Leitsatz (amtlich)

Gegenüber einem mit Inzidentantrag oder Widerklage im anhängigen Prozeß geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus ungerechtfertigter Vollstreckung kann der Vollstreckungsgläubiger jedenfalls dann wirksam aufrechnen, wenn das vorläufig vollstreckbare und vollstreckte Urteil durch eine sachlich-rechtliche Entscheidung aufgehoben wird.

 

Normenkette

ZPO §§ 600, 302, 717

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main

OLG Frankfurt am Main

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. März 1979 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten – soweit noch von Interesse – um die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem zwischen ihnen ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juli 1977 (§ 767 ZPO). Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Vorprozeß hat der Kläger Forderungen aus zwei Wechseln gegen die Beklagte geltend gemacht. Das Landgericht hat Wechselvorbehaltsurteil erlassen und es im Nachverfahren für vorbehaltlos erklärt; der Kläger hat aus dem Vorbehaltsurteil vollstreckt. Das Berufungsgericht in jenem Verfahren hat das Vorbehaltsurteil aufgehoben, die Klage abgewiesen und auf die am 11. Dezember 1974 erhobene Widerklage der (damaligen und jetzigen) Beklagten den Kläger nach §§ 600 Abs. 2, 302 Abs. 4 Satz 4 ZPO rechtskräftig verurteilt, an die Beklagte 51.615,87 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Der Kläger wendet gegenüber dem durch das Urteil festgestellten Anspruch ein, daß die Beklagte ihn abgetreten habe. Er hat seine Vollstreckungsabwehrklage weiter darauf gestützt, daß er gegen die titulierte Forderung der Beklagten aufgerechnet habe.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom 13. Juli 1977 nur in Höhe eines Betrags von 31.615,87 DM nebst Zinsen für unzulässig erklärt und hinsichtlich des darüber hinausgehenden Urteilsbetrags (20.000 DM nebst Zinsen) die Klage abgewiesen.

Mit seiner – nach der vom Berufungsgericht festgesetzten Beschwer annahmefähigen und angenommenen – Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision bleibt ohne Erfolg, denn der Kläger kann keine zulässigen Einwendungen geltend machen, die den durch das Urteil vom 13. Juli 1977 festgestellten Anspruch – in der hier noch interessierenden Höhe von 20.000 DM – selbst betreffen (§ 767 Abs. 1, 2 ZPO).

1. Soweit sich der Kläger darauf beruft, daß die Beklagte diesen Teilbetrag an Rechtsanwalt S… abgetreten habe, hat er keine schlüssige Einwendung geltend gemacht, die „den durch das” (im Vorprozeß ergangene) „Urteil festgestellten Anspruch betreffen” würde. Denn aus der vorgelegten Abtretungsurkunde ergibt sich, daß Rechtsanwalt S… zugleich die Beklagte ermächtigt hatte, den an ihn abgetretenen Anspruch einzuziehen. Diese konnte daher weiterhin Leistung an sich verlangen.

Das vorprozessuale Urteil beruht zwar darauf, daß die Beklagte Gläubigerin der Forderung gewesen sei. Wegen der gleichzeitig erteilten Einziehungsermächtigung ändert aber die Abtretung im Ergebnis nichts daran, daß der durch das Urteil festgestellte Anspruch, nach dem der Kläger die im Wege der Zwangsvollstreckung eingezogenen Beträge der Beklagten zurückzuzahlen hat, unverändert besteht; daß dieser Anspruch (hinsichtlich der Aktivlegitimation der Beklagten) nur mit einer anderen Begründung bejaht werden könnte, kann der Vollstreckungsgegenklage, mit der die Vollstreckung wegen eines nachträglich weggefallenen Anspruchs verhindert werden soll, nicht zum Erfolg verhelfen. Die vom Berufungsgericht behandelte Frage, ob eine „gewillkürte Vollstreckungsstandschaft” zulässig ist, stellt sich infolgedessen nicht. Davon abgesehen könnte die Abtretung der Forderung im vorliegenden Falle auch deshalb keine zulässige Einwendung begründen, weil sie schon vor der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozeß vereinbart war und der Kläger damals schon von ihr Kenntnis erlangt hatte (§ 767 Abs. 2 ZPO).

2. Der Kläger kann auch nicht einwenden, daß er mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 21. Februar 1978 – also nach Erlaß des vorprozessualen Urteils – gegen die an Rechtsanwalt S… abgetretene Forderung diesem gegenüber mit einer gegen – die Beklagte bestehenden Darlehensforderung von 44.000 DM aufgerechnet habe, die ihm von Egon St… am 13. Oktober 1973 – also vor der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozeß am 22. Juni 1977 – abgetreten worden sei. Zwar ist die Gegenforderung in Höhe von 44.000 DM unstreitig, und auf die fehlende Gegenseitigkeit der beiden Forderungen kommt es nach § 406 BGB nicht an. Das Berufungsgericht hat aber zutreffend ausgeführt, der Kläger sei mit der Einwendung, er habe gegen die titulierte Forderung aufgerechnet, nach § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, weil sich die Darlehensforderung und der Schadensersatzanspruch aus §§ 600 Abs. 2, 302 Abs. 4 ZPO am 22. Juni 1977 schon aufrechenbar gegenübergestanden hätten. Das greift die Revision ohne Erfolg an.

Zwar verkennt sie nicht, daß eine schon im Vorprozeß bestehende, aber nicht genutzte Aufrechnungslage den Aufrechnungseinwand in der späteren Vollstreckungsgegenklage ausschließt (h.L., vgl. u.a. BGHZ 24, 97, 98 f.; 38, 122, 123). Sie meint jedoch unter Berufung auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom 8. Oktober 1957 (VI ZR 212/56, LM ZPO § 717 Nr. 1 = NJW 1957, 1926), der Schadensersatzanspruch entstehe erst mit der Aufhebung des Vorbehaltsurteils und gegen einen nur künftigen Anspruch könne vorher nicht wirksam aufgerechnet werden. Der VI. Zivilsenat hat dort entschieden, die Verjährung eines (mit dem Anspruch aus § 600 Abs. 2, § 302 Abs. 4 ZPO vergleichbaren) Schadensersatzanspruches aus § 717 Abs. 2 ZPO beginne nicht, bevor das vorläufig vollstreckbare und vom Kläger vollstreckte Urteil nicht aufgehoben worden sei, weil der Anspruch im Sinne des § 198 BGB vor diesem Zeitpunkt noch nicht entstanden sei. Die Frage, wann ein Anspruch im Sinne des § 198 BGB entstanden ist, also notfalls im Klagewege durchgesetzt werden kann (vgl. BGHZ 55, 340, 341), ist jedoch nicht ohne weiteres in derselben Weise wie die hier zu entscheidende Frage zu beantworten, wann jemand mit einer eigenen Forderung gegen die Forderung eines anderen aufrechnen kann. Das ergibt sich aus § 387 BGB und ist möglich, „sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann”. Beide Voraussetzungen waren hier im Vorprozeß erfüllt. Die vom Kläger zur Aufrechnung gestellte Darlehensforderung war unstreitig fällig. Die Beklagte konnte zwar Schadensersatz noch nicht verlangen, solange sich der Kläger noch auf den Bestand des vorläufig vollstreckbaren Vorbehaltsurteils berufen konnte. Aber es stand umgekehrt für den Kläger nichts im Wege, die Schadensersatzforderung der Beklagten schon vor der Aufhebung dieses Urteils zu erfüllen. Das mag nach den früher vielfach vertretenen (zum Teil noch an § 655 Abs. 2 ZPO 1879 anknüpfenden) rein prozeßrechtlichen Ausdeutungen der Schadensersatzansprüche aus ungerechtfertigter Vollstreckung zweifelhaft gewesen sein. Heute wird dagegen unter Berücksichtigung der jetzigen Fassung des Gesetzes teilweise überhaupt von der Rechtswidrigkeit des Gläubigerverhaltens in der Zwangsvollstreckung ausgegangen, falls das vorläufig vollstreckbare Urteil später aufgehoben wird (Henckel, Prozeßrecht und Materielles Recht S. 248 ff.). Jedenfalls beruhen die Schadensersatzregelungen der §§ 600 Abs. 2, 302 Abs. 4, 717 Abs. 2 ZPO (und die des Bereicherungsanspruchs aus § 717 Abs. 3 ZPO) in den hier allein zu behandelnden Fällen, in denen ein vorläufig vollstreckbares Urteil durch eine spätere, materiellrechtlich gegenteilige Entscheidung aufgehoben wird, zumindest auch auf dem Gedanken, daß der Kläger den Vollstreckungserfolg, zwar prozeßrechtlich zulässig, aber (nach der für die Prozeßparteien maßgeblichen aufhebenden Entscheidung) im Widerspruch zur materiellen Rechtslage herbeigeführt hat und diese infolgedessen wiederherstellen muß (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 20. Aufl. Rn. 11 zu § 717 m.w.N.; Pecher, Die Schadensersatzansprüche aus ungerechtfertigter Vollstreckung S. 162, 174). Eine rechtsgestaltende Wirkung derart, daß die bestehende materielle Rechtslage auch nur vorübergehend im Sinne seiner Urteilsformel verändert werden würde, kommt dem zugunsten des Klägers ergangenen vorläufig vollstreckbaren Urteil nicht zu; dieses erlaubt nur – auf sein Risiko – die Vollstreckung. Wird aber der bestehenden materiellen Rechtslage, wie sie mit dem aufhebenden Urteil festgestellt wird, mit Durchführung der Vollstreckung zuwidergehandelt oder sollte diese überhaupt als rechtswidrig angesehen werden können, so gibt es keinen Grund für die Annahme, daß der Vollstreckungsgläubiger diese Störung – durch Erfüllung des Ersatzanspruches – nicht schon alsbald wieder beseitigen und so das Risiko weiter anwachsender Ersatzansprüche vermeiden könnte. Ist danach der Schadensersatzanspruch schon im anhängigen Rechtsstreit erfüllbar, so steht § 387 BGB der Aufrechnung mit einer Gegenforderung nicht im Wege.

Ein Aufrechnungsverbot nach § 393 BGB käme nur gegenüber einer Forderung aus einer vorsätzlich unerlaubten Handlung in Betracht; eine solche könnte auch nicht angenommen werden, wenn man der oben angeführten Rechtswidrigkeitslehre folgen wollte. Prozeßrechtliche Gründe, deretwegen die Aufrechnung im anhängigen Prozeß nicht zugelassen werden könnte, bestehen hier ebensowenig wie in anderen Fällen, in denen gegenüber einem sachlich-rechtlichen Anspruch aufgerechnet wird, der mit der Klage oder Widerklage geltend gemacht wird, sofern nicht besondere Umstände vorliegen. Der Gedanke, daß es in den Fällen der §§ 717 Abs. 2, 600 Abs. 2, 302 Abs. 4 ZPO um eine derart schnelle Rückgängigmachung des Vollstreckungserfolges und des eingetretenen Schadens ginge, daß es sich damit nicht vertrüge, Einwendungen und Einreden gegen den Anspruch zu berücksichtigen, findet im Gesetz keine Stütze; dies wäre auch ein Widerspruch zu dem allgemeinen Grundsatz, daß es prozeßwirtschaftlicher ist, den Streit um ein bestimmtes Rechtsverhältnis möglichst in ein und demselben Prozeß abschließend zu erledigen. Dementsprechend werden im Schrifttum auch ganz überwiegend keine Bedenken dagegen erhoben, daß gegenüber den hier erörterten Schadensersatzansprüchen auch dann aufgerechnet werden kam, wenn diese im anhängigen Prozeß mit dem Inzidentantrag nach §§ 717 Abs. 2 Satz 2, 600 Abs. 2, 302 Abs. 4 Satz 4 ZPO oder durch Widerklage geltend gemacht werden (Stein/Jonas/Münzberg a.a.O. Rn. 33 zu § 717 ZPO; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 38. Aufl. Anm. 2 G zu § 717; Wieczorek, ZPO 2. Aufl. Anm. D III c 2 zu § 717 und D I a, D III zu § 302; Pecher a.a.O. S. 179; aus dem älteren Schrifttum Seuffert/Walsmann, ZPO Anm. 2 i zu § 717 m.w.N.). Soweit das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 23. Dezember 1961 (5 AZR 53/61 = JZ 1962, 286) die Aufrechnung gegen einen Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO nicht zugelassen hat, handelt es sich um den hier nicht behandelten Fall, daß das vorläufig vollstreckbare Urteil der Vorinstanz (aus prozeßrechtlichen Gründen) aufzuheben war, aber nicht schon sachlich über den vollstreckten Anspruch entschieden werden konnte; hierauf braucht daher nicht eingegangen zu werden (vgl., dazu Stein/Jonas/Münzberg a.a.O. Rn. 28 zu § 717 ZPO; Pecher a.a.O. S. 218).

3. Da der vom Kläger zur Aufrechnung gestellte Darlehnsanspruch nach alledem wegen seiner Aufrechenbarkeit im Vorprozeß jetzt nicht mehr berücksichtigt werden kann und andere erhebliche Einwendungen gegen den durch das Urteil vom 13. Juli 1977 festgestellten Anspruch – soweit noch im Streit – nicht ersichtlich sind, hat das Berufungsgericht mit Recht der Vollstreckungsabwehrklage nur hinsichtlich eines Urteilsbetrags von 31.615,87 DM stattgegeben; die gegen die Klagabweisung in übrigen gerichtete Revision ist daher zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609319

NJW 1980, 2527

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge