Leitsatz (amtlich)

a) Erweist sich die in einem sog. echten Streitverfahren in Wohnungseigentumssachen getroffene einstweilige Anordnung als von Anfang an ungerechtfertigt, kann der Beteiligte, der die Anordnung erwirkt hat, in entsprechender Anwendung des § 945 ZPO zum Schadensersatz verpflichtet sein.

b) Zum Schaden des Wohnungseigentümers, der aufgrund einer von Anfang an ungerechtfertigten einstweiligen Anordnung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung Wohngeldvorschüsse an die Wohnungseigentümergemeinschaft geleistet hat.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 249, 254-255; WEG § 44 Abs. 3; ZPO § 945

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 14.10.1991; Aktenzeichen 24 U 3005/91)

LG Berlin (Urteil vom 26.03.1991; Aktenzeichen 8 O 542/90)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 14. Oktober 1991 aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 26. März 1991 aufgehoben.

Die Klage wird in Höhe von 3.439,38 DM nebst verlangten Zinsen hieraus abgewiesen.

Im Umfang der weitergehenden Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Wohnungseigentümerin in einer Wohnanlage, an der auch der Beklagte als Wohnungseigentümer beteiligt war. Auf sein Betreiben ist die Klägerin durch Beschluß des Amtsgerichts vom 29. Juni 1988 aufgrund des mit Beschluß vom 24. Juni 1987 aufgestellten Wirtschaftsplans für das Jahr 1987 zur Zahlung rückständiger Wohngeldvorschüsse für Dezember 1987/April 1988 in Höhe von 26.570 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Mai 1988 an die Wohnungseigentümergemeinschaft zu Händen des Verwalters verpflichtet worden; im Wege einstweiliger Anordnung wurde die sofortige Vollstreckbarkeit dieses Beschlusses festgesetzt. Der Beklagte leitete Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Klägerin ein. Für Wohnungseigentum von ihr wurde Zwangsverwaltung angeordnet. Zur Abwendung der Zwangsversteigerung von weiterem Wohnungseigentum der Klägerin zahlte diese im Termin vom 9. März 1989 die Hauptforderung nebst Zinsen und Verfahrenskosten in Höhe von insgesamt 31.100 DM.

Mit Beschluß vom 27. Juli 1990 hat das Landgericht festgestellt, daß ein wirksamer Eigentümerbeschluß über den Wirtschaftsplan 1987 nicht gefaßt worden ist, weil der Verwalter das Stimmrecht mehrerer Wohnungseigentümer nicht berücksichtigt habe. Der Antrag des Beklagten, die Klägerin zur Zahlung der Wohngeldvorschüsse zu verpflichten, wurde durch Beschluß des Kammergerichts vom 1. November 1990 als unzulässig zurückgewiesen, weil der Beklagte nicht durch einen Beschluß der Eigentümerversammlung zur gerichtlichen Geltendmachung dieses Anspruchs ermächtigt worden sei.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz in Höhe des von ihr zur Abwendung der Zwangsvollstreckung bezahlten Betrages sowie die Erstattung der ihr in den Zwangsverwaltungsverfahren entstandenen Kosten von 2.049,42 DM und von im Wohngeldverfahren entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 3.439,38 DM nebst Zinsen.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 4.646,48 DM stattgegeben. Das Kammergericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen richtet sich die – zugelassene – Revision, mit der die Klägerin ihren Antrag weiterverfolgt. Der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist teilweise begründet.

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin könne einen Schadensersatzanspruch nicht auf die entsprechende Anwendung des § 717 Abs. 2 ZPO stützen. Auch eine entsprechende Anwendung des § 945 ZPO sei wegen der grundsätzlichen Verfahrensunterschiede bei den von Amts wegen anzuordnenden einstweiligen Anordnungen nach § 44 Abs. 3 WEG bedenklich. Die Frage bedürfe jedoch keiner abschließenden Entscheidung, weil der geltend gemachte Schaden auch bei Anwendung des § 945 ZPO nicht ersetzt verlangt werden könne.

Dies bekämpft die Revision mit Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat zwar zu Recht eine entsprechende Anwendung des § 717 Abs. 2 ZPO abgelehnt, weil Beschlüsse im Wohnungseigentumsverfahren grundsätzlich nicht vorläufig vollstreckbar sind. Die gegen eine entsprechende Anwendung des § 945 ZPO vorgebrachten Bedenken sind dagegen nicht gerechtfertigt (vgl. bereits BGHZ 111, 148, 153; Palandt/Bassenge, BGB 51. Aufl. § 44 WEG Rdn. 4; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 50. Aufl. § 945 Anm. 1 B).

a) § 945 ZPO beruht – wie § 717 Abs. 2 ZPO – auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, daß die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Vollstreckungstitel auf Gefahr des Gläubigers geht. Der Schuldner muß aufgrund einer gerichtlichen Anordnung einen Eingriff in seinen Handlungs- und Vermögensbereich dulden, dessen Unbegründetheit sich nach weiterer Prüfung herausstellt. Gewährt die Rechtsordnung dem Gläubiger das Recht zu vollstrecken, bevor seine Berechtigung endgültig festgestellt ist, entspricht es nach gesetzlicher Wertung einer sachgerechten und gebotenen Risikoverteilung, daß er die Gefahr der sachlich-rechtlichen Unbegründetheit seines Rechtsschutzbegehrens trägt (BGH, Urt. v. 22. März 1990, IX ZR 23/89, NJW 1990, 2689, 2690 m.w.N.). Dieser allgemeine Rechtsgedanke ist einer entsprechenden Anwendung auf andere, gesetzlich nicht geregelte Fälle zugänglich (BGHZ 95, 10, 14 m.w.N.). Entscheidend für eine entsprechende Anwendung ist, ob der § 945 ZPO zugrundeliegende Rechtsgedanke auch zutrifft, wenn einem Wohnungseigentümer durch die Vollziehung einer einstweiligen Anordnung nach § 44 Abs. 3 WEG, die sich nachträglich (§ 23 Abs. 4 WEG; vgl. Palandt/Bassenge § 23 WEG Rdn. 18 m.w.N.) als von Anfang an ungerechtfertigt erweist (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl. § 945 Rdn. 19; Zöller/Vollkommer, ZPO 17. Aufl. § 945 Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach/Hartmann § 945 Anm. 2 A), Schaden zugefügt worden ist. Dies ist der Fall.

b) Nach § 45 Abs. 3 WEG findet aus einstweiligen Anordnungen die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung statt. Auch wenn diese Verweisung in erster Linie die Voraussetzungen sowie die Art und Weise der Vollstreckung betrifft, wird schon nach dem Wortlaut auch auf die materiell-rechtliche Regelung des § 945 ZPO verwiesen. Daß der Gesetzgeber einen Schadensersatzanspruch ausschließen wollte, wie die Revisionserwiderung meint, läßt sich weder aus dem Wohnungseigentumsgesetz erschließen, noch gibt es sonst entsprechende Hinweise.

c) Die Verfahren nach § 43 WEG sind, abgesehen von § 43 Abs. 1 Nr. 3 WEG, sogenannte echte Streitverfahren. Diese sollen in erster Linie deshalb im Wege der Freiwilligen Gerichtsbarkeit entschieden werden, weil dieses Verfahren einfacher, freier, elastischer, rascher und damit für Streitigkeiten mit einer häufig großen Zahl von Beteiligten besser geeignet ist als der Zivilprozeß. Ohne die Zuweisung des § 43 WEG, für die reine Zweckmäßigkeitserwägungen maßgebend gewesen sind, wären die Streitigkeiten im Zivilprozeß auszutragen. Die Interessenlage der sich als Parteien gegenüberstehenden Beteiligten ist die gleiche wie im Zivilprozeß (BGHZ 106, 370; 373 m.w.N.).

d) Abweichend vom Zivilprozeß ist in dem Verfahren nach dem Wohnungseigentumsgesetz die Parteiherrschaft allerdings teilweise eingeschränkt. Der Antragsteller bestimmt durch seinen Antrag zwar den Verfahrensgegenstand mit der Folge, daß das Gericht ihm nicht mehr oder etwas anderes zusprechen darf, als begehrt (Palandt/Bassenge, § 43 WEG Rdn. 7 m.w.N.); § 43 Abs. 2 WEG räumt dem Gericht aber für den Fall einen Ermessensspielraum ein, daß sich die zu treffende Regelung nicht aus dem Gesetz, einer Vereinbarung oder einem Beschluß der Wohnungseigentümer ergibt. Schließlich kann eine einstweilige Anordnung im Rahmen eines von dem Antragsteller eingeleiteten Hauptverfahrens gemäß § 44 Abs. 3 Satz 1 WEG auch ohne entsprechenden Antrag von Amts wegen ergehen. Daraus mag sich im Einzelfall eine gegenüber dem vom Beibringungsgrundsatz beherrschten Zivilprozeß geringere Verantwortung der Beteiligten für eine Abweichung der endgültigen Entscheidung von dem Inhalt der einstweiligen Anordnung ergeben. Es verbleibt jedoch die für die Aufbürdung der Schadensersatzpflicht entscheidende Freiheit des Gläubigers, sich mit Risiko für oder ohne Risiko gegen die vorläufige Durchsetzung seiner Rechtsposition zu entscheiden (vgl. BGHZ 83, 190, 196). Ob der Gläubiger mit einem endgültigen Bestand seines Titels gerechnet hat und damit rechnen konnte oder nicht, verdient nach dem Sinngehalt des § 945 ZPO gerade keine Beachtung. Das Entscheidende liegt darin, daß der Gläubiger aus einem nur vorläufigen Titel vollstreckt. Auch sonst trägt der Gläubiger nicht nur das Risiko, daß sich die dem vorläufigen Vollstreckungstitel zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände im weiteren Verfahren nicht bestätigen, sondern auch, daß die rechtliche Lage schließlich anders als durch die nicht endgültige Entscheidung beurteilt wird (vgl. BGHZ 76, 80).

e) Aus diesem Grund rechtfertigt der Umstand, daß der Beklagte die einstweilige Anordnung auch im Interesse anderer Wohnungseigentümer erwirkt und vollstreckt hat, keine abweichende Beurteilung. Ein angemessener Interessenausgleich verlangt auch hier, daß dann, wenn sich nachträglich herausstellt, daß ein vorläufig zuerkannter Anspruch von Anfang an nicht bestand, der vollstreckende Gläubiger den entstandenen Schaden tragen muß. Ein Bedürfnis für ein folgenloses Recht des ersten Zugriffs auf das Vermögen des Schuldners besteht auch in Wohnungseigentumssachen nicht. Der Umstand, daß eine auch im Interesse anderer Wohnungseigentümer liegende Vollstreckung zugleich dem Schuldner in seiner Eigenschaft als Wohnungseigentümer anteilig zugute kommt, ist im Rahmen der Schadensermittlung zu berücksichtigen. Soweit ein einzelner Wohnungseigentümer die einstweilige Anordnung vollstreckt hat, bleibt es der Regelung des Innenverhältnisses vorbehalten, ob er die anderen Wohnungseigentümer, etwa nach den Regeln des Auftrags oder der Geschäftsführung ohne Auftrag, an dem von ihm zu ersetzenden Schaden beteiligen kann. Die Auferlegung der materiell-rechtlich nicht gerechtfertigten Nachteile auf den Vollstreckungsschuldner läßt sich damit nicht begründen.

2. Das Berufungsgericht meint, die Bezahlung der Hauptforderung in Höhe von 26.570 DM habe bei der Klägerin nicht zu einem Vermögensschaden im Sinne der §§ 249 ff BGB, sondern lediglich zu einer nicht nachteiligen Vermögensumschichtung geführt, da die künftig zu begründende Wohngeldforderung von vornherein um den bereits bezahlten und auf dem „Wohngeldkonto” gutgeschriebenen Betrag gemindert sei. Einen Zinsschaden könne die Klägerin insoweit deshalb nicht geltend machen, weil sie gehalten gewesen sei, die Wohngeldvorschüsse durch entsprechende Vermögens Verfügungen bereitzustellen. Auch diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es vom Fehlen einer nachteiligen Vermögensumschichtung ausgeht. Die anteilsmäßige Verpflichtung jedes Wohnungseigentümers gegenüber den anderen Wohnungseigentümern wird zu einer konkreten Verbindlichkeit entweder kraft des von den Wohnungseigentümern beschlossenen Wirtschaftsplans als Vorschuß (§ 28 Abs. 2 WEG) oder kraft der von den Wohnungseigentümern gebilligten Jahresabrechnung geschuldet (§ 28 Abs. 3 und 5 WEG). Geltungsgrund für die Verpflichtung ist in beiden Fällen der Beschluß der Wohnungseigentümer. Erst durch diesen Beschluß wird im Rahmen der allgemeinen Beitragspflicht die Verbindlichkeit des einzelnen Wohnungseigentümers begründet (st. Rspr., vgl. BGHZ 108, 44/51 m.w.N.). Solange ein entsprechender Beschluß nicht wirksam zustande gekommen oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt worden ist, fehlt der Leistung deshalb nicht nur die Fälligkeit (§ 271 Abs. 1 BGB), sondern es besteht noch keine voll wirksame Forderung. So ist es hier, weil zum Zeitpunkt des Vollzugs der einstweiligen Anordnung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein wirksamer Eigentümerbeschluß zum Wirtschaftsplan nicht bestand.

In der Zahlung eines noch nicht geschuldeten Vorschusses kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im Hinblick auf die zwar wahrscheinliche, letztlich aber ungewisse Möglichkeit einer Verrechnung mit einer erst künftig entstehenden Forderung grundsätzlich keine nicht nachteilige Vermögensumschichtung gesehen werden. Denn bis zu einer solchen Verrechnung ist der Vermögenswert zumindest teilweise aus dem Vermögen der Klägerin ausgeschieden und in das Vermögen auch der übrigen Wohnungseigentümer gelangt, weil die Zahlung an die Gesamtheit der Wohnungseigentümer, also unter Einschluß der Klägerin, erfolgt ist. Die Verwendung des Vorschusses kommt deshalb zwar anteilig der Klägerin zugute, daneben aber auch den übrigen Wohnungseigentümern entsprechend ihrem jeweiligen Anteil. Dieser Teil des verfrüht gezahlten Vorschusses scheidet jedenfalls zunächst aus dem Vermögen des zahlenden Wohnungseigentümers aus. Die Revision rügt zu Recht, daß eine buchmäßige Gutschrift auf dem „Wohngeldkonto” lediglich einen Rechnungsposten darstellt und keinen gegenwärtigen Anspruch auf Rückzahlung gegen die anderen Wohnungseigentümer ausweist, der dem Besitz des Kapitalbetrages wirtschaftlich gleichgestellt sein könnte.

Auch bezüglich des von der Klägerin als Folge der verfrühten Zahlung behaupteten Zinsschadens kann sich deshalb nur die Frage stellen, in welcher Form sich die Klägerin den durch die verfrühte Zahlung allen Wohnungseigentümern entstandenen Zinsvorteil anteilig anrechnen lassen muß, soweit er auch ihr zugute gekommen ist. Im übrigen kann ein Vermögensschaden auch insoweit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht von vornherein verneint werden. Wenn die Klägerin entsprechend ihrer unter Beweis gestellten Behauptung zur Aufbringung des bezahlten Betrages Überziehungskredit in Anspruch genommen hat, ist der damit verbundene Zinsaufwand durch den Vollzug der einstweiligen Anordnung als Vermögens schaden verursacht. Dies kann auch nicht mit der Erwägung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe mit der Geltendmachung einer Wohngeldforderung rechnen und den entsprechenden Betrag bereitstellen müssen, in Frage gestellt werden.

b) Der Vermögensschaden der Klägerin ist auch nicht durch die Möglichkeit eines anderweitigen Ausgleichs ausgeschlossen. Die vor wirksamer Beschlußfassung der Wohnungseigentümer über den Wirtschaftsplan erfolgte Vorschußzahlung ist zwar rechtsgrundlos im Sinne von § 812 BGB. Den Bereicherungsanspruch der Klägerin gegen die anderen Wohnungseigentümer als Leistungsempfänger, von dem auch das Berufungsgericht ausgeht, kann der Beklagte der Klägerin grundsätzlich nicht entgegenhalten. Ein Schadensersatzanspruch wird in aller Regel gerade nicht dadurch ausgeschlossen, daß sich der Geschädigte wegen eines entstandenen Vermögensnachteils auch an einen Dritten halten kann. Aus § 255 BGB ergibt sich, daß der Geschädigte grundsätzlich auch dann vollen Schadensersatz verlangen kann, wenn ihm zugleich ein Anspruch gegen einen Dritten zusteht (Palandt/Heinrichs, Vorbem. vor § 249 Rdn. 19 m.w.N.).

c) Von diesem Grundsatz ist jedoch hinsichtlich des bezahlten Vorschusses in Höhe von 26.570 DM eine Ausnahme geboten. § 255 BGB ist – ebenso wie die Grundsätze der Vorteilsausgleichung – Ausdruck des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots (Palandt/Heinrichs, § 255 Rdn. 1 m.w.N.) und beruht – wie auch andere Regelungen des Schadensersatzrechtes – letztlich auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB; BGHZ 60, 353, 358). Der Geschädigte soll nicht in unangemessener Weise zu Lasten des Schädigers besser gestellt werden, als er ohne das Schadensereignis stehen würde. Das wäre ein unbilliges Ergebnis, das dem Zweck des Schadensersatzes zuwiderlaufen würde (BGH aaO). Diese Grundsätze können es im vorliegenden Fall gebieten, den Beklagten von der Zahlungspflicht in Höhe von 26.570 DM zu entbinden, weil dies der Klägerin zumutbar ist, den Beklagten nicht unbillig entlastet und auch dem Zweck des Schadensersatzes entspricht (vgl. Palandt/Heinrichs, Vorbem. vor § 249 Rdn. 120 m.w.N.).

Die Ausübung des Rechts aus § 945 ZPO durch die Klägerin kann mißbräuchlich sein und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, wenn diese den Schadensersatzanspruch durch ein objektiv unredliches Verhalten erworben und dieses unredliche Verhalten ihr Vorteile oder dem Beklagten Nachteile gebracht hat, die bei redlichem Verhalten nicht entstanden wären (unzulässige Rechtsausübung bei unredlichem Erwerb der eigenen Rechtsstellung; vgl. Palandt/Heinrichs, § 242 Rdn. 43 m.w.N.). Der Beklagte hat sich darauf berufen, daß die Verhinderung einer ordnungsgemäßen Beschlußfassung über Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung gerade auf die grundlose Ablehnung durch die Klägerin und „die ihr verbundene Mehrheitseigentümergruppe” zurückzuführen sei (Schriftsatz vom 12. Juli 1991, S. 6/7). Die Klägerin hat demgegenüber geltend gemacht, daß die für eine Beschlußfassung erforderlichen Unterlagen „formell und inhaltlich” nicht ordnungsgemäß gewesen seien (Schriftsatz vom 27. August 1991, S. 7) und ihre Zahlungsverweigerung nur auf der Stimmrechtsablehnung durch den Verwalter beruhe (Schriftsatz vom 23. Januar 1989, S. 3, Anlage zum Schriftsatz vom 8. Februar 1991).

Das Berufungsgericht ist auf diesen Vortrag – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – nicht eingegangen. Damit wird das Vorbringen der Parteien nur unvollständig gewürdigt. Nach der Behauptung des Beklagten hat die Klägerin selbst durch ihr Verhalten die Ursache dafür gesetzt, daß sie formell nicht zur Zahlung der Wohngeldvorschüsse verpflichtet war, und sich damit einen Vorteil verschafft, der bei einem redlichen Verhalten nicht entstanden wäre. Ein solches Verhalten wäre nicht vereinbar mit der Verpflichtung eines Wohnungseigentümers zur Mitwirkung an einer ordnungsgemäßen Verwaltung (vgl. §§ 20 ff WEG) und würde die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches in der Höhe des gezahlten Wohngeldvorschusses (26.570 DM) treuwidrig und unzulässig erscheinen lassen. Denn bei der Zahlung des Wohngeldvorschusses durch einen Wohnungseigentümer geht es um die Erfüllung gesetzlicher und durch Vereinbarungen und Eigentümerbeschlüsse geregelter Pflichten im Interesse des gemeinschaftlichen Eigentums, die in erster Linie Sache der Wohnungseigentümer selbst und von ihnen gemeinsam zu regeln sind. Es wird daher zu klären sein, ob der Beklagte in der Lage ist, den insoweit von ihm zu erbringenden Nachweis dieses treuwidrigen Verhaltens der Klägerin zu führen.

d) Für den von der Klägerin geltend gemachten Zinsschaden trifft dieser Gesichtspunkt nicht zu. Ob und in welcher Höhe den anderen Wohnungseigentümern durch die Nutzung des Kapitals ein gemäß § 818 Abs. 1 BGB zu erstattender Zinsvorteil entstanden ist, läßt sich nicht überblicken. Insoweit besteht jedenfalls ein Risiko und ein Vermögens schaden der Klägerin, der durch das Bestehen eines Bereicherungsanspruchs nicht ausgeschlossen wird. Eine Anrechnung des Bereicherungsanspruchs auf den Schadensersatzanspruch kommt deshalb nicht in Betracht. Eine ungerechtfertigte Bereicherung der Klägerin tritt dadurch nicht ein, weil der Beklagte entsprechend § 255 BGB die Abtretung dieses Bereicherungsanspruchs von der Klägerin verlangen kann. Zur Ermittlung der Höhe des der Klägerin danach entstandenen Zinsschadens ist jedoch eine weitere tatrichterliche Klärung des Sachverhalts erforderlich.

3. Hinsichtlich der in den Zwangsverwaltungsverfahren der Klägerin entstandenen Kosten von insgesamt 2.049,42 DM sowie den in dem von der Klägerin im Zwangsversteigerungstermin gezahlten Betrag von 31.100 DM enthaltenen Vollstreckungskosten geht das Berufungsgericht vom Eintritt eines Vermögensschadens bei der Klägerin aus. Es verneint jedoch einen Schadensersatzanspruch gemäß § 945 ZPO, weil die Klägerin diese Kosten bei wertender Abwägung allein verursacht habe (§ 254 Abs. 1 BGB). Die Klägerin habe willkürlich die rechtlich bindende Verpflichtung zur Zahlung des im Wege der einstweiligen Anordnung festgesetzten Betrages unbeachtet gelassen. Die Möglichkeit, daß sie sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden habe und das Geld zu der Zeit nicht habe aufbringen können, sei nach den Umständen auszuschließen.

a) Auch hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis mit Erfolg. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Folgen der unterlassenen freiwilligen Zahlung seien ab Erlaß der einstweiligen Anordnung allein der Klägerin anzulasten, widerspricht Sinn und Zweck des § 945 ZPO. Der gemäß dieser Bestimmung in Anspruch Genommene kann sich zwar nach § 254 BGB darauf berufen, der Gegner habe zur Einleitung und Vollzug des Verfahrens Anlaß gegeben oder gegen seine Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflicht verstoßen (vgl. BGH, Urt. v. 22. März 1990, IX ZR 23/89, NJW 1990, 2689, 2690). Das Unterlassungsverschulden im Sinne von § 254 BGB setzt dabei nicht die Verletzung einer besonderen Rechtspflicht voraus, sondern umfaßt jeden Verstoß gegen Treu und Glauben, mithin ein Unterlassen derjenigen Maßnahmen, die ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Mensch nach Lage der Sache ergreifen würde, um Schaden von sich abzuwenden. Als Mitverschulden wird es daher auch gewertet, wenn der Schuldner die Möglichkeit der Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung nicht wahrgenommen hat (vgl. BGH, Urt. v. 8. Oktober 1957, VI ZR 128/56, VersR 1957, 753).

b) Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht deshalb davon aus, daß ein Mitverschulden darin liegen kann, daß der Schuldner es zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen kommen läßt, obwohl ihm eine freiwillige Leistung möglich und zumutbar ist. Der Ansicht des Berufungsgerichts, eine Pflicht zur freiwilligen Leistung bestehe bereits ab Erlaß der einstweiligen Anordnung, kann jedoch nicht gefolgt werden; sie widerspricht Sinn und Zweck des § 945 ZPO. Für die Aufbürdung der Schadensersatzpflicht ist die Freiheit des Gläubigers entscheidend, sich mit Risiko für oder ohne Risiko gegen den vorzeitigen Gebrauch des Titels zu entscheiden (BGHZ 83, 190, 196). Dementsprechend ist die Schadensersatzpflicht des Gläubigers in § 945 ZPO nicht bereits an die Erwirkung des vorläufigen Titels, sondern an dessen Vollziehung geknüpft. Gleichgestellt wird nach allgemeiner Meinung die freiwillige Erfüllung einer auf Leistung gerichteten einstweiligen Verfügung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung (vgl. BGH, Urt. v. 4. Dezember 1973, VI ZR 213/71, NJW 1974, 642). Eine Obliegenheit des Schuldners zur Abwendung unnötiger Vollstreckungskosten durch eine freiwillige Leistung kann aber erst ab dem Zeitpunkt angenommen werden, zu dem der Gläubiger sich dem Schuldner erkennbar für die Vollstreckung des vorläufigen Titels entschieden hat. Dies kann etwa durch die Androhung der Zwangsvollstreckung oder die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen erfolgen. Hierzu enthält das angefochtene Urteil – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen. Diese sind jedoch erforderlich, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß zumindest ein Teil der Vollstreckungskosten bereits entstanden war, als eine Obliegenheit zur freiwilligen Zahlung begann.

4. Mangels gesicherter tatsächlicher Grundlagen ist der Senat nicht in der Lage, insoweit eine abschließende Entscheidung zu treffen. Das angefochtene Urteil ist daher in diesem Umfang aufzuheben und die Sache gemäß § 565 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zur weiteren Aufklärung zurückzuverweisen.

II.

Im übrigen, nämlich hinsichtlich des Zahlungsantrages in Höhe von 3.439,38 DM, bleibt die Revision ohne Erfolg.

1. Zu dem Anspruch der Klägerin auf Erstattung der ihr im Wohngeldverfahren in zweiter und dritter Instanz entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 3.439,38 DM hat das Berufungsgericht ausgeführt, soweit in dem im Zwangsversteigerungstermin gezahlten Betrag Anwaltskosten enthalten seien, schließe die Rechtskraft der gemäß § 47 Satz 2 WEG im Wohngeldverfahren ergangenen Kostenentscheidung, nach der außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien, materiellrechtliche Ansprüche auf Erstattung der betreffenden Kosten aus.

a) Insoweit rügt die Revision zwar zu Recht, daß diese Begründung unklar ist, weil nicht ausdrücklich ersichtlich gemacht wird, welche Kosten gemeint sind. Grundlage der von der Klägerin geleisteten Zahlung von 31.100 DM war die Forderungsaufstellung des Amtsgerichts vom 9. März 1989. Diese enthält einen nicht näher aufgeschlüsselten Posten „festgesetzte Verfahrenskosten gemäß Beschluß vom 7.2.89”. Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens stellen keinen Vollziehungsschaden dar, da sie nicht durch die Vollziehung, sondern durch die einstweilige Anordnung entstanden sind. In diesen gegen die Klägerin festgesetzten Verfahrenskosten können jedoch allenfalls Anwaltskosten des Beklagten enthalten sein. Diese wären nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits deshalb nicht geschuldet, weil der Beklagte nach der endgültigen Kostenentscheidung im Wohngeldverfahren keinen Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Kosten hat.

b) Hinsichtlich der Anwaltskosten, die der Klägerin im Wohngeldverfahren in zweiter und dritter Instanz entstanden sind, stellt sich die vom Berufungsgericht angesprochene Konkurrenz zwischen der Kostenentscheidung gemäß § 47 WEG und dem Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO nicht. Ein Schadensersatzanspruch kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil diese Kosten nicht durch den Vollzug der einstweiligen Anordnung, sondern durch die Anfechtung der Hauptsacheentscheidung entstanden sind.

2. In diesem Umfang ist die Klage daher abzuweisen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

III.

Für die erneute Verhandlung und Entscheidung wird noch auf folgendes hingewiesen:

1. Der zur Abwendung der Zwangsvollstreckung bezahlte Betrag von 31.100 DM enthielt einen Teilbetrag von 882,71 DM auf eine Zinsforderung von 4 % aus der Hauptforderung für die Zeit vom 10. Mai 1988 bis 8. März 1989. Hierbei handelt es sich um Prozeßzinsen gemäß den §§ 291, 288 BGB, zu deren Zahlung die Klägerin im Wohngeldverfahren in erster Instanz verpflichtet worden ist. Diesen Schadensposten hat das Berufungsgericht in seiner Entscheidung bisher übergangen.

2. Hinsichtlich der von der Klägerin zurückgeforderten Vollstreckungskosten wird bei der Anwendung des § 254 ZPO weiter zu berücksichtigen sein, daß die Klägerin nach der von ihr vorgelegten Bankbescheinigung vom 3. Januar 1991 bereits bei Erlaß der einstweiligen Anordnung Bankkredit in Anspruch genommen hat. Das Berufungsgericht wird deshalb zu prüfen haben, ob die Inanspruchnahme von Kreditmitteln zumutbar war (vgl. BGH, Urt. v. 26. Mai 1988, III ZR 42/87, NJW 1989, 290). Sollte es diese Frage bejahen, wäre bei einer Schadensberechnung zu berücksichtigen, daß bei einer früheren Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zwar die Vollstreckungskosten vermieden, aber höherer Zinsschaden entstanden wäre.

 

Unterschriften

H, V, L, W, Sch

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 20.11.1992 durch Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 512681

BGHZ

BGHZ, 261

NJW 1993, 593

BGHR

Nachschlagewerk BGH

JuS 1993, 515

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