Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit eines vom Erblasser formlos eingeräumten Wohnrechts auf Lebenszeit

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Wirksamkeit eines vom Erblasser formlos eingeräumten Wohnrechts auf Lebenszeit.

 

Normenkette

BGB §§ 598, 2301; ZPO § 322 Abs. 1; BGB §§ 987-988

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 11. Januar 1983 aufgehoben, soweit die Klage auf weitere 1.500,00 DM nebst Zinsen abgewiesen und über die Kosten entschieden ist.

In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Tochter des am 19. Januar 1980 im Alter von fast 97 Jahren verstorbenen Schlachtermeisters August B.. Erben des Verstorbenen auf Grund notarieller Testamente sind die Beklagten zu 1) und 2) (Enkel des Erblassers) und die Beklagte zu 3) (eine weitere Tochter). Die Klägerin hatte bis zu seinem Tode mit dem Erblasser in häuslicher Gemeinschaft in dessen Einfamilienhaus in B. gelebt und ihn gepflegt und versorgt. Sie war nur halbtägig berufstätig.

Mit der Klage verlangte sie als gemäß den §§ 2316, 2057 a BGB erhöhten Pflichtteil zuletzt über einen anerkannten Betrag von 21.666,67 DM hinaus weitere 50.942,33 DM nebst Zinsen. Die Beklagten erhoben am 20. Juni 1980 Widerklage auf Räumung und Herausgabe der von der Klägerin bewohnten Räume. Diesem Begehren entsprach das Landgericht durch - rechtskräftig gewordenes - Teilurteil vom 1. Oktober 1981. Die Klägerin hatte das Haus bereits am 24. September 1981 geräumt. Der Klage gab das Landgericht durch Schlußurteil in Höhe von 24.128,42 DM nebst Zinsen statt und wies sie im übrigen ab. Dabei rechnete es der Klägerin auf den erhöhten Pflichtteil für die Nutzung des Hauses vom Erbfall bis zur Räumung eine Nutzungsentschädigung von 5.402,20 DM an (6.000,00 DM für 20 Monate abzüglich Aufwendungen für notwendige Reparaturen in Höhe von 597,80 DM). Die auf Zuerkennung auch dieses Betrages gerichtete Berufung der Klägerin und die Anschlußberufung der Beklagten blieben ohne Erfolg.

Auch mit der Revision erstrebt die Klägerin die Zuerkennung weiterer 5.402,20 DM.

Die Beklagten beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten nur noch darum, ob sich die Klägerin für die Zeit vom Tod des Erblassers bis zu ihrem Auszug eine Nutzungsentschädigung für die Benutzung der Räume im Einfamilienhaus des Verstorbenen anrechnen lassen muß. Die Klägerin beruft sich darauf, ihr Vater habe ihr ein unentgeltliches lebenslängliches Wohnrecht eingeräumt. Das bestreiten die Beklagten.

Das Berufungsgericht meint, ein Wohnrecht bestehe schon deshalb nicht, weil es formlos nicht wirksam hätte bestellt werden können. Zwar möge die Einräumung einer Wohnung zum unentgeltlichen Gebrauch auf Lebenszeit als Leihe formlos wirksam sein (BGHZ 82, 354). Hier habe der Erblasser der Klägerin nach ihrer Darstellung ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht für die Zeit nach seinem Tode eingeräumt. Es handele sich damit zwar um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, das sich aber entscheidend erst nach dem Tode des Versprechenden habe auswirken sollen. Auf einen derartigen Vertrag seien die Formvorschriften für Verfügungen von Todes wegen entsprechend anzuwenden, damit nicht der Nachlaß in seinem Wert durch bloß mündliche Abreden weitgehend ausgehöhlt werden könne. Für die unberechtigte Nutzung der Räume schulde die Klägerin deshalb die vom Landgericht festgesetzte Nutzungsentschädigung von 300,00 DM monatlich, die die Klägerin der Höhe nach nicht angegriffen habe.

Die hiergegen gerichtete Revision hat teilweise Erfolg.

Allerdings wendet sich das Rechtsmittel vergeblich gegen die Anerkennung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit ab der Zustellung der Widerklage auf Räumung und Herausgabe. Auf Grund des rechtskräftigen, auf § 985 BGB gestützten Räumungsurteils steht zwischen den Parteien fest, daß die Klägerin zur Herausgabe der von ihr bewohnten Räume verpflichtet war. Ein Anspruch der Beklagten aus § 987 BGB auf Herausgabe der nach Rechtshängigkeit gezogenen Nutzungen kann danach nicht mehr deshalb verneint werden, weil der Klägerin doch ein Recht zum Besitz zugestanden habe. Damit würde sich ein späteres Urteil in Widerspruch zu dem zwischen den Parteien rechtskräftig Festgestellten setzen. Die Rechtskraft des Räumungsurteils nach § 322 Abs. 1 ZPO hat gemäß § 987 BGB auch materiellrechtlich Wirkung für den Anspruch auf Vergütung der nach Rechtshängigkeit gezogenen Nutzungen (BGH, Urteile vom 3. März 1954, VI ZR 256/52 = LM BGB § 987 Nr. 3; vom 13. März 1981, V ZR 115/80 = NJW 1981, 1517; vom 9. Juli 1982, V ZR 64/81 = NJW 1983, 164 = LM ZPO § 322 Nr. 95). Andere Einwendungen, insbesondere zu der vom Berufungsgericht bestätigten Höhe der Nutzungsentschädigung erhebt die Klägerin nicht. Danach ist die Revision zurückzuweisen, soweit sie die Anrechnung von Nutzungsentschädigung für die Zeit ab der Zustellung der Widerklage (20. Juni 1980) angreift.

Für die Zeit zwischen dem Erbfall und der Zustellung der Widerklage (betrifft 1.500,00 DM für 5 Monate) steht die Rechtskraft des Räumungsurteils der Verneinung eines Anspruchs auf Nutzungsvergütung mangels eines Rechts zum Besitz nicht entgegen. Zwar ist der unentgeltliche Besitzer dem Eigentümer nach § 988 BGB auch für die Zeit vor der Rechtshängigkeit der auf Herausgabe der Sache gerichteten Klage zur Nutzungsentschädigung verpflichtet. Die Haftung setzt aber voraus, daß kein Recht zum Besitz besteht. Für einen etwa daneben sich unmittelbar aus § 812 BGB ergebenden Anspruch würde das gleiche gelten. Ob die Klägerin von Anfang an kein Recht zum Besitz hatte, ist nach wie vor zwischen den Parteien streitig. Für die Zeit vor der Rechtshängigkeit der Räumungsklage ist durch das Räumungsurteil ein Herausgabeanspruch der Beklagten nicht bindend festgestellt und damit eine diese Vindikationslage voraussetzende Verpflichtung der Klägerin zur Nutzungsentschädigung nach § 988 BGB nicht präjudiziert. Ob die Klägerin von vornherein nicht zum Besitz berechtigt war, war für das Räumungsurteil nur eine Vortrage, auf die sich seine materielle Rechtskraft nicht erstreckt (BGH, Urteil vom 9. Juli 1982 aaO).

Bezüglich der Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für diesen Zeitraum hat die Revision Erfolg.

Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils erwecken zumindest den Anschein, daß der Berufungsrichter davon ausgeht, die Klägerin habe vorgetragen, der Erblasser habe ihr ein Wohnrecht für die Zeit nach seinem Tode eingeräumt, und daß er daraus den Schluß zieht, das Rechtsgeschäft habe sich entscheidend nach seinem Tode auswirken sollen. Damit würde sich das Berufungsgericht mit dem Tatbestand seines Urteils in Widerspruch setzen. Dort (Bl. 4 BU) heißt es, die Klägerin behaupte, ihr sei vom Erblasser mündlich ein lebenslanges Wohnrecht im Hause Auf den Jaden 9 eingeräumt worden. Wegen aller Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf das Schlußurteil des Landgerichts Bezug genommen. In diesem Urteil (Bl. 14 = Bl. 318 GA) wird als Vortrag der Klägerin wiedergegeben, der Erblasser habe wiederholt mündlich erklärt, sie - die Klägerin - könne die von ihr bisher benutzten Räume des Hauses auch im Falle seines Todes weiterbenutzen , solange sie lebe. Diese Darstellung deckt sich mit dem Schriftsatz der Klägerin vom 27. Juni 1980 (Bl. 77 GA), auf den sich das Landgericht im Tatbestand seines Schlußurteils ergänzend bezieht; sie wird in der Berufungsbegründung der Klägerin vom 28. Juni 1982 (Bl. 334 GA) wiederholt, auf die der Tatbestand des Berufungsurteils ergänzend verweist. Danach sollte ein zu Lebzeiten des Erblassers schon bestehendes Wohnrecht über seinen Tod hinaus bestehen bleiben und nicht erst mit dem Tode zur Entstehung kommen. Schon dieser nicht auszuschließende Widerspruch zwischen den Gründen und dem Tatbestand führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil eine eindeutige Entscheidungsgrundlage für die Revisionsentscheidung fehlt (BGHZ 40, 84, 87).

Bei den folgenden Hinweisen für das weitere Verfahren geht der Senat von dem oben wiedergegebenen Vortrag der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 27. Juni 1980 aus, den auch beide Parteien bei ihren Erörterungen in der Revisionsinstanz zugrundelegen. Diesen Vortrag wird das Berufungsgericht nicht als unschlüssig behandeln dürfen. Hat der Vater der Klägerin ihr Räume in seinem Hause überlassen und mit ihr vereinbart, ihr solle auch über seinen Tod hinaus ein Wohnrecht zustehen, solange sie lebe, so liegt darin ein Vertrag, der die Verpflichtung zur unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung einer Wohnung auf Lebenszeit zum Inhalt hat. Ein solcher Vertrag ist - wie der Berufungsrichter nicht verkennt - in der Regel ein Leihvertrag. Als Leihvertrag bedarf er keiner besonderen Form. Das hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in BGHZ 82, 354 entschieden. Dem schließt sich der erkennende Senat für Fälle der vorliegenden Art an. Ein entscheidender Unterschied im Sachverhalt gegenüber dem vom V. Zivilsenat entschiedenen Fall liegt nicht vor. Daß dieses eingeschränkte Wohnrecht über den Tod des Erblassers hinaus bestehen bleiben sollte, ergibt keine wesentliche Abweichung im Sachverhalt. Wird ein solches Wohnrecht auf Lebenszeit des Begünstigten eingeräumt, so folgt daraus zwingend, daß es auf die Lebensdauer des zur Überlassung der Räume Verpflichteten nicht ankommt. Auf das jeweilige Alter der Vertragsschließenden und die Wahrscheinlichkeit, daß der eine den anderen überlebt, kann für die rechtliche Behandlung, insbesondere die Formbedürftigkeit derartiger Abreden nicht abgehoben werden. Ob auch dann eine Leihe angenommen werden kann, wenn die langfristige unentgeltliche Überlassung zum Gebrauch wirtschaftlich einer Weggabe von Substanz nahekommt, oder ob dann von einer Zuwendung im Sinne der Schenkung gesprochen werden muß, was erbrechtliche Auswirkungen, etwa für die Berechnung des Pflichtteils, haben kann, bedarf hier keiner Entscheidung.

Eine entsprechende Anwendung des § 2301 Abs. 1 BGB scheitert im übrigen schon daran, daß der angebliche Leihvertrag nach der Darstellung der Klägerin nicht unter der Bedingung stand, daß die Klägerin ihren Vater überlebe. Selbst bei einer Schenkung finden nur unter dieser Voraussetzung die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen Anwendung. Ein unbedingtes Schenkungsversprechen fällt nicht unter § 2301 Abs. 1 BGB, selbst wenn seine Erfüllung auf die Zeit des Todes des Schenkers oder später hinausgeschoben wird (BGHZ 8, 23, 31).

Ebensowenig kann hier auf das Formerfordernis des § 566 BGB für einen über eine längere Zeit als ein Jahr geschlossenen Grundstücksmietvertrag zurückgegriffen werden. Hauptzweck dieser Vorschrift ist es, einem Erwerber des Grundstücks die Gelegenheit zu verschaffen, sich zuverlässig über bestehende Mietverhältnisse zu unterrichten, in die er nach § 571 BGB eintreten muß (vgl. Staudinger/Emmerich, BGB 12. Aufl. § 566 Rdn. 2 [2. Bearb. 1981] mit Nachw.). Eine § 571 BGB vergleichbare Vorschrift fehlt bei der Leihe.

Das Berufungsurteil wird danach in dem oben dargelegten Umfang aufgehoben und der Rechtsstreit insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit es den Sachverhalt widerspruchsfrei aufklären und über die bestrittene Darstellung der Klägerin Beweis erheben kann.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Dr. Lang

Dehner

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Zopfs

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456414

NJW 1985, 1553

JZ 1984, 902

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