Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtliches Gehör. Hinweispflicht

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine in erster Instanz siegreiche Partei darf trotz der Einschränkungen durch § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO auf einen richterlichen Hinweis vertrauen, wenn das Gericht der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will, so dass sie reagieren, ergänzend vortragen und gegebenenfalls Beweis antreten kann.

 

Normenkette

ZPO § 531 Abs. 2 S. 1, § 139; GG Art. 103

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 26.11.2002; Aktenzeichen 5 U 3693/02)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG München v. 26.11.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 19. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten, seiner Schwiegermutter, Darlehensrückzahlung i.H.v. 204.516,75 EUR (= 400.000 DM) nebst Zinsen.

Im Juni und September 1994 wurden von einem Konto des Klägers jeweils 200.000 DM an die Beklagte, die sich damals in einer angespannten finanziellen Lage befand, überwiesen. Der Überweisungsbeleg vom September 1994 enthielt in der Spalte "Verwendungszweck" die Angabe "Anteil Grundstückskauf". Im April 1995 kam ein notarieller Überlassungsvertrag zu Stande, in dem die Beklagte ein ihr gehörendes Grundstück an den Kläger und dessen Ehefrau, ihre Tochter, aufließ. Als Rechtsgrund wurde in der notariellen Urkunde Schenkung angegeben.

Im Jahre 1999 unterzeichneten die Parteien zwei auf Juni und September 1994 rückdatierte, im Übrigen gleich lautende Darlehensverträge über jeweils 200.000 DM, in denen eine zinsfreie Überlassung der Darlehensbeträge vom Kläger an die Beklagte auf unbestimmte Zeit, längstens jedoch bis zum Todestag der Beklagten vorgesehen war. Im August 2001 kündigte der Kläger die angeblichen Darlehen aus wichtigem Grund.

Während der Kläger sein Begehren auf die Behauptung stützt, den Zahlungen aus dem Jahr 1994 lägen wirksam geschlossene Darlehensverträge zu Grunde, macht die Beklagte geltend, bei den schriftlichen Darlehensverträgen handele es sich um nichtige Scheingeschäfte, in Wahrheit seien die beiden Überweisungsbeträge die Gegenleistung für die im Jahre 1995 erfolgte Grundstücksüberlassung gewesen, die mit Rücksicht auf ein bestehendes dingliches Vorkaufsrecht als Schenkung deklariert worden sei. Hilfsweise hat die Beklagte die Aufrechnung mit angeblich ausstehenden Pachtzinsen und Nutzungsentgelten für ein anderes Grundstück erklärt, das sie an den Kläger und dessen Ehefrau verpachtet hatte.

Das LG hat die Klage nach der Vernehmung der Ehefrau des Klägers, der Zeugin G., sowie des Steuerberaters beider Parteien, des Zeugen J., abgewiesen, da es dem Kläger nicht gelungen sei, die Hingabe der beiden Überweisungsbeträge als Darlehen zu beweisen. Das Berufungsgericht hat - ohne die Beweisaufnahme zu wiederholen - die Beklagte unter Berücksichtigung ihrer Hilfsaufrechnung zur Zahlung von 127.855,34 EUR nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagte sei auf Grund der beiden Darlehensverträge aus dem Jahr 1994 verpflichtet, die erhaltene Valuta nebst Zinsen an den Kläger zurückzuzahlen. Es sei der Beklagten nicht gelungen, die Beweiskraft der nachträglich gefertigten Darlehensverträge zu erschüttern. Die Vernehmung des Zeugen J. durch das LG habe nicht den Beweis erbracht, dass die Verträge nur zum Schein unterzeichnet worden seien. Es liege vielmehr nahe, dass durch die schriftlichen Darlehensverträge bereits im Jahr 1994 mündlich getroffene Abreden bestätigt worden seien. Die Zeugin G. , die dies bekundet habe, sei im Gegensatz zu der Würdigung durch das LG glaubwürdig. Auf ihre Aussage komme es aber letztlich nicht an, weil auf Grund von Indizien und der Aussage des Zeugen J. von der Richtigkeit der klägerischen Behauptung ausgegangen werden könne. Der Gegenvortrag der Beklagten überzeuge nicht. Insbesondere habe die Beklagte nachvollziehbare Gründe, weshalb die Grundstücksüberlassung als Schenkung, nicht aber als Kaufvertrag deklariert worden sei, nicht nennen können. Der im Schriftsatz v. 10.10.2002 enthaltene Sachvortrag der Beklagten, die Deklaration der Grundstücksübertragung als Schenkung habe allein dem Zweck gedient, das auf dem Grundstück lastende dingliche Vorkaufsrecht zu umgehen, sei außer Betracht zu lassen, weil der mit Beschluss v. 17.9.2002 bewilligte Schriftsatznachlass die Beklagte nur zu einer schriftsätzlichen Stellungnahme zum bisherigen Sach- und Streitstand, insbesondere zum Schriftsatz der Gegenseite v. 6.9.2002, nicht aber zu neuem Sachvortrag berechtigt habe. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 Abs. 1 ZPO sei nicht veranlasst.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in mehreren Punkten nicht stand. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe den Abschluss zweier Darlehensverträge und die Auszahlung der Darlehensvaluta bewiesen, beruht auf Verfahrensfehlern.

1. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz v. 10.10.2002 außer Acht gelassen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH darf eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht ihr rechtzeitig einen Hinweis erteilt, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will. Außer zur Hinweiserteilung ist das Berufungsgericht auch verpflichtet, der betroffenen Partei Gelegenheit zu geben, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen sowie ggf. auch Beweis anzutreten (BGH, Urt. v. 27.4.1994 - XII ZR 16/93, MDR 1994, 684 = WM 1994, 1823 [1824]; Urt. v. 27.11.1996 - VIII ZR 311/95, NJW-RR 1997, 441; Urt. v. 8.2.1999 - II ZR 261/97, MDR 1999, 758 = WM 1999, 1379 [1380 f.], jeweils m.w.N.; BVerfG, Beschl. v. 15.1.1991 - 1 BvR 1635/89, NJW 1992, 678 [679]; v. 12.6.2003 - 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524). § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO, der die Zulässigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz einschränkt, hat daran nichts geändert. Schon zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) muss Vorbringen, das als Reaktion auf einen nach § 139 ZPO gebotenen Hinweis erfolgt, bei der Entscheidung des Berufungsgerichts berücksichtigt werden. Anderenfalls würde die Hinweispflicht leer laufen (Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 531 Rz. 17).

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war die Beklagte berechtigt, umfassend zu dem richterlichen Hinweis v. 17.9.2002 und nicht nur zum letzten Schriftsatz der Gegenseite und dem bisherigen Sach- und Streitstand vorzutragen. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hatte der Beklagtenvertreter Schriftsatzfrist insb. zu der in der mündlichen Verhandlung vom Berufungsgericht geäußerten Rechtsansicht beantragt, nicht aber zum Schriftsatz der Gegenseite v. 6.9.2002. Die vom Berufungsgericht antragsgemäß gewährte Schriftsatzfrist beruhte daher auf § 139 Abs. 5 ZPO und nicht etwa auf § 283 ZPO.

Das Berufungsgericht war verpflichtet, den fristgerecht eingereichten Schriftsatz der Beklagten bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen und ggf. die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (Musielak/Stadler, ZPO, 4. Aufl., § 139 Rz. 30). Indem es das nicht getan hat, hat es der Beklagten die Befugnis zu ergänzendem Sachvortrag abgeschnitten und den tatsächlich gehaltenen Vortrag verfahrensfehlerhaft nicht zur Kenntnis genommen.

c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann der Beklagten auch nicht vorgeworfen werden, das im Schriftsatz v. 10.10.2002 enthaltene Vorbringen nicht bereits früher in den Prozess eingeführt zu haben. Nachdem die Beklagte nach Beweisaufnahme in erster Instanz auf der Grundlage ihres dortigen Vorbringens, das kein Wort über die Umgehung des dinglichen Vorkaufsrechts als Hauptmotiv für die Falschdeklarierung des Grundstückskaufs als Schenkung und der Kaufpreiszahlung als Darlehen enthielt, obsiegt hatte, brauchte sie in der Berufungsinstanz bis zur - Ersten und Einzigen - mündlichen Verhandlung nicht damit zu rechnen, dass weiterer Vortrag ihrerseits erforderlich werden könnte. Das gilt insb. auch deshalb, weil das Berufungsgericht weder Anstalten zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme gemacht noch es vor der mündlichen Verhandlung für nötig gehalten hatte, die Beklagte auf seine von der des LG abweichenden Sichtweise hinzuweisen.

2. Verfahrensfehlerhaft hat das Berufungsgericht ferner die Glaubwürdigkeit der Zeugin G. abweichend vom Erstgericht gewürdigt, ohne die Zeugin erneut zu vernehmen. Damit hat es gegen § 398 ZPO und den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (BGH, Urt. v. 29.10.1996 - VI ZR 262/95, MDR 1997, 191 = NJW 1997, 466, m.w.N.) verstoßen. Der Pflicht zur erneuten Vernehmung konnte das Berufungsgericht sich nicht dadurch entziehen, dass es die Aussage der Zeugin teilweise unberücksichtigt gelassen hat, da der Beweiswert der weiteren Indizien nicht losgelöst von der Zeugenaussage zu beurteilen war (BGH, Urt. v. 17.7.2002 - VIII ZR 151/01, BGHReport 2002, 1006 = MDR 2002, 1450 = NJW-RR 2002, 1649 [1650]).

3. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht weiterhin von einer Beweislastumkehr zu Gunsten des Klägers ausgegangen, der für die Einigung der Parteien über die Hingabe der im Jahr 1994 an die Beklagte überwiesenen Beträge als Darlehen die Beweislast trägt (Soergel/Häuser, BGB, 12. Aufl., § 607 Rz. 173; Berger in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 488 Rz. 152). Die in den rückdatierten schriftlichen Darlehensverträgen abgegebenen Erklärungen rechtfertigen keine Umkehr der Beweislast (BGH, Urt. v. 10.6.1985 - III ZR 178/84, MDR 1986, 31 = WM 1985, 1206 [1207]). Die inhaltliche Richtigkeit der Erklärungen unterliegt vielmehr der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO, weil die Urkunden lediglich den Beweis dafür erbringen, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Parteien abgegeben worden sind (§ 416 ZPO), nicht jedoch, dass sie zutreffend sind.

III.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Entscheidung reif ist, war sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 S. 2 ZPO Gebrauch gemacht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1316421

BGHR 2005, 671

AnwBl 2005, 153

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