Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Sittenwidrigkeit der Preisgestaltung beim Verkauf von Sondermünzen durch den gewerblichen Münzhandel.

 

Normenkette

BGB § 138

 

Verfahrensgang

OLG Braunschweig

LG Braunschweig

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 17. März 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger erwarb – nach seiner Darstellung – von der Beklagten, einer Münzhandelsgesellschaft, in der Zeit zwischen Ende 1991 und Oktober 1995 Münzen zum Preis von insgesamt 20.564,55 DM.

Mit der Behauptung, der Marktwert dieser Münzen habe zu keinem Zeitpunkt mehr als insgesamt 2.250 DM betragen, für ihn habe zum Zeitpunkt des jeweiligen Ankaufs auch keine kalkulierbare, realistische Chance bestanden, die erworbenen Münzen zu einem höheren Preis als dem Rücknahmepreis des Münzhandels zu verkaufen, verlangt der Kläger von der Beklagten wegen Sittenwidrigkeit der abgeschlossenen Kaufverträge Rückzahlung der Kaufpreisbeträge Zug um Zug gegen Rückgabe der Münzen.

Das Landgericht hat die Klage, die zunächst auf Zahlung eines Betrages von 25.495 DM nebst Zinsen gerichtet war, abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr im Rahmen des zuletzt gestellten Klageantrags stattgegeben. Mit ihrer – zugelassenen – Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe gegen die Beklagte gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Kaufpreise zu, da die zwischen den Parteien geschlossenen Kaufverträge gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und daher nichtig seien. Ein Rechtsgeschäft könne nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung so kraß sei, daß allein daraus schon auf eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragspartners zu schließen sei. Nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen bestehe hier zwischen den Leistungen der Beklagten und den Gegenleistungen des Klägers ein solches auffälliges Mißverhältnis. Der Sachverständige sei zu dem Ergebnis gelangt, daß der Gesamtwert der Sammlung, für die der Kläger mehr als 20.000 DM gezahlt habe, nach dem im Münzhandel realisierbaren Wiederverkaufspreis bei ca. 2.250 DM liege. Ein auffälliges Mißverhältnis bestehe selbst dann, wenn der Wiederverkaufswert der einzelnen Münzen zum Zeitpunkt des jeweiligen Ankaufs durch den Kläger etwas höher gewesen sein sollte, als von dem Sachverständigen für den Zeitpunkt seiner Schätzung im März 1997 angenommen worden sei. Für das Vorliegen eines auffälligen Mißverhältnisses sei es unerheblich, daß die Beklagte ausweislich der vorgelegten jeweiligen „Wareneingangshistorie” höhere Einkaufspreise gezahlt habe als die vom Sachverständigen angegebenen Schätzwerte; vielmehr komme es allein auf die objektiven Werte beider Leistungen an, mithin seien die Ankaufspreise, die der Kläger gezahlt habe, mit den Wiederverkaufswerten zu vergleichen. An dem außergewöhnlichen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ändere auch der Umstand nichts, daß der Kläger aus Liebhaberinteresse bereit gewesen sei, die geforderten Preise zu zahlen; denn es sei davon auszugehen, daß er dies in der Erwartung getan habe, einen angemessenen Gegenwert zu erhalten. Unstreitig sei der Kläger von der Beklagten nicht auf die niedrigen Wiederverkaufswerte hingewiesen worden; vielmehr habe die Beklagte bei ihm den Eindruck zu erwecken versucht, es handele sich bei den Münzen um eine gute Geldanlage.

Die bei einem außergewöhnlichen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehende Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung werde durch das Verhalten der Beklagten bestätigt. Sie habe an den Kläger Münzen zu überhöhten Preisen in Kenntnis der Tatsache verkauft, daß für den Kläger zum Zeitpunkt des jeweiligen Ankaufs keine kalkulierbare, realistische Chance bestanden habe, die von ihm erworbenen Münzen zu einem höheren Preis als dem niedrigen Rücknahmepreis des Münzhandels zu verkaufen.

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht stützt sich für seine Annahme der Sittenwidrigkeit der zwischen den Parteien geschlossenen Kaufverträge auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach welcher Rechtsgeschäfte, bei denen ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der versprochenen Vergütung und dem Wert der dafür zu erbringenden Leistung besteht, dann nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind, wenn weitere Umstände hinzutreten, wie etwa eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausbeutung der schwierigen Lage oder Unerfahrenheit des Partners für das eigene unangemessene Gewinnstreben. Liegt ein grobes, besonders krasses Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, so rechtfertigt dieser Umstand regelmäßig den Schluß auf eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragsteils und damit auf einen sittenwidrigen Charakter des Rechtsgeschäfts. Ein solches auffälliges, grobes Mißverhältnis wird nach dieser Rechtsprechung bei Grundstückskaufverträgen sowie Kaufverträgen über vergleichbar wertvolle bewegliche Sachen regelmäßig schon dann angenommen, wenn der Wert der Leistung annähernd doppelt so hoch ist wie derjenige der Gegenleistung (vgl. Senatsurteile vom 9. Oktober 1996 – VIII ZR 233/95, WM 1997, 230 unter III 1 und 1a, und vom 26. November 1997 – VIII ZR 322/96, WM 1998, 932 unter IV 2 a und c = BGHR BGB § 138 Abs. 1 Mißverhältnis 5 und 7; siehe auch Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 138 Rdnr. 34, 67 f, jew. m.w.Nachw.). Für das Vorliegen eines auffälligen Mißverhältnisses ist auf den objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen (BGH, Urteil vom 30. März 1984 – V ZR 61/83, WM 1984, 874 unter 2 a; BGH, Urteil vom 20. April 1990 – V ZR 256/88, NJW-RR 1990, 950 unter II 3; Senatsurteil vom 9. Oktober 1996 aaO).

2. Der Revision ist einzuräumen, daß die Begründung, mit der das Berufungsgericht ein auffälliges Mißverhältnis zwischen den vom Kläger gezahlten Kaufpreisen und dem Wert der erworbenen Münzen und damit eine sich hieraus ergebende verwerfliche Gesinnung der Beklagten bejaht, nicht frei von Rechtsfehlern ist. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den objektiven Verkehrswert der streitgegenständlichen Münzen mit deren Wiederverkaufswert, den der Kläger bei einer Veräußerung im Münzhandel erzielen kann, gleichgesetzt.

a) Der objektive Wert als Maßstab für den Vergleich der auszutauschenden Leistungen bestimmt sich nach dem Preis, welcher der zu bewertenden Leistung üblicherweise im sonstigen Geschäftsverkehr zukommt, d.h. nach dem marktüblichen Preis (Erman/Brox, BGB, 9. Aufl., § 138 Rdnr. 13; Staudinger/Sack, BGB, 1996, § 138 Rdnr. 179).

Gegenstand der Kaufverträge zwischen den Parteien waren Sonder- und Gedenkmünzen aus Gold und Silber, die außerhalb der üblichen Umlaufmünzen herausgegeben werden und die an besondere Ereignisse – hier die Olympischen Spiele 1988 und 1992 – erinnern sollen bzw. an landestypische Besonderheiten anknüpfen. Nach den auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen gestützten und von der Revision insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wird der Wiederverkaufswert derartiger Münzen überwiegend von dem gegenüber den Münzhändlern erzielbaren Preis bestimmt, da der Käufer im Regelfall keinen direkten Zugang zu dem weit verstreuten Sammlermarkt besitzt oder diesen nur auf äußerst aufwendige Weise finden kann. Die Münzhändler sind aber, wie das Berufungsgericht weiter unangefochten festgestellt hat, regelmäßig nur bereit, Münzen der vorliegenden Art zum Metallwert zurückzunehmen. Auf diesem Wege könnte der Kläger nach der Bewertung des Sachverständigen, der sich das Berufungsgericht angeschlossen hat, für seine Münzsammlung lediglich einen Preis von ca. 2.250 DM erzielen, während er für den Erwerb der Münzen mehr als 20.000 DM aufgewendet hat.

b) Hiernach existieren für die hier in Rede stehenden Münzen zwei Märkte, auf denen für ein und dasselbe Produkt stark unterschiedliche Preise gezahlt werden, je nachdem, ob sich die beiden Gruppen der Marktteilnehmer – Händler und Sammler – als Anbieter und Nachfrager oder in umgekehrter Rolle gegenüberstehen. Aus der Sicht der Kunden bestehen also für die Münzen deutliche Unterschiede zwischen den – jeweils üblichen – Ankaufs- und den Wiederverkaufspreisen. Diese Unterschiede erklären sich offenbar weitgehend daraus, daß derartige Sonder- und Gedenkmünzen üblicherweise nicht zum Zwecke des Weiterverkaufs, sondern zum dauernden Besitz erworben werden, etwa weil der Erwerber von dem ästhetischen Reiz der in besonderer Weise künstlerisch gestalteten Münzen angezogen wird oder weil er zu dem bei der Gestaltung verwendeten Motiv eine besondere affektive Neigung hat.

Wegen dieser deutlichen Unterschiede sind die beiden Märkte für den – aus Händlersicht – Verkauf und für die Rücknahme der Münzen nicht miteinander zu vergleichen. Vergleichbar sind vielmehr nur die Verhältnisse innerhalb des jeweiligen Marktes. Daraus folgt, daß für die hier zu entscheidende Frage, ob der Kläger die Münzen zu sittenwidrig überhöhten Preisen erworben hat, nicht – wie es das Oberlandesgericht tut – die Verkaufspreise des Münzhandels mit dessen Rücknahmepreisen verglichen werden können. Es kommt vielmehr allein darauf an, ob die von den Parteien vereinbarten Kaufpreise deutlich über denjenigen lagen, die von anderen Händlern für dieselben Münzen beim Verkauf an Sammler gefordert wurden. Hierfür ist indessen weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.

3. Wenn auch sonach entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die zwischen den Parteien geschlossenen Kaufverträge über den Erwerb der streitgegenständlichen Münzen nicht nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind, kann dennoch, worauf der Kläger in der Revisionsverhandlung hingewiesen hat, eine Haftung der Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nach dem derzeitigen Sachstand nicht ausgeschlossen werden.

a) Allerdings bestand keine Verpflichtung der Beklagten, den Kläger über den möglichen Wiederverkaufswert der von ihm erworbenen Sammlermünzen aufzuklären. Eine Offenbarungspflicht ist bei Vertragsverhandlungen nur dann zu bejahen, wenn das Verschweigen von Tatsachen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen würde und der Erklärungsgegner die Mitteilung der verschwiegenen Tatsache nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte. Bei einem Kaufvertrag besteht jedoch wegen der widerstreitenden Interessen grundsätzlich keine Rechtspflicht des Verkäufers, den Käufer von sich aus über alle Umstände aufzuklären, die für dessen Vertragsentschluß von Bedeutung sein könnten (Senatsurteil vom 13. Juli 1983 – VIII ZR 142/82, NJW 1983, 2493 unter II 2 a; Senatsurteil vom 16. Januar 1991 – VIII ZR 335/89, NJW 1991, 1223 unter II 3 b, jew. m.w.Nachw.). Der Kläger hat im Rechtsstreit nicht vorgetragen, die Beklagte auf seine von ihm behauptete Absicht hingewiesen zu haben, die Münzen nicht als Liebhaberstücke, sondern als Wertanlage erwerben zu wollen. Dann aber konnte die Beklagte davon ausgehen, daß der Kläger – wie andere Käufer auch – die Münzen zu Sammlerzwecken zu erwerben und diese auch nicht in absehbarer Zeit weiterzuveräußern beabsichtigte. Es bestand daher für die Beklagte keine Verpflichtung, den Kläger auf den erheblich geringeren Rücknahmepreis der Münzen, über den sich dieser selbst hätte jederzeit informieren können, vor Vertragsschluß ausdrücklich aufmerksam zu machen.

b) Nach den in anderem Zusammenhang getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist jedoch nicht auszuschließen, daß der Kläger durch schuldhaft unzutreffende Angaben der Beklagten über den Wiederverkaufswert zum Erwerb der streitgegenständlichen Münzen verleitet worden ist. Danach hat die Beklagte bei dem Kläger den Eindruck zu erwecken versucht, es handele sich bei den Münzen um eine gute Geldanlage. Hierfür verweist das Berufungsgericht auf gedruckte Angaben der Beklagten auf der Rückseite des vom Kläger am 17. Dezember 1990 unterzeichneten „Olympia-Bestellscheins” mit dem Wortlaut: „Wertsteigerung hat Tradition seit der 1. Olympia-Silbermünze der Neuzeit. Der Wert ist um mehr als das 62-fache gestiegen. 1951 kostete sie 35,– DM. Heute zahlen Sammler bis zu2.200 DM (laut MICHEL-Münzen-Katalog). Attraktive Wertsteigerungen sind mittel- und langfristig auch für die Olympia-Silbermünzen 1992 zu erwarten.” Ferner verweist das Berufungsgericht auf Angaben der Beklagten bezüglich der ANDORRA-„Tennis” 1996-Münze vom 21. September 1995: „Überzeugen Sie sich von den exzellenten Wertsteigerungschancen dieser außergewöhnlichen Olympia-Münze mit einem Gewicht von über 150 Gramm Edelmetall”.

c) Sollte der Kläger durch diese, jedenfalls hinsichtlich der in absehbarer Zeit zu erwartenden Wertsteigerungschancen der genannten Münzen unrichtigen Angaben zum Kauf der fraglichen Münzen veranlaßt worden sein, so könnte hierin ein zum Schadensersatz verpflichtendes Verschulden der Beklagten bei Vertragsschluß liegen. Der Schadensersatzanspruch ist dabei auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtet; hiernach könnte auch die Rückgängigmachung des Vertrages verlangt werden, wenn der Vertragsschluß für den Kläger unter dem behaupteten Gesichtspunkt der Geldanlage wirtschaftlich nachteilig war (vgl. BGHZ 111, 75, 82; 115, 213, 221; BGH, Urteil vom 26. September 1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302 unter II 2 b aa und bb).

4. Da eine Haftung der Beklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß im Rechtsstreit bisher nicht erörtert worden ist, war den Parteien Gelegenheit zu geben, hierzu ergänzenden Vortrag, insbesondere auch zur Ursächlichkeit der Angaben der Beklagten für die einzelnen Vertragsschlüsse, zu halten. Der Rechtsstreit war daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur weiteren Feststellung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Dr. Zülch, Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball, Dr. Leimert

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 22.12.1999 durch Mayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 556347

NJW 2000, 1254

NWB 2000, 218

EBE/BGH 2000, 55

EWiR 2000, 371

JurBüro 2000, 273

Nachschlagewerk BGH

WM 2000, 431

WuB 2000, 757

JZ 2001, 194

MDR 2000, 382

WRP 2000, 242

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