Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Versicherungsleistung. Leistungsfreiheit des Versicherers. Klagefrist. Fristablauf. Erstmaliges Berufen auf Ablauf der Klagefrist. Materielle Ausschlussfrist. Disposition des Versicherers. Prüfung von Amts wegen. Unverzügliche Geltendmachung. Berufung auf Fristablauf in zweiter Instanz. Berufungsinstanz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Berufen auf den Ablauf einer zuvor nach § 12 Abs. 3 VVG gesetzten Klagfrist steht im Prozess zur Disposition des Versicherers. Das Gericht hat den Fristablauf deshalb nur dann zu beachten, wenn sich der Versicherer im Prozess ausdrücklich darauf beruft. Eine Prüfung von Amts wegen kommt insoweit nicht in Betracht (Fortführung von BGH, Urt. v. 27.11.1958 - II ZR 90/57, NJW 1959, 241).

2. Beruft ein Versicherer sich auf den Ablauf der Klagfrist erstmals in der Berufungsinstanz, so liegt allein darin weder ein (erstinstanzlich konkludent erklärter) Verzicht auf die sich aus § 12 Abs. 3 VVG ergebende Leistungsfreiheit noch ein Rechtsmissbrauch.

3. Auch die Auslegung des § 12 Abs. 3 VVG ergibt keine Verpflichtung des Versicherers, den Ablauf der Klagfrist im Prozess unverzüglich geltend zu machen.

 

Normenkette

VVG § 12 Abs. 3

 

Verfahrensgang

OLG Braunschweig (Urteil vom 24.11.2004; Aktenzeichen 3 U 232/03)

LG Göttingen (Aktenzeichen 2 O 540/02)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Braunschweig v. 24.11.2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Ende September 2001 zeigte er der Beklagten seine Berufsunfähigkeit an und beantragte deshalb im Oktober 2001 Versicherungsleistungen. Die Beklagte erklärte mit Schreiben v. 17.12.2001 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag, den sie mit weiterem Schreiben v. 1.3.2002, welches dem Kläger am 7.3.2002 zuging, damit begründete, der Kläger habe bei Beantragung des Versicherungsvertrages mehrere Krankenhausaufenthalte und eine neunjährige psychiatrische Betreuung verschwiegen. In dem Schreiben heißt es weiter:

"Da die verschwiegenen Umstände jetzt wesentlich für die Geltendmachung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung sind, treten wir ... von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zurück ...

Sollten Sie mit unserer Entscheidung nicht einverstanden sein, so müssten Sie Ihre vermeintlichen Ansprüche innerhalb einer Frist von 6 Monaten - gerechnet ab Zugang dieses Schreibens - gerichtlich gegen uns geltend machen. Versäumen Sie diese Frist, so sind wir gem. § 12 III Versicherungsvertragsgesetz allein schon wegen des Fristablaufs von der Verpflichtung zur Leistung frei."

Mit einem am 5.9.2002 beim LG seines Wohnortes eingegangenem Schreiben beantragte der Kläger Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Beklagte. Der Vorsitzende der mit dem Antrag befassten Zivilkammer wies den Kläger am 9.9.2002 auf die örtliche Zuständigkeit des für den Sitz der Beklagten zuständigen LG hin. In dem Schreiben wird deshalb ein "Abgabeantrag" angeregt. Es schließt mit dem Hinweis:

"Für die Wahrung der 6-Monatsfrist ist der Eingang Ihrer Anträge bei dem hiesigen Gericht ausschlaggebend."

Auf Antrag des Klägers wurde die Sache sodann an das für den Sitz der Beklagten örtlich zuständige LG abgegeben. Dieses forderte den Kläger mit Schreiben v. 20.9.2002 zunächst auf, Vertragsunterlagen und Schriftwechsel der Parteien als Anlagen nachzureichen, sowie den amtlichen Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ausgefüllt vorzulegen. Bei Gericht eingehend am 11.10.2002 reichte der Kläger den ausgefüllten Vordruck über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach. Mit Schreiben v. 24.1.2003 stellte das LG dem Kläger Prozesskostenhilfe für den Fall in Aussicht, dass er einen konkreten Klagantrag mitteile, und empfahl dem Kläger, nunmehr einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, der im Prozesskostenhilfeverfahren beigeordnet werden könne. Die daraufhin beauftragten Rechtsanwälte zeigten mit Schriftsatz v. 10.2.2003 die Vertretung des Klägers an und nahmen Mitte Februar 2003 Akteneinsicht. Mit Verfügung v. 14.4.2003 forderte das LG die Rechtsanwälte zur Einreichung eines Klagentwurfes bis zum 9.5.2003 auf. Am 9.5.2003 wurde der Entwurf vorgelegt. Mit Beschluss v. 27.5.2003 bewilligte das LG dem Kläger Prozesskostenhilfe. Die daraufhin am 4.6.2003 bei Gericht eingereichte Klagschrift wurde der Beklagten am 12.6.2003 zugestellt.

Das LG hat nach einer Beweisaufnahme den Rücktritt der Beklagten vom Versicherungsvertrag für wirksam erachtet und die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat sich die Beklagte auf die Nichteinhaltung der Klagfrist des § 12 Abs. 3 VVG berufen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers deshalb zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Ob die Beklagte wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten ist, hat das Berufungsgericht offen gelassen und stattdessen angenommen, sie sei bereits nach § 12 Abs. 3 VVG leistungsfrei. Im Schreiben v. 1.3.2002 habe sie die vom Kläger erhobenen Ansprüche endgültig abgelehnt und ihn ausreichend über die Rechtsfolgen des § 12 Abs. 3 VVG belehrt.

Da die Frist des § 12 Abs. 3 VVG eine materielle Ausschlussfrist sei, sei sie vom Gericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten. Darauf komme es hier aber letztlich nicht an, weil sich die Beklagte in zweiter Instanz auch auf die Versäumung der Klagfrist berufen habe und § 531 Abs. 2 ZPO der Berücksichtigung dieses unstreitigen Parteivorbringens nicht entgegenstehe. Unstreitig seien insoweit nicht nur die Berufung auf § 12 Abs. 3 VVG, sondern auch die Prozesstatsachen, auf die sich die Beklagte dabei stütze.

Das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers sei zwar zunächst noch innerhalb der 6-Monatsfrist des § 12 Abs. 3 VVG bei Gericht eingegangen, doch wahre ein Prozesskostenhilfegesuch die Frist im Ergebnis nur dann, wenn der Versicherungsnehmer nachfolgend alles ihm Zumutbare veranlasse, damit es "demnächst" i.S.v. § 270 ZPO a.F. zu einer Zustellung der Klage komme. Schuldhafte Versäumnisse seines Rechtsanwalts müsse er sich dabei nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Hier sei eine erhebliche und schuldhafte Verzögerung des Prozesskostenhilfeverfahrens - und damit auch der Klagzustellung - dadurch eingetreten, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers nach Akteneinsicht Mitte Februar 2003 den Klagentwurf nicht alsbald, sondern erst auf Grund der Verfügung des LG v. 14.4.2003 am 9.5.2003 eingereicht habe.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nur im Ergebnis stand.

1. Anders als die Revision meint, hat die Beklagte mit ihrem Schreiben v. 1.3.2002 die vom Kläger zuvor erhobenen Ansprüche auf Versicherungsleistungen abgelehnt, so dass der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 VVG eröffnet ist. Zwar wird in dem Schreiben vorwiegend der schon mit vorangegangenem Schreiben v. 17.12.2001 erklärte Rücktritt von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung näher begründet. Die Beklagte hat aber auch klar zum Ausdruck gebracht, dass die "verschwiegenen Umstände jetzt wesentlich für die Geltendmachung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung" seien. Verbunden mit der nachfolgenden Belehrung, nach der der Kläger seine "vermeintlichen Ansprüche" - und nicht etwa Einwendungen gegen den Rücktritt - innerhalb der Frist des § 12 Abs. 3 VVG gerichtlich geltend machen müsse, konnte ein verständiger Versicherungsnehmer das Schreiben nur dahin verstehen, dass darin nicht nur der Rücktritt begründet, sondern zugleich der erhobene Anspruch auf Versicherungsleistungen infolge des Rücktritts zurückgewiesen werden sollte. Gegen die von der Beklagten erteilte Rechtsfolgenbelehrung nach § 12 Abs. 3 S. 2 VVG bestehen keine rechtlichen Bedenken.

2. Der Kläger hat die Frist des § 12 Abs. 3 VVG versäumt.

a) Das Leistungsablehnungsschreiben der Beklagten ist ihm am 7.3.2002 zugegangen. Die Frist des § 12 Abs. 3 VVG lief deshalb am 7.9.2002 ab. Vor Fristablauf hat der Kläger seine Ansprüche nicht ordnungsgemäß gerichtlich geltend gemacht.

b) Zwar kann für die gerichtliche Geltendmachung auch die Einreichung eines Prozesskostenhilfegesuchs genügen (BGH v. 1.10.1986 - IVa ZR 108/85, BGHZ 98, 295 [300 f.] = MDR 1987, 212). Doch wahrt dieses eine gesetzliche Frist nach ständiger Rechtsprechung nur dann, wenn es vor Fristablauf in ordnungsgemäßer Form bei Gericht eingeht (vgl. für die Wiedereinsetzung nach der Versäumung von Rechtsmittelfristen BGH, Beschl. v. 19.5.2004 - XII ZA 11/03, BGHReport 2004, 1449 = FamRZ 2004, 1548, unter II 2; Beschl. v. 12.2.2003 - XII ZR 232/02, FamRZ 2003, 668; ständig für die Unterbrechung und Hemmung der Verjährung BGH v. 19.1.1978 - II ZR 124/76, BGHZ 70, 235 [237, 239]; Urt. v. 8.3.1989 - IVa ZR 221/87, MDR 1989, 720 = VersR 1989, 642; Urt. v. 29.10.2003 - IV ZR 26/03, FamRZ 2004, 177, unter II 1; für die Frist des § 12 Abs. 3 VVG BGH v. 1.10.1986 - IVa ZR 108/85, BGHZ 98, 295 [300 f.] = MDR 1987, 212; Urt. v. 8.3.1989 - IVa ZR 17/88, NJW-RR 1989, 675, unter 1). Dazu gehört gem. § 117 Abs. 2 und 4 ZPO, dass dem Gesuch der ausgefüllte Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt wird (BGH, Beschl. v. 19.5.2004 - XII ZA 11/03, BGHReport 2004, 1449 = FamRZ 2004, 1548, m.w.N.; Beschl. v. 31.8.2005 - XII ZR 116/05, unter II 2b).

c) Daran fehlt es hier. Der Kläger hat den ausgefüllten Vordruck über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erst nach gerichtlicher Aufforderung am 11.10.2002 - und damit nach dem schon am 7.9.2002 eingetretenen Fristablauf - zur Akte nachgereicht. Zuvor hatte er zwar bereits einen Leistungsbescheid der zuständigen Sozialbehörde über ihm gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt und Mietzuschuss nach den Bestimmungen des Sozialhilfegesetzes vorgelegt. Auch dieser Bescheid war aber für sich allein zur ordnungsgemäßen Darlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ausreichend und überdies erst mit Schriftsatz v. 12.9.2002 - und damit ebenfalls nach Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 VVG - bei Gericht eingegangen.

d) Auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob daran festzuhalten sei, dass ein (ordnungsgemäßes) Prozesskostenhilfegesuch die Frist des § 12 Abs. 3 VVG nur dann wahre, wenn der Versicherungsnehmer alles ihm Zumutbare für eine Klagzustellung "demnächst" unternehme (BGH v. 1.10.1986 - IVa ZR 108/85, BGHZ 98, 295 [301] = MDR 1987, 212; OLG Düsseldorf ZfS 2004, 477; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 12 Rz. 64, m.w.N.), kommt es danach nicht mehr an. Ebenso wenig ist es für die Entscheidung noch von Bedeutung, dass das vom Kläger zunächst angerufene LG seines Wohnortes mit dem Hinweis, für die Wahrung der 6-Monatsfrist sei der Eingang des Prozesskostenhilfeantrags bei Gericht "ausschlaggebend", dem Kläger den Blick darauf verstellt haben kann, dass er (auch bei einem ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfegesuch) gehalten gewesen wäre, im Weiteren für die baldige Zustellung ("demnächst") durch zumutbare Anstrengungen Sorge zu tragen.

3. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, um zunächst die Frage zu klären, ob die Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 12 Abs. 3 VVG nur dann eintritt, wenn sich der Versicherer im Prozess darauf beruft (BGH, Urt. v. 27.11.1958 - II ZR 90/57, NJW 1959, 241; OLG Hamm r+s 1991, 361; ÖOGH SZ 56/23; Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 12 Rz. 32) oder ob der Ablauf einer vom Versicherer nach § 12 Abs. 3 VVG ordnungsgemäß in Lauf gesetzten Frist vom Gericht von Amts wegen beachtet werden muss (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 12 Rz. 45, m.w.N.; Gruber in BK, VVG, § 12 Rz. 45, m.w.N.; KG v. 28.6.1983 - 6 U 6327/82, VersR 1984, 977).

a) Der Senat hält daran fest, dass die Berufung auf den Fristablauf zur Disposition des Versicherers steht (BGH, Urt. v. 27.11.1958 - II ZR 90/57, NJW 1959, 241). Daraus folgt, dass das Gericht den Fristablauf nur dann zu beachten hat, wenn sich der Versicherer im Prozess ausdrücklich darauf beruft. Denn die Frist des § 12 Abs. 3 VVG ist allein im Interesse des Versicherers geschaffen; ihm allein überlässt es das Gesetz, ob und wann er die Frist durch seine - mit einer Rechtsfolgenbelehrung verbundene - Erklärung in Lauf setzt. Ihm steht es auch danach noch offen, die in Lauf gesetzte Frist nachträglich durch einseitige Erklärung zu verlängern (Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 12 Rz. 32; Schlegelmilch in Beckmann/Matuschke-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, § 21 Rz. 150) oder auch erneut in Lauf zu setzen. Es ist deshalb Sache des Versicherers, im gerichtlichen Verfahren klarzustellen, dass er sich auf den Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 VVG berufen will; eine Prüfung von Amts wegen kommt insoweit nicht in Betracht.

b) Im Ergebnis kommt es darauf hier aber nicht einmal an, weil sich die Beklagte in zweiter Instanz auf den Ablauf der nach § 12 Abs. 3 VVG gesetzten Frist berufen hat und ihr diese Verteidigung weder wegen prozessualer Verspätung noch infolge eines Verzichts oder wegen Rechtsmissbrauchs abgeschnitten war.

aa) Zu Recht hat das Berufungsgericht die erst in zweiter Instanz nachgeholte Berufung der Beklagten auf den Ablauf der Klagfrist zugelassen. § 531 Abs. 2 ZPO stand dem insoweit unstreitigen Vorbringen der Beklagten nicht entgegen (BGH, Urt. v. 18.11.2004 - IX ZR 229/03, BGHReport 2005, 318 m. Anm. Schultz = MDR 2005, 527 m. Anm. Timme = WM 2005, 99, unter II 2). Unstreitig waren hier sowohl der Umstand, dass sich die Beklagte in zweiter Instanz auf den Fristablauf berufen wollte, als auch die aus der Akte ersichtlichen Prozesstatsachen, aus denen sich die Fristversäumnis des Klägers ergibt.

bb) Im Übrigen gilt: Der Versicherer kann sich so lange auf den sich aus § 12 Abs. 3 VVG für ihn ergebenden Rechtsvorteil berufen, wie er ihn nicht verloren hat. Allein der Beginn eines Rechtsstreits über den vom Versicherungsnehmer erhobenen Anspruch auf Versicherungsleistungen kann den Rechtsverlust, der nach materiellem Recht zu beurteilen ist, nicht herbeiführen (vgl. für das Berufen auf Obliegenheitsverletzungen Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rz. 140).

(1) Der teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, es könne ohne weiteres als Verzicht des Versicherers auf die sich aus § 12 Abs. 3 VVG ergebende Leistungsfreiheit verstanden werden, wenn er sich in Kenntnis der Fristüberschreitung im Rechtsstreit erster Instanz nicht darauf berufe (OLG Saarbrücken r+s 1994, 196 [197]; OLG Koblenz v. 20.11.1981 - 10 U 464/81, VersR 1982, 260; ähnlich für Obliegenheitsverletzungen OLG Düsseldorf v. 4.8.1992 - 4 U 30/92, VersR 1993, 425; a.A. OLG Schleswig v. 16.6.1993 - 9 U 37/91, VersR 1994, 169, mit zust. Anm. Schmalzl, VersR 1994, 853), ist nicht zu folgen.

Der Verzicht ist eine rechtsgestaltene Willenserklärung, mit der der Erklärende eine ihm günstige Rechtsposition endgültig aufgibt. Das setzt einen in der Erklärung zum Ausdruck kommenden Verzichtswillen voraus. Insoweit ist das Gebot einer interessegerechten Auslegung in besonderem Maße zu beachten (BGH, Urt. v. 15.1.2002 - X ZR 91/00, BGHReport 2002, 444 = MDR 2002, 749 = WM 2002, 822, unter 4, m.w.N.). Hat der Erklärende eine ihm günstige Rechtsposition erlangt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass er sie nicht einfach wieder aufgeben will (BGH, Urt. v. 15.1.2002 - X ZR 91/00, BGHReport 2002, 444 = MDR 2002, 749 = WM 2002, 822, m.w.N.). Ein Verzicht ist deshalb nach der Rechtsprechung des BGH im Allgemeinen nicht zu vermuten (BGH, Urt. v. 16.11.1993 - XI ZR 70/93, MDR 1994, 156 = WM 1994, 13, unter II 2b). Gerade dann, wenn ein stillschweigender Verzicht angenommen werden soll, erfordert dies ein Verhalten, aus dem - nach Bewertung aller Fallumstände - unzweideutig der Wille entnommen werden kann, die günstige Rechtsposition aufzugeben (BGH, Urt. v. 16.11.1993 - XI ZR 70/93, MDR 1994, 156 = WM 1994, 13). Es müssen dann zum Schweigen ganz besondere Umstände hinzutreten, denen der Erklärungsgegner einen solchen Aufgabewillen entnehmen kann. Regelmäßig wird die Annahme eines stillschweigenden Verzichts schon dann ausscheiden, wenn kein nachvollziehbares Motiv dafür zu erkennen ist (BGH, Urt. v. 10.5.2001 - VII ZR 356/00, MDR 2001, 859 = BGHReport 2001, 670 = WM 2001, 1387, unter II 1b).

Nach diesen Maßstäben kann allein der Umstand, dass sich ein Versicherer im Rechtsstreit erster Instanz trotz vorangegangener Fristsetzung nach § 12 Abs. 3 VVG (noch) nicht auf dessen Rechtsfolge beruft, nicht als Verzicht verstanden werden, denn der Versicherer kann sich aus unterschiedlichen Gründen so verhalten. Er kann beispielsweise vorrangig die Klärung anderweitiger Fragen bezwecken oder glauben, den Rechtsstreit auch aus anderen Gründen zu gewinnen (OLG Hamm v. 16.9.1994 - 20 U 11/94, VersR 1995, 819). Er kann ferner im Zweifel darüber sein, ob die gerichtliche Geltendmachung der vom Versicherungsnehmer erhobenen Ansprüche den rechtlichen Anforderungen an die Rechtzeitigkeit genügt. Ein anderes Verständnis seines Verhaltens kommt nur dort in Betracht, wo besondere Umstände hinzutreten, aus denen mit ausreichender Sicherheit auf einen Rechtsaufgabewillen geschlossen werden kann.

Solche besonderen Umstände sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

(2) Auch der Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs kann nicht allein daran geknüpft werden, dass sich die Beklagte erst in zweiter Instanz auf den Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 VVG berufen hat.

Soweit zur Prüfung der Leistungsfreiheit streitiger Parteivortrag berücksichtigt werden muss, ergibt sich ein ausreichendes Korrektiv für die späte Geltendmachung aus den Präklusionsvorschriften der Zivilprozessordnung. Ein Rechtsmissbrauch i.S.d. § 242 BGB kann erst dann gegeben sein, wenn besondere Umstände hinzutreten, die geeignet sind, ein Vertrauen des Versicherungsnehmers darauf zu begründen, der Versicherer werde trotz vorangegangener Fristsetzung und Rechtsfolgenbelehrung die ihm daraus erwachsenden Rechtsvorteile nicht mehr in Anspruch nehmen. Dass der Versicherer sich gegen den erhobenen Anspruch auf Versicherungsleistungen zunächst mit anderen Verteidigungsmitteln zur Wehr setzt, begründet für sich genommen ein solches Vertrauen nicht. Insoweit gelten dieselben Erwägungen, die auch der Annahme eines Verzichts des Versicherers entgegenstehen.

(3) Der Senat hat schließlich erwogen, ob § 12 Abs. 3 VVG dahin auszulegen ist, dass der Versicherer verpflichtet sei, die Versäumung einer zuvor gesetzten Klagfrist im Prozess unverzüglich geltend zu machen. Dafür könnte allenfalls sprechen, dass der Gesetzgeber mit der Regelung den Zweck verfolgt hat, im Interesse des Versicherers eine schnelle und endgültige Klärung herbeizuführen, ob eine Leistungsablehnung Bestand hat, und dem Versicherer so die Übersicht über seine Verbindlichkeiten zu erleichtern (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 12 Rz. 21, m.w.N.; Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 12 Rz. 32).

Der Versicherer setzt sich zu diesem Normzweck aber nicht in Widerspruch, wenn er sich im Prozess auf den Ablauf einer zuvor gesetzten Klagfrist erst in zweiter Instanz beruft. § 12 Abs. 3 VVG dient allein seinem Interesse und ist lediglich darauf gerichtet, nach einer Leistungsablehnung eine schnelle Entscheidung des Versicherungsnehmers darüber zu erzwingen, ob dieser seinen Anspruch gerichtlich geltend machen will oder nicht. Kommt es zum Rechtsstreit, so weiß der Versicherer, dass seine Leistungsablehnung einer gerichtlichen Prüfung unterzogen wird. Sein von § 12 Abs. 3 VVG geschütztes Informationsbedürfnis ist damit erfüllt. Eine Pflicht, den sich aus § 12 Abs. 3 VVG ergebenden Rechtsvorteil im Rechtsstreit umgehend geltend zu machen, lässt sich der Regelung nicht entnehmen, sie entspräche auch häufig nicht dem Interesse des Versicherungsnehmers.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1458904

NJW 2006, 298

BGHR 2006, 225

BauR 2006, 421

ZAP 2006, 311

MDR 2006, 150

VersR 2006, 57

VuR 2006, 38

ZfS 2006, 153

VK 2006, 6

r+s 2006, 59

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