Verfahrensgang

LG Weiden i.d.OPf. (Urteil vom 09.07.2001)

 

Tenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 9. Juli 2001 im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und in den Fällen der Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zum Nachteil H. in W. und der Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil K. im Ausspruch über die Einzelstrafen aufgehoben.

II. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben, soweit der Vollzug von zwei Dritteln der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde.

III. Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten werden verworfen.

IV. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die aufgehobenen Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe, sowie über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Außerdem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, daß zwei Drittel der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel vollzogen werden. Hinsichtlich des Vorwurfs einer weiteren gefährlichen Körperverletzung hat es das Verfahren wegen Verjährung gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt.

Die uneingeschränkte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet insbesondere die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Insoweit bleibt das Rechtsmittel erfolglos. Es führt jedoch zur Aufhebung von zwei der vier Einzelstrafen sowie des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zum Nachteil des Angeklagten. Die Revision des Angeklagten wendet sich mit der Sach- und einigen Formalrügen gegen alle Fälle der Verurteilung. Sie hat nur hinsichtlich der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Strafkammer hat festgestellt:

Der Angeklagte ist 37 Jahre alt. Eine Sauerstoffmangelsituation bei seiner Geburt oder eine fiebrige Impfreaktion des Angeklagten als Kleinkind führten zu einer leichten frühkindlichen Hirnschädigung und zu einer Reifeverzögerung. Als Legastheniker besuchte er eine Sonderschule für Lernbehinderte, die er mit durchschnittlichen Noten beendete. Eine abgeschlossene Berufsausbildung erreichte der Angeklagte nicht. Häufiger Stellenwechsel sowie Zeiten von Arbeitslosigkeit und Krankheit, meist psychosomatischer Natur, prägten sein Arbeitsleben.

Zwangshandlungen und Zwangsgedanken führten schon während der Schulzeit zu erster nervenärztlicher Behandlung des Angeklagten. Seit 1990 befand sich der Angeklagte wiederholt in psychiatrischer Behandlung, auch unter Einsatz von Psychopharmaka und Neuroleptika. Der Angeklagte leidet nunmehr unter einer facettenreichen schweren Persönlichkeitsstörung, einer Psychopathie mit schwerem Krankheitswert, geprägt durch emotionale Instabilität und massive Aggressivität. Dagegen liegen ebensowenig eine Psychose noch eine Erkrankung des cerebralen Nervensystems oder eine strukturelle Schädigung des Gehirns vor. Seine Sexualität stellt sich heute als Spiegelbild seiner negativen Persönlichkeitsentwicklung dar. Positive Gefühle spielen keine Rolle; seine Partner sieht er als bloße Objekte, deren sexuell bestimmte Unterwerfung er erstrebt, auch mit sadistischer Vorgehensweise und mit Folter. Er liebt Fesselungen und neigt dazu, bei Sexualkontakten Gegenstände zu benutzen. Mit der Zeit entwickelte er ein negatives Frauenbild, weshalb er sich während der letzten Jahre immer mehr gleichgeschlechtlichen Partnern zuwandte.

Der Angeklagte ist mehrfach vorbestraft wegen unerlaubten Führens von Schußwaffen, Urkundenfälschung, Sachbeschädigung, Betrugs, Körperverletzung, Nötigung, falscher Verdächtigung, Gefährdung des Straßenverkehrs, aber auch wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung. In Strafhaft war er noch nie. Bisher wurde die Vollstreckung verhängter Freiheitsstrafen – maximal ein Jahr sechs Monate – immer zur Bewährung ausgesetzt.

Die Taten:

1. An einem unbekannten Tag in der Zeit von Mai 1998 bis Dezember 1999 hatte der Angeklagte einen etwa 18jährigen Mann bei sich in der Wohnung. Der Angeklagte veranlaßte diesen, Whisky und Wodka in großen Mengen zu trinken, um dann an dem Betrunkenen leichter gegen dessen Willen den Analverkehr ausüben zu können. Gegen den ersten Versuch des Angeklagten, dem Geschädigten die Unterhose auszuziehen, wehrte sich dieser noch mit den Worten „Hör auf, Alter”, klopfte ihm auf die Finger und zog die Hose wieder hoch. Nach der Ausübung geduldeter beischlafähnlicher Bewegungen auf seinem Opfer kettete der Angeklagte plötzlich dessen Hände am Bettgestell fest, zog ihm die Unterhose aus, drehte ihn auf den Bauch, wodurch die angeketteten Arme verdreht wurden, und führte seinen erigierten Penis in den After des Geschädigten ein. Dieser wehrte sich, jammerte und weinte. Von weiteren sexuellen Handlungen nahm der Angeklagte dann Abstand und stellte sein Verhalten als „Spaß” dar. Mittels fest installierter Kamera hielt der Angeklagte das Geschehen auf Video fest.

2. Am 5. Dezember 1998 lernte der Angeklagte auf dem „Strich” beim Bahnhof Zoo Julian O. – sechzehn Jahre – und Harun K. – vierzehn Jahre – kennen. Der Angeklagte, der glaubte auch Harun K. sei bereits 16 Jahre alt, lud die beiden Jungen für ein Wochenende zu sich nach W. ein. Dort kam es im Verlauf des 6. Dezember zunächst stundenlang zu vielfältigen freiwilligen sexuellen Aktivitäten miteinander. Plötzlich ging der Angeklagte dazu über, den heftig protestierenden und sich wehrenden Harun K. … zu mißhandeln, insbesondere um den von diesem abgelehnten Analverkehr zu erzwingen. Er fesselte Harun K. deshalb mit Handschellen ans Bettgestell und übte zunächst beischlafähnliche Bewegungen bis zum Samenerguß auf ihm aus. Anschließend ließ er den verängstigten Jungen etwa eine halbe Stunde in seiner hilflosen Lage liegen, um sich über dessen Furcht zu amüsieren. Nach kurzzeitiger Befreiung kettete der Angeklagte sein Opfer erneut mit Handschellen ans Bett und stach ihm an beiden Füßen unter die Zehennägel mit Nadeln, die er stecken ließ und zur Schmerzerhöhung immer wieder antippte. Weiter schüttete er eine scharfe, brennende Flüssigkeit auf die Eichel des Penis von Harun K.. Vollends in Panik und Todesangst geriet dieser als der Angeklagte – um Harun K. weiter „gefügig zu machen” – ein Feuerzeug mit großer Flamme an dessen After, Hodensack und Oberschenkel hielt. So in seinem Willen gebrochen stimulierte der kurzzeitig entfesselte Harun K. den Angeklagten manuell und oral. Sein anschließender Versuch, an Harun K. den Analverkehr auszuüben, mißlang mangels ausreichender Erektion, trotz Stimulation durch leichte Peitschenhiebe auf das Gesäß von Harun K.. Weinend ließ dieser es über sich ergehen, daß stattdessen zunächst Julian O. auf Weisung des Angeklagten und dann dieser selbst mit mehreren Fingern schmerzhaft in seinem After bohrten. Auch diese Vorgänge hielt der Angeklagte auf Video fest.

3. a) Am Bahnhof Zoo ging auch Andre H. der Prostitution nach. Andre H. hatte den Angeklagten im Februar 1999 „gelinkt”. Nach Erhalt des Preises für den vereinbarten Sexualkontakt war er verschwunden ohne die versprochene Gegenleistung zu erbringen. Am Abend des 19. Juli 2000 traf der Angeklagte Andre H. am Bahnhof Zoo wieder. Dieser stand unter massivem Einfluß von Beruhigungstabletten und Heroin. Den Angeklagten erkannte er deshalb nicht. Beide vereinbarten Sexualkontakt gegen die Bezahlung von 70 DM – Analverkehr schloß Andre H. ausdrücklich aus – und fuhren im Pkw des Angeklagten auf einen einsamen Parkplatz. Dort gab sich der Angeklagte zu erkennen, warf Andre H. den früheren Vorfall vor, ohrfeigte ihn, ließ sich dessen Geldbeutel samt Personalausweis aushändigen, zwang ihn unter Androhung weiterer Schläge, sich nackt auszuziehen, auszusteigen und sich bäuchlings auf die Motorhaube zu legen. Dann übte er gegen dessen Willen den Analverkehr bei dem damals 19jährigen Andre H. aus.

b) Der Angeklagte entschloß sich nun, Andre H. mitzunehmen und bei sich zu Hause als „Sexsklaven zu halten”. Er fesselte ihn mit Metallschellen an Händen und Füßen und verbrachte ihn mit seinem Pkw in seine Wohnung in W.. Dort trafen sie am 21. Juli 2000 gegen 6.00 Uhr ein. Andre H. blieb nahezu zwei Tage eingesperrt, zeitweise alleingelassen mit ungewissem Schicksal, meist eng gefesselt, zuweilen den Mund mit Pflaster zugeklebt. Während dieser Zeit übte der Angeklagte noch mindestens dreimal an seinem sich wehrenden, aber durch Drogen und Medikamente geschwächten Opfer den Analverkehr aus, stach ihm – auch um ihn gefügig zu machen – mit einer Nähnadel jeweils fünf Millimeter tief unter die Zehennägel seines linken Fußes, zwang ihn zum Oralverkehr, mindestens viermal bei sich und einmal bei Maik D., einem Obdachlosen vom Bahnhof Zoo, der auf Einladung des Angeklagten nach W. mitgekommen war. Dieser bohrte auf Anweisung des Angeklagten mit drei Fingern schmerzhaft im After des Andre H.. Am 22. Juli 2000 wurde Andre H. gegen 22.30 Uhr von der Polizei befreit, deren Benachrichtigung Maik D. schließlich veranlaßt hatte.

In – nicht ausschließbar – verjährter Zeit mißhandelte der Angeklagte einen weiteren ans Bett gefesselten Jungen mit Nadelstichen und Schlägen.

Bei der Begehung aller Taten war der Angeklagte aufgrund seiner schweren Persönlichkeitsstörung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt.

III.

1. Mit ihrer unbeschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision zum Nachteil des Angeklagten beanstandet die Staatsanwaltschaft insbesondere, daß die Strafkammer neben der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht auch dessen Unterbringung in Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Die Revision führt zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.2 und II.3b sowie der Gesamtstrafe zum Nachteil des Angeklagten. Die weitergehende Revision ist unbegründet.

a) Das Landgericht hat in allen vier Fällen der Bemessung der Einzelstrafen den gemäß § 21 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB – also Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren – zugrunde gelegt und folgende Einzelstrafen verhängt: im Fall 1 (zum Nachteil des achtzehnjährigen Mannes): drei Jahre Freiheitsstrafe, im Fall 2 (zum Nachteil des Harun K.): vier Jahre Freiheitsstrafe, im Fall 3a (zum Nachteil des Andre H. in B.): vier Jahre Freiheitsstrafe und im Fall 3b (zum Nachteil des Andre H. in W.): sieben Jahre Freiheitsstrafe. In den Fällen 2 und 3b hat die Strafkammer zwar hinsichtlich des ideal konkurrierenden § 224 Abs. 1 StGB die vom Angeklagten benutzten Nadeln und das brennende Feuerzeug – so wie beides eingesetzt wurde – zutreffend als gefährliche Werkzeuge bewertet. Damit hat der Angeklagte in diesen Fällen jedoch auch die Qualifikation der Vergewaltigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs gemäß § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB verwirklicht. Denn Nadeln und brennendes Feuerzeug gebrauchte er bei seinen sexuellen Handlungen (vgl. BGHSt 46, 225; BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 5) zumindest auch als Nötigungsmittel. Zugleich mißhandelte der Angeklagte seine Opfer mit Nadelstichen und den damit verbundenen Eingriffen in deren körperliche Integrität unter Beifügung erheblicher Schmerzen schwer im Sinne von § 177 Abs. 4 Nr. 2a StGB (BGH NJW 2000, 3655). Außerdem stellten Klebeband (vgl. NStE Nr. 17 zu § 223a StGB) und Handschellen (vgl. BGH NStZ 1999, 242, 243) hier Mittel im Sinne von § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB dar, um den Widerstand der Geschädigten mit Gewalt zu überwinden. Damit ist der Angeklagte in diesen beiden Fällen der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 und 2 StGB) in den Qualifikationen des § 177 Abs. 3 Nr. 2 sowie des § 177 Abs. 4 Nr. 1 und 2a StGB schuldig. Insoweit hat der Senat in der Sache selbst entschieden. Einer Änderung der Tatbezeichnung in der Urteilsformel bedarf es nicht. Die Qualifikationen der sexuellen Nötigung bzw. der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 3 und Abs. 4 StGB kommen im Urteilstenor nicht zum Ausdruck (BGH NStZ 2000, 254, 255). Das Landgericht wird jedoch bei der neuen Entscheidung die Liste der angewendeten Vorschriften (§ 260 Abs. 5 Satz 1 StPO) dementsprechend zu ergänzen haben. Das Vorliegen der genannten Qualifikationen führt ausgehend von § 177 Abs. 4 StGB – nach Milderung gemäß §§ 21, 49 StGB – zu dem Strafrahmen von zwei Jahren bis zu elf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß die Strafkammer, ausgehend von der höheren Mindeststrafe und unter Berücksichtigung der weiteren Aspekte, in beiden Fällen auf höhere Einzelstrafen und in der Konsequenz auf eine höhere Gesamtstrafe erkannt hätte. Hierüber muß daher neu befunden werden. Die von der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind nicht betroffen und können bestehen bleiben. Sie dürfen durch weitere, nicht widersprechende Feststellungen ergänzt werden. Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist hier von der Strafzumessung nicht beeinflußt.

b) Weitere Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten läßt das Urteil nicht erkennen.

Es ist insbesondere revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer darauf verzichtet hat, neben der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auch seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen.

Die Strafkammer hat, sachverständig beraten, die Voraussetzungen des § 63 StGB rechtsfehlerfrei bejaht. Der Angeklagte beging die Taten im Zustand positiv festgestellter verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB). Seine Steuerungsfähigkeit war in Folge seiner schweren Persönlichkeitsstörung, einer Psychopathie mit schwerem Krankheitswert, die als „schwere andere seelische Abartigkeit” im Sinne von § 20 StGB einzuordnen ist, erheblich beeinträchtigt. Die Strafkammer ist aufgrund einer Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten zu dem Ergebnis gekommen, daß von ihm in Folge seiner Erkrankung – ohne Unterbringung – auch in Zukunft „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit” weitere erhebliche Straftaten zu erwarten sind.

Das Landgericht ist weiter zu dem Ergebnis gekommen, daß beim Angeklagten auch die Voraussetzungen für eine Anordnung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB (und auch gemäß § 66 Abs. 2 StGB – bei Einzelstrafen in Höhe von drei, zweimal vier Jahren und von sieben Jahren) i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen. Es hat ersichtlich angenommen, daß der Hang (i.S.v. § 66 StGB) zu erheblichen Straftaten (vgl. BGH NStZ 2000, 587 und 1999, 502) hier ausschließlich auf der „Erkrankung” (dem Zustand) des Angeklagten i.S.v. § 63 StGB beruht.

Gemäß § 72 Abs. 1 StGB hat die Strafkammer dann – ausgehend von den in BGH NStZ 1998, 35 f., genannten Grundsätzen – entschieden, daß bei diesem Angeklagten allein die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus genügt, um den (Gesamt-)Zweck (beider Maßnahmen) zu erreichen, also beim Angeklagten die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht zusätzlich nötig ist. Dies ist frei von Rechtsfehlern. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist hier ausreichend, um die Allgemeinheit dauerhaft vor weiteren, vom Angeklagten drohenden Straftaten zu schützen.

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dienen beide (wie auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB) dem Schutz der Allgemeinheit vor auch in Zukunft gefährlichen Straftätern unabhängig vom Strafvollzug. Sie sind jedoch in ihrer unmittelbaren Zweckbestimmung und in ihren Voraussetzungen hinsichtlich der Erwartung künftiger Straftaten nicht deckungsgleich. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (oder in einer Entziehungsanstalt) ist daher gegenüber der Sicherungsverwahrung im Grundsatz „kein geringeres, sondern ein anderes Übel” (BGHSt 5, 312, 314; BGH NStZ 1981, 390), so daß deren gleichzeitige Anordnung grundsätzlich rechtlich möglich ist (§ 72 Abs. 2 StGB).

Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) sichert durch Einsperren des Verurteilten unabhängig von der verhängten Strafe. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) stellt außerdem auf Heilung ab, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) zielt allein auf Befreiung von der Sucht (§ 64 Abs. 2 StGB).

Da bei diesem Angeklagten der Hang i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB (vgl. BGH NStZ 1999, 501, 502) allein auf Umständen beruht, die als „Störung” Grundlage der Maßregel gemäß § 63 StGB sind, wird nach deren Beseitigung durch erfolgreiche Behandlung in der Psychiatrie kein – weitergehender – Hang zur Begehung von Straftaten mehr bestehen. Stünde danach zu erwarten, daß die Gefährlichkeit des Täters durch die Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) behoben werden kann, dürfte wegen des Vorrangs der Besserung und des Ultima-ratio-Charakters der Sicherungsverwahrung schon deshalb lediglich die Unterbringung im Krankenhaus angeordnet werden (vgl. LK-Hanack StGB 11. Aufl. § 72 Rdn. 24).

Dies gilt selbst bei zweifelhaften Heilungsaussichten. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB setzt den Erfolg einer Therapie nicht zwingend voraus (Schönke/Schröder-Stree StGB 26. Aufl. § 63 Rdn. 20 m.w.N.). Nach der gesetzlichen Regelung sind von einer Maßnahme nach § 63 StGB solche Täter nicht von vorneherein ausgenommen, bei denen die Aussicht auf Besserung von vorneherein zweifelhaft ist (BGH NStZ 1999, 122, 123; BGH NStZ-RR 1999, 44; BGHSt 34, 22, 28). Wenn sich während des Aufenthalts in einem psychiatrischen Krankenhaus herausstellen sollte, daß entgegen der ursprünglichen Prognose eine erfolgreiche Behandlung nicht möglich ist, hat sich damit die Maßregel nicht zwangsläufig erledigt. Denn mit der Unterbringung nach § 63 wird – im Gegensatz zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (vgl. § 64 Abs. 2 StGB – BGH NStZ 2000, 25, 26; Schönke/Schröder-Stree StGB 26. Aufl. § 64 Rdn. 64) – ergänzend über die Behandlung hinaus ein bloßer Sicherungszweck verfolgt. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dauert daher fort, solange vom Angeklagten die in § 63 StGB genannte Gefahr ausgeht. Nach § 136 StVollzG sollen die in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zwar in erster Linie behandelt werden, damit sie für die Allgemeinheit nicht mehr gefährlich sind. Ist die erstrebte Heilung und Besserung des Zustands nicht möglich, beschränkt sich nach § 136 Satz 2 StVollzG („soweit möglich” soll er geheilt oder sein Zustand gebessert werden) und § 136 Satz 3 StVollzG die Verpflichtung der Anstalt darauf, die erforderliche Aufsicht, Betreuung und Pflege zu gewährleisten. Der Sicherungszweck erfordert deshalb bei einer Maßnahme nach § 63 StGB auch bei zweifelhaften Heilungsaussichten nicht regelmäßig die kumulative Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, während im Gegensatz dazu bei einer Maßnahme nach § 64 StGB im Hinblick auf den Behandlungserfolg in der Entziehungsanstalt ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit gegeben sein muß, um von – zusätzlicher – Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, wenn deren Voraussetzungen im übrigen gegeben sind, absehen zu können (BGH NJW 2000, 3015, 3016).

Auch für die Allgemeinheit besonders gefährliche Täter sind von der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht auszuschließen. Zwar müssen bei der Unterbringung gemäß § 63 StGB wegen des Vorrangs der Therapie zunächst ärztlich-psychiatrische Gesichtspunkte Vorrang haben. Solange vom Verurteilten eine Gefahr ausgeht, sind jedoch – wie im Strafvollzug – die für den Maßregelvollzug Verantwortlichen berechtigt und verpflichtet, im Einzelfall Maßnahmen zu ergreifen, die das Verbleiben des Untergebrachten auch gegen dessen Willen in der Anstalt gewährleisten. Die Erwägung, der Angeklagte könne in einer Haftanstalt besser überwacht werden, wäre deshalb eine außerhalb der Ziele des Maßregelvollzugs liegende Zweckmäßigkeitsüberlegung (BGH NStZ-RR 1999, 44). Zusätzliche Anordnung von Sicherungsverwahrung (§ 72 Abs. 2 StGB) kommt neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur in Betracht, wenn – anders als bei diesem Angeklagten – auch nach Wegfall des von § 63 StGB vorausgesetzten Zustandes die Gefährlichkeit aufgrund eines aus anderen Gründen gegebenen Hangs zu erheblichen Straftaten fortbestehen wird.

Die Strafkammer hat weiter mit hinreichender Deutlichkeit festgestellt, daß der Angeklagte – wenn auch nur im Rahmen einer langen Behandlung – voraussichtlich therapierbar ist. Der Angeklagte äußerte auch den Willen, sich einer Therapie zu unterziehen. Vor diesem Hintergrund ist es rechtsfehlerfrei, wenn sich die Strafkammer sachverständig beraten aufgrund einer Gesamtabwägung gemäß § 72 Abs. 1 StGB für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten allein in einem psychiatrischen Krankenhaus entschieden hat, zumal hier nur die Voraussetzungen einer fakultativen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 2 und 3 StGB) gegeben sind.

2. Die Revision des Angeklagten hat nur mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als die Anordnung des Vorwegvollzugs von fünf Jahren Freiheitsstrafe vor der angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 Abs. 2 StGB) mit der von der Strafkammer gegebenen Begründung keinen Bestand hat.

a) Die Revision rügt zu Unrecht die Fortsetzung der Hauptverhandlung am 13. Verhandlungstag ohne den Angeklagten sowie seine fehlende Unterrichtung über den wesentlichen Inhalt dessen, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist.

Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Der Angeklagte, der bereits Gelegenheit gehabt hatte, sich zur Sache zu äußern (§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO), konnte am 13. Verhandlungstag, dem 2. Juli 2001, nicht zur Hauptverhandlung vorgeführt werden, da er in Folge der Einnahme einer Überdosis von antidepressiv wirkenden Tabletten verhandlungsunfähig war und deshalb auch unter ärztlicher Beobachtung bleiben mußte. Die Strafkammer stellte nach Einholung der notwendigen Informationen und der Anhörung eines Sachverständigen fest, „daß der Angeklagte seine Verhandlungsunfähigkeit vorsätzlich und schuldhaft herbeigeführt hat”. Sie lehnte deshalb den auf die §§ 231, 231a StPO gestützten Antrag des Verteidigers, das Verfahren auszusetzen, ab und beschloß statt dessen, die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten fortzusetzen (§ 231 Abs. 2 StPO), insbesondere zur Vernehmung des – sonst in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht mehr greifbaren – Zeugen Andre H., dem Geschädigten in den Fällen 3a und 3b. Am folgenden Verhandlungstag, dem 4. Juli 2001, war der Angeklagte wieder anwesend und äußerte sich zur Sache. Ein Vermerk über die Unterrichtung des Angeklagten durch den Vorsitzenden über den wesentlichen Inhalt dessen, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist, findet sich in der Sitzungsniederschrift nicht.

aa) Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO liegt nicht vor.

Die Strafkammer durfte die Hauptverhandlung am 2. Juli 2001 gemäß § 231 Abs. 2 StPO ohne den Angeklagten fortsetzen. Dem eigenmächtigen Ausbleiben steht gleich, wenn sich der Angeklagte, nachdem er Gelegenheit hatte, sich umfassend zu äußern – vorher gilt § 231a StPO –, in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt (vgl. BGH NStZ 1986, 372; LR-Gollwitzer StPO 25. Aufl. § 231 Rdn. 10, 18; KK-Tolksdorf StPO 4. Aufl. § 231 Rdn. 3 ff, 7; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 231 Rdn. 17, 19; jeweils m.w.N.). Einer Wiederholung der Beweisaufnahme nach dem „Wiedererscheinen” des Angeklagten bedurfte es nicht.

bb) Auch die Rüge der Verletzung des § 231a StPO hat keinen Erfolg.

Ist Grundlage für die Fortsetzung der Hauptverhandlung ohne den Angeklagten § 231 Abs. 2 StPO, muß dieser, wenn er wieder anwesend ist, im Gegensatz zu der ausdrücklichen Regelung in § 231a Abs. 2 StPO (und auch in § 247 Satz 4 StPO) nicht vom Vorsitzenden über den Inhalt dessen unterrichtet werden, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder verhandelt worden ist. Eine Information des Angeklagten hierüber wird zwar häufig zweckmäßig und aufgrund der prozessualen Fürsorgepflicht zuweilen auch geboten sein. Seine Unterrichtung muß dann jedoch nicht notwendigerweise durch das Gericht bzw. dessen Vorsitzenden erfolgen. Beim verteidigten Angeklagten wird ohnehin der Verteidiger seinen Mandanten über das in Kenntnis zu setzen haben, was während dessen Abwesenheit geschah. Davon, daß dies geschieht, ist regelmäßig auch auszugehen. Anhaltspunkte dafür, daß dies hier nicht der Fall war, bestehen nicht. Die Revision trägt auch nichts dahingehend vor.

Im übrigen ist eine fehlende Information des Angeklagten durch den Vorsitzenden nicht erwiesen. Es handelt sich hierbei, anders als bei § 231 Abs. 2 StPO, um keinen protokollierungspflichtigen Vorgang i.S.v. § 273 StPO, der damit auch nicht der – negativen – Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) unterliegt, so daß das Schweigen der Sitzungsniederschrift hierzu nichts besagt. Außerdem könnte das Urteil auf einer unterlassenen Unterrichtung nicht beruhen, da der Angeklagte geständig war.

b) Die Anordnung des Vorwegvollzugs von fünf Jahren Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand.

Der Gesetzgeber geht von dem Grundsatz aus, daß mit der Behandlung des psychisch gestörten Täters umgehend begonnen werden soll (BGH Beschluß vom 13. April 1999 – 1 StR 51/99 –, BGHR § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 4, 11, 13). Im Falle des Nebeneinanders von Freiheitsstrafe und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist deshalb gemäß § 67 Abs. 1 StGB die Maßregel regelmäßig vor der Strafe zu vollziehen. Will der Tatrichter von diesem Grundsatz abweichen, was ihm nach § 67 Abs. 2 StGB gestattet ist, sofern durch die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge der Zweck der Maßregel leichter zu erreichen ist, so muß er diese Entscheidung mit auf den Einzelfall abgestellten, nachprüfbaren Erwägungen begründen (BGHR § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 4).

Die Strafkammer „ist in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen der Auffassung, daß der Angeklagte einen Leidensdruck benötigt, um bei einer Therapie nachhaltig mitzumachen”. Schon in der Vergangenheit habe er sich lediglich unter dem Druck anhängiger Prozesse in ärztliche Behandlung begeben. Um eine nachhaltige Therapiebereitschaft beim Angeklagten hervorzurufen sowie um einen eventuellen Therapieerfolg durch eine nachfolgende Strafvollstreckung nicht zu gefährden, habe die Strafkammer den Vorwegvollzug von zwei Dritteln der Strafe als erforderlich angesehen. Zwar sind die genannten Gesichtspunkte, Herbeiführung eines „Leidensdrucks” (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 4 und Zweckerreichung, leichtere 6; BGH NStZ 1986, 139; Maul/Lauven, Die Vollstreckungsreihenfolge von Strafe und Maßregel gemäß § 67 Abs. 2 StGB, NStZ 1986, 397, 398) und Gefährdung des Therapieerfolgs bei nachfolgendem Strafvollzug (vgl. BGH NStZ 1999, 613, 614; Maul/Lauven aaO 399) im Grundsatz tragfähige Ansatzpunkte für die Umkehr der Vollzugsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 1 StGB (Bedenken dagegen aber in BGH NStZ 1986, 427, 428), in besonderen Fällen auch bei einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB, wenn der Maßregel eine schwere andere seelische Abartigkeit zugrunde liegt (BGH NStZ 1999, 613, 614). Die Umstände, aus denen die Strafkammer die Notwendigkeit des Vorwegvollzugs folgert, sind hier aber nicht widerspruchsfrei dargelegt. So ist die Annahme der Notwendigkeit eines weiteren „Leidensdrucks” zur Herbeiführung einer „nachhaltigen” Therapiebereitschaft mit der Feststellung der Strafkammer zu Therapiewilligkeit des geständigen Angeklagten nicht in Einklang zu bringen. Daß der Erfolg einer psychotherapeutischen Behandlung durch einen nachfolgenden Strafvollzug wieder zunichte gemacht werde, wird durch keine auf den vorliegenden Fall bezogenen konkreten Anhaltpunkte belegt. Umstände, die dafür sprechen könnten, gerade bei diesem Angeklagten wäre durch den Vorwegvollzug von Strafe der Zweck der Maßregel besser zu erreichen, sind damit nicht festgestellt. Daß sich dies nach der neuen Verhandlung entscheidend anders darstellen könnte, kann ausgeschlossen werden. Die Anordnung der Vorwegvollstreckung der Strafe muß daher entfallen.

c) Die weitergehende Revision des Angeklagten ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. Januar 2002 dargelegten Gründen offensichtlich unbegründet.

 

Unterschriften

Schäfer, Nack, Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit

 

Fundstellen

Haufe-Index 2559452

NStZ 2002, 533

DAR 2003, 301

StV 2002, 478

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