag nach § 651 e BGB kündigen kann, ist auch allein sach- und interessengerecht.

Der Reiseveranstalter schuldet die versprochene mangelfreie Leistung (§ 651 c BGB). Nicht anders als bei einem sonstigen Werkunternehmer liegt es in seinem Risikobereich, ob er in der Lage ist, die Leistung zu erbringen. Er trägt grundsätzlich die Gefahr des Nichtgelingens seiner Reiseveranstaltung. Es wäre daher verfehlt, die durch höhere Gewalt verursachten Mehrkosten stets dem Reisenden zur Last zu legen, wie es § 651 j Abs. 2 Satz 3 BGB im Grundsatz vorsieht. Eine derartige Regelung kann nur dann als billig empfunden werden, wenn nicht die Gewährleistung des Reiseveranstalters, sondern die Geschäftsgrundlage des Vertrages betroffen ist. Auch daß der Reiseveranstalter sich nach § 651 j Abs. 2 Satz 1 BGB für seine Leistungen unabhängig davon entschädigen lassen kann, ob sie für den Reisenden von Interesse sind, würde das Risiko von Leistungsstörungen aufgrund höherer Gewalt gerade bei Reisen in ferne Länder unangemessen auf den Reisenden verlagern. Bei solchen Reisen entfällt regelmäßig ein erheblicher Teil des Gesamtpreises auf die Flugkosten, die er dann stets voll zu tragen hätte. In diesen Fällen bietet allein die Regelung der Kündigungsfolgen in § 651 e BGB einen sachgerechten Interessenausgleich.

II.

Hat demnach der Kläger den Vertrag wirksam nach § 651 e Abs. 1 BGB gekündigt, so kann der Reiseveranstalter gemäß Abs. 3 Satz 3 für die von ihm erbrachten Leistungen, soweit sie infolge der Aufhebung des Vertrages für den Kläger kein Interesse haben, keine Entschädigung verlangen. Insoweit hat das Berufungsgericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, bislang keine Feststellungen getroffen. Das muß es nachholen und alsdann erneut darüber befinden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Beklagten eine Entschädigung zusteht.

1.

Dabei hat das Berufungsgericht - wie bisher - davon auszugehen, daß zwischen den Parteien seit der Kündigung des Vertrages ein Abwicklungsschuldverhältnis im Sinne des § 346 BGB besteht und der Kläger nicht lediglich einen bereicherungsrechtlichen Erstattungsanspruch hat. Die Beklagte kann sich nicht auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen (vgl. BGHZ 77, 310, 320 zur bisherigen Rechtslage).

a)

Allerdings folgert ein Teil des Schrifttums aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Regelung, daß der Reisende den von ihm bereits entrichteten Reisepreis - soweit er den Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters übersteigt - nur nach den Vorschriften der §§ 812 ff. BGB zurückverlangen könne (Löwe in MünchKomm, § 651 e Rdn. 18; Palandt/Thomas, aaO, § 651 e Anm. 3 a; Erman/Seiler, aaO, § 651 Rdn. 13; mit Einschränkung Bartl, Reiserecht, 2. Aufl., Rdn. 145). Dagegen sehen andere den Grund des Rückforderungsanspruchs in dem umgestalteten Vertragsverhältnis selbst (Larenz, VersR 1980, 689, 692 sowie Schuldrecht BT. 12. Aufl., S. 312 ff; Teichmann, JZ 1979, 737, 741 Fußn. 54). Das ist auch die Auffassung des Senats.

b)

In den §§ 17 Abs. 3 Satz 1, 11 Abs. 2 Satz 1 des Entwurfs eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag (Vorlagen für die späteren §§ 651 e und j BGB) war ausdrücklich vorgesehen, daß der Reiseveranstalter nach der Vertragsaufhebung die Vergütung zurückzuzahlen habe, soweit der Reisende sie bereits entrichtet habe (vgl. BT-Drucksache 8/786 S. 22, 29). Der Rechtsausschuß des Bundestags hat diese Bestimmung nicht übernommen, ohne daß dafür ein anderes Motiv zu erkennen wäre als der erklärte Wille, den Gesetzestext zu straffen (vgl. BT-Drucksache 8/2343 S. 6, 10; s. auch Löwe, aaO, § 651 e Rdn. 18 Fußn. 5). Der Bundesrat hat u.a. auch dagegen Bedenken erhoben, die zur Anrufung des Vermittlungsausschusses geführt haben (vgl. BT-Drucksache 8/2589 S. 4/5).

Eine Änderung der vom Bundestag beschlossenen Fassung des Gesetzes haben die Bedenken nicht bewirkt. Daraus ist jedoch nicht herzuleiten, daß der Gesetzgeber sich insoweit für die allgemein als nicht sachgerecht empfundene Anwendung des Bereicherungsrechts entschieden hätte.

c)

Die Kündigung nach § 651 e BGB beseitigt nicht den Rechtsgrund für die zuvor erbrachten Leistungen, sondern gestaltet die beiderseitigen Vertragspflichten um, wie sich aus den Regelungen der Absätze 3 und 4 ergibt. Der Reiseveranstalter erhält statt der vertraglichen Vergütung eine nach § 471 BGB zu bemessende Entschädigung, wie es für das allgemeine Werkvertragsrecht der Verweisung in § 634 Abs. 4 BGB entspricht. Er bleibt verpflichtet, weiter für den Reisenden zu sorgen, bis dessen Rückbeförderung durchgeführt ist, und muß deren Mehrkosten tragen. Es verbleibt also ein Geflecht gegenseitiger Rechtsbeziehungen bis zur völligen Abwicklung des gescheiterten Vertrages, wie es sich nach Wandelung des Werkvertrags aus den §§ 467, 346 ff BGB ergibt. Der Erstattungsanspruch des Reisenden kann daraus nicht ausgeklammert werden.

d)

Das würde auch zu unbilligen Ergebnissen führen. Die Interessen des Reiseveranstalters würden unangemessen bevorzugt, wenn er den vorweg gezahlten Reisepreis allein nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückzugewähren hätte und es ihm offen stünde, den Wegfall der Bereicherung geltend zu machen. Hat er als der an sich Vorleistungspflichtige die Vorleistung des Reisenden durchgesetzt, daraus den wirtschaftlichen Nutzen gezogen und damit auch seinen eigenen Entschädigungsanspruch abgesichert, so darf dem Reisenden nicht der zusätzliche Nachteil erwachsen, der sich aus einem bloßen Bereicherungsanspruch ergeben kann. Der Reiseveranstalter kann redlicherweise nicht erwarten, dem Erstattungsanspruch des Reisenden entgegenhalten zu dürfen, er habe das empfangene Geld bereits weitergeleitet und nicht zurückzuerwarten. Ein angemessener Interessenausgleich ist nur dann gewährleistet, wenn zwischen den Reisevertragspartnern ein beiderseitiges Rückgewährschuldverhältnis besteht, also der im Gesetz ausdrücklich verankerte Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters durch einen entsprechenden Rückerstattungsanspruch des Reisenden aufgewogen wird.

2.

Daß der vertragliche Rückgewähranspruch des Klägers nicht gemäß § 651 g Abs. 2 BGB verjährt ist, stellt das Berufungsgericht zutreffend fest (vgl. zu § 270 Abs. 3 ZPO BGH NJW 1969, 928 Nr. 5; 1972, 208, 209).

III.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die Klage in Höhe von 4.412 DM nebst Zinsen abgewiesen worden ist. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der zurückgenommenen Anschlußrevision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018818

BGHZ 85, 50 - 61

BGHZ, 50

NJW 1983, 33-35 (Volltext mit amtl. LS)

JZ 1983, 107

JZ 1983, 107-109

MDR 1983, 123-124 (Volltext mit amtl. LS)

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