Entscheidungsstichwort (Thema)

Eigentumsvermutung

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Die Vorschrift des § 1006 I 1 BGB gilt auch für Inhaberaktien, die sich in Deutschland befinden. Ist deutsches Recht anzuwenden, dann begründet § 1006 I 1 BGB die Vermutung, daß der unmittelbare Besitzer von Inhaberaktien Eigenbesitzer sowie aufgrund des Eigenbesitzes auch Aktieneigentümer und Aktionär geworden ist. Diese Vermutung dauert auch dann fort, wenn der Besitzer die Aktien ins Ausland verbringt und dort in einem Banksafe deponiert.
  2. Zur Behandlung von in Deutschland befindlichen Inhaberaktien an ausländischen Aktiengesellschaften.
 

Normenkette

BGB § 1006; EGBGB Art. 7

 

Tatbestand

Die Klägerin zu 1) ist die Witwe des am 8. November 1988 verstorbenen Erblassers G.; aus ihrer Ehe mit dem Erblasser sind die Kläger zu 2) und 3) hervorgegangen. Außerdem hatte der Erblasser drei nichteheliche Kinder von der Beklagten.

Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger; er hatte umfangreiches Vermögen im In- und Ausland, unter anderem die Aktien der A. AG, Zürich, und der M. AG, Vaduz. Er hinterließ ein maschinenschriftliches Testament, mit dem er unter anderem verfügte, die Beklagte solle Alleinerbin seines Vermögens in der S. (ausgenommen eine Liegenschaft in Flims), in Liechtenstein, Österreich und Italien sein. Weiter heißt es dort: "Ich stelle fest, daß meine eheliche Frau und meine ehelichen Kinder ... aus meinem in Deutschland liegenden Vermögen und aus meiner Liegenschaft in Flims/GR bedacht bzw. abgefunden sind."

Die Kläger verstehen das Testament dahin, daß es sich um Erbeinsetzung der Kläger einerseits und der Beklagten andererseits nach Vermögensgruppen (inländisches Vermögen zuzüglich Flims hier, übriges ausländisches Vermögen dort), verbunden mit entsprechenden Teilungsanordnungen handele. Nachdem die Klägerin zu 1) die Erbschaft inzwischen ausgeschlagen hat und anderweit ihren Pflichtteil und Zugewinnausgleich beansprucht, errechnen die Kläger zu 2) und 3) aus den behaupteten Werten der zugewiesenen Vermögensgruppen für sich eine Erbquote von 43, 14% und für die Beklagte von 56, 86%. Auf dieser Grundlage haben die Kläger zahlreiche Auskünfte, Herausgabe sowie Unterlassung verlangt und Feststellung beantragt. Die Beklagte behauptet unter anderem, die A.-Aktien seien ihr bereits im Jahre 1978 geschenkt worden, die M.-Aktien 1983.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat der Beklagten unter anderem verboten, über dasjenige zu verfügen, das sie durch Veräußerung der M.-Aktien erlangt hat, und andere nachteilige Handlungen in diesem Zusammenhang vorzunehmen. Dagegen richtet sich die - insoweit angenommene - Revision der Beklagten. Abgewiesen hat das Berufungsgericht die Klage, soweit die Kläger zu 2) und 3) Herausgabe der A.-Aktien und Auskunft über diese verlangen. Die dagegen gerichtete Revision der Kläger zu 2) und 3) hat der Senat wegen der Auskunft angenommen.

 

Entscheidungsgründe

A.

Die Revision der Kläger zu 2) und 3) hat keinen Erfolg.

I.

Ein Anspruch auf Auskunft über den Verbleib der als Inhaberpapiere ausgestalteten A.-Aktien gemäß § 2028 BGB steht den Klägern zu 2) und 3) nicht zu.

1.

Die Erbfolge nach dem deutschen Erblasser richtet sich, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, gemäß Art. 220 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1 EGBGB n.F. nach deutschem Erbrecht. Das Testament vom 29. März 1977 ist zwar nicht , eigenhändig, sondern mit der Schreibmaschine geschrieben und entspricht damit nicht der Form des § 2247 BGB. Da es aber in Vaduz errichtet worden ist, genügt nach Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a) des Übereinkommens über die Testamentsform vom 5. Oktober 1961 (BGBl. 1965 II S. 1145) die Einhaltung der Ortsform. Danach ist § 579 des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) maßgebend, dessen erbrechtlicher Teil in Liechtenstein rezipiert worden ist (vgl. z.B. Brauneder, LJZ 1988, 94). Diese Vorschrift läßt die hier vorliegenden Unterschriften des Erblassers und dreier Zeugen ausreichen.

2.

Das Berufungsgericht legt das Testament dahin aus, daß es sich um "Erbeinsetzung nach Vermögensgruppen" in Verbindung mit entsprechenden Teilungsanordnungen handele. Das ist rechtlich unbedenklich; auch die Beklagte erhebt insoweit keine Einwendungen. Ob die von der Klägerin zu 1) nachträglich erklärte Ausschlagung wirksam ist oder nicht, ist hier nicht zu entscheiden, nachdem sie ihre Revision zurückgenommen hat. Danach hat der Senat davon auszugehen, daß der Erblasser von mehreren Erben beerbt worden ist und daß die Kläger zu 2) und 3) neben der Beklagten Mitglieder dieser Erbengemeinschaft sind. Als solche können sie von der Beklagten, der Lebensgefährtin des Erblassers, gemäß § 2028 BGB Auskunft über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände verlangen (§ 2039 BGB). Indessen handelt es sich bei den A.-Aktien nicht um Erbschaftsgegenstände.

3.

Beide Vorinstanzen sehen als bewiesen an, daß der Erblasser der Beklagten die A.-Aktien bereits im Jahre 1978 geschenkt, übergeben und übereignet hat. Auf die dagegen gerichteten Verfahrensrügen der Kläger zu 2) und 3) kommt es nicht an.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts (BU 16 II) greift die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB nicht erst dann ein, wenn feststeht, daß die Beklagte die Aktienurkunden bereits zu Lebzeiten des Erblassers in Besitz hatte. Für die Rechtsverhältnisse einer ausländischen Aktiengesellschaft und damit auch für den Erwerb und den Verlust der Mitgliedschaft in ihr ist nach deutschem Internationalen Privatrecht an den Sitz der Hauptverwaltung (RG IPRspr 1934 Nr. 11; vgl. auch BGHZ 78, 318, 334) anzuknüpfen, also hier an das schweizerische Recht. Dieses behandelt jedoch Inhaberaktien internationalprivatrechtlich wie bewegliche Sachen und verweist insoweit auf das Ortsrecht (lex chartae sitae) weiter (Vischer/von Planta, Internationales Privatrecht 2. Aufl. S. 66 unter 2). Da die Übergabe und die Übertragung in Marquartstein/Chiemgau stattgefunden haben soll, und da die Aktien sich unstreitig im unmittelbaren Besitz der dort wohnenden Beklagten befinden, ist das deutsche Recht maßgebend (BGH, Urteil vom 4.2.1960 - VII ZR 161/57 - LM EGBGB Art. 7ff. Deutsches internationales Privatrecht Nr. 11 unter III 2 a, 3 a und d). Infolgedessen kommt es auf § 1006 BGB an, der - wie schon dessen Abs. 1 Satz 2 zeigt - auch für Inhaberpapiere gilt (vgl. BGH, Urteil vom 9.5.1974 - II ZR 72/73 - WM 1974, 591). Demgemäß ist nach dessen Abs. 1 Satz 1 zugunsten der Beklagten zu vermuten, daß diese bei Erlangung des unmittelbaren Besitzes Eigenbesitzerin, sowie aufgrund des Eigenbesitzes auch Eigentümerin (BGH, Urteile vom 10.5.1960 - VIII ZR 90/59 -, 5.7.1967 - VIII ZR 169/65 - und vom 23.4.1975 - VIII ZR 58/74 - LM BGB § 1006 Nr. 7 unter III 1 a, Nr. 10 unter 2 b und Nr. 14 unter 2 a) und Aktionärin geworden ist. Dazu bedarf es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keines weiteren Beweises von ihrer Seite, vielmehr hätten die Kläger das Gegenteil beweisen müssen (BGH, Urteile vom 29.4.1958 - VIII ZR 211/57 - LM BGB § 929 Nr. 8 unter 5 Bl. 2 R, vom 11.10.1961 - VIII ZR 113/60 -, vom 23.4.1975 - VIII ZR 58/74 - und vom 19.1.1977 - VIII ZR 42/75 - LM BGB § 1006 Nr. 9 unter 4, Nr. 14 unter I 2 a, b, Nr. 16 unter I 2 b cc Bl. 3). Daran haben die Kläger es trotz entsprechender Hinweise der Beklagten (Bl. 67 d.A.) vor dem Tatrichter fehlen lassen. Insbesondere haben sie nicht bewiesen, daß die Beklagte den Besitz nicht schon im Jahre 1978, sondern erst nach dem Erbfall (8.11.1988) erlangt habe. Der Vortrag der Kläger hierzu hat dem Tatrichter nicht ausgereicht. Die dagegen gerichteten Rügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet.

II.

Auf § 2314 BGB können die Kläger zu 2) und 3) sich wegen der Auskunft über die A.-Aktien schon deshalb nicht stützen, weil diese Vorschrift nur pflichtteilsberechtigte Nichterben betrifft und also den Klägern nicht zugute kommen kann. Aber auch der aus § 242 BGB abgeleitete "allgemeine" Auskunftsanspruch (BGHZ 108, 393, 395 und öfter) hilft den Klägern hier nicht weiter. Dieser Anspruch dient im Erbrecht vor allem der Vorbereitung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen und setzt unter anderem voraus, daß der Pflichtteilsberechtigte über bestimmte Umstände im unklaren und deshalb auf die Auskunft angewiesen ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Den Klägern ist bekannt, um welche Aktien es sich handelt, die die Beklagte als vom Erblasser geschenkt für sich in Anspruch nimmt. Wo genau die Aktien derzeit verwahrt werden, ist für die Kläger ohne Bedeutung. Ihre Herausgabeklage ist insoweit rechtskräftig abgewiesen. Soweit es noch um einen etwaigen Pflichtteilsergänzungsanspruch der Kläger zu 2) und 3) aus Anlaß der vom Berufungsgericht festgestellten Schenkung gehen sollte, so bedarf es für eine hierzu etwa nötige Wertermittlung keiner Aufklärung über den derzeitigen Verwahrungsort der Aktien.

B.

Dagegen hat die Revision der Beklagten Erfolg, soweit sie angenommen ist (Verbot von Verfügungen und Handlungen in bezug auf die Inhaberaktien der M. AG, Vaduz, III a und b der Urteilsformel).

I.

1.

Mit Recht geht das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, ob die Beklagte oder der Erblasser beim Erbfall Aktionär der M. AG war, von der Anwendung deutschen Rechts aus. Allerdings verweist das deutsche Internationale Privatrecht, wie bereits unter A. I. 3. angeführt ist, zunächst auf das Recht des Sitzes der Hauptverwaltung, also hier auf das liechtensteinische Recht. Aber auch dieses Recht behandelt Inhaberaktien internationalprivatrechtlich wie bewegliche Sachen und verweist insoweit auf das Recht der Belegenheit der Inhaberaktien (lex chartae sitae) weiter (Guido Meier, Grundstatut und Sonderanknüpfung im IPR des liechtensteinischen Gesellschaftsrechts S. 195f.). Da bestritten und nicht festgestellt ist, daß der Erblasser das Aktienzertifikat Nr. 1 über 50 M.-Aktien Nr. 1-50 vom 1. Juli 1982 der Beklagten bereits im Jahre 1983 übergeben und geschenkt hat, stellt der Senat für die Anwendung des deutschen Rechts nicht schon auf diesen Zeitpunkt ab. Andererseits ist unstreitig, daß die Beklagte die Aktien im September/Oktober 1989 verkauft und dem Käufer das Zertifikat von 1982 übergeben hat, sowie daß sie es jedenfalls nach dem Erbfall in ihrem unmittelbaren Besitz in Marquartstein hatte.

Auf dieses Zertifikat und nicht etwa auf die beiden weiteren Papiere kommt es an, die die M. AG am 6. April 1984 ausgestellt hat. Diese letzteren Papiere ("Nr. 1" über eine Aktie von 1.000 SF und "Nr. 2-50" über 49 Aktien zu je 1.000 SF) sind dem Erblasser nachträglich unter Verstoß gegen das Doppelverbriefungsverbot ausgehändigt worden. Sie konnten dem Erblasser keine zusätzlichen Anteile an der Aktiengesellschaft verschaffen und sind seit ihrer Vernichtung im Oktober 1989 ohne Bedeutung.

2.

Der Umstand, daß die Beklagte Eigenbesitz an dem maßgebenden Aktienpapier von 1982 jedenfalls nach dem Erbfall hatte, reicht aus, um für die Zeit danach auf deutsches Recht abzustellen. Es entscheidet auch über die eigentumsrechtliche Bedeutung des Besitzes (von Bar, Internationales Privatrecht Bd. II Rdn. 759). Danach wird, wie ebenfalls bereits oben unter A. I. 3. angeführt ist, gemäß § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB zugunsten der Beklagten vermutet, daß sie bei Erlangung des unmittelbaren Besitzes Eigenbesitzerin, sowie aufgrund dieses Eigenbesitzes auch Eigentümerin des Papiers und Aktionärin geworden ist. Dadurch ist die Beklagte vorerst jedes weiteren Beweises dazu enthoben, ob der Erblasser ihr das Zertifikat tatsächlich bereits im Jahre 1983 übergeben und übereignet hat. Auch bedarf es von ihrer Seite keines weiteren Vortrags (und Beweises) dazu, in welchem Land und nach welchem Recht das geschehen sein soll. Das gilt auch dann, wenn feststeht oder nicht ausgeschlossen ist, daß der Eigenbesitz im Ausland erlangt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 4.2.1960 - VII ZR 161/57 - LM EGBGB Art. 7ff. - Deutsches internationales Privatrecht - Nr. 11 unter III 3 a bis d) und der Erwerbsvorgang selbst nach ausländischem Recht zu beurteilen ist. Daher trägt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht die Beklagte die Beweislast für den von ihr behaupteten Erwerbsvorgang, sondern umgekehrt müssen die Kläger beweisen, daß die Beklagte das Eigentum nicht erlangt hat. Das könnte etwa dadurch geschehen, daß sie den Tatrichter davon überzeugen, daß der behauptete Erwerb - sei es nun nach deutschem, schweizerischem oder liechtensteinischem Recht - im Jahre 1983 nicht zustande gekommen ist oder daß die Beklagte die Papiere überhaupt erst nach dem Erbfall einem Safe des Erblassers entnommen hat. Das hat das Berufungsgericht verkannt.

Diese Eigentumsvermutung aus § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB wirkt zugunsten der Beklagten auch dann fort, wenn die Beklagte das Zertifikat nachträglich nach Liechtenstein oder in die Schweiz verbracht und dort in einem Banksafe deponiert haben sollte. Die Parteien sind einig, daß sich in dieser Zeit bis zur Übergabe des Papiers an die S. AG im Herbst 1989 die Eigentumsverhältnisse nicht mehr verändert haben. Deshalb kann hier offen bleiben, ob die Eigentumsvermutungen des Art. 930 des schweizerischen ZGB und des daran angelehnten Art. 509 des liechtensteinischen Sachenrechts ebensoweit reichen wie diejenigen aus § 1006 BGB und ob sie, wenn deutsches Recht nicht eingriffe, auch ihrerseits die Beklagte von weiteren Beweisen freistellen würden.

II.

Unter diesen Umständen kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, daß die M.-Aktien und das dafür Erlangte kraft Surrogation gemäß §§ 2041 oder 2019 BGB zum Nachlaß gehört. Die gegen die Beklagte ausgesprochenen Verbote können daher nicht bestehen bleiben.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht die aus § 1006 BGB folgende Beweislast der Kläger zu beachten und in eigener Verantwortung zu prüfen haben, ob die auf dem Eigenbesitz der Beklagten beruhende Eigentumsvermutung zu ihren Gunsten widerlegt ist. Gelingt die Widerlegung, dann wird ferner zu prüfen sein, ob das Erlangte im Sinne des Berufungsantrags zu II 5 b (III a des Tenors) näher konkretisiert werden kann. In der bisherigen Fassung dürfte der Antrag zu wenig bestimmt, nicht vollstreckbar und daher unzulässig sein. Entsprechendes gilt erst recht für den Berufungsantrag zu II 5 c (III b des Tenors).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456344

NJW 1994, 939

ZIP 1994, 371

ZBB 1994, 179

IPRspr. 1994, 54

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