Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzinteresse für Wahlanfechtungsklage gegen Aufsichtsratsmitglied. Wirkung der Nichtigerklärung oder Nichtigkeitsfeststellung eines Wahlbeschlusses

 

Leitsatz (amtlich)

a) Wird die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung durch Klage angefochten, so führt die Beendigung des Amtes durch Rücktritt des gewählten Aufsichtsratsmitglieds zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses für die Wahlanfechtungsklage, wenn die Nichtigerklärung keinen Einfluss auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre sowie der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr haben kann.

b) Die Nichtigerklärung oder Nichtigkeitsfeststellung eines Wahlbeschlusses hat grundsätzlich solche Auswirkungen, wenn die Beschlussfähigkeit oder das Zustandekommen eines Aufsichtsratsbeschlusses von der Stimme eines Aufsichtsratsmitglieds abhängt, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird. Das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, ist für die Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied zu behandeln.

 

Normenkette

AktG §§ 246, 250 Abs. 1, § 251 Abs. 3

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 20.01.2012; Aktenzeichen I-6 U 168/10)

LG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.05.2010; Aktenzeichen 32 O 107/08)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 20.1.2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger ist Aktionär der Beklagten und hat die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 28.8.2008 über die Wahl zum Aufsichtsrat von Dr. B., L., O., Dr. V., die wiedergewählt wurden, sowie M. und Dr. P., die neu gewählt wurden, angefochten. Zwischen dem 1.10.2008 und 5.2.2009 legten diese Mitglieder des Aufsichtsrats der Beklagten ihre Ämter nieder, L. mit Schreiben vom 1.10.2008, eingegangen beim Vorstand der Beklagten am 6.10.2008, M. mit Schreiben vom 14.11.2008, Dr. B. mit Schreiben vom 28.11.2008 mit Wirkung zum 30.11.2008, O. mit Schreiben vom 19.11.2008 mit Wirkung zum 30.11.2008, Dr. V. mit Schreiben vom 21.1.2009 mit Wirkung zum Ablauf der nächstfolgenden Hauptversammlung, die am 25.3.2009 stattfand, und Dr. P. mit Schreiben vom 2.2.2009 mit Wirkung zum 1.2.2009. Die am 29.9.2008 eingereichte Anfechtungsklage wurde am 17.10.2008 zugestellt.

Rz. 2

Die Anfechtungsklage bzw. hilfsweise erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage hat der Kläger u.a. damit begründet, dass der Aufsichtsrat keinen Wahlvorschlag für die Nachwahl des ausscheidenden Aufsichtsratsmitglieds A. gemacht habe, das auf Vorschlag der Bundesregierung gewählt werden sollte. Die Wiederwahl von Aufsichtsratsmitgliedern sei treuwidrig gewesen, weil die von der Hauptversammlung beschlossene Sonderprüfung nicht abgeschlossen gewesen sei und auch der im Auftrag des Vorstands erstellte Sonderprüfungsbericht nicht vorgelegt worden sei, so dass die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder nicht habe geprüft werden können. L. sei als Aufsichtsrat ungeeignet, wie sich daran zeige, dass er kurz nach der Hauptversammlung als Vorstand der Kreditanstalt für Wiederaufbau abberufen worden sei. Zahlreiche Auskunftsverlangen seien nicht oder nicht vollständig oder wahrheitswidrig beantwortet worden. Hilfsweise hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe.

Rz. 3

Das LG hat auf diesen Hilfsantrag des Klägers festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei, soweit er den Beschluss in der Hauptversammlung betreffend die Wahl des Aufsichtsratsmitglieds M. betreffe, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Unter Zurückweisung der Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht auf die Anschlussberufung der Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Rz. 5

I. Das Berufungsgericht (OLG Düsseldorf, 6 U 168/10, juris) hat ausgeführt, ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss der Hauptversammlung vom 28.8.2008 über die Wahl des Aufsichtsratsmitgliedes L. habe bereits bei Zustellung der Klage nicht mehr bestanden und sei hinsichtlich der anderen Aufsichtsratsmitglieder durch ihren Rücktritt entfallen. Eine Beschlussmängelklage komme im Falle der Amtsniederlegung eines anfechtbar gewählten Aufsichtsratsmitgliedes ausnahmsweise nur noch dann in Betracht, wenn das Vorhandensein des anfechtbar gewählten Aufsichtsrates in der Zeit bis zu dessen Amtsniederlegung zu weiteren, rechtlich relevanten Folgen geführt habe, an deren Verhinderung für den Anfechtungskläger ein besonderes rechtliches Interesse bestehe. Es könne nur noch in solchen Ausnahmefällen bejaht werden, in denen die in anfechtbarer Weise gewählten Aufsichtsratsmitglieder in der Zeit bis zu ihrer Amtsniederlegung weitere, ihrerseits rechtlich relevante Beschlüsse (mit)-gefasst hätten, zu denen es ohne ihre Mitwirkung nicht oder jedenfalls nicht mit dem gleichen Inhalt gekommen wäre. Nach der "Lehre vom fehlerhaft bestellten Organ" sei ein Aufsichtsratsmitglied, das sein Amt angenommen und ausgeübt hat, ungeachtet einer etwaigen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit seiner Bestellung zumindest partiell und bis zum Widerruf seiner Bestellung oder bis zur Niederlegung seines Amtes wie ein wirksam bestelltes Mitglied des Aufsichtsrates zu behandeln.

Rz. 6

Selbst bei einem restriktiven Verständnis der "Lehre vom fehlerhaft bestellten Organ" könnten sich rechtliche Konsequenzen aus der Tätigkeit eines anfechtbar gewählten Aufsichtsrates in der Zeit bis zu der Niederlegung seines Amtes allenfalls aus dessen Mitwirkung an der weiteren Beschlussfassung im Aufsichtsrat selbst oder in dessen Gremien ergeben; aber selbst solche weiteren, unter Mitwirkung eines fehlerhaft bestellten Aufsichtsrates gefassten Beschlüsse ihrerseits kämen dabei wirksam zustande, wenn feststehe, dass sie nicht auf der Stimme des fehlerhaft bestellten Mitgliedes beruhten, sie mithin also nicht auch ohne die Mitwirkung des fehlerhaft bestellten Mitgliedes in gleicher Weise zustande gekommen wären.

Rz. 7

Der Kläger habe die erforderlichen Tatsachen für ein solches ausnahmsweise fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis nicht vorgetragen und bewiesen. Die Beibringungs- und Beweislast liege für eine Prozessvoraussetzung - wie hier das Rechtsschutzbedürfnis - bereits nach allgemeinen prozessualen Regeln grundsätzlich beim Kläger. Auch durch das mögliche Eingreifen einer sekundären Behauptungslast der Beklagten zumindest im Hinblick auf das interne Abstimmungsverhalten der von der Klage betroffenen Aufsichtsratsmitglieder sei der Kläger nicht seiner Verpflichtung enthoben, zunächst auf der Ebene seiner primären Darlegungslast in dem ihm nach seiner Kenntnis der Umstände möglichen Umfang zumindest pauschal zu dem Bestehen seines Rechtsschutzbedürfnisses vorzutragen. Auch wenn ihm das etwaige Abstimmungsverhalten der betroffenen Aufsichtsratsmitglieder und deren Teilnahme oder Nichtteilnahme an den verschiedenen Sitzungen im Einzelnen nicht bekannt sein möge, hätte der Kläger dennoch zumindest allgemein dazu vortragen müssen, welche Beschlüsse in welchen Sitzungen des Aufsichtsrates in dem in Betracht kommenden Zeitraum vom 28.8.2008 bis zum 5.2.2009 überhaupt gefasst worden seien, aus deren wegen der möglichen Mitwirkung der anfechtbar gewählten Aufsichtsräte unter Umständen fehlerhaftem Zustandekommen sich trotz der zwischenzeitlichen Amtsniederlegung derselben ein etwa fortdauerndes Rechtsschutzbedürfnis für seine Beschlussmängelklage ergeben könnte. Ein zumindest pauschaler Vortrag dazu wäre dem Kläger auch unter dem bloßen Rückgriff auf öffentlich zugängliche Informationsquellen wie z.B. den Geschäftsbericht der Beklagten für das Jahr 2008/09 oder auf sonstige, ihm in seiner Eigenschaft als Aktionär bekannt gewordene oder zumindest zugängliche Tatsachen jedenfalls möglich gewesen.

Rz. 8

Eine entscheidungserhebliche Mitwirkung der Aufsichtsratsmitglieder in Aufsichtsratsausschüssen könne aufgrund des vom Kläger nicht bestrittenen konkreten Vortrags der Beklagten nicht festgestellt werden.

Rz. 9

II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Rz. 10

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Beendigung des Amtes eines Aufsichtsratsmitglieds etwa durch Rücktritt zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses für eine Wahlanfechtungsklage führen kann (Marsch-Barner, Festschrift K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1119; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 246 Rz. 11). Voraussetzung dafür ist aber, dass eine Nichtigerklärung keinen Einfluss auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre sowie der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr haben kann.

Rz. 11

a) Bisher ist in der Rechtsprechung ein Entfallen eines Rechtsschutzbedürfnisses bei der Klage gegen einen aufgehobenen Beschluss (BGH, Beschl. v. 27.9.2011 - II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195), gegen den Ausgangsbeschluss nach einer Neuvornahme (BGH, Urt. v. 15.12.2003 - II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210) sowie beim Ausscheiden des Anfechtungsklägers aus dem Kreis der Aktionäre (BGH, Urt. v. 9.10.2006 - II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 Rz. 14) angenommen worden. Der Bestätigungsbeschluss (§ 244 Satz 2 AktG) führt dagegen nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses, sondern hat materielle Wirkung auf den Ausgangsbeschluss (BGH, Urt. v. 15.12.2003 - II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210).

Rz. 12

b) Der Rücktritt von Aufsichtsratsmitgliedern vom Aufsichtsratsamt führt nicht in jedem Fall zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der gegen einen Wahlbeschluss gerichteten Anfechtungsklage.

Rz. 13

aa) Das Rechtsschutzinteresse folgt bei statthaften Gestaltungsklagen aus der Gestaltungswirkung, weil die Gestaltung nur durch Urteil erfolgen kann (Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., Vor §§ 253 ff. Rz. 31). Dem entsprechend verlangt der Senat für die Anfechtungsklage kein besonderes eigenes Rechtsschutzinteresse des Aktionärs (BGH, Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 167/07, ZIP 2009, 1158 Rz. 13 m.w.N.). Wenn die Gestaltungswirkung wie nach der Aufhebung eines Beschlusses nicht mehr eintreten kann, ist das Rechtsschutzinteresse an der Vernichtung des Beschlusses entfallen. Trotz der Beendigung des Amtes als Aufsichtsrat kann bei der Wahlanfechtungsklage die Gestaltungswirkung eines Urteils aber noch eintreten. Die Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses wirkt, wie sich aus § 250 Abs. 1 AktG i.V.m. § 241 Nr. 5 AktG ergibt, auf den Beschlusszeitpunkt zurück (Stilz in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 252 Rz. 6).

Rz. 14

bb) Das Rechtsschutzinteresse an der Nichtigerklärung eines Beschlusses kann darüber hinaus entfallen, wenn sie keinerlei Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre, der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr haben kann. Wenn ein Beschluss keinerlei Wirkungen für Vergangenheit und Zukunft mehr hat, besteht auch an seiner Vernichtung oder der Klärung seiner Rechtmäßigkeit kein anerkennenswertes Rechtsschutzinteresse mehr. Das ist etwa bei der Neuvornahme der Fall (vgl. BGH, Urt. v. 15.12.2003 - II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210). Danach kann auch der Rücktritt eines Aufsichtsrats das Rechtsschutzinteresse an der Wahlanfechtung entfallen lassen, wenn die Nichtigerklärung keinerlei Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre, der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr haben kann.

Rz. 15

2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber vom Kläger näheren Vortrag zu den Aufsichtsratssitzungen verlangt.

Rz. 16

Ein Rechtsschutzinteresse an der Anfechtungsklage besteht nur noch, wenn die Nichtigerklärung der Wahlbeschlüsse Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre, der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats haben kann. Solche Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft kann die Nichtigerklärung haben, wenn die Mitwirkung der ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieder für das Zustandekommen eines Aufsichtsratsbeschlusses, die Ablehnung eines Beschlussantrags oder die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats ursächlich war. Die Darlegungslast dafür trägt nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast die Beklagte, so dass der Kläger keine weiteren Einzelheiten zu den Aufsichtsratssitzungen vortragen musste.

Rz. 17

a) Die Nichtigerklärung oder Nichtigkeitsfeststellung eines Wahlbeschlusses hat grundsätzlich Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft und der Mitglieder des Aufsichtsrats, wenn die Beschlussfähigkeit oder das Zustandekommen eines Aufsichtsratsbeschlusses von der Stimme eines Aufsichtsrats abhängt, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird. Ein Aufsichtsratsbeschluss ist nicht mit der erforderlichen Mehrheit gefasst, wenn Nichtmitglieder mitgestimmt haben und ihre Stimmen für die Beschlussfassung oder die Ablehnung eines Beschlussantrags ursächlich geworden sind (vgl. BGH, Urt. v. 17.4.1967 - II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346). Nicht Mitglied des Aufsichtsrats ist nicht nur das nichtig gewählte Aufsichtsratsmitglied, sondern auch das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl erfolgreich angefochten wird.

Rz. 18

aa) Die Auswirkung der Nichtigkeit oder der Nichtigerklärung der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds auf die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats und die rechtliche Wirksamkeit der Stimmabgabe ist streitig. Teilweise wird aufgrund der Lehre vom faktischen Organ das nichtig oder anfechtbar bestellte Aufsichtsratsmitglied auch für die Stimmabgabe wie ein wirksam bestelltes Organmitglied behandelt (Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 6; Schürnbrand, NZG 2008, 609, 610; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 288 f.; Happ, Festschrift Hüffer, 2010, S. 293, 305; Habersack in MünchKomm/AktG, 3. Aufl., § 101 Rz. 70; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 101 Rz. 36 f.; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 101 Rz. 112; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 101 Rz. 18; vgl. auch OLG Frankfurt ZIP 2011, 24, 27). Andere behandeln dagegen das nichtig oder anfechtbar gewählte Aufsichtsratsmitglied wie einen Dritten (OLG Köln ZIP 2008, 1767, 1768; E. Vetter ZIP 2012, 701, 707 f.; K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl., § 252 Rz. 12; Stilz in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 252 Rz. 6; Hüffer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl., § 250 Rz. 21; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl., § 101 Rz. 111 und § 108 Rz. 93; Hölters/Simons, AktG, § 101 Rz. 51; Bürgers/Israel, AktG, 2. Aufl., § 101 Rz. 3; Heidel/Breuer/Frame, AktG, 3. Aufl., § 101 Rz. 24; differenzierend zu den Auswirkungen Marsch-Barner, Festschrift K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1123 ff.) oder unterscheiden zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Wahl (Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl., § 101 Rz. 217 und Rz. 228).

Rz. 19

bb) Der Senat hat die Beschlüsse eines Aufsichtsrats, dessen Mitglieder alle nichtig gewählt worden waren, für nichtig erachtet (BGH, Urt. v. 16.12.1953 - II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 246; vgl. auch Urt. v. 4.7.1994 - II ZR 114/93, ZIP 1994, 1171, 1172). Andere Entscheidungen betreffen die Mitwirkung von Aufsichtsratsmitgliedern, deren Amtszeit abgelaufen war (BGH, Urt. v. 24.2.1954 - II ZR 63/53, BGHZ 11, 327, 331; Urt. v. 17.4.1967 - II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346). Für Pflichten, Haftung und Vergütung ist anerkannt, dass die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung auf den Aufsichtsrat anwendbar sind (BGH, Urt. v. 3.7.2006 - II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 Rz. 14).

Rz. 20

cc) Das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, ist für die Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied zu behandeln. Würde der nichtig oder anfechtbar gewählte Aufsichtsrat in allen Fällen wie ein wirksam bestelltes Organ behandelt, wirkte eine erfolgreiche Wahlanfechtung insgesamt nur ex nunc; auch die Nichtigkeit eines Wahlbeschlusses würde erst ab gerichtlicher Feststellung Wirkungen entfalten. Das lässt sich mit § 250 Abs. 1 AktG, wonach Wahlbeschlüsse von Anfang an nichtig sein können, und mit der Verweisung in § 250 Abs. 1 AktG auf § 241 Nr. 5 AktG, wonach der Wahlbeschluss ex tunc nichtig ist, wenn er für nichtig erklärt wird, nicht in Einklang bringen.

Rz. 21

Sofern die Stimmen der als Nichtmitglieder zu behandelnden Aufsichtsräte für die Beschlussfassung oder die Ablehnung eines Beschlussantrags ursächlich geworden sind, ist ein entsprechender Beschluss nicht gefasst oder kommt sogar eine Umkehrung des Beschlussergebnisses in Frage. Der Beschluss muss nicht so behandelt werden, als sei er ordnungsgemäß gefasst worden. Der Zweck der Gleichbehandlung der fehlerhaften mit der ordnungsgemäßen Bestellung eines Organs, das Vertrauen unbeteiligter Dritter zu schützen und den Schwierigkeiten bei einer Rückabwicklung von Dauerschuldverhältnissen zu begegnen, betrifft Aufsichtsratsbeschlüsse nicht in jedem Fall. Soweit eine Rückabwicklung den berechtigten Interessen der Beteiligten widersprechen würde, ist dem im Einzelfall zu begegnen.

Rz. 22

(1) Soweit Aufsichtsratsbeschlüsse gegenüber außenstehenden Dritten vollzogen werden, sind Dritte, die die Nichtigkeit eines Beschlusses nicht kennen oder kennen müssen, bereits dadurch geschützt, dass sie auf die Handlungsbefugnis desjenigen, der die Aufsichtsratsbeschlüsse vollzieht, vertrauen dürfen (vgl. etwa E. Vetter, ZIP 2012, 701, 710).

Rz. 23

(2) Organmitglieder, die die Nichtigkeit kennen oder kennen müssen, sind dagegen nicht schutzwürdig, jedenfalls nicht über die Aufdeckung der Nichtigkeit der Wahl hinaus. Mit der Gleichstellung von nichtig gewählten Aufsichtsräten mit ordnungsgemäß gewählten Organen würden andere Organe im Gegenteil daran gehindert, sich auf die Unwirksamkeit von Beschlüssen des Aufsichtsrats zu berufen, obwohl sie daran gerade ein Interesse haben können oder sogar rechtlich dazu verpflichtet sind, die Unwirksamkeit der Aufsichtsratsbeschlüsse geltend zu machen. Der Vorstand, zu dessen Aufgaben gehört, die Tätigkeit eines nichtig gewählten Aufsichtsrats zu verhindern, könnte etwa daran gehindert werden, wenn ihn der nichtig gewählte Aufsichtsrat abberufen könnte, ohne dass er dem die Nichtigkeit der Wahl entgegenhalten kann. Auch ein Aufsichtsratsmitglied kann ein Interesse an der Feststellung haben, dass ein Beschluss - auch schon vor seiner Amtszeit - nicht wirksam gefasst ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2012 - II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 Rz. 12). Es ist kein Grund ersichtlich, warum er sich nicht darauf berufen können soll, dass ein nichtig gewähltes Mitglied mitgewirkt hat. Wenn ein Beschlussantrag nur aufgrund der Mitwirkung eines solchen Nichtmitglieds abgelehnt worden ist, kann daran sogar ein berechtigtes Interesse bestehen, etwa um die Abberufung eines Vorstandsmitglieds aus wichtigem Grund durchsetzen zu können.

Rz. 24

Auch bei der Bestellung eines Vorstands führt die Behandlung des Aufsichtsratsmitglieds, dessen Wahl nichtig ist oder erfolgreich angefochten wird, als Nichtmitglied zu interessengerechten Ergebnissen. Der Vorstand ist hinsichtlich seiner Vergütung und seiner Befugnis zur Geschäftsführung durch die Grundsätze über die fehlerhafte Bestellung geschützt. Der nach der Aufdeckung der Nichtigkeit der Wahl rechtmäßig zusammengesetzte Aufsichtsrat kann die fehlerhafte Bestellung bestätigen, kann sie aber auch - ebenso wie der Vorstand - beenden (vgl. BGH, Urt. v. 6.4.1964 - II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 288). Nach der Lehre vom faktischen Organ wäre die Bestellung des Vorstands dagegen nicht fehlerhaft, sondern wirksam und könnte vom Aufsichtsrat nur aus wichtigem Grund widerrufen werden (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Es liegt im Interesse der Gesellschaft, an einem Vorstand, der durch einen nicht rechtmäßig, beispielsweise lediglich von einer Minderheit gewählten Aufsichtsrat bestimmt worden ist, nicht auch noch festhalten zu müssen.

Rz. 25

(3) Dort, wo das Vorliegen eines Aufsichtsratsbeschlusses wie bei den Vorschlägen zur Beschlussfassung der Hauptversammlung (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) Anknüpfungspunkt für eine Entscheidung der Hauptversammlung ist, ist der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluss bei der ursächlichen Mitwirkung eines Mitglieds, dessen Wahl zum Aufsichtsrat angefochten, aber noch nicht für nichtig erklärt ist, trotz einer späteren Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses für die Entscheidung der Hauptversammlung nicht relevant. Fehlt ein nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG notwendiger Beschlussvorschlag, liegt ein Verfahrensfehler für die Entscheidung der Hauptversammlung vor, der zur Anfechtung führen kann, wenn er relevant ist. Relevant ist der Beschlussvorschlag eines nicht ordnungsgemäß besetzten Organs, weil damit ein Bekanntmachungsmangel vorliegt und Bekanntmachungsmängel nach der gesetzlichen Wertung für das Teilhaberecht des Aktionärs grundsätzlich von Bedeutung sind (BGH, Urt. v. 12.11.2001 - II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 164 f.). Im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat ist ein Aufsichtsrat mit einem anfechtbar gewählten Mitglied aber ordnungsgemäß besetzt, weil der Wahlbeschluss bis zur Nichtigerklärung wirksam ist und erst rückwirkend unwirksam wird. Der Aufsichtsrat konnte zu diesem Zeitpunkt keinen Beschlussvorschlag in anderer, "richtiger" Besetzung machen. Eine Rückabwicklung nach der Nichtigerklärung ist nicht nur unmöglich, sondern steht auch im Gegensatz zu dem Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre, eine Hauptversammlung einberufen und dort wirksam Beschlüsse fassen zu können (vgl. E. Vetter, ZIP 2012, 701, 708; Marsch-Barner, Festschrift K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1127). Damit scheidet ein Mangel, der für das Teilhaberecht eines Aktionärs von Bedeutung ist, aus. Entsprechendes gilt dort, wo - wie bei der satzungsgemäßen Bestimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Versammlungsleiter - an die jeweils aktuelle Funktion als Aufsichtsratsmitglied angeknüpft wird.

Rz. 26

(4) Für die Nichtigkeit des Jahresabschlusses bei einer fehlerhaften Mitwirkung des Aufsichtsrats bei der Feststellung des Jahresabschlusses (§ 256 Abs. 2 AktG) enthält § 256 Abs. 6 Satz 1 AktG eigene Regeln zum Schutz der Gesellschaft, die nicht einfach übergangen werden dürfen (E. Vetter, ZIP 2012, 701, 710), sofern die Mitwirkung eines lediglich anfechtbar gewählten Mitglieds, dessen Wahl bis zur Nichtigerklärung als wirksam zu behandeln ist, überhaupt als fehlerhafte Mitwirkung des Aufsichtsrats anzusehen ist (verneinend Rölike in Spindler/Stilz, 2. Aufl., § 256 Rz. 51; Hüffer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl., § 256 Rz. 44).

Rz. 27

b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht eine konkrete Darlegung und ggf. einen Beweis durch den Kläger vermisst, dass die Mitwirkung der ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieder für die Beschlussfähigkeit oder das Zustandekommen eines Beschlusses ursächlich war. Die Darlegungslast liegt insoweit bei der Beklagten.

Rz. 28

aa) Die Beweis- und Darlegungslast für die Prozessvoraussetzungen und damit auch für das (fortbestehende) Rechtsschutzinteresse liegt zwar grundsätzlich beim Kläger; die Pflicht, das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen, ändert daran nichts (vgl. Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., Vor §§ 253 ff. Rz. 15; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 256 Rz. 7 und 18 zum Feststellungsinteresse). An dieser Darlegungs- und Beweislast ändert sich nicht allein deshalb etwas, weil ein Anfechtungskläger in der Regel ein Rechtsschutzinteresse für die Anfechtungsklage hat und dieses hier durch die Rücktritte nur entfallen ist, wenn die Nichtigerklärung oder die Nichtigkeitsfeststellung keine Auswirkungen auf Beschlüsse des Aufsichtsrats hat. Dabei handelt es sich nicht um ein rechtshinderndes, rechtsvernichtendes oder rechtshemmendes Merkmal, für das der Gegner die Beweislast trägt.

Rz. 29

bb) Die Beklagte trifft aber eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf solche Umstände, die der Kläger nicht kennen kann. Diesen Anforderungen an ihre sekundäre Beweislast ist die Beklagte bei den Ausschussbeschlüssen nachgekommen, nicht jedoch bei den Beschlüssen des gesamten Aufsichtsrats. Der Kläger als Aktionär kann das Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat nicht kennen, weil er nicht dessen Mitglied ist und damit außerhalb des Geschehensablaufs steht. Dass er - wie das Berufungsgericht ausgeführt hat - unter Zugriff auf allgemein zugängliche Quellen zumindest pauschal zu dem Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses vortragen könne, welche Beschlüsse in welchen Sitzungen überhaupt gefällt worden seien, genügt nicht, um das maßgebliche Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat zu kennen. Abgesehen davon lässt sich dem Berufungsurteil auch nicht entnehmen, aus welchen allgemein zugänglichen Quellen der Kläger die Sitzungen des Aufsichtsrats und die dort zur Abstimmung gelangten Beschlüsse erfahren kann.

Rz. 30

Der Beklagten ist die substantiierte Darlegung auch nicht deshalb unmöglich, weil der Aufsichtsrat nach § 116 Satz 2 AktG zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Davon kann sich der Aufsichtsrat befreien (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2012 - II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 Rz. 40). Die Offenbarung ist auch nicht unzumutbar, wenn die Beklagte damit der Wahlanfechtung den Boden entziehen will. Die Beklagte hat sich auf die Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich der Ausschüsse bisher überhaupt nicht, hinsichtlich des Gesamtaufsichtsrats jedenfalls mit einem pauschalen Vortrag nur teilweise berufen.

Rz. 31

III. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 ZPO). Da bisher keine Feststellungen zu den vorgetragenen Beschlussmängeln getroffen sind, kann der Senat über die Begründetheit der Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage nicht entscheiden. Im Übrigen muss die Beklagte auch Gelegenheit erhalten, Einzelheiten zur Teilnahme der Aufsichtsratsmitglieder an den Aufsichtsratssitzungen vorzutragen, nachdem dazu bisher keine Veranlassung bestand, da das Berufungsgericht ihren Vortrag für ausreichend erachtet hat.

Rz. 32

Für den Fall, dass das Berufungsgericht erneut zu dem Ergebnis gelangt, dass das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist, weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei eine hilfsweise Erledigungserklärung nicht für zulässig erachtet hat (vgl. BGH, Urt. v. 8.2.2011 - II ZR 206/08, ZIP 2011, 637 Rz. 22).

 

Fundstellen

Haufe-Index 3683439

BGHZ 2013, 195

BB 2013, 1166

BB 2013, 450

BB 2013, 897

DB 2013, 23

DB 2013, 6

DB 2013, 806

DStR 2013, 11

DStR 2013, 12

WPg 2013, 728

NJW 2013, 1535

NWB 2013, 1632

EBE/BGH 2013

EWiR 2013, 333

NZG 2013, 456

NZG 2013, 5

StuB 2013, 436

WM 2013, 699

WuB 2013, 571

ZIP 2013, 5

ZIP 2013, 720

wistra 2013, 4

AG 2013, 387

AnwBl 2013, 201

DNotZ 2013, 624

DZWir 2013, 298

JZ 2013, 292

MDR 2013, 535

MDR 2013, 9

NJ 2013, 8

GWR 2013, 181

NJW-Spezial 2013, 239

NWB direkt 2013, 558

StBW 2013, 230

ZNotP 2013, 108

AR 2013, 79

BOARD 2013, 131

GES 2013, 161

Konzern 2013, 348

ZCG 2013, 120

ZCG 2017, 74

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