Entscheidungsstichwort (Thema)

Verdacht des Mordes

 

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 4. November 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet insbesondere die Verneinung des bedingten Tötungs- und Brandstiftungsvorsatzes. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

1. a) Nach den Feststellungen hatte die Angeklagte gegen 4.00 Uhr D. aufgesucht und den Rest der Nacht bei ihm verbracht. Nachdem sie gegen 10.00 Uhr in der nahegelegenen Tankstelle einen Kanister Benzin gekauft hatte, fesselte sie D. mit Stoffstreifen an sein Bett und schüttete „etwa drei Liter Benzin über den nackten und unbedeckten Körper des D., insbesondere im Bereich der unteren zwei Drittel des Bettes, sowie auf den Teppichboden vor dem Bett”. Die Angeklagte entzündete – möglicherweise mehrfach – ein Feuerzeug. Sie „wußte, daß das Entzünden des Feuerzeugs mit der Gefahr verbunden war, daß das verschüttete Benzin in Brand geriet, daß D. dadurch zu Tode kommen und das Feuer Bestandteile des Wohnhauses ergreifen konnte.” Das Benzin geriet in Brand; es entstand ein „Feuerball, der Temperaturen von mehreren 100 Grad Celsius mit sich brachte.” D. verstarb„ nach wenigen Atemzügen infolge des Einatmens heißer Gase an einem Hitzeschock.” Die nur mit einem Büstenhalter und einem Slip bekleidete Angeklagte erlitt Verbrennungen von mehr als 20 % der Hautoberfläche.

b) Die Angeklagte hat bei ihrer Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen unter anderem folgende Angaben gemacht:

Nach einem Streit mit ihrem Lebensgefährten, der sie geohrfeigt und vorübergehend ins Schlafzimmer eingeschlossen habe, habe sie D. aufgesucht, um bei ihm – wie schon bei früheren Gelegenheiten – „Trost und Rat” zu suchen. Am Vormittag habe D. sie wiederholt dazu aufgefordert, ihn an sein Bett zu fesseln. Sie habe dies getan, jedoch seinen Wunsch abgelehnt, ihn mit dem Messer am nackten Rücken zu ritzen. „Nach anfänglichem Widerstreben” sei sie seiner Aufforderung nachgekommen, ihn mit Benzin zu übergießen. D. habe geäußert: „So gefällt es mir, der Geruch, die Kälte!” und sie dann aufgefordert, mit einem Feuerzeug zu spielen. Sie habe das Feuerzeug „in die Luft” über seinen Körper gehalten und es mehrfach gezündet (UA 11). Dabei sei sie sich der Gefahr, einen Brand zu verursachen „durchaus bewußt gewesen (…). Sie habe den D. nicht töten wollen; sie sei vielmehr seinem Ansinnen aus Naivität und Leichtgläubigkeit nachgekommen. Sie sei froh gewesen, als bei den ersten Zündungen nichts passiert sei, und habe angenommen, daß die Gefahr eines Feuers immer geringer werde” (UA 34).

Nach Auffassung des Landgerichts war diese Einlassung „nicht mit der notwendigen Sicherheit” zu widerlegen. Insbesondere habe nicht ausgeschlossen werden können, daß die Angeklagte „lediglich dem D. zu dessen sexueller Befriedigung einen Gefallen tun wollte.” Daher habe sich nicht feststellen lassen, daß die Angeklagte den Tod oder auch eine körperliche Verletzung des D. sowie das Inbrandgeraten des Wohnhauses beabsichtigt oder auch nur billigend in Kauf genommen habe. Vielmehr sei nicht auszuschließen, daß sie „ernsthaft darauf vertraute, daß all dies nicht passierte.”

2. Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es in Anwendung des Zweifelssatzes lediglich (bewußte) Fahrlässigkeit angenommen hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat es mit rechtsfehlerfreien Erwägungen als erwiesen angesehen, daß die Angeklagte sich während des gesamten Tatgeschehens der mit dem „Spielen” mit dem Feuerzeug verbundenen Gefahr bewußt war, daß sich das Benzin entzündete, D. dadurch zu Tode kommen konnte und daß Bestandteile des Hauses in Brand geraten konnten. Die Angeklagte war sich, was das Landgericht allerdings erst bei den Erwägungen zur Strafzumessung ausgeführt hat, auch zum Zeitpunkt der Entzündung des Benzins des mit ihrem Tun verbundenen „besonders großen Gefahrenpotentials” bewußt (UA 47).

Bei dieser Sachlage kam es für die Frage, ob die Angeklagte bedingt vorsätzlich oder lediglich bewußt fahrlässig gehandelt hat, darauf an, ob die Angeklagte die für möglich gehaltene Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf genommen hat oder ob sie damit nicht einverstanden war und ernsthaft darauf vertraut hat, sie werde nicht eintreten (vgl. BGHSt 36, 1, 9/10; BGH NStZ 1999, 507, 508). Auch das Willenselement dieser im Grenzbereich eng beieinander liegenden Schuldformen muß umfassend in einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geprüft werden (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 41). Dies hat das Landgericht zwar an sich nicht verkannt. Seine Annahme, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Angeklagte ernsthaft darauf vertraut hat, der als möglich erkannte tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten, beruht aber auf einer rechtsfehlerhaften Wertung:

Ihr stehen schon die Angaben der Angeklagten zur inneren Tatseite entgegen. Wenn nämlich die Angeklagte „froh” war, „als bei den ersten Zündungen nichts passierte”, folgt daraus im Umkehrschluß, daß sie beim Entzünden des Feuerzeuges wegen des ihr bekannten „besonders großen Gefahrenpotentials” gerade nicht auf einen glücklichen Ausgang vertraut hat. Hält der Täter aber den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für möglich und setzt er sein Handeln dennoch fort, liegt es bei äußerst gefährlichem Tun nahe, daß er den Eintritt des Erfolges billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH NStZ 1994, 584; 1999, 507, 508; BGHR StGB § 212 Vorsatz, bedingter 38, 39).

Der Angeklagten mag es, wie das Landgericht meint, im Hinblick insbesondere auf die – wie der Geschehensablauf belegt, allerdings gegenüber der Gefährdung des Tatopfers wesentlich geringere – Eigengefährdung und das Fehlen eines einsichtigen Beweggrundes für eine so schwere Tat (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 40, 42) unerwünscht gewesen sein, daß es zur Entzündung des Benzins und den damit verbundenen Folgen kam. Dies hindert aber die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes ebenso wenig (vgl. BGH NStZ 1994, 584; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 39, 42) wie die nach Auffassung des Landgerichts im Hinblick auf deren Vorgehensweise „als nachvollziehbar und nicht völlig lebensfremd” erscheinende „Hoffnung” der Angeklagten, „es werde nichts passieren”. Diese Erwägung des Landgerichts läßt vielmehr trotz des Hinweises auf die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes an die Annahme des bedingten Vorsatzes zu stellenden Anforderungen (BGHSt 36, 1, 11 und 13) besorgen, daß es an das Willenselement zu hohe Anforderungen gestellt hat. Handelt der Täter in Kenntnis der besonderen Gefährlichkeit seines Tuns und ist er sich – wie hier – des damit verbundenen „besonders großen Gefahrenpotentials” bewußt, liegt es nahe, daß er die weitere Entwicklung dem Zufall überläßt. Dann genügt aber die „Hoffnung, es werde nichts passieren,” nicht, eine Billigung des für möglich gehaltenen Erfolges zu verneinen (vgl. BGH NStZ 1999, 507, 508).

3. Die Frage, ob die Angeklagte mit bedingtem Tötungs- und Brandstiftungsvorsatz gehandelt hat, bedarf daher der erneuten Prüfung. Der neue Tatrichter wird aber zunächst wiederum zu prüfen haben, ob die Angeklagte den gefesselten und schlafenden D. mit Benzin übergossen und dieses entzündet hat, um ihn zu töten (direkter Vorsatz). Dabei wird er sich mit der schon in sich wenig plausiblen Einlassung der Angeklagten sowie mit deren Spontanäußerung unmittelbar nach der Tat: „Nebenan schläft noch einer!” näher auseinandersetzen müssen; er wird hierbei auch zu bedenken haben, daß nach den Angaben des Sachverständigen ein Tiefschlaf des Tatopfers nach Einnahme des Schlafmittels zwar unwahrscheinlich, mithin aber doch möglich war. In diesem Zusammenhang kann ferner von Bedeutung sein, daß die Angeklagte nach den Feststellungen das Benzin zunächst nicht in die Wohnung brachte und daß zwischen Beschaffen und Verwenden des Benzins etwa zwei Stunden lagen, was ebenfalls gegen ein Handeln auf Verlangen des Tatopfers sprechen könnte. Wenn es dem Tatopfer – wie das Landgericht unterstellt – bei den von der Angeklagten verlangten Handlungen um seine sexuelle Befriedigung ging, erscheint es im Übrigen lebensfremd anzunehmen, daß es zuvor selbst ein Schlafmittel eingenommen hat.

4. Die gemäß § 301 StPO auf die Revision der Staatsanwaltschaft auch insoweit gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere steht die nach den bisherigen Feststellungen angenommene Einwilligung des Tatopfers in das sein Leben gefährdende Tun der Angeklagten der Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nicht entgegen, da sie, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, das Handlungsunrecht nicht zu beseitigen vermag (vgl. BGHSt 4, 88, 93; 7, 112, 115; BGH VRS 17, 277, 279; Lenckner in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. Vorbem. §§ 32 ff. Rdn. 104).

5. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Essen zurück.

 

Unterschriften

Meyer-Goßner, Maatz, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann

 

Fundstellen

Haufe-Index 540725

NStZ 2000, 583

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