Leitsatz (amtlich)

›a) Ersatz für die Kassenleistungen einer gesetzlichen Krankenkasse zugunsten ihres Mitglieds erhält die Kasse von Dritten aufgrund der gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche. Das gilt auch bei einem Kunstfehler eines Kassenarztes bei der Behandlung seiner Kassenpatienten.

b) Selbst wenn es neben dem übergegangenen bürgerlich-rechtlichen Anspruch noch einen deckungsgleichen eigenen (öffentlich-rechtlichen) Ersatzanspruch der Kasse gegen den Kassenarzt geben sollte (BSGE 55, 144), fällt der Schadensfall im allgemeinen vollständig unter ein bestehendes Teilungsabkommen. Mit der im Teilungsabkommen vereinbarten Leistung des Haftpflichtversicherers ist die Kasse abgefunden; auch weitergehende öffentlich-rechtliche Ansprüche wegen des Schadensfalls gegen den Arzt darf die Kasse nicht durchsetzen.‹

 

Verfahrensgang

OLG Hamm

LG Essen

 

Tatbestand

Die Klägerin, ein Haftpflichtversicherer, und die Beklagte, eine Betriebskrankenkasse, streiten über die Tragweite eines von ihnen abgeschlossenen Teilungsabkommens.

Die Kassenärztin R. setzte ihrem Kassenpatienten I. am 11. November 1983 eine Injektion derart fehlerhaft, daß es bei dem Patienten zu einer Peronaeuslähmung kam, die ambulante und stationäre ärztliche Behandlungen erforderlich machte. Die von dem Patienten persönlich erhobenen Ansprüche wegen dieses ärztlichen Kunstfehlers hat die Versicherungsgesellschaft, bei der die Ärztin berufshaftpflichtversichert ist, erfüllt. Die Betriebskrankenkasse, deren Mitglied der Patient ist, trug dessen Krankengeld und die sonstigen erforderlichen Krankheitskosten, die sich zur die Zeit bis Ende 1986 auf insgesamt 32.232,41 DM belaufen.

Zwischen den Parteien galt für Schadensfälle seit dem 1. Juli 1980 ein Teilungsabkommen. Nach § 8 Abs. 3 und § 1 Abs. 4 dieses Abkommens, das mit dem 31. Dezember 1987 einvernehmlich auslief, sind alle während seiner Laufzeit eingetretenen Schadensfälle entsprechend dem Teilungsabkommen abzurechnen. Mit diesem Abkommen vom 20. September 1979/25. April 1980 hat die Klägerin der Beklagten zugesagt, gemäß §§ 1542 Abs. 1, 205c RVO (heute: § 116 Abs. 1 SGB X) übergegangenen Ansprüchen ihrer Versicherten (und ihrer Angehörigen) gegen bei der Klägerin Haftpflichtversicherte Personen weitgehend "ohne Prüfung der Haftungsfrage" mit bestimmten Prozentsätzen pauschal zu entsprechen. Zugleich sollte die Krankenkasse nach § 5 des Abkommens mit dieser Leistung der Klägerin "abgefunden" sein. Weiter heißt es dort:

"Die abkommensgemäße Beteiligung schließt einen weiteren Ersatzanspruch der... (Krankenkasse) gegen einen eventuell an dem Schadensfall beteiligten Dritten aus, soweit ein solcher Anspruch zu Rückforderungen gegenüber (der Klägerin) bzw. ihren Versicherungsnehmer oder Versicherten führen würde. "

Die Beklagte machte von diesem Teilungsabkommen im vorliegenden Fall keinen Gebrauch. Stattdessen wandte sie sich an den Prüfungsausschuß RVO der Kassenärztlichen Vereinigung N.. Dieser entschied antragsgemäß, daß die beteiligte Ärztin der Beklagten Regreß in Höhe von 32.232,41 DM zu leisten habe. Über den dagegen gerichteten Widerspruch hat der zuständige Beschwerdeausschuß noch nicht entschieden.

Die Klägerin ist der Auffassung, daß das Teilungsabkommen die Ersatzansprüche der Beklagten gegen die Ärztin aus Anlaß des angeführten Kunstfehlers abschließend regele. Sie hält es dementsprechend für nicht vereinbar mit dem Teilungsabkommen, wenn die Beklagte nach Gutdünken von Fall zu Fall entweder den in Höhe ihrer erbrachten Sozialleistungen auf sie übergegangenen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs ihres verletzten Mitglieds (nach Maßgabe des Teilungsabkommens) geltend mache oder aber stattdessen dem vom Bundessozialgericht (VersR 1983, 956, 957, NJW 1986, 1574, 1576) eröffneten Weg über einen damit konkurrierenden (deckungsgleichen) öffentlich-rechtlichen Anspruch auf unmittelbaren Ersatz derselben Sozialleistungen folge. Wenn die Beklagte sich in zweifelhaften Fällen bei ihr, der Klägerin, die pauschale Leistungsquote nach dem Teilungsabkommen (ohne Prüfung der Haftungsfrage) hole und in den Fällen mit eindeutigem Haftungsgrund die (volle) Entschädigung nach § 34 des Bundesmantelvertrages-Ärzte zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (§ 77 SGB V) einerseits und mehreren Bundesverbänden gesetzlicher Krankenkassen (vgl. § 212 SGB V) andererseits (vgl. Aichberger, Sozialgesetzbuch, Reichsversicherungsordnung, Textsammlung Nr. 242) wähle, dann werde die im Teilungsabkommen vereinbarte Schadensverteilung zugunsten der Beklagten verschoben. Mit der Klage begehrt die Klägerin deshalb die Feststellung, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, aus der fehlerhaften Behandlung aus privatem oder aus öffentlichem Recht Ersatzansprüche geltend zu machen, die über den nach dem Teilungsabkommen zu ersetzenden Schaden hinausgehen.

Die Beklagte hält ihr Vorgehen für unbedenklich.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage für begründet gehalten. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Landgericht und Oberlandesgericht.gehen davon aus, daß das Teilungsabkommen der Parteien nach seinem Wortlaut einen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch der Beklagten gegen die Ärztin nicht umfasse. Jedoch sei das Teilungsabkommen nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage an die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts über den öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch einer gesetzlichen Krankenkasse gegen einen zugelassenen Kassenarzt wegen eines diesem unterlaufenen Kunstfehlers anzupassen. Das habe zur Folge, daß der öffentlich-rechtliche Rückgriff der Krankenkasse ebenfalls unter das Teilungsabkommen falle.

Die Revision hält dem entgegen, daß die maßgebende Rechtsgrundlage für die Behandlung eines Kassenpatienten durch den Kassenarzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht ein zwischen beiden geschlossener privatrechtlicher Vertrag, sondern unmittelbar die öffentlichrechtliche gesetzliche Regelung über die kassenärztliche Versorgung sei. Die Beklagte habe demnach keine Möglichkeit, auf sie übergegangene (§ 116 Abs. 1 SGB X) privatrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den behandelnden Kassenarzt geltend zu machen; solche Ansprüche könnten in Fällen der vorliegenden Art nicht entstehen. Vielmehr habe die Krankenkasse lediglich den vom Bundessozialgericht aufgezeigten öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch. Eine Anpassung des Teilungsabkommens an die Rechtslage komme von vornherein nicht in Betracht, weil dieses Abkommen ausdrücklich nur die Fälle eines zivilrechtlichen Regresses regele.

2. Dieser Revisionsangriff ist nicht berechtigt.

Die Revision verweist darauf, daß der 6. Senat des Bundessozialgerichts in einem Urteil vom 19. November 1985 (NJW 1986, 1574, 1576) beiläufig ausgesprochen hat, maßgebende Rechtsgrundlage für die Behandlung eines Kassenpatienten durch einen Kassenarzt sei nicht ein privatrechtlicher Vertrag, sondern die - öffentlich-rechtliche - gesetzliche Regelung über die kassenärztliche Versorgung. Indessen kann der Senat sich nicht davon überzeugen, daß das Bundessozialgericht damit etwa hätte zum Ausdruck bringen wollen, die Behandlung des Kassenpatienten durch seinen Arzt werde ausschließlich durch die öffentlich-rechtlichen Normen des Sozialrechts bestimmt.

Das sozialrechtliche Leistungssystem der Bundesrepublik stellt eine ärztliche Versorgung sicher, die "zweckmäßig und ausreichend" (§ 368e S. 1 RVO a.F.) bzw. "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich" ist (§ 72 Abs. 2 SGB V). Diese primär finanzielle Sicherstellung geht über den Bereich des (nur) Wirtschaftlichen weit hinaus, ihre Bedeutung kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Dennoch liegt auf der Hand, daß dieses Leistungssystem das private Deliktsrecht auch für den Schutz des Kassenpatienten vor unerlaubten Handlungen seines Arztes weder entbehrlich machen noch auch nur teilweise entlasten kann und will. Das grobe Raster einer "ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung" bietet selbst ohne das einschränkend gemeinte Merkmal des "Wirtschaftlichen" keinen diskutablen Ersatz für das ausgefeilte Instrumentarium des geltenden privaten Deliktsrechts. Es ist, wie § 69 SGB V zeigt, vom Gesetzgeber auch nicht so gemeint.

3. Da die versicherte Ärztin ihren Patienten durch einen Kunstfehler körperlich verletzt hat (§ 823 BGB), ist das Teilungsabkommen der Parteien auf den vorliegenden Schadensfall unmittelbar anzuwenden.

Allerdings hat der 6. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 22. Juni 1983 (BSGE 55, 144 = VersR 1983, 956) in Frage gestellt, ob der Schadensersatzanspruch des von seinem Kassenarzt geschädigten Patienten gegen diesen gemäß §§ 116 SGB X, 1542 RVO auf die Krankenkasse übergeht. Dahingehende Bedenken sind indessen unbegründet. Wie das Bundessozialgericht mit Recht hervorgehoben hat, soll der gesetzliche Anspruchsübergang (auch) sichern, daß der Geschädigte neben dem Anspruch auf ärztliche Versorgung gegen seine Krankenkasse nicht auch noch den Anspruch gegen seinen Schädiger behält und auf diese Weise doppelte Entschädigung erlangt. Dabei geht es aber nicht nur um eine Schonung der Krankenkasse, sondern zugleich auch um das Interesse des Schädigers, nicht doppelt leisten zu müssen. Diesen Schädigerschutz nur deshalb entfallen zu lassen, weil er selbst zum "Versicherungssystem" gehöre, wäre nicht rechtens.

4. Unter diesen Umständen muß die Beklagte sich auch für den vorliegenden Schadensfall nach dem Teilungsabkommen behandeln lassen. Dieses läßt es nicht zu, daß die Kassenärztin im Ergebnis mehr an die Beklagte zu zahlen hatte, als die Parteien in dem Teilungsabkommen vereinbart haben. Dazu bedarf es allerdings weder eines Rückgriffs auf die Grundsätze vom Wegfall der Geschäftsgrundlage noch der vom Berufungsgericht erwogenen ergänzenden Vertragsauslegung.

Das Teilungsabkommen ist unbedenklich zulässig; § 116 Abs. 9 BSG X hat das noch ausdrücklich bestätigt. Das Abkommen regelt nicht nur die (pauschale) Abgeltung der Versicherungsansprüche der Ärztin gegen die Klägerin durch eine Leistung der Klägerin an die Beklagte, sondern reguliert zugleich auch die Ansprüche der Beklagten gegen die Ärztin. So verbietet Abs. § 2 Abs. 2 des Teilungsabkommens der Beklagten, Ansprüche gegen (die Klägerin und) die versicherte Ärztin geltend zu machen, wenn sie ihre Ansprüche nicht innerhalb einer Ausschlußfrist angemeldet hat. Darüber hinaus ist in § 5 Abs. 1 Satz 1 des Teilungsabkommens ausdrücklich festgelegt, daß die Beklagte mit der vereinbarten Leistung der Klägerin "abgefunden" sei. Diese Bestimmung kann der Senat als typische Klausel, die nicht nur innerhalb eines Oberlandesgerichtsbezirks verwendet wird, selbst auslegen. Sie bedeutet, daß das Abkommen sämtliche Schadensfälle, auf die es anzuwenden ist, abschließend regelt. Daraus folgt, daß die Beklagte aus Anlaß eines Schadensfalles, der unter das Abkommen fällt, nicht mehr soll zu beanspruchen haben, als in dem Abkommen vereinbart ist. Davon sind Ansprüche jeglicher Art betroffen, auch öffentlich-rechtliche Ansprüche. Dieses Auslegungsergebnis wird noch besonders bestätigt durch den nachfolgenden Satz. Dort werden sogar Ansprüche der Beklagten gegen weitere Schädiger "ausgeschlossen", soweit solche zu Rückforderungen (auch nur) gegen den Versicherungsnehmer (hier: die Ärztin) oder Versicherten führen würden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993066

NJW 1991, 1546

BGHR BGB § 611 Ambulanz 3

BGHR BGB § 823 Abs. 1 Arzthaftung 51

BGHR SGB X § 116 Abs. 1 Anspruchsübergang 1

BGHR VVG vor § 1 Reichweite 1

NVwZ 1991, 707

VersR 1991, 478

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge