Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungsurteil ohne Bezugnahme auf tatsächliche Feststellungen erster Instanz. Revisionsverfahren. Aufhebung und Zurückverweisung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Berufungsurteil, das keine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen enthält, unterliegt im Revisionsverfahren grundsätzlich von Amts wegen der Aufhebung und Zurückverweisung.

 

Normenkette

ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden

AG Idstein

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 7. Zivilkammer des LG Wiesbaden v. 3.4.2003 aufgehoben.

Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Auf die Berufung der Beklagten hat das LG das Urteil des AG Idstein v. 5.12.2002 abgeändert und die Klage abgewiesen. Zugleich hat es die Revision zugelassen. Das Berufungsurteil enthält weder eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil noch eine Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen; auch die Berufungsanträge gibt es nicht wieder. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin, unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils nach ihren Schlussanträgen in der Berufungsinstanz zu erkennen; hilfsweise beantragt sie, die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Beklagten hätten die mit der Klägerin geschlossenen Vereinbarungen wirksam nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWiG widerrufen. Bei der Rheinland-Pfalz-Ausstellung 2001 habe es sich ausweislich des von den Beklagten vorgelegten Veranstaltungsprogramms um eine Freizeitveranstaltung im Sinne dieser Regelung gehandelt.

II.

Das Berufungsurteil ist aufzuheben, da es mangels jeder tatbestandlichen Darstellung und mangels Wiedergabe der Berufungsanträge eine revisionsrechtliche Nachprüfung nicht zulässt.

1. Auf das Berufungsverfahren ist die Zivilprozessordnung in der seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung vor dem AG am 21.11.2002 geschlossen worden ist (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Demgemäß gilt für den Inhalt des Berufungsurteils § 540 ZPO. Danach bedarf dieses zwar keines Tatbestandes. An dessen Stelle muss das Berufungsurteil jedoch die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen enthalten (§ 540 S. 1 Nr. 1 ZPO). Mangelt es daran, fehlt dem Berufungsurteil die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach § 545, § 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage. In einem solchen Fall ist das Berufungsurteil grundsätzlich von Amts wegen aufzuheben, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (BGH, Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = NJW-RR 2003, 1290, unter II 1b m. w. N.; ferner Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 540 Rz. 6; Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 540 Rz. 8). Von der Aufhebung und Zurückverweisung kann ausnahmsweise nur dann abgesehen werden, wenn sich die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen ergeben. Damit gilt bei einer Verletzung des § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nichts anderes als nach bisherigem Zivilprozessrecht in dem Fall, dass das Berufungsurteil entgegen § 543 ZPO a.F. keinen Tatbestand aufwies (vgl. dazu BGH v. 30.1.1979 - VI ZR 154/78, BGHZ 73, 248; Urt. v. 1.2.1999 - II ZR 176/97, WM 1999, 871, unter I 1 m. w. N.; ferner Urt. v. 19.2.2003 - VIII ZR 205/02, MDR 2003, 706 = BGHReport 2003, 757 = NJW-RR 2003, 1006, Urt. v. 1.10.2003 - VIII ZR 326/02, BGHReport 2004, 51, unter II 2; Urt. v. 12.11.2003 - VIII ZR 360/02, jew. m. w. N.).

Hier enthält das Berufungsurteil weder eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil noch eine Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen. Die tatsächliche Grundlage der Entscheidung ergibt sich auch nicht hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen. Diesen lässt sich bereits nicht entnehmen, was die Klägerin mit ihrer Klage begehrt und was Inhalt der nicht näher bezeichneten Vereinbarungen der Parteien ist. Eine revisionsrechtliche Nachprüfung des Berufungsurteils ist daher mangels tatbestandlicher Beurteilungsgrundlage nicht möglich. Letztlich bleibt auch unklar, was Gegenstand der Klageabweisung ist.

2. Nichts anderes gilt, wenn das Berufungsurteil die Berufungsanträge nicht wiedergibt. § 540 ZPO macht dies nicht entbehrlich. Das trifft selbst dann zu, wenn das Berufungsurteil ordnungsgemäß auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug nimmt. Diese Verweisung kann sich nicht auf die in der zweiten Instanz gestellten Anträge erstrecken. Daher sind auch die Berufungsanträge wörtlich oder zumindest sinngemäß in das Berufungsurteil aufzunehmen (BGH, Urt. v. 26.2.2002 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = NJW 2003, 1743; Urt. v. 7.5.2003 - VIII ZR 340/02, nicht veröffentlicht, jew. m. w. N.; Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = NJW-RR 2003, 1290, unter II 1 a).

Auch daran fehlt es hier. Das angefochtene Berufungsurteil gibt die Berufungsanträge der Parteien weder ausdrücklich noch sinngemäß wieder. Daher könnte über den Hauptantrag der Revision, unter Aufhebung des Berufungsurteils nach den Schlussanträgen der Klägerin in der Berufungsinstanz zu erkennen, selbst dann nicht entschieden werden, wenn das Berufungsurteil im Übrigen eine ausreichende tatbestandliche Beurteilungsgrundlage bieten würde, was nach den vorstehenden Ausführungen (unter II 1) jedoch nicht der Fall ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1099300

BGHR 2004, 474

FamRZ 2004, 438

NJW-RR 2004, 494

WM 2004, 1403

ZAP 2004, 109

MDR 2004, 464

ProzRB 2004, 158

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