Entscheidungsstichwort (Thema)

Untrennbarer Zusammenhang von Klage und Widerklage. Einheitliche gerichtliche Entscheidung. Ausschluss von Teilgrundurteil ohne Grundurteil

 

Leitsatz (amtlich)

Hängen Klage und Widerklage von derselben Vorfrage ab und kann über die Klage ein Grundurteil nicht ergehen, so kommt auch hinsichtlich der Widerklage ein Teilgrundurteil nicht in Betracht. Eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F. scheidet deshalb aus.

 

Normenkette

ZPO §§ 301, 304, 538 Abs. 1 Nr. 3 a.F.

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 29.05.2001; Aktenzeichen 15 U 135/00)

LG Köln

 

Tenor

Auf die Revisionen der Klägerin und der Beklagten wird das Teilurteil und Teil-Grundurteil des 15. Zivilsenats des OLG Köln v. 29.5.2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin und Auftragnehmerin verlangt neben zwei kleineren Teilbeträgen 150.000 DM zurück, nachdem die zunächst beklagte Auftraggeberin (jetzt: Gemeinschuldnerin, im Folgenden: die Beklagte) eine Gewährleistungsbürgschaft in dieser Höhe in Anspruch genommen hat. Die Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Beklagten verlangt widerklagend den Ersatz von Mängelbeseitigungskosten und von weiteren Schäden (Mietausfall, weitere Einnahmerückgänge), einen Vorschuss auf die Kosten weiterer Mängelbeseitigung sowie Feststellung. Der Architekt der Beklagten ist dem Rechtsstreit auf deren S. beigetreten.

Die Klägerin hat für die Beklagte einen zweigeschossigen Bau- und Möbelmarkt errichtet. Dessen Zwischendecke hängt stark durch. 1994/95 einigten sich die Parteien wegen der Durchbiegung der Zwischendecke auf einen Abzug von der Schlussrechnung. Nachdem die Durchbiegung weiter zunahm und die Klägerin jegliche Haftung abgelehnt hatte, nahm die Beklagte im August 1998 die Gewährleistungsbürgschaft von 150.000 DM in Anspruch. Im November/Dezember 1998 ließ die Klägerin u.a. ein Sachverständigengutachten anfertigen und ein Flächennivellement (eine Vermessung) durchführen.

Das LG hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

In der Berufungsinstanz hat die Beklagte ihre Widerklage erweitert und Zahlung von 1.066.580,90 DM sowie eines abzurechnenden Kostenvorschusses i.H.v. 300.000 DM und die Feststellung begehrt, dass die Klägerin verpflichtet sei, ihr sämtliche Schäden und Aufwendungen zu ersetzen, die ihr im Zusammenhang mit der Sanierung der Decke über dem Erdgeschoss noch entstehen.

Das Berufungsgericht hat wegen der Klage die Sache unter teilweiser Aufhebung des angegriffenen Urteils an das LG zurückverwiesen, soweit die Klägerin die Rückzahlung der 150.000 DM begehrt. Soweit die Klägerin Kostenersatz für das Gutachten des Sachverständigen P. (5.145,50 DM) sowie die Vermessung (2.400 DM) beansprucht, hat es die Klage abgewiesen.

Die auf Zahlung gerichtete Widerklage hat das Berufungsgericht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache wegen der Höhe an das LG zurückverwiesen, soweit die Beklagte Ersatz von Kosten sowie Zahlung eines Vorschusses für Mängelbeseitigung und Schadensersatz nach § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B geltend macht. Wegen des Ersatzes eines Mietausfalls (282.000 DM) sowie von erhöhten Betriebskosten (253.006,95 DM) ist es bei der Abweisung der Widerklage geblieben. Der Feststellungswiderklage hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen stattgegeben, soweit Schäden und Aufwendungen unter § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B fallen.

Die Revisionen beider Parteien wenden sich gegen das Berufungsurteil, soweit jeweils zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen beider Parteien haben Erfolg und führen zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Das maßgebliche Recht richtet sich nach den bis zum 31.12.2001 geltenden Gesetzen (Art. 229, § 5 S. 1 EGBGB, § 26 Nr. 7 EGZPO).

A. Revision der Klägerin

I.

Das Berufungsgericht hält es für zulässig, einen Teil des Rechtsstreits ohne Entscheidung zum Grund an das LG zurückzuverweisen, einen weiteren Teil nach Grundentscheidung wegen der Höhe zurückzuverweisen und weitere Teile abschließend selber zu entscheiden.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Die vom Berufungsgericht vorgenommene Aufteilung seines Urteils in abschließende und in lediglich zum Grund ergangene Entscheidungsteile sowie einen rein kassatorischen Teil ohne Entscheidung zum Grund ist verfahrensfehlerhaft. Es trifft zwar zu, dass die vom LG ausgesprochene Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung der Bürgschaftssumme mangels Entscheidungsreife und wegen des untrennbaren Zusammenhangs mit der Entscheidung über die Widerklage keinen Bestand haben kann. Die prozessual allein zulässige Folge davon ist aber, dass das Berufungsgericht den Rechtsstreit zur Klage und Widerklage nach Grund und Höhe insgesamt hätte entscheiden müssen. Das ist unterblieben.

1. Zur Klage auf Rückzahlung der Bürgschaftssumme liegen die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an das LG (§ 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) nicht vor.

a) Eine Zurückverweisung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil das Berufungsgericht ein Teilgrundurteil insoweit nicht erlassen hat. Ob die vom Berufungsgericht anscheinend angenommenen Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit einer gemeinsamen Entscheidung durch das LG zutreffen, kann dahinstehen. Eine rein kassatorische Entscheidung bleibt auch dann unzulässig, wenn sie möglicherweise als zweckmäßig erscheint (vgl. BGH, Urt. v. 20.7.2001 - V ZR 170/00, MDR 2001, 1433 = BGHReport 2001, 977 = NJW 2002, 302 = NZBau 2001, 631 m.w.N.).

b) Davon abgesehen wäre der Erlass eines Teilgrundurteils prozessrechtlich ohnehin nicht möglich gewesen. Das LG hat seinerseits nicht vorab über den Grund entschieden (§ 538 Abs. 1 Nr. 3 Erste Alt. ZPO); vielmehr hat es über den Grund und den Betrag der Klage entschieden und ihr stattgegeben. Dann kann das Berufungsgericht sich nicht auf eine Entscheidung zum Grund beschränken, sondern muss ebenfalls diesen Teil des Rechtsstreits insgesamt bescheiden.

c) Mit der Zurückverweisung hat das Berufungsgericht die Gefahr widersprechender Entscheidungen heraufbeschworen. Die Gewährleistungspflicht der Klägerin ist Vorfrage sowohl für die Klage auf Rückzahlung der Bürgschaftssumme als auch für die Widerklage. Im Teilgrundurteil zur Widerklage hat das Berufungsgericht die Vorfrage i.S.d. Beklagten entschieden; zum Klagebegehren (Rückzahlung) hat es sie offen gelassen. Dann könnte das LG nach einer Zurückverweisung nochmals und ohne Bindung an die zur Widerklage ausgeführten Ansichten die Vorfrage anders beantworten.

d) Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist im Übrigen auch deshalb verfahrensfehlerhaft und aufzuheben, weil das Berufungsgericht sein Ermessen, von einer Zurückverweisung abzusehen und selber in der Sache zu entscheiden (§ 540 ZPO), nicht ausgeübt hat (vgl. BGH, Urt. v. 30.3.2001 - V ZR 461/99, MDR 2001, 801 = BGHReport 2001, 492 = NJW 2001, 2551 m.w.N.).

2. Hinsichtlich der auf Zahlung gerichteten Widerklage ist die Zurückverweisung an das LG ebenfalls verfahrensfehlerhaft.

Das Berufungsgericht hebt zutreffend hervor, dass die Klage und die Widerklage in einem untrennbaren Zusammenhang stehen. Es ist richtig, dass beide wegen der gemeinsamen Vorfrage von demselben Gericht einheitlich zu entscheiden sind. Nachdem eine Zurückverweisung hinsichtlich der Rückforderungsklage ausgeschlossen ist, kann auch wegen der Widerklage nicht zurückverwiesen werden.

Die vom Berufungsgericht für möglich gehaltene entsprechenden Anwendung von § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, um zu einer Zurückverweisung auch der Rückforderungsklage zu gelangen, ist ausgeschlossen. Weder besteht ein Bedarf, noch sind die Voraussetzungen für eine Analogie gegeben.

3. Danach kann das Berufungsurteil auch insoweit keinen Bestand haben, als es die Klage teilweise abgewiesen hat (Kosten von Gutachter und Vermessung).

4. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass hinsichtlich des Feststellungsbegehrens in der Widerklage eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht in Betracht kommt. Verfahrensfehlerhaft ist es jedoch, den Feststellungsantrag zu bescheiden, ohne zugleich die gemeinsame Vorfrage der Gewährleistungspflicht der Klägerin für die Klage und die Widerklage insgesamt zu entscheiden.

B. Revision der Beklagten

I.

Das Berufungsgericht führt aus, die Widerklage sei entscheidungsreif und unter teilweiser Zurückweisung der Berufung abzuweisen, soweit die Beklagte den Ersatz von Schäden nach § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B sowie die entsprechende Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung der Klägerin begehre.

Die Schadenspositionen angeblichen Mietausfalls und verringerter anderweiter Einnahmen seien nicht nach § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B ersatzfähig, sondern nur nach Abs. 2 VOB/B. Die Klägerin hafte der Beklagten insoweit nicht. Keiner der Haftungstatbestände des § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B sei gegeben.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Für die Revision ist davon auszugehen, dass die Leistung der Klägerin einen von ihr zu vertretenden wesentlichen, die Gebrauchsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Mangel aufweist, weil die Zwischendecke eine gravierende Durchbiegung hat. Danach nimmt das Berufungsgericht zutreffend an, dass die Klägerin der Beklagten gem. § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B schadensersatzpflichtig ist.

Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht jedoch hiervon den behaupteten Mietausfall und die weiteren Einnahmeausfälle aus. Mit der Begründung, diese beiden Schadenspositionen seien nur unter den weiteren, jedoch nicht erfüllten Voraussetzungen des § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B zu ersetzen, kann ein Schadensersatzanspruch der Beklagten nicht abgelehnt werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung zu der VOB/B in der bei Vertragsschluss geltenden Fassung gehören beide Positionen zu den Schäden i.S.d. § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B. Die Abgrenzung zwischen § 13 Nr. 7 Abs. 1 und Abs. 2 VOB/B entspricht etwa derjenigen zwischen Schadensersatzansprüchen nach § 635 BGB und aus positiver Forderungsverletzung. § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B gilt für einen Schaden an der baulichen Anlage und hat im Allgemeinen dieselbe Tragweite wie § 635 BGB, während § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B entferntere Mangelfolgeschäden betrifft (vgl. BGH, Urt. v. 27.4.1972 - VII ZR 144/70, BGHZ 58, 332 [340], st.Rspr.). Zu dem Schaden an der baulichen Anlage i.S.v. Abs. 1 VOB/B gehören auch eine entgangene Nutzung der Anlage sowie mängelbedingte Mehraufwendungen für die Anlage. Der Mietausfall infolge Mängeln ist ebenso wie der Rückgang weiterer Einnahmen entgangener Gewinn. Dieser ist nach § 13 Abs. 7 Nr. 1 VOB/B zu ersetzen (BGH, Urt. v. 28.11.1966 - VII ZR 79/65, BGHZ 46, 238 [240]; Urt. v. 12.3.1992 - VII ZR 266/90, BauR 1992, 505 = ZfBR 1992, 197, st.Rspr.).

Im Übrigen teilt der Senat nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik falle der Klägerin nicht zur Last. Die geschuldete Leistung, eine biegesteife Decke herzustellen, war nach den anerkannten Regeln der Technik durch Vorspannen zu bewirken. Dementsprechend kommt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein Schadensersatzanspruch auch nach § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B in Betracht.

Die teilweise Abweisung der Widerklage, soweit die Beklagte Ersatz dieses Schadens verlangt, hat demnach keinen Bestand. Gleiches gilt für die Abweisung des darauf bezogenen Feststellungsantrags.

C.

Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben.

Für die weitere Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Decke über dem Erdgeschoss sei mangelhaft, begegnet keinen Bedenken.

Das Berufungsgericht gelangt nach revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Auslegung des Bauwerkvertrages unter Berücksichtigung aller erheblichen Umstände zu dem Ergebnis, die Parteien hätten bei Vertragsschluss vereinbart, dass die Decke keine Durchbiegungen aufweisen dürfe, also biegesteif sein solle.

Zu Recht nimmt das Berufungsgericht auf dieser Grundlage an, dass die Decke den vereinbarten Anforderungen nicht genügt, weil sie unstreitig Durchbiegungen aufweist. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zu Umfang und Auswirkung der Durchbiegungen tragen ferner seine Ansicht, die Klägerin hafte der Beklagten gem. § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B; die festgestellten Tatsachen ergeben, dass der Mangel der Decke wesentlich ist und die Gebrauchsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Im Übrigen haftet die Klägerin auf dieser Grundlage auch nach § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B.

2. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Ansicht des Berufungsgerichts, Gewährleistungsansprüche der Beklagten seien durch die als Vergleich zu wertende Vereinbarung der Parteien im Jahre 1994/95 nicht ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht entnimmt dem Schreiben des Zeugen H. v. 4.7.1995 keinen Verzicht der Beklagten auf Gewährleistungsansprüche. Die dazu von der Klägerin erhobene Auslegungsrüge ist nicht begründet. Sie zeigt keine revisionsrechtlich beachtlichen Auslegungsfehler.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Vergleich sei gem. § 779 BGB unwirksam, weil die Vergleichsgrundlage der Wirklichkeit nicht entspreche, begegnet keinen Bedenken. Das Berufungsgericht würdigt die Aussagen der vernommenen Zeugen ohne Rechtsfehler dahin, dass Vergleichsgrundlage war, es werde zu keiner Zunahme der Durchbiegung über das mit Flächennivellement vom Juli 1994 festgestellte Maß hinaus kommen. Nach den fehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich die Durchbiegung nach dem Vergleich erheblich vergrößert. Entgegen der Ansicht der Revision liegt ein bloßer Irrtum über eine künftige Entwicklung nicht vor.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1207599

BGHR 2004, 1578

BauR 2004, 1653

NJW-RR 2005, 22

IBR 2004, 491

JurBüro 2005, 54

MDR 2005, 46

ZfBR 2005, 50

BrBp 2004, 518

NZBau 2004, 614

BauRB 2005, 15

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