Leitsatz (amtlich)

Auf eine Vereinbarung der Parteien eines Mietvertrages, daß der Mieter bei von ihm verschuldeter vorzeitiger Beendigung des Mietvertrages keinen Anspruch auf Vergütung von Baukosten erheben kann (Verfallklausel), sind die Bestimmungen über das Versprechen einer Vertragsstrafe, auch § 343 BGB (Herabsetzung durch Richterspruch), anwendbar.

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 03.02.1966)

LG Osnabrück

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Oldenburg vom 3. Februar 1966 hinsichtlich der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als über die Widerklage entschieden ist.

In diesem Umfange wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt von den Kosten des Revisionsverfahrens 1/11. Im übrigen wird die Entscheidung über die Kosten der Revision dem Berufungsgericht übertragen.

 

Tatbestand

Durch notariellen Vertrag vom 8. November 1962 (im folgenden: MV) vermietete der Kläger dem Beklagten sein in Voxtrup gelegenes Grundstück auf die Dauer von 15 Jahren. Auf dem Grundstück befand sich ein Gebäude, das den Beklagten für die Zwecke seines Buchdruckereibetriebes auszubauen gestattet war. Der Mietpreis betrug für die ersten 3 Jahre vierteljährlich 550 DM, für den Rest der Mietzeit 600 DM. In § 4 Abs. 1 MV war bestimmt, daß der Kläger das Mietverhältnis fristlos kündigen dürfe, wenn der Beklagte mit zwei aufeinanderfolgenden Mietzinsraten in Verzug gerate. Für diesen Fall sollte der Beklagte gemäß § 4 Abs. 2 MV keine Entschädigung für die von ihm vorgenommenen baulichen Veränderungen verlangen können. Im übrigen war in § 6 MV folgendes vereinbart:

"Wird nach Ablauf von 15 Jahren das Pachtverhältnis beendet, gehen die vom Pächter fest mit dem Boden verbundenen errichteten Gebäude entschädigungslos auf den Verpächter über.

Wird vorzeitig das Pachtverhältnis aufgehoben, ist der Verpächter verpflichtet, falls der Aufhebungsgrund in seiner Person liegt, für die errichteten Gebäude eine angemessene dem Zeitwert entsprechende Entschädigung an den Pächter zu zahlen.

Liegt der Aufhebungsgrund in der Person des Pächters, gehen die Gebäude entschädigungslos auf den Verpächter über."

Mit der Behauptung, daß der Beklagte mit zwei aufeinanderfolgenden Mietzinsraten in Verzug geraten sei, kündigte der Kläger den Mietvertrag mit einer dem. Beklagten am 17. Oktober 1964 zugegangenen Erklärung.

Mit der Klage verlangte er Räumung des Grundstücks. Das Landgericht erließ gegen den Beklagten gemäß Klageantrag Versäumnisurteil, gegen das der Beklagte Einspruch einlegte. Gegen das alsdann ergangene streitige, das Versäumnisurteil aufrechterhaltende. Urteil des Landgerichte legte der Beklagte Berufung ein und erhob für den Fall der Verurteilung Widerklage mit dem Antrage:

den Kläger zu verurteilen, an ihn denjenigen Betrag herauszugeben, "der sich nach einem Sachverständigengutachten aus der Wertsteigerung, die das Grundstück durch die Umbauten des Beklagten erfahren hat, ergibt, mindestens jedoch 25.000,- DM".

Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beklagten zurück und wies seine Widerklage ab.

Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung und seine Widerklage weiter.

 

Entscheidungsgründe

A.

Zur Klage.

I.

Nach § 4 des von den Parteien als Pachtvertrag bezeichneten Vertrages vom 13. November 1962, der sich nach seiner rechtlichen Einordnung als Mietvertrag darstellt (MV), war der Kläger zur fristlosen Kündigung berechtigt, wenn der Beklagte mit zwei aufeinanderfolgenden Mietzinsraten im Verzuge war. Diese Voraussetzung hat der Kläger behauptet und damit seine Kündigung vom 15. Oktober 1964 begründet. Sie war im ersten Rechtszuge unstreitig. Das Berufungsgericht hat die Behauptung im Zusammenhang mit der im zweiten Rechtszuge vom Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung vorgetragenen Gegendarstellung gewürdigt, der Mietvertrag habe nicht bereits, wie vorgesehen, am 1. Januar, sondern erst am 1. Juni 1963 begonnen und die Parteien hätten deshalb vereinbart, daß der Beklagte die im voraus für daß erste Quartal des Jahres 1963 gezahlte Mietzinsrate auf die spätere Zeit verrechnen dürfe. Diese Behauptung, so führt das Berufungsgericht aus, besage nicht, daß der Beklagte nicht doch mit zwei aufeinanderfolgenden Mietzinsraten im Verzug gewesen sei, als der Kläger am 15. Oktober 1964 gekündigt habe. Wenn die Behauptung aber diesen Sinn habe, so sei sie nach § 529 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Ihre Berücksichtigung bedeute eine Verzögerung des Rechtsstreits. Der Beklagte hätte diese Behauptung schon im ersten Rechtszuge bringen können. Wenn er wirklich die angebliche Urkunde über einen entsprechenden Zusatzvertrag nicht zur Hand gehabt haben sollte, so hätte er sich beim Bestreiten des Klägers auf dessen Parteivernehmung berufen können.

Daß der Beklagte in schlüssiger Weise mit Gegenforderungen aufgerechnet habe, hält das Berufungsgericht nicht für dargetan. Hiergegen hat die Revision keine Einwendungen erhoben.

II.

Bei dieser Sachlage bestehen gegen die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Beklagte gemäß § 4 Abs. 1 MV zur Räumung verpflichtet ist, keine rechtlichen Bedenken. Der Beklagte hat sich zwar im Hinblick auf angebliche Gegenforderungen auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen. Dieses Recht steht ihm indes, wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, gemäß § 556 Abs. 2 BGB nicht zu. Seiner Ansicht, der Kläger handele arglistig, wenn er ihn zur Räumung zwinge, obwohl er, der Beklagte, erhebliche Umbaukosten in das Grundstück investiert habe, deren Erstattung ihm der Kläger schulde, kann nicht gefolgt werden (RGZ 108, 137). Dem Beklagten steht wegen seiner Gegenansprüche der Weg der Widerklage offen, den er auch beschritten hat. Die Revision hat insoweit keine rechtlichen Bedenken geltend gemacht.

III.

Die Revision wendet sich in erster Linie dagegen, daß das Berufungsgericht das Vorbringen des Beklagten, er habe die für das erste Quartal 1963 bezahlte Miete verrechnen dürfen, nicht berücksichtigt habe. Sie hält die Voraussetzungen des § 529 Abs. 2 ZPO nicht für gegeben.

Die Fassung der Begründung im Berufungsurteil läßt es zu, die Ausführungen über die Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens dahin aufzufassen, daß das Berufungsgericht den Vortrag des Beklagten auf alle Fälle als verspätet zurückweisen will, daß also seine sachlich-rechtlichen Erwägungen über die Unschlüssigkeit des Vorbringens nur als Hilfserwägung gelten sollen. Das Berufungsgericht trifft dabei nicht der Vorwurf des Prozeßverstoßes.

Da der Beklagte vor der mündlichen Verhandlung keine Beweise angeboten hat, die im Wege des § 272 b ZPO hätten in der mündlichen Verhandlung erhoben werden können, hätte die Berücksichtigung des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung in der Tat eine Verzögerung bedeutet. Es ist auch kein Rechtsfehler, wenn das Berufungsgericht nicht die Überzeugung gewinnt, der Beklagte habe das Vorbringen im ersten Rechtszuge weder in der Absicht, den Prozeß zu verschleppen, noch aus grober Nachlässigkeit unterlassen. Seine Erwägungen, der Beklagte hätte, wenn ihm der angebliche Nachtragsvertrag nicht zur Hand gewesen sei, sich zumindest auf die Parteivernehmung des Klägers berufen können, sind rechtlich einwandfrei.

Es ist aber auch kein Rechtsfehler, wenn das Berufungsgericht dem Vorbringen deshalb nicht nachgegangen sein sollte, weil es seine Schlüssigkeit verneint. In diesem Falle kommt entgegen einer weiteren Rüge der Revision ein Verstoß gegen § 286 ZPO nicht in Frage. Das Berufungsgericht konnte gemäß § 286 ZPO das beiderseitige Vorbringen der Parteien dahin würdigen, der Beklagte könne und wolle nicht bestreiten, daß er mit zwei aufeinanderfolgenden Mietzinsraten im Rückstand war, daß er aber auch nicht in der läge sei, zu behaupten und zu beweisen, diese beiden rückständigen Raten seien verrechnet worden. Diese Würdigung ist auch schon deshalb rechtlich einwandfrei, weil der Beklagte nicht einmal zu der Darstellung des Klägers Stellung genommen hat, er habe verschiedene Urteile auf Zahlung rückständiger Mietzinsraten gegen den Beklagten erstritten.

Nach alledem hat das Berufungsgericht die Berufung mit Recht zurückgewiesen. Insoweit war die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

B.

Zur Widerklage.

Der Beklagte ist der Ansicht, der Kläger sei durch die vorzeitige Beendigung des auf die Dauer von 15 Jahren abgeschlossenen Mietvertrages insofern bereichert, als er vorzeitig das von dem Beklagten unter erheblichem Kostenaufwand errichtete Gebäude nutzen könne. Er schätzt die Bereicherung auf 44.400 DM und halt im Hinblick darauf die Erstattung eines Betrages von 25.000 DM auf alle Falle für gerechtfertigt. Er meint, das Gericht müsse, falls Ansprüche aus §§ 951, 946 BGB ausgeschlossen sein sollten, ihm den genannten Betrag nach den Grundsätzen über einen Ausgleich bei Veränderung der Geschäftsgrundlage gemäß § 242 BöB im Woge der Anpassung des Vertrages an die veränderten Verhältnisse zusprechen.

Das Berufungsgericht lehnt einen Erstattungsanspruch ab, weil sich der Beklagte in der Bestimmung der Nr. 4 MV jeglicher Ansprüche für den Fall begeben habe, daß der Mietvertrag wegen Zahlungsverzuges gekündigt werde. Für den Fall, daß in der Bestimmung ein Vertragsstrafenversprechen gesehen werden könne, sieht es sich nicht in der Lage, eine Herabsetzung der Vertragsstrafe zu erwägen, weil es an einem entsprechenden Antrag des Beklagten fehle.

Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, daß den Beklagten im Hinblick auf § 4 Abs. 2 MV alle Ansprüche auf Erstattung der von ihm investierten Kosten abgeschnitten sind. Der Senat hat zwar in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Mieter im Falle einer vorzeitigen Beendigung eines langfristigen Mietvertrages Erstattung von Baukostenzuschüssen, darunter auch von investierten Aufbau- oder Umbaukosten nach Bereicherungsgrundsätzen verlangen kann, auch wenn die Baukostenzuschüsse als verloren vereinbart worden sind (BGHZ 29, 289; Senatsurteile vom 3. Februar 1959 - VIII ZR 91/58 - = NJW 1959, 872 = WM 1959, 538; vom 21. Januar 1960 - VIII ZR 16/59 - = LM § 812 Nr. 41 = WM 1960, 497; vom 24. Juni 1963 - VIII ZR 55/62 und vom 7. Oktober 1963 - VIII ZK 139/62 = NJW 1964, 37 = WM 1963, 1321). Das gilt aber nicht, wenn die Parteien, wie hier, eine ausdrückliche Regelung dahin getroffen haben, daß eine Erstattung in einem bestimmten, im vorliegenden Rechtsstreit gegebenen, Falle nicht zu erfolgen hat. Solche Bestimmungen werden allerdings zu den mißbilligten Klauseln gerechnet (Senatsurteil vom 14. Oktober 1958 - VIII ZR 155/57 - = NJW 1958, 2109 mit den dortigen nachweisen) und von einem Teil des Schrifttums als nichtig angesehen. Ob eine solche Wichtigkeit wegen Sittenverstoßes anzunehmen ist, kann jedoch nur von Fall zu Fall entschieden werden (BGH wie oben). Nach dem derzeitigen Stand des Rechtsstreits sind für eine solche Annahme keine Anhaltspunkte zu erkennen.

Auf diese in der Rechtsprechung entwickelten, aus dem Bereicherungsrecht entnommenen Grundsätze kann sich daher die Widerklage nicht stützen. Auch die Anwendung der Grundsätze über einen Ausgleich bei Veränderung der Geschäftsgrundlage scheitert an der eindeutigen Bestimmung des § 4 MV.

Es bestehen indes keine Bedenken, auf einen Fall der vorliegenden Art die Bestimmungen der §§ 339 f BGB über die Vertragsstrafe entsprechend anzuwenden. Der Beklagte hat zwar keine Geldleistung (§ 339 BGB) noch eine sonstige Leistung (§ 342 Abs. 2 BGB) versprochen. Er hat sich aber für den Fall der Vertragsuntreue mit einem Anspruchsverzicht einverstanden erklärt. Damit hat er auf einen Bereicherungsanspruch verzichtet, der ihm sonst zugestanden hatte. Wie bereits erörtert wurde, würde ihm nämlich ohne diesen Verzicht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung erwachsen sein, der dahin ging, daß ihn der Kläger für den entgangenen Nutzen in den Maße Ersatz leistet, in den dieser durch eine mit dem Mietnachfolger vereinbarte und durch den Wert des vom Beklagten errichteten Gebäudes bedingte höhere Miete bereichert ist.

Die Verzichtsvereinbarung läßt die Bestimmung der §§ 4, 6 Abs. 2 MV als Verfallklausel erscheinen, die allerdings im Gegensatz zum Vertragsstrafenversprechen im Sinne des § 339 BGB bei Vertragsuntreue des Schuldners nicht unmittelbar, sondern erst dann zur Auswirkung kommen sollte, wenn der Kläger von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen wurde. Das hindert aber nicht eine entsprechende Anwendung der Bestimmungen über die Vertragsstrafe und deren Herabsetzung gemäß § 343 BGB auf solche Fälle (vgl. BGH Urt. v. 27. Juni 1960 - VII ZR 101/59 = NJW 1960, 1568 m.w.N. = WM 1960, 942).

Eine Vertragsstrafenherabsetzung durch Richterspruch läuft darauf hinaus, daß der Verzicht des Beklagten auf den ihm sonst zustehenden Bereicherungsanspruch modifiziert wird. Der nach § 343 BGB für eine Herabsetzung erforderliche Antrag des Schuldners, der die Vertragsstrafe verwirkt hat, setzt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht eine formelle Erklärung des Schuldners voraus. Die Herabsetzung der Vertragsstrafe bedeutet einen Schutz des wirtschaftlich Schwächeren. Die Bestimmung des § 343 BGB ist zwingenden Rechts und kann daher nicht abbedungen werden (BGHZ 5, 133; Soergel/Siebert BGB 10. Aufl. § 343 Anm. 1). Im Ergebnis ist sie eine Auswirkung der in § 242 BGB verankerten Grundsätze von Treu und Glauben. "Auf Antrag" bedeutet nichts anderes, als daß das Gericht eine Herabsetzung nicht von Amts wegen zu erwägen hat. Als Antrag hat daher jede Anregung zu gelten, die erkennen läßt, daß der Schuldner ganz oder teilweise von der Vertragsstrafe loskommen will, weil er sie als unangemessen hoch und drückend empfindet.

Um welchen Betrag eine Herabsetzung verlangt wird, braucht der Schuldner nicht im einzelnen anzugeben. Wenn aber der Beklagte eine Anpassung des Vertrages an die veränderten Verhältnisse begehrt und sich damit auf § 242 BGB berufen hat, so liegt darin auch ein ausreichend gekennzeichneter Antrag im Sinne des § 343 BGB. Eine formelle Erklärung konnte das Berufungsgericht umsoweniger erwarten, als der Gesichtspunkt, die Bestimmung der §§ 4, 6 Abs. 3 MV könne als ein Vertragsstrafenversprechen aufgefaßt werden, im Rechtsstreit nicht erörtert worden ist. Ehe das Berufungsgericht den von ihm vertretenen Standpunkt einnahm, hätte es von seinem Fragerecht gemäß § 139 ZPO Gebrauch machen müssen.

Das Urteil kann daher, soweit über die Widerklage entschieden ist, keinen Bestand haben. Es war aufzuheben und die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um ihm Gelegenheit zu geben, eine Entscheidung im Sinne des § 343 BGB zu treffen. Allerdings wird der Beklagte entsprechend den für die Erstattung von Baukostenzuschüssen maßgeblichen Grundsätzen anzugeben haben, wie hoch sich sein Anspruch bemessen hätte, auf den er in §§ 4, 6 Abs. 3 MV verzichtet hat. Soweit die Revision zurückgewiesen ist, hat der Beklagte gemäß § 97 SPO die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018642

DB 1968, 1266-1267 (Volltext mit amtl. LS)

NJW 1968, 1625-1626 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1968, 751

MDR 1968, 751 (Volltext mit amtl. LS)

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