Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 20.01.1992)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Januar 1992 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung eines Darlehensrestbetrages in Anspruch. Die Beklagte macht geltend, der Rückzahlungsanspruch sei nicht fällig, und rechnet hilfsweise mit mehreren angeblichen Gegenforderungen auf. Den überschießenden Betrag der Gegenforderungen macht sie mit der Widerklage geltend.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 6.701,19 DM nebst Zinsen zu verurteilen. Die Beklagte hat Klageabweisung und mit der Widerklage Verurteilung des Klägers zur Zahlung von 2.103,41 DM nebst Zinsen beantragt. Das Landgericht hat mit Urteil vom 13. März 1991 die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Dieses Urteil wurde den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 11. April 1991 zugestellt.

Am 10. Mai 1991 ging bei dem Berufungsgericht eine nicht unterschriebene Berufungsschrift des Klägers ein. In der Berufungsinstanz hat der Kläger Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 5.899,92 DM nebst Zinsen und Abweisung der Widerklage beantragt.

Nachdem das Berufungsgericht ihn auf das Fehlen einer Unterschrift unter der Berufungsschrift hingewiesen hatte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 26. November 1991 einen handschriftlich mit „Quittung” überschriebenen Durchschlag der Berufungsschrift vorgelegt, der einen von seinem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten unterschriebenen Beglaubigungsvermerk und den Eingangsstempel des Berufungsgerichts mit dem Datum „10. Mai 1991” trägt. Der Kläger hat behauptet und unter Beweis gestellt, daß der Beglaubigungsvermerk von seinem Prozeßbevollmächtigten unterschrieben worden sei, bevor die Unterlage am 10. Mai 1991 bei Gericht eingereicht wurde.

Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, der seine in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers wegen Fehlens einer von einem zugelassenen Rechtsanwalt unterschriebenen Berufungsschrift als unzulässig angesehen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:

Die eingereichte Berufungsschrift trage die Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht. Die fehlende Unterschrift werde auch nicht durch den unterschriebenen Beglaubigungsvermerk unter der als Quittung bezeichneten Abschrift ersetzt. Der Bundesgerichtshof habe zwar die Unterschrift auf dem Beglaubigungsvermerk unter gleichzeitig mit dem nicht unterzeichneten Originalschriftsatz einer Rechtsmittelschrift eingereichten Abschriften für ausreichend erachtet. Der Kläger könne sich jedoch nicht darauf berufen, schon mit dem erfolgten Abstempeln der als Quittung vorgesehenen beglaubigten Abschrift sei eine unterzeichnete, die Urschrift ersetzende Berufungsschrift bei Gericht eingereicht worden. Diese Abschrift sei nicht zur Berufungseinlegung eingereicht worden, sondern habe lediglich als Eingangsnachweis gedient. Dementsprechend sei sie nicht etwa auch nur kurzzeitig bei den Gerichtsakten belassen worden oder in die Hände des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gelangt, sondern vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers nach dem Abstempeln an sich genommen worden. Ein solcher Vorgang könne auch deshalb nicht als Berufungseinlegung anerkannt werden, weil bei der Abstempelung einer derartigen Abschrift deren Inhalt sowie die Frage der Unterschrift nicht geprüft werde und die erforderliche Rechtssicherheit über die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung zum Zeitpunkt des Fristablaufs daher nicht gegeben sei.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, daß im Anwaltsprozeß bestimmende Schriftsätze wie die Berufungsschrift gemäß § 518 Abs. 1 und 4 i.V. mit § 130 Nr. 6 ZPO von einem bei Gericht zugelassenen Rechtsanwalt handschriftlich unterschrieben sein müssen (BGHZ 92, 251, 254 m.w.Nachw.). Fehlt die Unterschrift auf der Urschrift des Schriftsatzes, so ersetzt – wie das Berufungsgericht im Ansatzpunkt ebenfalls nicht verkannt hat – nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift die Urschrift, wenn der Beglaubigungsvermerk von dem Prozeßbevollmächtigten der Partei eigenhändig unterschrieben ist (vgl. z.B. BGH, Beschluß vom 5. März 1954 – VI ZB 21/53 = LM Nr. 14 zu § 519 ZPO; Beschluß vom 3. Mai 1957 – VIII ZB 7/57 = NJW 1957, 990; Urteil vom 25. September 1979 – VI ZR 79/79 = NJW 1980, 291; BGHZ 92, 251, 255; jeweils m.w.Nachw.).

2. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, die beglaubigte Abschrift der Berufungsschrift sei nicht innerhalb der Berufungsfrist bei Gericht eingereicht worden.

a) Entscheidend für die Einreichung eines Schriftstücks bei Gericht ist allein, daß dieses tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt (BGH, Urteil vom 5. April 1990 – VII ZR 215/89 = NJW 1990, 2822). Dabei ist es nicht erforderlich, daß das Schriftstück für das Gericht oder auch nur zum vorübergehenden Verbleib in den Gerichtsakten bestimmt ist; auch wenn ein Schriftstück dem Gericht übergeben wird, um unmittelbar an den Prozeßgegner weitergeleitet oder um sogleich dem Einreicher als Belegexemplar zurückgegeben zu werden, ist es mit der Übergabe bei dem Gericht eingereicht (BGH, Beschluß vom 5. März 1954 a.a.O.). Auch die Entgegennahme durch einen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht erforderlich, da es nur darauf ankommt, daß das Schriftstück in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt.

b) Dieser Auslegung steht das vom Berufungsgericht erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. September 1979 (VI ZR 79/79 = NJW 1980, 291, 292) nicht entgegen. Dort hatte der Bundesgerichtshof für die Berufungsbegründungsschrift an dem gesetzlichen Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift festgehalten und es nicht genügen lassen, daß der Prozeßbevollmächtigte den Schriftsatz persönlich in den Gerichtseinlauf gebracht hatte. Diese Weigerung, von einem klaren gesetzlichen Formerfordernis abzuweichen, hatte der Bundesgerichtshof auch mit dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit begründet und dabei u.a. darauf abgestellt, daß der Akteninhalt regelmäßig nicht erkennen lasse, in welcher Weise Schriftsätze dem Gericht zugegangen seien. Auf den vorliegenden Fall sind diese Überlegungen nicht übertragbar. Hier geht es nicht um eine Abweichung vom gesetzlichen Unterschriftserfordernis, sondern darum, ob ein Exemplar der Berufungsschrift, das diesem Erfordernis genügt, rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist. Für die Tatsache und den Zeitpunkt des Eingangs steht das Beweismittel des gerichtlichen Eingangsstempels zur Verfügung. Die Frage, ob der Beglaubigungsvermerk auf der Abschrift der Berufungsschrift schon bei der Einreichung unterschrieben war oder die Unterschrift später nachgeholt wurde, kann zwar Beweisprobleme aufwerfen. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit muß jedoch hingenommen werden, um zu vermeiden, daß einem Rechtsmittelführer, der rechtzeitig zumindest ein Exemplar einer unterschriebenen Rechtsmittelschrift eingereicht hat, der Zugang zum Rechtsmittelgericht verwehrt wird. Der Bundesgerichtshof hat demgemäß wiederholt Exemplare von Berufungsbegründungsschriften, die nach der Einreichung wieder in den Besitz des Berufungsführers gelangt waren, als Beleg für eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Einreichung anerkannt (BGH, Beschluß vom 5. März 1954 a.a.O.; Urteil vom 15. Februar 1990 – IX ZR 149/88 = WM 1990, 649, 650).

3. Die Berufung des Klägers durfte daher mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht als unzulässig verworfen werden. Ihre Zulässigkeit hängt davon ab, ob der Beglaubigungsvermerk unter der Abschrift der Berufungsschrift vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers tatsächlich bereits vor der Einreichung dieses Schriftstücks bei Gericht unterschrieben worden ist. Dazu hat das Berufungsgericht bisher keine Feststellungen getroffen.

 

Unterschriften

Schimansky, Dr. Halstenberg, Dr. Bungeroth, Nobbe, Dr. van Gelder

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1237760

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