Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzungen eines Restitutionsgrundes können auch dann gegeben sein, wenn der Restitutionskläger nachträglich eine Urkunde auffindet, die ihn veranlasst, eine gegnerische Tatsachenbehauptung aus dem Vorprozess erstmals zu bestreiten.

 

Normenkette

ZPO § 580 Nr. 7b

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Urteil vom 02.03.2004; Aktenzeichen 12 U 190/03)

LG Stuttgart

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des OLG Stuttgart v. 2.3.2004 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wiederaufnahmeverfahren.

Der Restitutionsbeklagte ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma M. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Das Verfahren wurde am 1.12.2000 auf Grund zweier Anträge v. 28.8.und 8.9.2000 eröffnet. Die Restitutionsklägerin ist eine Krankenkasse, bei der Arbeitnehmer der Schuldnerin versichert waren. Auf Klage des jetzigen Restitutionsbeklagten verurteilte das LG Stuttgart die Restitutionsklägerin mit Urt. v. 28.8.2001, 106.000 DM nebst Zinsen an diesen zu zahlen. Das LG bejahte einen Anfechtungsanspruch sowohl gem. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO als auch gem. § 130 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 InsO. Dabei ging es von der im Vorprozess unstreitigen Tatsache aus, dass die Schuldnerin am 5.9.2000 bei dem Vater ihrer Geschäftsführerin ein Darlehen über 200.000 DM aufgenommen und den Darlehensgeber angewiesen hatte, an die damalige Beklagte 106.000 DM zum Ausgleich von Beitragsrückständen zu zahlen. Den entsprechenden Darlehensvertrag hatte der Restitutionsbeklagte mit der Klageschrift v. 14.5.2001 vorgelegt. Nach diesem Vertrag übereignete die Schuldnerin dem Darlehensgeber diverse Gegenstände "gemäß beiliegender Inventarliste zur Sicherheit." Diese Liste legte der Restitutionsbeklagte nicht vor. Das Urteil wurde rechtskräftig; die Restitutionsklägerin zahlte die Urteilssumme an den Restitutionsbeklagten.

Am 16.5.2003 erhielt die Restitutionsklägerin Kenntnis von folgenden Urkunden:

1. "Inventarliste zum Darlehensvertrag v. 5.9.2000", unterzeichnet vom Darlehensgeber und der Geschäftsführerin der Schuldnerin; in der Liste waren u.a. Rechnungen v. 8.9.2000 und 12.12.2000 erwähnt.

2. Schreiben des Restitutionsbeklagten v. 21.3.2001 und 25.6.2001 an den anwaltlichen Vertreter des Darlehensgebers; in dem ersten Schreiben erhob der Restitutionsbeklagte "erhebliche Bedenken" gegen die Rechtswirksamkeit des vorgenannten Vertrags, weil "einiges auf eine deutliche Rückdatierung" hindeute. Das spätere Schreiben diente der Herbeiführung einer Vereinbarung, wonach der Darlehensgeber keine Ansprüche aus diesem Vertrag mehr geltend machte.

3. Darlehensvertrag zwischen der V. AG und dem Darlehensgeber v. 5.9.2000 über 250.000 DM mit dem Verwendungszweck "Unterstützung Tochter ...";

4. Kontoauszug der V. AG v. 2.10.2000 für den Darlehensgeber über die Auszahlung des Darlehens auf das Privatkonto der Geschäftsführerin der Schuldnerin;

5. Auftrag der Geschäftsführerin v. 5.9.2000 zur Überweisung von 106.000 DM von ihrem Privatkonto auf ein Konto der Restitutionsklägerin.

Gestützt auf diese Urkunden hat die Krankenkasse Restitutionsklage mit der Begründung erhoben, bei der Zahlung von 106.000 DM habe es sich um eine "private" Leistung der Geschäftsführerin gehandelt. Die Klage ist beim LG ohne Erfolg geblieben. Auf die Berufung hat das OLG mit Zwischenurteil das rechtskräftige Urteil des LG Stuttgart v. 28.8.2001 aufgehoben. Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Revision des Restitutionsbeklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Restitutionsklage sei statthaft und auch im Übrigen zulässig, insb. sei die Klagefrist von einem Monat gem. § 586 Abs. 1 ZPO gewahrt. Die Restitutionsklägerin sei ohne ihr Verschulden außerstande gewesen, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 582 ZPO). Die Restitutionsklage sei auch begründet, da die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7b ZPO vorlägen. Die Restitutionsklägerin dürfe den im Vorprozess unstreitigen Vortrag des Restitutionsbeklagten über das Bestehen eines Darlehensvertrages zwischen dem Darlehensgeber und der Schuldnerin v. 5.9.2000 und die hierauf beruhende Zahlung nach Kenntnis der nunmehr vorgelegten Urkunden bestreiten. Bei Vorlage der Urkunden im Vorprozess wäre ein ihr günstigeres Urteil ergangen.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Die Revision ist zulässig; das Rechtsmittel ist insbes. statthaft (§ 542 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat das rechtskräftige Urteil des LG Stuttgart v. 28.8.2001 aufgehoben. Damit hat es nicht nur über die Erste, sondern auch über die zweite Stufe des Wiederaufnahmeverfahrens positiv erkannt (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1988 - IVb ZR 1/88, NJW-RR 1989, 258). Das konnte durch Zwischenurteil geschehen; ein solches ist analog § 280 Abs. 2 S. 1 ZPO selbständig anfechtbar und auch hinsichtlich der Bejahung des Wiederaufnahmegrundes angreifbar (BGH, Beschl. v. 3.11.1978 - IV ZB 105/78, NJW 1979, 427 [428]). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist damit im vorliegenden Fall sowohl die Zulässigkeit als auch die Begründetheit der Restitutionsklage (vgl. BGH, Urt. v. 31.3.1993 - XII ZR 19/92, MDR 1994, 205 = NJW 1993, 1928 [1929]).

2. In der Sache hat die Revision keinen Erfolg.

a) Nach ihrer Auffassung kann sich die Restitutionsklägerin nicht auf die Inventarliste berufen, weil sie diese Urkunde nicht nachträglich aufgefunden habe. Vielmehr habe sie die Möglichkeit gehabt, diese bereits im Vorprozess zu benutzen. Das bedarf jedoch - auch im Blick auf § 582 ZPO - keiner Entscheidung. Denn die Revision behauptet selbst nicht, dass die Voraussetzungen des Restitutionsgrundes nach § 580 Nr. 7b ZPO auch für die weiteren im Tatbestand aufgeführten Urkunden fehlen. Der Umstand, dass das Berufungsgericht bei der Prüfung, ob der geltend gemachte Wiederaufnahmegrund vorliegt, auch die Inventarliste berücksichtigt hat, begründet keinen Rechtsfehler (vgl. BGHZ 57, 211 [213, 216]; RGZ 151, 203 [207]).

b) Das Berufungsgericht hat es für zulässig erachtet, dass die Restitutionsklägerin - gestützt auf die nachträglich aufgefundenen Urkunden - erstmals im Wiederaufnahmeverfahren den gegnerischen Vortrag zum Abschluss eines Darlehensvertrages am 5.9.2000 zwischen dem Darlehensgeber und der Schuldnerin bestreitet. Allerdings ist eine solche Befugnis des Restitutionsklägers umstritten (dafür: Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 580 Rz. 26; Braun in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 580 Rz. 51; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 580 Anm. E II; dagegen: OLG Celle NJW 1962, 1401; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 580 Rz. 32; Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 580 Rz. 19; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 580 Rz. 19). Der Senat stimmt jedoch der Ansicht des Berufungsgerichts zu.

Der Wortlaut des § 580 Nr. 7b ZPO ist nicht eindeutig. Denn er besagt nichts zu der hier entscheidenden Frage, in welcher Art und Weise die später aufgefundenen Urkunden eine dem Restitutionskläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Der Systematik des Gesetzes lässt sich lediglich entnehmen, dass die Urkunde einen eigenen Beweiswert auf Grund des in ihr verkörperten Gedankeninhalts haben muss (BGH, Urt. v. 6.7.1979 - I ZR 135/77, NJW 1980, 1000; v. 7.11.1990 - IV ZR 218/89, BGHR ZPO § 580 Nr. 7b - Beweisurkunde 1).

Bei der Prüfung des § 580 Nr. 7b ZPO dürfen nur das tatsächliche Vorbringen im Vorprozess, der im Zusammenhang mit der nachträglich aufgefundenen Urkunde stehende Prozess-Stoff und als Beweismittel nur die im Vorprozess erhobenen und angetretenen Beweise sowie die neuen Urkunden berücksichtigt werden (BGHZ 38, 333 [335 f.]). Mit einer Urkunde, auf die eine Restitutionsklage gestützt wird, können somit auch diejenigen Tatsachen neu vorgetragen werden, die durch diese Urkunde bewiesen werden sollen (BGH, Urt. v. 6.6.1953 - IV ZR 51/53, NJW 1953, 1263). Das gilt auch für neue Tatsachen, die im Zusammenhang mit der durch die Urkunde bewiesenen Tatsache stehen und erst von dieser aus sinnvoll vorgetragen werden können (BGHZ 57, 211 [216]; BGH, Urt. v. 6.6.1953 - IV ZR 51/53, NJW 1953, 1263; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 580 Rz. 33; Uffhausen, NJW 1953, 64). Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, hiervon solche aus den vorgelegten Urkunden sich ergebenden neuen Tatsachen auszuschließen, die in Widerspruch zu im Vorprozess unstreitigem Vorbringen stehen. Der Restitutionsgrund differenziert nicht danach, ob eine Tatsache im Vorprozess streitig oder unstreitig war. Neue Tatsachen können vielmehr nur dann nicht mit der Restitutionsklage vorgetragen werden, wenn sie nicht im Zusammenhang mit der nachträglich aufgefundenen Urkunde stehen (BGHZ 31, 351 [356]; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 580 Rz. 33). Daraus folgt, dass der Revisionskläger nach der Rechtsprechung den Aussage- und Beweisgehalt der nachträglich aufgefundenen Urkunde ausschöpfen darf.

Allein dies entspricht auch dem Zweck des Restitutionsgrundes des § 580 Nr. 7b ZPO. Hierdurch soll einer Partei in den Fällen zu ihrem Recht verholfen werden, in denen eine bestimmte Urteilsgrundlage mit qualifizierten verbrieften Beweismitteln in Widerspruch steht (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 580 Rz. 1). Die Restitutionsklage soll auf diese Weise verhindern, dass die Autorität der Gerichte und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung dadurch beeinträchtigt werden, dass rechtskräftige Urteile nicht überprüft werden können, obwohl ihre Grundlagen für jedermann erkennbar in einer für das allgemeine Rechtsgefühl unerträglichen Weise erschüttert sind (BGHZ 46, 300 [302 f.]; BGHZ 38, 333 [336 f.]; BGHZ 57, 211 [214 f.]). Das ist auch dann der Fall, wenn ein im Vorprozess nicht bestrittener Vortrag nicht der Wahrheit entspricht und sich dies eindeutig aus den nunmehr aufgefundenen Urkunden ergibt.

Die vom Senat abgelehnte Auffassung argumentiert zudem widersprüchlich, soweit sie in den Fällen, in denen die Tatsache im Vorprozess zugestanden worden war, den Widerruf des Geständnisses unter den Voraussetzungen des § 290 ZPO zulassen will (so Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 580 Rz. 33). Denn auch Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind grundsätzlich als zugestanden anzusehen (§ 138 Abs. 3 ZPO). In beiden Fällen liegt unstreitiger Vortrag vor, an den das Gericht des Vorprozesses gebunden war.

Die Gegenauffassung führt auch in einem Fall wie dem hier gegebenen zu unbilligen Ergebnissen. Denn der Restitutionsbeklagte hatte bereits vor Erhebung der Klage im Vorprozess erkannt, dass "einiges auf eine deutliche Rückdatierung und somit auf eine nachträgliche Besicherung" des Darlehensgebers hindeutet, wie aus seinem Schreiben v. 21.3.2001 an den anwaltlichen Vertreter des Darlehensgebers hervorgeht. Er hat dies insbes. mit den Rechnungsdaten v. 8.9.2000 und 12.12.2000 in der "dem Vertrag anhängenden Inventarliste" begründet. Gleichwohl hat er mit der knapp zwei Monate später erhobenen Klage als Beweismittel lediglich die Vertragsurkunde, nicht aber die Inventarliste vorgelegt und auch die daraus gewonnenen Erkenntnisse verschwiegen. Der Schutzzweck der Restitutionsklage verlangt gerade in einem solchen Fall, der im Vorprozess unterlegenen Partei die Möglichkeit zu eröffnen, den sich aus den nachträglich aufgefundenen Urkunden ergebenden Sachverhalt vorzutragen und hierdurch die im Vorprozess unbestritten gebliebene Tatsache noch in Abrede zu stellen. Dies geht in Übereinstimmung mit der aufgezeigten Rechtsprechung zu § 580 Nr. 7b ZPO nicht über den Aussage- und Beweisgehalt der später aufgefundenen Urkunde hinaus.

c) Nach dem Zusammenhang seiner Ausführungen in dem angefochtenen Urteil geht das Berufungsgericht nicht davon aus, dass die Restitutionsklägerin im Vorprozess den Abschluss eines Darlehensvertrages am 5.9.2000 zwischen der Schuldnerin und dem Darlehensgeber sowie dessen Zahlung an die Restitutionsklägerin i.S.d. § 288 ZPO zugestanden hatte. Hiergegen erhebt die Revision keine Einwände. Solche sind auch nicht ersichtlich.

d) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Vorlage der nachträglich aufgefundenen Urkunden im Vorprozess hätte nach der Rechtsauffassung des damals entscheidenden Gerichts dazu geführt, dass eine der Restitutionsklägerin günstigere Entscheidung ergangen wäre; die Frage, ob es genügt, dass der Restitutionsgrund hierzu geeignet ist (bejahend BGHZ 61, 186 [194]; BGH, Urt. v. 25.6.1980 - IVb ZR 520/80, FamRZ 1980, 880 [881]; v. 29.4.1982 - IX ZR 37/81, MDR 1982, 930 = NJW 1982, 2128, jew. zu § 641i ZPO; verneinend RGZ 75, 53 [56]; RGZ 151, 203 [210]; BGHZ 57, 211 [215]), hat es mit Recht dahinstehen lassen. Den Fall, dass die später aufgefundenen Urkunden keinen urkundlichen Beweiswert haben, sondern nur Anlass geben, im Vorprozess noch nicht benannte Zeugen zu vernehmen (vgl. BGHZ 38, 333 [337]), hat das OLG mit rechtsfehlerfreier Begründung ausgeschlossen. Hiergegen wendet die Revision auch nichts ein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1283912

BGHZ 2005, 1

BB 2005, 239

NJW 2005, 222

BGHR 2005, 329

WM 2005, 98

ZAP 2005, 272

MDR 2005, 471

ProzRB 2005, 126

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