Leitsatz (amtlich)

BeurkG § 17

Der Urkundsnotar hat sich über den Inhalt der von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen zu unterrichten und diesen bei der Errichtung der erbetenen Urkunde zu berücksichtigen, soweit dies die Klärung derjenigen Tatsachen erfordert, die für die Errichtung einer wirksamen, dem Willen der Beteiligten entsprechenden Urkunde bedeutsam sind.

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 27.04.1994)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 27. April 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt vom beklagten Notar Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung.

Am 4. Juli 1991 beurkundete der Beklagte einen Vertrag, in dem die Klägerin ihre Grundstücke von insgesamt 11.187 qm in Berlin-W… zu einem Preis von 380 DM je qm an drei Bauinteressenten verkaufte. Mitverkauft wurden – in diesem Vertrag nicht im einzelnen aufgeführte – Grundstücksteile von 511 qm, die in zwei – bei der Beurkundung vorliegenden – Auszügen “aus dem Liegenschaftsbuch/Grundbuch” des Vermessungs- und Liegenschaftsamtes als “VS (21) = Straßenverkehrsflächen” bezeichnet waren. Dabei handelte es sich um Grundeigentum der Klägerin, das dem öffentlichen Verkehr dient; dies war aus dem Grundbuch nicht ersichtlich. Nachdem ein Käufer deswegen gegenüber dem Beklagten eine Kaufpreisminderung geltend gemacht hatte, schrieb dieser der Klägerin am 4. März 1992 u.a. folgendes:

“Zwischen den Parteien müßte geklärt werden, welche Grundstücksflächen Straßenland sind bzw. als Straßenland nicht der Nutzung der Käufer zur Verfügung stehen und somit den Kaufpreis mindern könnten. …

Sofern diese Flächen den Käufern nicht zur Verfügung stehen, müßte der Kaufpreis um DM 194.180, – gemindert werden.”

Mit Schreiben vom 11. März 1992 antwortete die Klägerin, gemäß Absprache mit einem Käufer bitte sie, eine Abmachung zu formulieren, in der die Straßenflächen von 511 qm zu je 380 DM vom Kaufpreis abgezogen werden sollten. Daraufhin schrieb der Beklagte der Klägerin am 12. März 1992 u.a. folgendes:

“Von der im Kaufvertrag angegebenen Fläche von

11.187 qm

betreffen, wie die Parteien übereinstimmend erklären,

511 qm

Straßenland, welches nicht verkauft werden kann.

Insoweit wird die Verkäuferin einen Anspruch auf Entschädigung gegenüber dem Land Berlin geltend machen müssen.

Verkauft werden kann somit von der Verkäuferin nur eine Fläche von

10.676 qm.”

Am 17. März 1992 beurkundete der Beklagte einen “Ergänzungsvertrag”, in dem die Verkehrsflächen vom Verkauf ausgenommen und deswegen der Kaufpreis um 194.180 DM gesenkt wurden.

Die Klägerin hat vom Beklagten Ersatz dieses Betrages, der Gebühr von 482,22 DM für die Zweitbeurkundung und entgangenen Zinsgewinns von 37.335,16 DM verlangt Zug um Zug gegen Übereignung des Straßenlandes. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Kammergericht hat sie abgewiesen, soweit der Beklagte nicht den Anspruch auf Erstattung der Gebühr von 482,22 DM anerkannt hatte. Mit der Revision begehrt die Klägerin, das Urteil des Landgerichts wiederherzustellen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache.

Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den beklagten Notar aus § 19 Abs. 1 BNotO verneint, weil kein Ursachenzusammenhang zwischen einer Amtspflichtverletzung des Beklagten und dem geltend gemachten Schaden bestehe. Dazu hat es ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob die Klägerin nur aufgrund der teilweise objektiv fehlerhaften Erklärungen des Beklagten – nach der Erstbeurkundung – den Ergänzungsvertrag geschlossen habe. Die Klägerin sei ohnehin verpflichtet gewesen, ihren Kaufpreisanspruch herabzusetzen. Es sei ein Rechtsmangel des verkauften Grundstücks gewesen, daß dieses teilweise dem öffentlichen Verkehr diene. Sollte es sich um einen Sachmangel gehandelt haben, so sei der vereinbarte Gewährleistungsausschluß im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung dahin zu werten, daß keine Vertragspartei den Mangel auf die Käufer habe abwälzen wollen. Es müsse mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß die Klägerin gegen einen Käufer den vereinbarten Kaufpreis je qm nicht für das Straßenland hätte durchsetzen wollen, wenn diese Eigenschaft bereits bei Vertragsschluß zutage getreten wäre.

Diese Erwägungen rechtfertigen keine Abweisung der Klage. Die bisherigen tatrichterlichen Feststellungen schließen einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten nicht aus.

I.

Die Revision rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe übersehen, daß der Beklagte schon bei der Beurkundung des Kaufvertrages eine ihm gegenüber der Klägerin obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt und dies nach dem Vorbringen der Klägerin den geltend gemachten Schaden verursacht habe.

Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung stützt die Revision diesen Vorwurf nicht auf neues Vorbringen. Die Klägerin hat bereits im ersten Rechtszug geltend gemacht, dem Beklagten seien im Vorfeld des Vertragsschlusses, bei der Beurkundung des Kaufvertrages vom 4. Juli 1991 und bei Vollzug dieses Vertrages schwere Fehler unterlaufen; weder bei den Vertragsverhandlungen noch bei Vertragsabschluß sei von den Vertragspartnern und dem Beklagten zwischen Straßenland und anderen Flächen unterschieden worden (Schriftsatz der Klägerin vom 22. Juli 1993). Der Beklagte hat behauptet, weder er als beurkundender Notar noch die Vertragsparteien hätten erkannt, daß ein Teil des verkauften Grundbesitzes Straßenland sei; man möge ihm – dem Beklagten – mit der Klägerin vorhalten, daß er dies aus den in Kopie vorliegenden Liegenschaftsblättern hätte erkennen können (Schriftsätze vom 27. Oktober 1993 und 9. März 1994).

1. Der Beklagte hat gegen seine Prüfungs- und Belehrungspflicht gemäß § 17 BeurkG verstoßen, indem er aus den bei der Beurkundung vorliegenden amtlichen Auszügen “aus dem Liegenschaftsbuch/Grundbuch” nicht ersehen hat, daß mitverkaufte Grundstücksflächen Straßenland waren, und die Beteiligten nicht darauf hingewiesen hat.

Nach dieser Vorschrift soll der Notar den Willen der Beteiligten erforschen, den Sachverhalt klären, die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts belehren und ihre Erklärungen klar und unzweideutig in der Niederschrift wiedergeben; dabei soll er darauf achten, daß Irrtümer und Zweifel vermieden sowie unerfahrene und ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt werden; bestehen Zweifel, ob das Geschäft dem Gesetz oder dem wahren Willen der Beteiligten entspricht, so sollen die Bedenken mit den Beteiligten erörtert werden. Diese Amtspflicht soll gewährleisten, daß der Notar eine rechtswirksame Urkunde errichtet, die den wahren Willen der Beteiligten wiedergibt (BGH, Urt. v. 28. April 1994 – IX ZR 161/93, NJW 1994, 2283). Der Notar kann den Willen der Beteiligten nur dann richtig erfassen und in die passende rechtliche Form kleiden, wenn er den zugrundeliegenden Sachverhalt kennt. Deshalb muß er den Tatsachenkern des zu beurkundenden Geschäfts aufklären. Der Notar darf sich regelmäßig auf die tatsächlichen Angaben der Beteiligten ohne eigene Nachprüfung verlassen. Er muß allerdings bedenken, daß Beteiligte entscheidende Umstände, auf die es für das Rechtsgeschäft ankommen kann, möglicherweise nicht erkennen oder rechtliche Begriffe, die auch unter Laien gebräuchlich sind und die sie ihm als Tatsachen vortragen, möglicherweise falsch verstehen (BGH, Urt. v. 6. November 1986 – IX ZR 125/85, VersR 1987, 461, 462; v. 7. Februar 1991 – IX ZR 24/90, WM 1991, 1046, 1048). Deswegen hat der Notar sich über den Inhalt der von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen zu unterrichten und diesen bei der Errichtung der erbetenen Urkunde zu berücksichtigen, soweit dies die Klärung derjenigen Tatsachen erfordert, die für die Errichtung einer wirksamen, dem Willen der Beteiligten entsprechenden Urkunde bedeutsam sind. Dies ist im Rahmen der allgemeinen Betreuungspflicht des Notars (§ 14 Abs. 1 BNotO) anerkannt (BGH, Urt. v. 10. November 1988 – IX ZR 31/88, WM 1988, 1853, 1855; v. 13. Juni 1995 – IX ZR 203/94, WM 1995, 1502, 1503 f), muß aber auch für die Prüfungs- und Belehrungspflicht gemäß § 17 BeurkG gelten, weil diese sonst nicht ordnungsgemäß erfüllt werden kann (Reithmann in: Reithmann/Röll/Geßele, Handbuch der Notariellen Vertragsgestaltung 6. Aufl. Rdnr. 208; Ganter WM 1993 Sonderbeilage zu WM Nr. 1 S. 5). Eine regelungsbedürftige Frage muß der Notar ansprechen, dazu den Willen der Parteien in Erfahrung bringen, die notwendige Belehrung erteilen und bei Bedarf entsprechende Regelungen vorschlagen; der Notar darf nicht erwarten, daß die Beteiligten diese Fragen selbst erkennen und zur Erörterung stellen (BGH, Urt. v. 27. Oktober 1994 – IX ZR 12/94, WM 1995, 118, 120; Huhn/v. Schuckmann, BeurkG 2. Aufl. § 17 Rdnr. 25).

Der Beklagte hätte sich vor der Beurkundung des Kaufvertrages am 4. Juli 1991 über den Inhalt der – ihm damals vorliegenden – amtlichen Auszüge “aus dem Liegenschaftsbuch/Grundbuch” unterrichten müssen, um gemäß § 17 BeurkG den Sachverhalt zu klären, den die Beteiligten in der zu errichtenden Urkunde rechtlich regeln wollten. Unstreitig haben die Beteiligten gegenüber dem Beklagten zu jenem Zeitpunkt keine näheren Angaben über die Art und Beschaffenheit der Kaufgrundstücke gemacht. Der Beklagte hat diese Unterlagen bei der Errichtung der Urkunde verwendet; in § 1 des Kaufvertrages wurden die verkauften Grundstücke mit denselben Nummern des Liegenschaftsbuches bezeichnet, die die beiden amtlichen Auszüge “aus dem Liegenschaftsbuch/Grundbuch” tragen. Hätte der Beklagte diese – insgesamt vier Seiten umfassenden – Unterlagen mit der gebotenen Sorgfalt durchgesehen, so hätte er unschwer erkannt, daß ein Teil der verkauften Grundstücke als “VS (21) = Straßenverkehrsflächen” gekennzeichnet waren. Dieser Umstand betraf den Kern des beabsichtigten Vertrages und war daher eine regelungsbedürftige Frage. Diese hatte der Beklagte mit den Beteiligten zu erörtern, gleichgültig, ob die Klägerin damals gewußt hat, daß ein Grundstücksteil Straßenland war. Es war zu klären, ob auch dieser Teil des Grundeigentums der Klägerin trotz seiner öffentlich-rechtlichen Nutzungsbeschränkung Kaufgegenstand sein sollte und ob gegebenenfalls dafür der vereinbarte Kaufpreis von 380 DM je qm zu zahlen war. Diese Prüfungs- und Belehrungspflicht hat der Beklagte nicht mit dem – in § 1 des Vertrages niedergelegten – allgemeinen Hinweis erfüllt, außerhalb des Grundbuchs könnten Belastungen vorliegen, die aus diesem nicht ersichtlich seien.

2. Diese Amtspflichtverletzung des Beklagten beruht auf Fahrlässigkeit (§ 276 BGB) Bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte er die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens erkennen und die sich daraus ergebenden Folgen für die Klägerin vermeiden können und müssen.

Der Grundsatz, daß ein Verschulden des Notars ausscheiden kann, wenn sein Verhalten durch ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht als objektiv rechtmäßig bewertet wurde, ist nur eine allgemeine Richtlinie für die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts im Einzelfall und unanwendbar, wenn das Gericht in entscheidenden Punkten von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist oder diesen – wie im vorliegenden Falle – nicht erschöpfend gewürdigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 14. Mai 1992 – IX ZR 262/91, WM 1992, 1533, 1536).

3. Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, was geschehen wäre, wenn der Beklagte bei der Beurkundung des Kaufvertrages die vorgelegten Unterlagen durchgesehen und die daraus ersichtliche Straßeneigenschaft eines Grundstücksteils mit den Beteiligten erörtert hätte.

Entgegen der Ansicht der Revision hat die Klägerin den Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beklagten und dem geltend gemachten Schaden darzulegen und zu beweisen; diese Last kann erleichtert werden durch Anwendung des § 287 ZPO und der Regeln über den Beweis des ersten Anscheins (vgl. BGHZ 123, 311; 126, 217; BGH, Urt. v. 5. November 1992 – IX ZR 12/92, WM 1993, 382; v. 27. Mai 1993 – IX ZR 66/92, WM 1993, 1513, 1516).

Die Klägerin hat dazu unter Beweisantritt und Bezugnahme auf das Schreiben der S.B… Berlin GmbH vom 21. Juni 1991 (GA I 134) behauptet (GA I 97, 109, 111, 132): Sie habe nur das gesamte Grundstück zum Kaufpreis von 380 DM je qm verkaufen wollen; sie habe Interessenten – u.a. die genannte GmbH – gehabt, die zu einem entsprechenden Kauf bereit gewesen seien. Das hätten die Käufer bei Vertragsschluß gewußt. Diesen sei damals gleichgültig gewesen, ob zum Grundbesitz der Klägerin auch Straßenland gehört habe, weil sie dieses auf jeden Fall zum vereinbarten Preis gekauft hätten.

Bei Richtigkeit dieses Vorbringens wäre der geltend gemachte Schaden der Klägerin nicht eingetreten. Da der Beklagte diesem Vortrag entgegengetreten ist, sind insoweit tatsächliche Feststellungen erforderlich. Die – in anderem Zusammenhang geäußerte – Annahme des Berufungsgerichts, es müsse mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß die Klägerin, wäre die Straßenlandeigenschaft bei Vertragsschluß zutage getreten, gegenüber den Käufern den vereinbarten Kaufpreis für die Verkehrsfläche nicht hätte durchsetzen wollen, ist eine Vermutung ohne ausreichende tatsächliche Grundlage.

4. Das Berufungsgericht hat – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – weiterhin nicht geprüft, ob eine Schadensersatzpflicht des Beklagten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO entfällt.

Danach haftet ein Urkundsnotar aus einer fahrlässigen Amtspflichtverletzung nur dann, wenn der Geschädigte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Entgegen der Ansicht der Revision hat der Anspruchsteller das Fehlen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit darzulegen und zu beweisen (BGHZ 102, 246, 249). Negative Anspruchsvoraussetzungen sind diejenigen Ersatzmöglichkeiten, die sich aus dem Sachverhalt selbst ergeben, demselben Tatsachenkreis entsprungen sind, aus dem sich die Schadenshaftung des Notars ergibt, und begründete Aussicht auf Erfolg bieten. Ist eine solche andere Ersatzmöglichkeit nicht auszuschließen, so ist die Klage gegen den Notar als zur Zeit unbegründet abzuweisen (BGH, Urt. v. 14. Mai 1992 – IX ZR 262/91, aaO 1537; v. 24. Juni 1993 – IX ZR 84/92, NJW 1993, 2741, 2743; v. 27. Mai 1993 – IX ZR 66/92, aaO 1517).

Die Klägerin kann nach ihrem eigenen Vorbringen einen Ersatzanspruch gegen einen Dritten haben. Sie hat behauptet, sie sei bis zum Abschluß des Kaufvertrages vom 4. Juli 1991 durch Rechtsanwalt und Notar S… beraten worden (GA I 100). Sollten – dafür spricht der Klagevortrag (GA I 96) – die Auszüge aus dem Liegenschaftsbuch auch diesem Anwaltsnotar vorgelegen haben, so hätte auch dieser – ebenso wie der Beklagte – daraus erkennen können und müssen, daß der Kaufgegenstand teilweise Straßenverkehrsflächen umfaßte, und zur Klärung der sich daraus ergebenden Fragen beitragen können und müssen. Insoweit ist allerdings noch zu klären, ob dieser Anwaltsnotar als Rechtsanwalt oder als Notar für die Klägerin tätig geworden ist. Sollte dies ausschließlich als Notar geschehen sein, so könnte Notar S… wegen einer eigenen fahrlässigen Amtspflichtverletzung selbst auf seine Subsidiärhaftung verweisen, so daß eine Haftung des Beklagten nicht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO entfiele (vgl. BGH, Urt. v. 14. Mai 1992 – IX ZR 262/91, aaO). Bisher fehlen sichere Anhaltspunkte für eine reine Notartätigkeit. Betreut ein Anwaltsnotar einen Beteiligten auf dem Gebiet vorsorgender Rechtspflege, so ist anzunehmen, daß er als Notar tätig wird, wenn die Handlung bestimmt ist, Amtsgeschäfte der in den §§ 20 – 23 BNotO bezeichneten Art – also auch eine Beurkundung (§ 20 BNotO) – vorzubereiten oder auszuführen; im übrigen ist im Zweifel anzunehmen, daß er als Rechtsanwalt tätig geworden ist (§ 24 Abs. 1, 2 BNotO). Entscheidend ist danach für die Abgrenzung zwischen notarieller und anwaltlicher Tätigkeit die Art des ausgeübten Geschäfts; wird ein Anwaltsnotar als einseitiger Interessenvertreter seines Auftraggebers tätig, so handelt er im Zweifel als Rechtsanwalt und nicht als Notar, der im Rahmen vorsorgender Rechtspflege gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO unparteiischer Betreuer aller Beteiligten ist (BGH, Urt. v. 14. Mai 1992 – IX ZR 262/91, aaO m.w.N.). Auf diesen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt, den sie erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, hätte die Klägerin hingewiesen werden müssen (§§ 139, 278 Abs. 3 ZPO). Ihr muß deswegen noch Gelegenheit gegeben werden, im einzelnen vorzutragen, welchen Auftrag sie Rechtsanwalt und Notar S… im Zusammenhang mit dem Abschluß des Kaufvertrages erteilt hat und welche Tätigkeiten dieser insoweit entfaltet hat.

Sollte es sich um eine anwaltliche Tätigkeit gehandelt haben und ein daraus begründeter Ersatzanspruch der Klägerin verjährt sein (§ 51 BRAO a.F. = § 51b BRAO n.F.), so entfiele eine Haftung des Beklagten, wenn die Klägerin die anderweitige Ersatzmöglichkeit schuldhaft versäumt hätte (vgl. dazu im einzelnen BGH, Urt. v. 22. Juni 1995 – IX ZR 122/94, NJW 1995, 2713, 2714, m.w.N.).

II.

Erfolglos beanstandet die Revision dagegen die Annahme des Berufungsgerichts, teilweise objektiv fehlerhafte Erklärungen des Beklagten zwischen den beiden Beurkundungen hätten den geltend gemachten Schaden nicht verursacht.

Insoweit bezieht sich die Revision auf die Schreiben des Beklagten an die Klägerin vom 4. und 12. März 1992, die falsche Rechtsauskünfte enthalten sollen. Diese Mitteilungen beruhten – entgegen der Ansicht des Landgerichts – nicht auf einem selbständigen Betreuungsauftrag im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 BNotO, sondern standen noch in unmittelbarem Zusammenhang mit der Urkundstätigkeit des Beklagten (vgl. BGH, Urt. v. 12. Juli 1977 – VI ZR 61/76, WM 1977, 1259, 1260; v. 14. Mai 1992 – IX ZR 262/91, aaO 1534; Seybold/Schippel/Reithmann, BNotO 6. Aufl. § 24 Rdnr. 14). Die Auskunft im Schreiben vom 4. März 1992, die Käufer könnten den Kaufpreis um 194.180 DM mindern, sofern ihnen das – ebenfalls zu 380 DM je qm verkaufte – Straßenland von 511 qm nicht zur Nutzung zur Verfügung stehe, war richtig, wie noch ausgeführt wird. Es kann dahinstehen, ob die Mitteilung im Schreiben vom 12. März 1992, das Straßenland könne nicht verkauft werden, unzutreffend war. Nach dem Vorbringen der Parteien in den Vorinstanzen durfte die Klägerin damals ihr Privateigentum an den dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßenflächen veräußern; nach Ansicht der Revisionserwiderung wurde dies erst zulässig auf Grund des Berliner Vierten Gesetzes zur Aufhebung von Rechtsvorschriften vom 25. Juni 1992 (GVBl 1992, 204 i.V.m. Nr. 36, 37 der Anlage zu § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes). Jedenfalls hat eine aus einer falschen Auskunft folgende Pflichtverletzung aber den geltend gemachten Schaden nicht herbeigeführt, der nach dem Klagevortrag darin besteht, daß im “Ergänzungsvertrag” vom 17. März 1992 die Straßenflächen mit ihrem Kaufpreisanteil aus dem Kaufvertrag herausgenommen wurden und daß der Klägerin bezüglich dieses Betrages Zinsgewinne entgangen sind.

Den Käufern stand das in diesem Vertrag ausgeübte Recht zur Minderung des Kaufpreises zu. Dafür kann dahinstehen, ob die öffentlich-rechtliche Nutzungsbeschränkung der Straßenflächen ein Rechts- oder Sachmangel des entsprechenden Teils der Kaufsache war. Handelte es sich um einen Rechtsmangel, so ergab sich das Minderungsrecht aus §§ 434, 440 Abs. 1 in Verbindung mit § 323 Abs. 1 BGB. Lag ein Sachmangel vor, so folgte dieses Recht aus §§ 459, 462, 465, 472, 474 BGB. Das Berufungsgericht hat zwar – in anderem Zusammenhang – offengelassen, ob den Käufern infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist, daß der Kaufgegenstand teilweise Straßenland umfaßte. Selbst wenn dies zugunsten der Klägerin unterstellt wird, so entfällt aber deren Gewährleistungspflicht nicht gemäß § 460 Satz 2 BGB, weil die Klägerin in § 1 Abs. 3, § 5 Satz 1 des Kaufvertrages die Abwesenheit von Nutzungsbeschränkungen zugesichert hat. Aus diesen Vertragsbestimmungen ergibt sich zugleich, daß – entgegen der Auslegung im Urteil des Landgerichts, das die Erklärung der Klägerin in § 1 Abs. 3 des Vertrages nicht berücksichtigt hat – eine öffentlichrechtliche Nutzungsbeschränkung nach dem Willen der Vertragspartner nicht unter den Gewährleistungsausschluß gemäß § 4 des Kaufvertrages fallen sollte.

III

Danach beruht das angefochtene Urteil auf einem Rechtsfehler, so daß es aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§§ 564, 565 ZPO). Sollte sich nach den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen eine Haftung des Beklagten ergeben, so wäre noch zu prüfen, ob der Klägerin ein schadensursächliches Mitverschulden vorzuwerfen ist (§ 254 BGB; vgl. BGH, Urt. v. 7. Januar 1993 – IX ZR 199/91, WM 1993, 1189, 1192). Dies kommt in Betracht, wenn sie – gemäß ihrem ursprünglichen Vorbringen (GA I 109) – bei Vertragsschluß gewußt hat, daß ein Teil ihrer zu verkaufenden Grundstücke Straßenland war, und sie dennoch weder den Beklagten noch die Käufer darauf vor der Beurkundung hingewiesen hat oder wenn eine – später behauptete (GA I 116) – Unkenntnis darauf beruht, daß die Klägerin die im eigenen Interesse gebotene Sorgfalt außer acht gelassen hat.

 

Unterschriften

Brandes, Stodolkowitz, Zugehör, Ganter

RiBGH Dr. Kreft ist urlaubshalber verhindert zu unterschreiben

Brandes

 

Fundstellen

Haufe-Index 1384495

BB 1996, 1798

NJW 1996, 520

DNotZ 1996, 563

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