Leitsatz (amtlich)

›Bei der Bewertung des zur Nachbesserung erforderlichen Aufwands ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die vertragsgemäße Erfüllung geschuldet war. Eine Erhöhung des Aufwands, die sich aus späteren Baukostensteigerungen ergibt, ist daher nicht zu berücksichtigen.‹

 

Verfahrensgang

OLG München

LG Kempten

 

Tatbestand

Durch Bauvertrag vom 26. Oktober/30. November 1978 erteilte der Beklagte den Klägerinnen als Arge den Auftrag, die "Baumeisterarbeiten mit Rammpfahlgründung" für das Bauvorhaben "Berufsbildendes Schulzentrum" bestehend aus acht Bauteilen in L. auszuführen. Vertragsbestandteile waren die VOB/B, das Leistungsverzeichnis vom 30. August 1978, Angebote und Nebenangebote sowie Gründungsgutachten der Landesgewerbeanstalt B.

Die Klägerinnen führten die ihnen übertragenen Bauleistungen bis Ende des Jahres 1980 aus. Die Rammpfahlgründungen wurden dabei von einer Subunternehmerin der Klägerinnen, ihrer Streithelferin, durchgeführt. Bereits im Frühjahr 1980 stellten die Parteien fest, daß sich die pfahlgegründeten Gebäude und das umgebende Gelände zu setzen begannen. Ab 20. Mai 1980 wurden unterschiedlich starke Setzungen gemessen. Der Beklagte verweigert bis heute die Abnahme der Leistungen und die Zahlung des Restwerklohns. Er hält die Forderung mangels Abnahme für nicht fällig und verlangt im Wege der Widerklage Nachbesserung der Gründung und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz daraus entstandenen und noch entstehenden Schadens.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf Berufung der Streithelferin der Klägerinnen hat das Oberlandesgericht die Widerklage hinsichtlich der Nachbesserung abgewiesen.

Dagegen wendet sich die Revision des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht führt aus, die Pfahlgründung des Gebäudes sei zwar mangelhaft, die Klägerinnen könnten aber die Beseitigung des Mangels wegen unverhältnismäßig hohen Aufwandes verweigern.

Unverhältnismäßigkeit liege dann vor, wenn der Aufwand des Auftragnehmers zur Mängelbeseitigung bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in einem objektiven Mißverhältnis zum Vorteil für den Auftraggeber stehe. Es sei also im wesentlichen der Vorteil, den die Mängelbehebung gewähre, gegenüber dem Kostenaufwand der Besserung abzuwägen. Auch wenn weiter berücksichtigt werde, daß der Auftragnehmer an sich im Falle mangelhafter Erstellung des Werks grundsätzlich auch unter erheblichen Opfern zur Herbeiführung des von ihm geschuldeten Erfolgs verpflichtet bleibe und wenn das nicht geringe Verschulden bei der Ausführung der Arbeiten bedacht werde, lägen die Voraussetzungen für eine Verweigerung der Mängelbeseitigung angesichts des sehr hohen Mangelbehebungsaufwandes und des geringen Besserungserfolgs für die Standfestigkeit vor.

Dagegen wendet sich die Revision des Beklagten mit Erfolg.

II. Nach § 633 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 13 Nr. 6 VOB/B kann der Unternehmer die Beseitigung eines Mangels verweigern, wenn sie einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Nach der Senatsentscheidung vom 26. Oktober 1972 (VII ZR 181/71 = BGHZ 59, 365, 367) ist Unverhältnismäßigkeit von Aufwendungen für die Beseitigung eines Werkmangels anzunehmen, wenn der damit in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg oder Teilerfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür gemachten Geldaufwandes steht. In diesem Falle würde es Treu und Glauben, § 242 BGB, widersprechen, wenn der Besteller diese Aufwendungen dem Unternehmer anlasten könnte. Das wäre für den Unternehmer nicht zumutbar.

Im einzelnen hat der Senat in dieser Entscheidung im Rahmen der Abwägung der Umstände die Schwere des Vertragsverstoßes und des Verschuldens des Unternehmers berücksichtigt (aaO. unter 3. a). Der Bundesgerichtshof hat auch an anderer Stelle hervorgehoben, daß nicht allein das Wertverhältnis, sondern auch der Grad des Verschuldens bei der Abwägung einzubeziehen ist (vgl. BGH, Urteile vom 2. Oktober 1987 - V ZR 140/86 = DB 1988, 547 = NJW 1988, 699; vom 21. Juni 1974 - V ZR 164/72 = BGHZ 62, 388, 394).

Demgemäß ist die Höhe der zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten allein nicht entscheidend, selbst dann nicht, wenn sie beträchtlicher sind, als die wirtschaftliche Bedeutung des Mangels für den Bauherrn. Verfehlt ist es auch, auf ein Verhältnis zum Gesamtwerklohn abzustellen (vgl. BGHZ 59, 365). Hat mit anderen Worten der Besteller von der Nachbesserung einen beachtlichen Vorteil, so kann es keine Rolle spielen, daß die dafür erforderlichen Aufwendungen wesentlich höher sind als die für die ursprünglich zu erbringende Leistung (vgl. BGHZ 96, 111, 123 f).

Bei der Bewertung des Aufwands ist ferner zu berücksichtigen, daß der Unternehmer keinen Vorteil daraus ziehen darf, daß er die geschuldete Nachbesserung lange Zeit verweigert. Demgemäß können die erforderlichen Aufwendungen nicht nach dem Wert zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung angesetzt werden. Sie sind vielmehr auf den Zeitpunkt zu beziehen, in dem die vertragsgemäße Erfüllung der Leistung geschuldet war. Eine Erhöhung des Aufwands, die sich aus allgemeinen Baukostensteigerungen ergibt, ist daher nicht zu berücksichtigen. Der Auftragnehmer darf nämlich dadurch, daß der Vertragszweck nicht sogleich, sondern erst später im Rahmen der Gewährleistung erreicht wird, keine Besserstellung erfahren (BGH, Urteil vom 17. Mai 1984 - VII ZR 169/82 = BGHZ 91, 206, 215).

III. Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich folgendes:

1. Es trifft schon nicht zu, daß "im wesentlichen" nur der Vorteil gegenüber dem Kostenaufwand der Nachbesserung heranzuziehen und abzuwägen ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt diesem Verhältnis nicht das Gewicht, das das Berufungsgericht annehmen will. Es geht vielmehr um eine Gesamtbewertung der Situation, bei der erst die Gesamtschau der Umstände ergibt, ob die Nachbesserung für den Unternehmer als Verstoß gegen Treu und Glauben unzumutbar ist. Das hat das Berufungsgericht nicht genügend beachtet. Es hat zwar weitere maßgebliche Umstände genannt, aber keineswegs deutlich gemacht, wie diese in die vorzunehmende Abwägung einzubeziehen sind. Es hat dabei unter anderem nicht berücksichtigt, daß ein grobes Verschulden - wie es vom Berufungsgericht hier angenommen wird - gegenüber einer ungünstigen Wertrelation von Aufwand und Ertrag der Nachbesserung durchaus den Ausschlag geben kann.

2. Auch bei den Ausführungen zu Vorteilen und Aufwand der Nachbesserung kann dem Berufungsgericht nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Das Berufungsgericht übernimmt hinsichtlich der zu erwartenden Vorteile im wesentlichen die Ergebnisse der Gutachten, ohne die Einschränkungen zu bewerten, die die Sachverständigen hinsichtlich der aktuellen Gebrauchstauglichkeit formuliert haben. Nach den Sachverständigen ist unter "normalen" Gebrauchsbelastungen eine "ausreichende" Standsicherheit der Gründung gegeben. Das hinzunehmen, muß aber für den Beklagten nicht ohne weiteres zumutbar sein, wenn bei vertragsgemäßer Ausführung mehr geschuldet oder auch nur zu erwarten war. Es kommt nicht auf "normale", sondern auf die vertraglich geschuldete Gebrauchstauglichkeit und Standsicherheit an. Dabei ist auch den möglicherweise weiteren Verwendungsmöglichkeiten des Grundstücks bei vertragsgemäß geschuldeter Beschaffenheit des Gebäudes Rechnung zu tragen. Es kann somit nicht angehen, daß der Beklagte hinsichtlich des zu erwartenden Vorteils von vornherein auf einen Zustand verwiesen ist, der dem Vertrag nicht entsprochen hat. Sollte somit von der Nachbesserung eine Besserung in Richtung auf den an sich vertraglich geschuldeten Zustand zu erwarten sein, so wäre dieser Vorteil zu berücksichtigen.

3. Bei dem vom Berufungsgericht in die Überlegung eingestellten Kostenaufwand handelt es sich ferner um den Betrag, der heute für Sanierungsmaßnahmen anfallen würde. Das Berufungsgericht hat insoweit nicht beachtet, daß die Nachbesserung bereits 1980 geschuldet war und daß die Baukosten seitdem wesentlich gestiegen sind. Beim Kostenaufwand wäre ferner zu berücksichtigen gewesen, daß Nachbesserungskosten nicht zu Marktpreisen bewertet werden können, wenn die zugehörigen Vertragspreise für die Gründung niedriger gewesen sein sollten.

IV. Das Berufungsurteil kann somit nicht bestehenbleiben. Es ist aufzuheben. Da weitere Feststellungen erforderlich sind, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben wird. Auf die vom Beklagten erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht an. Die neue Verhandlung gibt dem Beklagten ohnehin Gelegenheit, seine Bedenken gegen das Ergebnis der gerichtlichen Gutachter vorzutragen, wie sie sich aus den erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingegangenen und vorgelegten Privatgutachten der ETH Zürich ergeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993325

BB 1995, 1107

NJW 1995, 1836

BauR 1995, 540

DRsp I(138)740Nr. I.4.d. (Ls)

WM 1995, 1286

MDR 1995, 796

ZfBR 1995, 197

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