Leitsatz (amtlich)

›a) Mit den §§ 6 und 7 AEB haben die Versicherer keine Regelung der Gefahrenerhöhung getroffen, die über diejenige des VVG hinausginge.

b) Ein Versicherungsnehmer, der es unterläßt, eine für ihn ungewollt entstandene Gefahrenerhöhung zu beseitigen (oder durch ihm mögliche oder zumutbare Maßnahmen auszugleichen oder zu mindern), nimmt dadurch noch keine Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 VVG vor (Ergänzung zu BGHZ 79, 156).‹

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main

OLG Frankfurt am Main

 

Tatbestand

Die Klägerin fordert von der Beklagten eine Teilentschädigung in Höhe von 81.970 DM für einen Einbruchdiebstahlschaden. Sie hatte für ihr in den Geschäftsräumen St. -Straße in F. betriebenes Fachgeschäft für "Stilmöbel-Spiegel-Lampen-Kunstgewerbe-Ostasiatische Kunst und Antiquitäten-Elfenbein-Orientteppiche und erlesenen Schmuck" bei der Beklagten mit Wirkung vom 24. April 1981 im Rahmen einer sogenannten gebündelten Geschäfts- und Betriebsversicherung auch eine Einbruchdiebstahlversicherung abgeschlossen. Dem Versicherungsverhältnis lagen die Allgemeinen Einbruch-Diebstahl-Versicherungsbedingungen (AEB) zugrunde sowie die Klausel 9 des Klauselbogens für die gebündelte Geschäfts- und Betriebsversicherung, die lautet:

"Sicherheitsklausel für Geschäftsversicherungen

(1) Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, die Versicherungsräumlichkeiten, wenn sie für den Geschäftsverkehr nicht geöffnet sind, stets ordnungsgemäß verschlossen zu halten und die bei Antragstellung vorhandenen, in einer etwa beigefügten Sicherungsbeschreibung aufgeführten, sowie die darüber hinaus vereinbarten Sicherungen anzuwenden.

(2) Eine Änderung der Sicherungen ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Versicherers zulässig."

In der dem Antrag auf Abschluß eines Einbruchdiebstahlversicherungsvertrages beigefügten Sicherungsbeschreibung ist die Sicherung der beiden in einer Nische zwischen Schaufenstern gelegenen, verglasten Ladeneingangstüren folgendermaßen beschrieben:

"Gitter (Rollgitter), das beide Eingangstüren sichert. Reicht von der Decke bis zum Boden. Eine Stange (durch Schloß gesichert) schiebt sich links und rechts in Metallrahmen."

In der Nacht von Samstag, 27. Februar 1982, zum Sonntag, 28. Februar 1982, ist in die Geschäftsräume der Klägerin eingebrochen und eine größere Menge des Warenbestandes entwendet worden. Zu diesem Zeitpunkt war das defekte Rollgitter in halb heruntergelassener Stellung verklemmt. Die unbekannten Täter sind durch die eingeschlagene Scheibe der rechten Eingangstüre eingedrungen.

Nachdem die Beklagte sich bereit erklärt hatte, "nach dem augenblicklichen Stand der Angelegenheit eine Vorausentschädigung in Höhe von 30.000 DM zu leisten" und die Klägerin diesen Betrag erhalten hatte, hat die Beklagte mit Schreiben vom 14. Juni 1982 den Versicherungsvertrag wegen Verstoßes gegen die vertraglich vereinbarten Sicherungsvorschriften gemäß § 7 AEB gekündigt und der Klägerin in der Folgezeit Versicherungsschutz verweigert mit dem Hinweis, die Klägerin habe grob fahrlässig gegen vereinbarte Sicherheitsvorschriften verstoßen, was die Klägerin bestreitet. Die Parteien streiten auch darüber, seit wann das Rollgitter defekt war, ob die Klägerin eine Gefahrerhöhung herbeigeführt hat, ob sie ihre Anzeigepflicht verletzt und ihre Mitwirkungspflicht bei der polizeilichen Aufklärung des Einbruchs und der Schadensermittlung der Beklagten genügt hat; ferner ist streitig, was bei dem Einbruch entwendet worden ist.

Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihren Zahlungsanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsurteil kann nicht bestehen bleiben; dem Berufungsgericht kann bei seiner Annahme nicht gefolgt werden, die Klägerin habe eine Gefahrerhöhung vorgenommen.

Es hat auch übersehen, daß sich die Beklagte Leistungsfreiheit bei einem - hier allein in Betracht kommenden - Verstoß gegen vertragliche Sicherungsvorschriften nur für die Fälle vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handelns ausbedungen hat, § 7 AEB.

I. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, die Beklagte sei nicht aufgrund eines Anerkenntnisses entschädigungspflichtig.

Es ist bei seiner Entscheidung zu Gunsten der Klägerin davon ausgegangen, der Defekt des Rollgitters sei erstmals bei dem Herunterlassen nach Geschäftsschluß am Freitagabend aufgetreten. In dem Belassen des defekten Rollgitters in halb heruntergelassenem Zustand sieht das Berufungsgericht eine erhebliche Gefahrerhöhung. Diese sei zunächst unabhängig vom Willen der Versicherungsnehmerin eingetreten, § 27 VVG. Der Klägerin habe indes aus der vertraglichen Sicherungsbeschreibung in Verbindung mit § 7 AEB eine Handlungspflicht oblegen. Sie sei vertraglich verpflichtet gewesen, die Eingangstüren durch ein Rollgitter zu sichern. Der Obliegenheit, nach Auftreten des Defekts unverzüglich die Reparatur des Rollgitters zu veranlassen, sei sie nicht nachgekommen. Selbst wenn zu ihren Gunsten unterstellt werde, sie habe noch am Freitagabend den Zeugen S. verständigt und dieser habe am gleichen Abend vergebliche Reparaturversuche unternommen und am Samstag erfolglos versucht, drei Schlosser telefonisch zu erreichen, habe die Klägerin damit bei weitem nicht das Erforderliche und ihr Zumutbare getan. Sie hätte sich bei Polizei und Feuerwehr nach einem Schlossernotdienst erkundigen müssen, der in einer Großstadt bestehe. In jedem Fall hätte sie das zuständige Polizeirevier um eine zusätzliche Überwachung ihres Geschäftslokals in den Nächten bitten müssen. Schließlich hätte sie einen ihrer Angestellten oder Bekannten veranlassen können, die Nächte des Wochenendes in den Geschäftsräumen zuzubringen. In erheblichem Maße hätte sie selbst zur Schadensminderung beitragen können, wenn sie die nach ihrer Behauptung entwendeten Schmuckstücke und kleinen Elfenbeinschnitzereien im Gesamtwert von 60.000 DM nachts aus den Geschäftsräumen genommen hätte.

Die Klägerin habe ihre Gefahrstandspflicht jedenfalls fahrlässig verletzt. Die Gefahrerhöhung sei auch ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles geworden, so daß die Beklagte leistungsfrei sei, §§ 23, 25 VVG.

II. 1. Zutreffend sieht das Berufungsgericht, daß die von ihm - rechtsfehlerfrei - angenommene Gefahrerhöhung ohne Zutun und gegen den Willen der Klägerin eingetreten ist. Gemäß § 27 Absatz 2 VVG, § 6 Abs. 1 Satz 2 AEB war die Klägerin in einem derartigen Fall verpflichtet, der Beklagten unverzüglich eine schriftliche Anzeige zu erstatten. Indes konnte, wie das Berufungsgericht bereits ausgeführt hat, die unterlassene Anzeige eine Leistungsfreiheit der Beklagten gemäß § 28 Absatz 1 VVG nicht nach sich ziehen, da der Einbruch schon in der Nacht von Samstag zum Sonntag stattfand.

2. Die Klägerin hat eine Gefahrerhöhung im Sinne der §§ 23, 25 VVG - d.h. einen Verstoß gegen eine gesetzliche (von der vertraglich vereinbarten Obliegenheit, die vorhandenen Sicherungen zu betätigen, unabhängige) Obliegenheit - nicht dadurch vorgenommen, daß sie den ohne ihr Zutun und gegen ihren Willen aufgetretenen Rollgitterdefekt nicht umgehend hat beseitigen lassen und auch keine ihr möglichen und zumutbaren Kompensationsmaßnahmen des gefahrerhöhenden Zustandes durchgeführt hat.

Daß ein Versicherungsnehmer, der es unterläßt, eine von anderer Seite gegen seinen Willen herbeigeführte Gefahrenerhöhung zu beseitigen (oder durch ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen auszugleichen bzw. zu mindern), keine Gefahrenerhöhung vornimmt, da ihm nur eine gesetzliche Anzeigeobliegenheit auferlegt ist, nicht aber auch eine gesetzliche Obliegenheit, die Gefahrenerhöhung wieder zu beseitigen, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 11. Dezember 1980 - BGHZ 79, 156 = VersR 1981, 245 = NJW 1981, 926 klargestellt. Hieran wird festgehalten. Nicht anders verhält es sich in denjenigen Fällen, in denen die Gefahrenerhöhung zwar nicht von dritter Seite vorgenommen worden, jedoch "ungewollt" für den Versicherungsnehmer entstanden ist.

3. Zutreffend ist die Annahme des Berufungsgerichts, durch die im Tatbestand zitierte Klausel 9, die Vertragsgegenstand geworden ist, sei die vertragliche Obliegenheit der Klägerin begründet worden, das in der Sicherungsbeschreibung aufgeführte Rollgitter außerhalb der Geschäftszeiten ordnungsgemäß herabzulassen und zu arretieren.

a) Maßgebend für die Beurteilung einer Leistungsfreiheit der Beklagten ist demnach § 7 AEB, auf den sich die Beklagte in ihrer Kündigungserklärung und in ihrer Leistungsablehnung auch ausdrücklich berufen hat. Soweit für diesen Rechtsstreit von Interesse lautet diese Allgemeine Versicherungsbedingung:

"Verletzt der Versicherungsnehmer ... vereinbarte Sicherheitsvorschriften ..., so kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, die Versicherung mit einmonatiger Frist kündigen. ...Der Versicherer ist von der Entschädigungspflicht frei, wenn der Schadensfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Die Entschädigungspflicht bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluß auf den Eintritt des Schadensfalles oder auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat. ... Ist mit der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift eine Gefahrenerhöhung verbunden, so finden die Bestimmungen des § 6 Anwendung."

Das Berufungsgerichts hat der Klägerin bislang - die von der Beklagten bejahte - grobe Fahrlässigkeit nicht angelastet, sondern nur "jedenfalls Fahrlässigkeit". Ob der Klägerin auch der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen ist, hat es tatrichterlich noch zu entscheiden. Dabei wird es folgendes zu berücksichtigen haben: Es war der Klägerin nicht zumutbar, einen Angestellten oder Bekannten zu veranlassen, die Nacht über in dem Geschäftslokal zu bleiben. Hinsichtlich der übrigen, der Klägerin angesonnenen Maßnahmen wird zum einen zu prüfen sein, ob sie als erfolgversprechend angesehen werden können. Zum anderen setzt die Annahme grober Fahrlässigkeit voraus, daß die Unterlassung nach den Umständen objektiv wie subjektiv eine grobes, unentschuldbares Fehlverhalten der Klägerin darstellte.

b) Daß im letzten Satz des § 7 AEB für Fälle der Gefahrenerhöhung § 6 AEB ausdrücklich für anwendbar erklärt wird, vermag das vom Berufungsgericht gewonnene Ergebnis nicht zu tragen, denn Leistungsfreiheit hat sich die Beklagte in § 6 Absatz 3 AEB nur für die Fälle vorbehalten, in denen der Versicherungsnehmer seine in Absatz 1 genannten Pflichten verletzt hat. § 6 Absatz 1 AEB aber lautet:

"Nach Vertragsabschluß darf der Versicherungsnehmer ohne Einwilligung des Versicherers keine Gefahrenerhöhung vornehmen oder gestatten. Erlangt der Versicherungsnehmer Kenntnis davon, daß eine Gefahrerhöhung ohne sein Wissen oder ohne seinen Willen eingetreten ist, so hat er dem Versicherer unverzüglich schriftlich Anzeige zu machen."

§ 6 Absatz 1 AEB geht demnach nicht über die gesetzliche Regelung der Gefahrenerhöhung hinaus.

4. Die Entscheidung erweist sich auch nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Hilfsbegründung als richtig.

a) Das Berufungsgericht vermißt eine schlüssige Darlegung des bei dem Einbruch angeblich entstandenen Schadens. Es bemängelt, die vorgelegte handschriftliche Aufstellung (Bl. 36 - 41 d.A.) sei nicht vollständig, da in einzelnen Positionen die Mengenbeträge nicht ausgerechnet seien und eine Gesamtaddition der Schadensposten fehle. Die Schadensaufstellung sei zum Schadensnachweis auch schlechterdings unbrauchbar, weil auch nicht für eine einzige Waren-Position der Nachweis geführt sei.

b) Mit Recht betont die Revision, daß es im Rahmen einer Schlüssigkeitsprüfung keine Rolle spielen kann, ob und mit welchen Mitteln das betreffende Vorbringen unter Beweis gestellt ist, und daß die Klägerin die Richtigkeit ihrer Schadensaufstellung im übrigen unter Beweis gestellt hatte.

Das Berufungsgericht hat die Aufstellung zu Unrecht als nicht schlüssigen Vortrag zum geltend gemachten Schaden bewertet. Die Klägerin führt in der Aufstellung geordnet eine Vielzahl von Gegenständen (Orientteppiche, Gobelins, Statuen, Uhren, Ölgemälde u.a.) mit jeweils näherer Einzelbeschreibung und Einzelwertangabe auf. Lediglich die Position Schmuck und Elfenbeinschnitzereien enthalten keine Stückzahlen und nur Gesamtwertangaben (20.000 DM und 40.000 DM). Eine unschlüssige Angabe zum erlittenen Schaden liegt aber auch insoweit nicht vor, selbst wenn sie für eine Beweisbarkeit des Verlustes im geltend gemachten Umfang noch zu lückenhaft sein sollte, was der Tatrichter in Anwendung des § 287 ZPO zu prüfen haben wird. Die vom Berufungsgericht vermißte Gesamtaddition aller geltend gemachten Positionen ist - worauf die Revision berechtigt hinweist - in der Klagebegründung im unmittelbaren Anschluß an die in den Text des Schriftsatzes eingegliederte Aufstellung der Klägerin vorgenommen (Bl. 42 d.A.)

6. Einer abschließenden Entscheidung des Senats steht außer den unter II 4a) und 5b) erörterten Gründen auch entgegen, daß das Berufungsgericht bislang offen gelassen hat, ob sich die Beklagte für ihre Leistungsfreiheit auf Obliegenheitsverletzungen im Zuge der polizeilichen Ermittlungen und bei der Schadensfeststellung gemäß § 13 AEB, § 6 Absatz 3 VVG berufen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993643

NJW 1987, 2443

BGHR AVB Einbruchdiebstahlvers. (AEB) § 6 VVG § 23 1

BGHR VVG § 23 Gefahrerhöhung 1

DRsp II(227)135a

MDR 1987, 565

VersR 1988, 209

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