Leitsatz (amtlich)

›Zur Obliegenheit eines wiederverheirateten Elternteils, für den Barunterhalt eines minderjährigen Kindes aus der früheren Ehe auch das Taschengeld einzusetzen.‹

 

Tatbestand

Der am 4. November 1968 geborene Kläger ist Sohn der Beklagten aus ihrer im Jahre 1979 geschiedenen ersten Ehe. Er lebt im Haushalt des Vaters, dem die elterliche Sorge obliegt und der als Disponent berufstätig ist (durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen: 1980: 3.274,79 DM; 1981: 2.870,60 DM; 1982: 2.600 DM; 1983: 3.170 DM; 1984: 3.600 DM).

Die im Jahre 1944 geborene Beklagte ist seit Mai 1980 in zweiter kinderloser Ehe mit einem Oberstleutnant der Bundeswehr verheiratet, dem sie den Haushalt führt und der ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 4.000 DM erzielt. Sie ist nicht erwerbstätig. Bis zum 30. September 1979 war sie halbtags als Bürohelferin beschäftigt; den erlernten Beruf einer Friseuse übte sie seit längerer Zeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aus.

Das Amtsgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 1980 bis 31. Mai 1981 rückständigen Unterhalt in Höhe von insgesamt 420 DM nebst Zinsen sowie ab 1. Juni 1981 laufenden Unterhalt von monatlich 70 DM zu zahlen.

Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat das Rechtsmittel der Beklagten zurückgewiesen und auf dasjenige des Klägers den von der Beklagten zu zahlenden monatlichen Unterhalt erhöht: auf 162 DM für Dezember 1980, 154 DM für das Jahr 1981, 160 DM für das Jahr 1982, 156 DM für das Jahr 1983, 162 DM für das Jahr 1984 und 190 DM ab 1. Januar 1985.

Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt die Beklagte wie in den Vorinstanzen die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Der Kläger ist Schüler ohne Einkommen und Vermögen; er ist daher unterhaltsbedürftig. Die Beklagte ist als Mutter gemäß § 1601 BGB neben dem Vater anteilig verpflichtet, dem Kläger Unterhalt zu gewähren, soweit sie leistungsfähig ist.

2. Das Berufungsgericht hat der Beklagten fiktiv ein monatliches Einkommen von 1.600 DM zugerechnet, obwohl sie keine Einkünfte aus Erwerbstätigkeit erzielt und in ihrer zweiten Ehe die Aufgaben einer Hausfrau erfüllt. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Nach der durch die Entscheidung BGHZ 75, 272 begründeten und vom Senat fortgesetzten Rechtsprechung (Urteile vom 7. Oktober 1981 - IVb ZR 610/80 - FamRZ 1982, 25, vom 31. März 1982 - IVb ZB 667/80 - FamRZ 1982, 590 und zuletzt vom 26. September 1984 - IVb ZR 32/83 - NJW 1985, 318), die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1984 (FamRZ 1985, 143) verfassungsrechtlich unbedenklich ist, trifft den wiederverheirateten Ehegatten ungeachtet seiner Pflichten aus der neuen Ehe die Obliegenheit, durch Aufnahme eines Nebenerwerbs zum Unterhalt von minderjährigen unverheirateten Kindern aus früheren Ehen beizutragen. Der neue Ehepartner hat die Erfüllung dieser Obliegenheit nach dem Rechtsgedanken des § 1356 Abs. 2 BGB zu ermöglichen, zumal bei der Aufgabenverteilung in der neuen Ehe die beiderseits bekannte Unterhaltslast gegenüber Kindern aus früheren Ehen berücksichtigt werden muß.

Das Oberlandesgericht hat aufgrund von amtsärztlichen Gutachten festgestellt, daß die Beklagte aus gesundheitlichen Gründen - wie schon im gesamten von der Klage erfaßten Zeitraum - nur eingeschränkt arbeitsfähig ist. Sie leide an degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit schmerzhaften Muskelverspannungen und leichten orthostatischen Kreislaufdysregulationsstörungen. Eine Tätigkeit in dem erlernten Beruf als Friseuse sei nicht zumutbar, weil sie nicht ununterbrochen stehen könne. Möglich sei eine Halbtagsbeschäftigung leichterer Art in wechselnder Körperhaltung und überwiegendem Sitzen, z.B. als Kontoristin. Eine derartige Beschäftigung hatte die Beklagte nach der Beurteilung des Berufungsgerichts angesichts der bekannt schlechten Arbeitsmarktlage, die sich gerade im Bereich der wenig qualifizierten Bürokräfte auswirke, auch bei entsprechenden Bemühungen nicht finden können.

b) Obwohl das Berufungsgericht danach der Beklagten keine Obliegenheitsverletzung vorwerfen kann, rechnet es ihr zwei Fünftel der von ihrem jetzigen Ehemann erzielten beruflichen Einkünfte von monatlich 4.000 DM zu, entsprechend dem Anteil, den es üblicherweise für den Unterhaltsanspruch eines getrennt lebenden Ehegatten zugrundelegt. Zur Begründung führt es aus: Zwar werde der Unterhalt bei Zusammenleben der Ehegatten in der Regel weitgehend durch Naturalleistungen gewährt, doch müsse in Fällen der vorliegenden Art dem erwerbstätigen Ehegatten zugemutet werden, dem anderen einen größeren Betrag als das übliche Taschengeld an Barmitteln zur Verfügung zu stellen, damit er seiner Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind aus früheren Ehe genügen könne. Das müsse jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - die Ehefrau trotz eingeschränkter Erwerbsfähigkeit ihre dem Ehemann zugutekommende Tätigkeit im Haushalt pflichtgemäß verrichten könne. Eine Mutter habe gegebenenfalls auch zur Deckung ihres eigenen Lebensbedarfs bestimmte Geldmittel für den Unterhalt eines Kindes aus früherer Ehe einzusetzen. Wenn sie keine Geldrente, sondern Naturalleistungen zu beanspruchen habe, bestehe kein sachlich gerechtfertigter Grund, ihre Leistungsfähigkeit anders zu beurteilen.

Dieser vom Oberlandesgericht eingeschlagene Weg ist nicht gangbar. Fiktive Einkünfte können einem Unterhaltsverpflichteten nur dann zugerechnet werden, wenn er sie bei einem Verhalten, das seinen unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten entspricht, tatsächlich erzielen könnte. Dies trifft für den vom Berufungsgericht angesetzten Geldbetrag von monatlich 1.600 DM nicht zu. Da die Beklagte mit ihrem jetzigen Ehemann zusammenlebt, hat sie keinen Anspruch auf eine Unterhaltsrente in Geld gemäß § 1361 Abs. 4 Satz 1 BGB. Ihr Anspruch auf Familienunterhalt gemäß §§ 1360, 1360 a BGB ist überwiegend auf Naturalleistungen gerichtet, wie Gewährung von Wohnung, Verpflegung, Bekleidung usw. (vgl. RGRK/Wenz BGB 12. Aufl. § 1360 a Rdn. 6). Auch ein der Beklagten möglicherweise zustehender Anspruch auf Wirtschafts- und Haushaltsgeld hilft nicht weiter, da die insoweit gezahlten Beträge nur treuhänderisch zur Verwendung für die Bedürfnisse der Familie überlassen werden (vgl. RGRK/Wenz aaO Rdn. 13; Palandt/Diederichsen BGB 45. Aufl. § 1360 a Anm. 2 b; OLG Frankfurt NJW 1970, 1882; OLG Hamburg FamRZ 1984, 583, 584). Als echter Geldanspruch kommt nur derjenige auf Taschengeld zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse in Betracht, der aber offensichtlich nicht den vom Oberlandesgericht angesetzten Betrag von monatlich 1.600 DM erreicht. Der jetzige Ehemann der Beklagten ist auch nicht deswegen zu höheren Barleistungen verpflichtet, weil sie eine Erwerbstätigkeit, aus der sie die Mittel zu einem Unterhaltsbeitrag für den Kläger verdienen könnte, nicht finden und demzufolge sich ausschließlich ihren Aufgaben in der neuen Ehe widmen kann. Weder kann ihm auf diese Weise ein Arbeitsmarktrisiko aufgebürdet, noch kann davon ausgegangen werden, er erspare sonst erforderliche Baraufwendungen. Da er für den Kläger nicht unterhaltspflichtig ist, beschränken sich seine Verpflichtungen darauf, einer Erfüllung der Unterhaltspflicht durch die Beklagte nicht im Wege zu stehen und ihr durch eigene Mitarbeit im Haushalt eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Die Annahme einer Verpflichtung zu erhöhten Barleistungen an die Beklagte würde diesen Rahmen sprengen und letztlich zu einer mittelbaren Unterhaltspflicht gegenüber dem Kläger führen.

3. Kann somit das angefochtene Urteil mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben, so ermöglichen die getroffenen Feststellungen andererseits nicht eine abschließende Entscheidung. Bei der Prüfung, ob die Beklagte einer Erwerbstätigkeit nachgehen und eine entsprechende Stellung finden kann, hat das Oberlandesgericht bisher lediglich leichtere Bürotätigkeiten in Betracht gezogen. Einer Mutter in der Lage der Beklagten muß aber auch angesonnen werden, durch häusliche Erledigung einfacher Lohnarbeiten (Heimarbeit) oder durch Übernahme leichterer Arbeiten in einem fremden Haushalt die Mittel für einen Unterhaltsbeitrag zu verdienen (vgl. dazu Senatsurteile vom 7. Oktober 1981 aaO. S. 27 und vom 31. März 1982 aaO. S. 592). Derartige Tätigkeiten sind mit ihrem festgestellten Gesundheitszustand ebenfalls vereinbar. Ob sie auch in diesem Bereich keine Arbeit zu finden vermag, hat das Berufungsgericht bisher nicht geprüft. Ferner erscheint im Hinblick auf die verhältnismäßig günstigen Einkommensverhältnisse ihres Ehemannes in der kinderlosen neuen Ehe nicht ausgeschlossen, daß die Beklagte aus dem ihr zustehender Taschengeld einen nennenswerten Unterhaltsbeitrag für den Kläger leisten kann. In dem bereits angeführten Beschluß vom 14. November 1984 hat das Bundesverfassungsgericht u.a. ausgeführt (aaO. S. 146), in Fällen der vorliegenden Art sei es verfassungsrechtlich bedenkenfrei zu verlangen, das Taschengeld für den Unterhalt von Kindern aus früheren Ehen einzusetzen, zumal der neue Ehepartner keinen Einfluß auf die Verwendung dieser Mittel habe. Auch dieser Frage muß noch nachgegangen werden. Die Sache ist somit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es seine Feststellungen ergänzt und auf dieser Grundlage erneut über den Unterhaltsanspruch des Klägers befindet.

4. Der Kläger wird im weiteren Verfahren Gelegenheit haben, sein Revisionsvorbringen zur Arbeitsmarktlage im Bereich des Wohnsitzes der Beklagten dem Oberlandesgericht zu unterbreiten. Soweit dieses aufgrund der neuen Verhandlung wiederum die Leistungsfähigkeit der Beklagten bejaht, wird wegen der Verteilung der Unterhaltslast auf sie und den gleichfalls barunterhaltspflichtigen Vater des Klägers gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB auf das zwischenzeitlich ergangene Senatsurteil vom 6. November 1985 (IVb ZR 69/84 - FamRZ 1986, 153) hingewiesen. Danach ist bei Einkünften der hier in Betracht kommenden Größenordnung keine schematische Quotierung des Unterhaltsbedarfs nach der Höhe der beiderseitigen Einkommen vorzunehmen, sondern ist eine wertende Betrachtung geboten. Beim Vater des Klägers wird zunächst der Vorwegabzug eines Betrages von seinem Einkommen angebracht sein, der der Deckung seines Eigenbedarfs entspricht. Bei der Beklagten scheidet dies aus, weil ihr Eigenbedarf durch die Unterhaltsleistungen ihres Ehemannes gewährleistet ist. Aus diesem Grunde steht ihr auch kein Selbstbehalt zu. Ferner wird zu berücksichtigen sein, daß der Vater neben einer Vollerwerbstätigkeit den Kläger versorgt und betreut und dadurch beträchtliche Einschränkungen im persönlichen Bereich in Kauf nehmen muß. Dem kann rechtlich bedenkenfrei in der Weise Rechnung getragen werden, daß die einkommensorientierte Verteilungsquote weiterhin zu seinen Gunsten verändert wird (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. April 1983 - IVb ZR 378/81 - FamRZ 1983, 689, 690).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992844

NJW 1986, 1869

DRsp I(167)341c-e

FamRZ 1986, 668

MDR 1986, 740

Rpfleger 1986, 301

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