Entscheidungsstichwort (Thema)

Kaufvertrag über eine Steuerberaterpraxis bei uneingeschränkter Aktenübergabeverpflichtung wegen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nichtig

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Nichtigkeit eines Kaufvertrages über eine Steuerberaterpraxis mit uneingeschränkter Verpflichtung zur Aktenübergabe.

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine wirksame Vereinbarung über die Übergabe von Steuerakten setzt voraus, daß die Verpflichtung zur Aktenübergabe auf zustimmende Mandanten beschränkt ist.

 

Normenkette

BGB §§ 134, 139; StGB § 203 Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 08.05.1995; Aktenzeichen 8 U 131/94)

LG Bielefeld (Urteil vom 11.03.1994; Aktenzeichen 9 O 39/93)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Mai 1995 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verkaufte als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns dessen Steuerberaterpraxis durch Vertrag vom 30. Oktober 1991 an den Beklagten, der sie seit dem 1. November 1991 betreibt. In dem Vertrag heißt es u.a.:

„§ 2 – Vergütung

Der Kaufpreis beträgt DM 500.000 (in Worten: fünfhunderttausend DM) und ist in Höhe von DM 165.000 (hundertfünfundsechzigtausend DM) sofort zahlbar.

Der Rest wird in zwei Raten aus dem Honorarvolumen des übernommenen Mandantenstammes der nächsten beiden Kalenderjahre mit jeweils 1/3 bis zum 10.01. des Folgejahres fällig, also am 10.01.1993 und am 10.01.1994.

Der Höchstkaufpreis ist jedoch aus der nachhaltigen jährlichen Rendite der Jahre 1992 und 1993 aus dem übernommenen Mandantenstamm, gemindert um eine Tätigkeitsvergütung von jährlich 50 TDM unter Berücksichtigung eines Rentenbarwertfaktors von 5.0 zu ermitteln (z.B.: Rendite 100 TDM minus 50 TDM Tätigkeitsvergütung = 50 TDM × Faktor 5.0 = 250 TDM Höchstkaufpreis).

§ 5 – Aktenübergabe

Dem Übernehmer werden alle vorhandenen Akten über die noch laufenden und bereits abgeschlossenen Aufträge, die in der Praxis bearbeitet wurden, sowie vorhandene Termin- und Fristennotierungen unverzüglich nach Übergabe der Praxis zur Verfügung gestellt.

Es ist Sache des Übernehmers, sich einen Überblick über die noch schwebenden Angelegenheiten zu verschaffen und alles Erforderliche im Interesse der Auftraggeber zu veranlassen. Der Verkäufer haftet nicht für Versäumnisse irgendwelcher Art bei der weiteren Bearbeitung der Aufträge.

§ 6 – Verrechnung von Leistungen des Verkäufers, Ansprüche des Verkäufers auf Zahlung von Gebühren und Erstattung von Auslagen aus seiner Berufstätigkeit stehen, soweit sie bis zum Tage der Praxisübergabe bereits begründet waren, dem Verkäufer zu. Einforderung und Einziehung bleibt ihm überlassen.

Vorschüsse von Mandanten gibt es nicht.”

Der Beklagte hat die vertraglich vereinbarte Anzahlung von 165.000 DM geleistet, sich jedoch geweigert, weitere Zahlungen zu erbringen, da die Praxis mit dem tatsächlich übernommenen Mandantenstamm nachhaltig unwirtschaftlich sei.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zahlung der zweiten Kaufpreisrate. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr – bis auf einen Zinsteil – stattgegeben.

Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe die verlangte zweite Rate in Höhe von 167.500 DM als Teilzahlung auf den ihr gebührenden Kaufpreis zu. Der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag vom 30. Oktober 1991 sei gültig zustande gekommen. Dieser Vertrag falle nicht unter den objektiven Verbotstatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Aber auch aus der Regelung der Aktenübergabe in § 5 des Kaufvertrages könne die Nichtigkeit des Gesamtvertrages entgegen der dispositiven Vorschrift des § 139 BGB nicht hergeleitet werden. Selbst wenn § 5 des Vertrages nichtig sei, verbleibe es bei der vertraglichen Regelung im übrigen, weil ihre Geltung dem mutmaßlichen Parteiwillen entspreche. Vernünftige Vertragsparteien hätten die Zustimmung der Mandanten zur Übernahme der Akten durch den Erwerber nachträglich eingeholt und auf dieser Grundlage die Aktenübergabe erneut vereinbart und durchgeführt; denn damit wäre der wirtschaftliche Zweck des Vertrages zumindest im wesentlichen zu erreichen gewesen. Anders könne es nur dann liegen, wenn mit der Zustimmung einer nennenswerten Zahl von Mandanten nicht zu rechnen gewesen wäre. Das mache der Beklagte, der einen Großteil der vorhandenen Mandate tatsächlich fortgeführt habe, selbst nicht geltend. Weil § 139 BGB nach dem mutmaßlichen Parteiwillen nicht zur Anwendung komme, bleibe es schließlich unerheblich, daß der Vertrag keine Heilungsklausel enthalte.

Die von der Klägerin verlangte zweite Kaufpreisrate hat das Berufungsgericht aufgrund der in § 2 des Vertrages getroffenen Vergütungsregelung unter Zugrundelegung eines im Jahre 1992 erzielten rechnerischen Überschusses von 113.900 DM für gerechtfertigt angesehen.

II. Das angefochtene Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht zu Unrecht die Gültigkeit des Praxiskaufvertrages vom 30. Oktober 1991 bejaht hat.

1. Soweit das Berufungsgericht die Nichtigkeit des Kaufvertrages vom 30. Oktober 1991 unter dem Gesichtspunkt des Verkaufs und der Abtretung von Honorarforderungen erörtert (vgl. BGHZ 122, 115 ff), kommt es hierauf nicht an, weil gemäß § 6 des Vertrages Gebührenforderungen auf den Beklagten nicht übertragen worden sind.

2. Das Berufungsgericht läßt offen, ob die in § 5 des Kaufvertrages getroffene Regelung der Aktenübergabe nichtig ist, und meint, selbst in diesem Falle verbleibe es bei der Wirksamkeit des Vertrages im übrigen. Diese Ausführungen halten den Rügen der Revision nicht stand.

a) Die in § 5 des Vertrages enthaltene Regelung, wonach „dem Übernehmer alle vorhandenen Akten über die noch laufenden und bereits abgeschlossenen Aufträge, die in der Praxis bearbeitet wurden, … unverzüglich nach Übergabe der Praxis zur Verfügung gestellt” werden, ist gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen die dem Steuerberater auferlegte Verschwiegenheitspflicht (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nichtig, wenn – wie hier – keine Einwilligung der Mandanten zur Aktenübergabe vorliegt (Senatsurteil vom 17. Mai 1995 – VIII ZR 94/94 = WM 1995, 1357 unter 2 a betreffend den Verkauf einer Rechtsanwaltskanzlei; für den Verkauf einer Arztpraxis bereits BGHZ 116, 268 ff; ferner Senatsurteil vom 11. Oktober 1995 – VIII ZR 25/94 = WM 1996, 22 unter II 2 a). Eine wirksame Vereinbarung setzt vielmehr voraus, daß die Verpflichtung zur Aktenübergabe auf zustimmende Mandanten beschränkt ist (BGHZ 116, 268, 277).

Etwas anderes ergibt sich entgegen der in der Revisionsinstanz erstmals vertretenen Ansicht der Klägerin auch nicht aus § 5 Abs. 2 des Kaufvertrages. Die Bestimmung, daß es „Sache des Übernehmers (sei), sich einen Überblick über die noch schwebenden Angelegenheiten zu verschaffen und alles Erforderliche im Interesse der Auftraggeber zu veranlassen”, betrifft die Verpflichtung des Beklagten, die übernommenen Mandate fortzuführen und für die bisherigen Auftraggeber tätig zu werden, nicht aber deren Einverständnis zur Aktenübergabe durch den Beklagten einzuholen.

b) Ist danach § 5 des Kaufvertrages als nichtig anzusehen, erfaßt die Nichtigkeitsfolge nach § 139 BGB, der hier nicht abbedungen worden ist, im Zweifel den gesamten Praxiskaufvertrag. Entgegen der Vermutung des § 139 BGB wäre der Vertrag nur dann gültig geblieben, wenn angenommen werden könnte, daß er auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Dabei kommt es nicht, wie das Berufungsgericht meint, darauf an, ob vernünftige Vertragsparteien bei Nichtigkeit der Regelung des § 5 des Vertrages die Zustimmung der Mandanten zur Übernahme der Akten durch den Erwerber nachträglich eingeholt und auf dieser Grundlage die Aktenübergabe erneut vereinbart und durchgeführt hätten, womit der wirtschaftliche Zweck des Vertrages zumindest im wesentlichen zu erreichen gewesen wäre. Maßgebend ist vielmehr, ob die Parteien an dem Vertragsschluß auch dann festgehalten hätten, wenn ihnen die teilweise Nichtigkeit bekannt gewesen wäre. Dabei ist vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen auf den mutmaßlichen Parteiwillen abzustellen; maßgebend ist, welche Entscheidung die Parteien im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses bei Kenntnis der Sachlage nach Treu und Glauben und bei vernünftiger Abwägung der beiderseitigen Interessen getroffen hätten (RGZ 118, 218, 222; BGH, Urteil vom 13. März 1986 – III ZR 114/84 = NJW 1986, 2576 unter II 5; siehe auch Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 139 Rdnr. 34).

c) Tatrichterliche Feststellungen, ob die Parteien den Praxiskaufvertrag, gegebenenfalls mit einer zulässigen Begrenzung der Übergabepflicht auf zustimmende Mandanten (BGHZ 116, 268, 277), bei Kenntnis der Nichtigkeit der uneingeschränkten Verpflichtung zur Aktenübergabe geschlossen hätten, sind nicht vorhanden. Da der Kaufpreis nicht weiter aufgeteilt ist, die Büroeinrichtung dem Beklagten lediglich „zur Nutzung ohne weiteres Entgelt überlassen” worden ist sowie bisher begründete Ansprüche auf Zahlung von Gebühren und Erstattung von Auslagen der Klägerin verblieben (§§ 4, 6 des Vertrages), liegt es nahe, daß der Kaufpreis im wesentlichen für den good will der Praxis gezahlt werden sollte, der jedenfalls teilweise durch die überlassenen Akten repräsentiert wird (Senatsurteil vom 17. Mai 1995 – VIII ZR 94/94 aaO).

3. Ist somit aufgrund des bisherigen Sachstandes von der Gesamtnichtigkeit des Vertrages vom 30. Oktober 1991 auszugehen, kommt es auf die Angriffe der Revision gegen die Auslegung der Vergütungsregelung in § 2 Abs. 3 des Vertrages durch das Berufungsgericht nicht mehr an.

4. Die Sache war daher zur weiteren Feststellung, welche Vereinbarungen die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit des § 5 des Vertrages vom 30. Oktober 1991 getroffen hätten, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Sollte es danach bei der Gesamtnichtigkeit des Vertrages vom 30. Oktober 1991 verbleiben, wird das Berufungsgericht dem unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin nachzugehen haben, daß der Wert der rechtsgrundlos übernommenen Praxis der in § 2 des Vertrages vereinbarten Vergütung entspricht.

 

Fundstellen

BB 1996, 1464

NJW 1996, 2087

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