Leitsatz (amtlich)

1. Ist ein Teilurteil in unzulässiger Weise ergangen, so setzt die Aufhebung des Teilurteils in der Revisionsinstanz außer in Ehesachen grundsätzlich eine Verfahrensrüge nach § 554 Abs 3 Zif 2 b ZPO voraus.

2. Die Vereinbarung eines Rückkehrverbots bei Verträgen über den Tausch einer ärztlichen Praxis ist grundsätzlich nicht sittenwidrig.

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Entscheidung vom 03.03.1954)

LG Stuttgart (Entscheidung vom 17.09.1953)

 

Tenor

Das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Stuttgart vom 3. März 1954 und das Teilurteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts in Stuttgart vom 17. September 1953 werden aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung und der Revision, an das Landgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger war in H...-B... und der Beklagte in K.../Württemberg als praktischer Arzt tätig. Anfang Februar 1951 vereinbarten die Parteien, ihre Praxis zu tauschen. Auf ihren Antrag genehmigten die zuständigen Zulassungsausschüsse der Kassenärztlichen Vereinigungen in Hamburg und Stuttgart den Praxistausch mit der Folge, daß der Kläger als Kassenarzt mit dem Sitz in K... und der Beklagte als Kassenarzt mit dem Sitz in H...-A... zugelassen wurde. Am 1. Juli 1952 wurde der Tausch vollzogen. Die Parteien nahmen mit diesem Zeitpunkt ihre Tätigkeit in der neuen Praxis auf, wobei sie Wohn- und Praxisräume ihrer Vorgänger übernahmen.

Kurz darauf kam es zwischen den Parteien zu Mißhelligkeiten, in deren Verlauf der Beklagte an den Kläger die Anfrage richtete, ob und unter welchen Bedingungen er zu einem Rücktausch bereit sei. Am 24. November 1952 trafen die Parteien sodann eine Rücktauschvereinbarung, bei der sie sich ein Rücktrittsrecht, das auf zehn Tage befristet war, vorbehielten. Der Kläger trat von diesem Vertrage fristgemäß zurück.

Der Beklagte äußerte nunmehr Bedenken gegen die Zulässigkeit des Praxistauschvertrages und erklärte überdies durch Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 19. Januar 1953 die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung. Er brachte im Zusammenhang hiermit seine Absicht zum Ausdruck, zu gegebener Zeit nach K... zurückzukehren und sich in unmittelbarer Nähe seiner früheren Praxisräume wieder als Arzt niederzulassen.

Der Kläger hat hierauf Klage erhoben mit dem Antrag

  • 1.

    festzustellen, daß der Tauschvertrag der Parteien vom Februar 1951 rechtsgültig, insbesondere nicht wegen Anfechtung oder Sittenwidrigkeit nichtig ist,

  • 2.

    den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, in K... selbst oder seiner Umgebung die Praxis als Arzt der Art auszuüben, daß die Patienten der früheren K... Praxis des Beklagten Gelegenheit haben, den Beklagten unter normalen Bedingungen als Arzt in Anspruch zu nehmen.

Hinsichtlich des Klageantrags zu 2) hat der Kläger den Hilfsantrag gestellt, die Unterlassungspflicht auf 20 Jahre, evtl auch 10 oder 5 Jahre zu beschränken.

Er hat ausgeführt, der Praxistausch sei rechtswirksam vereinbart worden. Es handele sich um einen nicht selten vorkommenden und in langer Gewohnheit auch von der Standesauffassung der Ärzte gebilligten Vorgang, der keinen Verstoß gegen die guten Sitten enthalte. Davon, daß der Beklagte arglistig getäuscht worden sei, könne keine Rede sein. Sei der Tauschvertrag aber rechtsgültig, dann sei es dem Beklagten für einen Zeitraum von mindestens 10-20 Jahren untersagt, in K... und näherer Umgebung seine ärztliche Praxis wiederaufzunehmen. Die Praxis eines Arztes bestehe im wesentlichen in der Summe der persönlichen Beziehungen zu dem Patientenkreis, die nach der Erfahrung des Lebens in einem erheblichen Umfang auf den Nachfolger übergingen. Hieraus ergebe sich, daß derjenige, der im Wege des Tauschvertrages diese persönlichen Beziehungen weggeben habe, sich nicht das Weggegebene wieder aneignen dürfe.

Der Beklagte hat die Rechtswirksamkeit des Tauschvertrages bestritten. Die erklärte Anfechtung hat er vor allem damit begründet, daß der Kläger ihm über seine frühere Wohnung sowie über die Erträge und Ordnungsmäßigkeit der übergebenen Praxis falsche Angaben gemacht habe. Der Unterlassungsanspruch stehe dem Kläger aber auch dann nicht zu, wenn er mit seinem Klageantrag zu 1) durchdringen sollte. Es liege nicht in der Natur eines Praxistausches, daß es den Tauschpartnern untersagt sei, an den früheren Ort ihrer beruflichen Tätigkeit zurückzukehren. Selbst wenn ein solches Rückkehrverbot ausdrücklich vereinbart worden wäre, könne der Kläger sich nicht darauf berufen, weil Wettbewerbsverbote unter Ärzten sittenwidrig und daher nichtig seien. Dem Kläger würde übrigens durch seine, des Beklagten, Rückkehr nach K... kein Schaden entstehen, da es ihm nach Ablehnung des Rücktausches nicht ohne weiteres möglich sei, die Zulassung als Kassenarzt in K... wiederzuerlangen. Der Kläger könne daher in dem wesentlichen Teil der Praxis von ihm überhaupt nicht beeinträchtigt werden.

Das Landgericht hat den Klageantrag zu 2) durch Teilurteil abgewiesen. Es hat ausgeführt, daß selbst dann, wenn der Tauschvertrag gültig wäre, eine etwa vereinbarte Wettbewerbsklausel wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei, so daß es dem Beklagten jederzeit freistehe, seine ärztliche Praxis in K... oder Umgebung wieder auszuüben. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Unterlassungsanspruch weiter, während der Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht hält den Unterlassungsanspruch des Klägers schon deshalb für unbegründet, weil nicht erwiesen sei, daß die Parteien bei Abschluß des Praxistauschvertrages ein Rückkehrverbot vereinbaren wollten und vereinbart hätten. Fehle es aber an einer solchen Vereinbarung, dann könne der Kläger dem Beklagten die Rückkehr nach seinem früheren Wohnsitz in K... und die Wiederaufnahme seiner dort betriebenen Privatpraxis unter keinen Umständen verwehren. Es komme daher für die Entscheidung über den Unterlassungsanspruch weder auf die Gültigkeit des Praxistauschvertrages noch darauf an, ob ein Rückkehrverbot, wenn es vereinbart worden wäre, gegen die guten Sitten verstoßen und daher nichtig sein würde.

Ob das Berufungsgericht mit Recht von der Zulässigkeit des vom Landgericht erlassenen, auf den Klageantrag zu 2) beschränkten Teilurteils ausgegangen ist oder ob das Teilurteil wegen eines untrennbaren Zusammenhangs zwischen den beiden Klageanträgen, vor allem mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz, mithin wegen mangelnder Entscheidungsreife des Klageantrags zu 2), nicht erlassen werden durfte, kann das Revisionsgericht nicht unmittelbar nachprüfen. Die Unzulässigkeit eines in der Tatsacheninstanz erlassenen Teilurteils kann nach der ständigen und auch von der Rechtslehre gebilligten Rechtsprechung des Reichsgerichts, von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlaß bietet, in der Revisionsinstanz grundsätzlich nur nach Verfahrensrüge des Beschwerten gemäß § 554 Abs 3 Nr 2 b ZPO berücksichtigt werden (RGZ 85, 217; 152, 297; Stein-Jonas ZP0 § 30 Erl II 2 vorl Abs). Eine solche Verfahrensrüge ist nicht erhoben. Ausnahmsweise kann sich der Erlaß eines Teilurteils, allerdings als ein von Amts wegen zu berücksichtigender Mangel der Urteilsfindung darstellen. Ein solcher Fall liegt z.B. vor, wenn das Berufungsgericht durch Teilurteil über eine Widerklage entschieden hat, die durch eine nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegte Anschlußberufung in den Rechtsstreit eingeführt worden ist. Hier bewirkt die Bestimmung, daß eine unselbständige Anschlußberufung unwirksam wird, wenn die Berufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird, eine derartige prozessuale Verzahnung zwischen Berufung und Anschließung, daß eine besondere Entscheidung über die letztere das ganze Verfahren betrifft und deshalb von Amts wegen auf ihre Zulässigkeit in dieser Beziehung geprüft werden muß (RGZ 159, 295). Anders verhält es sich aber, wenn, wie im vorliegenden Rechtsstreit, die Zulässigkeit des Teilurteils lediglich dadurch in Frage gestellt wird, daß möglicherweise ein Zusammenhang in sachlicher Beziehung zwischen den Klageanträgen besteht. In solchen Fällen muß es nach dem von der Rechtsprechung des Reichsgerichts herausgestellten Grundsatz bei dem Erfordernis der Verfahrensrüge verbleiben.

Das Berufungsurteil war daher sachlich nachzuprüfen. In dieser Hinsicht ergeben sich gegen seine Begründung durchgreifende Bedenken.

Nach der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts ist die Möglichkeit eines Praxisverkaufs bejaht worden (vgl RGZ 153, 294 gegenüber RGZ 144, 1). Die grundsätzliche Anerkennung eines Praxistausches ist durch die Gesetzgebung anerkannt worden (vgl § 22 Abs 2 der ZulassungsO f. Ärzte v. 26.11.1953 - GVBl Bad-Württ 1953, 197). Es kommt daher entscheidend auf die Frage an, ob der als rechtswirksam unterstellte Praxistauschvertrag für die Tauschpartner ein Verbot enthält, in ihren alten Praxisbereich zwecks Wiederaufnahme ärztlicher Tätigkeit zurückzukehren. Das Berufungsgericht hat hierzu keine ausdrückliche Willensübereinstimmung der Parteien feststellen können. Ihm lag es daher ob, das Vorhandensein einer dahingehenden vertraglichen Bindung gegebenenfalls durch Auslegung des Tauschvertrages zu ermitteln. Es ist hierbei zu dem Ergebnis gelangt, daß ein auf ein Rückkehrverbot gerichteter Parteiwille sich auch aus Sinn und Zweck der Tauschvereinbarung nicht ergebe. Unter Praxistausch im eigentlichen Sinn sei nur ein Vertrag zu verstehen, durch den sich die Tauschpartner gegenseitig die Möglichkeit einräumten, die Patienten ihres bisherigen Praxisbereichs zu betreuen. Inwieweit diese Möglichkeit verwirklicht werden könne, hänge aber von den Patienten selbst ab, denen es freistehe, einen beliebigen Arzt aufzusuchen. Dessen seien sich die Parteien bei Abschluß des Tauschvertrages auch bewußt gewesen. Der Beklagte verbinde darum auch mit seiner Absicht, in K... oder Umgebung wieder eine Arztpraxis zu eröffnen, nicht das Verlangen, daß der Kläger seine in K... erlangte ärztliche Praxis wieder preisgebe. Der Beklagte wolle vielmehr dem Kläger offensichtlich seine Wohnung und die gemieteten Praxisräume ebenso belassen wie das erworbene Recht zur Ausübung der ärztlichen Privat- und Kassenpraxis. Es sei auch möglich, daß die Parteien bei den Tauschverhandlungen überhaupt kein entscheidendes Gewicht auf den Tausch der Privatpraxis gelegt, vielmehr allein in dem Wechsel von Wohn- und Praxisräumen sowie in der Erreichung der Zulassung zur Kassenpraxis am neuen Wirkungsort das erstrebenswerte Ziel gesehen haben.

Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht, bei dieser Auslegung des Praxistauschvertrages nicht alle Grundsätze beachtet hat, die für die Auslegung von Verträgen im Anschluß an § 157 BGB von der Rechtsprechung aufgestellt worden sind.

Nach § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Die Auslegung hat hiernach zwar unter Berücksichtigung des Vertragszwecks, der Grundsätze von Treu und Glauben und der Verkehrssitte von den erkennbaren Vorstellungen der Parteien bei Vertragsschluß auszugehen. Dem Richter wird durch § 157 BGB jedoch die Aufgabe gestellt, den gesamten Vertragsinhalt nach objektivem Maßstab zu ermitteln. Dieser Aufgabe kann er nur genügen, wenn er den Vertragsinhalt auch in solchen Punkten feststellt, zu denen eine Vereinbarung der Parteien nicht vorliegt, gleichviel, ob sie bewußt auf eine ins. Einzelne gehende Regelung verzichtet haben, ob die Lücke in den Vereinbarungen von Anfang an bestanden hat oder ob sie sich erst nachträglich als Folge des weiteren Verlaufs der Dinge ergeben hat (RGZ 164, 202). Es ist daher im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gegebenenfalls auch das jenige zu ermitteln und zu berücksichtigen, was die Parteien zwar nicht erklärt haben, was sie aber in Anbetracht des gesamten Vertragszwecks erklärt haben würden, wenn sie den offengebliebenen Punkt in ihren Vereinbarungen ebenfalls geregelt hätten und hierbei zugleich die Gebote von Treu und Glauben und der Verkehrssitte beachtet hätten. Voraussetzung ist hierbei, daß es sich um eine ausfüllungsbedürftige, d.h. für die Sicherung des Vertragszwecks wesentliche Lücke innerhalb des tatsächlich gegebenen Rahmens des Vertrages handelt (vgl Urt d erk Sen v 22.4.53 - II ZR 143/52 = BGHZ 9, 273 [277/278]).

Die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung sind im vorliegenden Fall gegeben. Die Parteien haben nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei den Vereinbarungen über den Praxistausch die Möglichkeit der baldigen Rückkehr eines Tauschpartners in seinen bisherigen Praxisbereich nicht ins Auge gefaßt und für diesen Fall auch keine besondere Regelung vorgesehen. Der Sachverhalt erweist sich aber als regelungsbedürftig. Selbst wenn man... der Auffassung des Berufungsgerichts folgt, daß der eigentliche. Zweck des Tauschvertrages sich in der Einräumung der. Möglichkeit erschöpfe, die Praxis des Tauschpartners durch Übernahme der Beziehungen zu dem alten Patientenkreis weiterzuführen, kann es keinem ernstlichen Zweifel unterliegen, daß eine solche Möglichkeit durch Rückkehr des ehemaligen Praxisinhabers auch dann erheblich beeinträchtigt würde, wenn er seine Zulassung zur Kassenpraxis nicht oder nicht sofort wiedererlangen könnte. Es kann dahingestellt bleiben ob, wie der Kläger vorgetragen hat, eine ärztliche Praxis regelmäßig nur dann lebensfähig ist, wenn Einkünfte aus Kassenpraxis mit Einkünften aus Privatpraxis zusammentreffen. Die Parteien haben unstreitig auch Privatpraxis ausgeübt und dementsprechend die Absicht gehabt, eine solche auch weiterhin zu betreiben. Mit der Schmälerung des Einkommens aus der Privatpraxis ist aber ohne weiteres zu rechnen, wenn die Patienten des Praxisbereiches die Gelegenheit wiedererlangen, sich zu dem früheren Praxisinhaber, zu dem sie unter Umständen in einem langjährigen Vertrauensverhältnis stehen, in Behandlung zu begeben. Durch die nur kurze Zeit nach Vollzug des Tauschvertrages erfolgende Rückkehr eines Tauschpartners in seinen ehemaligen Praxisbereich würde somit der ganze Vertragszweck weitgehend gefährdet. Daß diese Gefährdung auch von beiden Parteien erkannt worden ist, ergibt mit Deutlichkeit die Aufnahme einer Rückkehrverbotsklausel in die - durch Rücktritt des Klägers zur Auflösung gebrachte - Rücktauschvereinbarung vom 24. November 1952. Das Berufungsgericht hätte unter diesen umständen nicht allein das Fehlen einer Vereinbarung der Parteien zur Frage der Rückkehr eines Tauschpartners in den alten Praxisbereich zum Ausgangspunkt seiner Auslegung wählen dürfen. Es hätte vielmehr weiter prüfen müssen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Parteien ein Rückkehrverbot bereits in den Praxistauschvertrag aufgenommen haben würden, wenn sie damals schon die Möglichkeit einer solchen Rückkehr bedacht hätten. Die insoweit bestehende Vertragslücke befindet sich innerhalb des tatsächlich gegebenen Rahmens der getroffenen Regelung. Es handelt sich nicht um die Schaffung einer über den wesentlichen Inhalt des Tauschvertrages hinausgehenden zusätzlichen Bindung, sondern lediglich um die Konkretisierung einer mit dem Zweck des Tauschvertrages in engem Zusammenhang stehenden Nebenverpflichtung. Die Ausfüllung dieser Lücke würde daher nicht zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsinhalts führen.

Eine ergänzende Vertragsauslegung, die zu dem Ergebnis käme, daß der Praxistauschvertrag ein in seinem Umfang noch näher zu bestimmendes Rückkehrverbot enthält, würde sich auch nicht, wie der Revision entgegnet wird, von vornherein zu Grundprinzipien des geltendes Rechts in Widerspruch setzen. Das Reichsgericht hat sich allerdings in einer Reihe von Entscheidungen zu dem Standpunkt bekannt, daß es der sittlichen Würde und der öffentlichrechtlichen Bedeutung des Arztberufs und dem Interesse der Allgemeinheit an einer guten Gesundheitspflege widerstrebe, die freie Ausübung dieses Berufes durch irgendwie geartete Wettbewerbsverbote zu beschränken. Das eigentümliche und entscheidende Gepräge des Arztberufs liege darin, daß er fundamentale, allgemeinöffentliche Zwecke im Bereich der Gesundheitspflege auf Grund wissenschaftlicher Vorbildung unter besonderer Verantwortung zu erfüllen habe. Den Vertretern dieses wissenschaftlichen, staatlich geordneten, den wichtigsten Gemeininteressen dienenden Berufs zieme es nach allgemeiner Anschauung nicht, der Berufsausübung irgendeine Beschränkung, möge sie örtlich, zeitlich oder gegenständlich sein, aufzuerlegen oder auferlegen zu lassen. Der Arztberuf müsse vielmehr im öffentlichen Interesse frei sein. Es verletze das öffentliche Interesse unmittelbar, wenn für die Ausübung des Arztberufs private Monopole irgendwelcher Art geschaffen und die der Allgemeinheit gewidmeten Berufsfunktionen in privatem Interesse und zu privatem Nutzen gehemmt und gebunden würden. Das Reichsgericht hat mit dieser Begründung Wettbewerbsverbote unter Ärzten grundsätzlich als sittenwidrig bezeichnet (vgl RGZ 66, 143; 68, 186; 90, 36; RG WarnRspr 1913 Nr 217; RG JW 1938, 806). Dieser Standpunkt des Reichsgerichts kann jedoch heute nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Die grundsätzliche Einstellung zum Arztberuf, die in der Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Ausdruck kommt, hat sich zwar nicht entscheidend gewandelt. Es ist aber nicht zu verkennen, daß die für die Ausübung des ärztlichen Berufs maßgebenden wirtschaftlichen Verhältnisse und dadurch bedingt auch die allgemeine Organisation des ärztlichen Standes seit Beginn dieser Rechtsprechung tiefgreifende Veränderungen erfahren haben, die es geboten erscheinen lassen, an vertragliche Wettbewerbsbeschränkungen unter Ärzten einen milderen Maßstab anzulegen. Die fortschreitend steigende Zahl der Ärzte sowie die durch zwei Kriege und ihre Folgeerscheinungen hervorgerufene Notlage großer Schichten des Volkes hatte für einen erheblichen Teil der Ärzte eine bedeutende Minderung ihres Einkommens zur Folge und insbesondere für den ärztlichen Nachwuchs eine zunehmende Erschwerung der Existenzgründung. Je schwieriger hierdurch die wirtschaftliche Lage einer größeren Zahl von Ärzten wurde, um so mehr häuften sich die Fälle, in denen nicht charakterlich gefestigte Elemente von der im ärztlichen Stand bisher üblichen, sittlich hochstehenden Berufsauffassung abwichen und den Arztberuf vorwiegend nach materiellen, geschäftlichen Rücksichten ausübten. Diese Entwicklung hat den Gesetzgeber zu zahlreichen im öffentlichen Interesse erlassenen Organisationsvorschriften (betr Zusammenfassung der Ärzte in Zwangsorganisationen. Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf die Berufsvertretung, Einführung der Berufsgerichtsbarkeit, Zulassung zur Kassenpraxis u.a.) veranlaßt. Wenn der Arztberuf daher auch nach wie vor nicht als Gewerbe zu betrachten ist (§ 1 Abs 2 RÄrzteO v 13.12.35 idF d G v 30.5.40; RGZ 153, 302), so kann doch heute weniger denn je an der Tatsache vorbeigegangen werden, daß der Arzt in Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausübt. Daher ist in der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts grundsätzlich die Veräußerungsfähigkeit der Praxis anerkannt (RGZ 153, 294 [298]) und deren Schutzwürdigkeit im Rahmen des unter Ärzten grundsätzlich bestehenden freien, aber gerade darum verschärften Wettbewerbs auch im öffentlichen Interesse nicht in Zweifel gezogen worden. Es mag dahingestellt bleiben, ob dieses Schutzbedürfnis es unter den gegenwärtigen Verhältnissen bei bestimmten Voraussetzungen allgemein rechtfertigen kann, daß sich Ärzte gegenseitig in gewissen Grenzen Beschränkungen in der Berufsausübung auferlegen, soweit es sich um Beschränkungen in zeitlicher oder örtlicher Hinsicht handelt, die das Interesse der Öffentlichkeit an einer ausreichenden ärztlichen Betreuung nicht verletzen, jedenfalls können derartige Beschränkungen des ärztlichen Berufsausübung in Sonderfällen gerechtfertigt sein. Solche Beschränkungen sind auch dem geltenden Recht nicht fremd. So gilt z. B. in Bayern ein Wettbewerbsverbot für Vertreter und Assistenten eines in der Praxis tätigen Arztes. Solche Vertreter dürfen sich vor Ablauf eines Jahres nach Beendigung ihrer Tätigkeit im gleichen Praxisbereich nur dann niederlassen, wenn der Praxisinhaber einwilligt (§ 15 Abs 3 Satz 3 d Bayer. Berufsordnung f. Ärzte v. 26.1.50 abgedr in Kant, Arzt- u. Apothekerrecht 1954 A 7). Eine gleiche Regelung enthielt bereits die auf Grund des § 14 RÄrzteO erlassene Berufsordnung für die deutschen Ärzte vom 5.11.1937 in § 15 Abs 7. Wenn hiernach bei bestimmten Voraussetzungen sogar eine von einem erst am Beginn seiner freien Berufsausübung stehenden Arzt eingegangene Wettbewerbsbeschränkung als zulässig angesehen wird, dann kann unter den heutigen Verhältnissen erst recht keine Standeswidrigkeit und darum auch kein Verstoß gegen die guten Sitten darin gefunden werden, daß zwei in voller Ausübung ihres Berufes begriffene Ärzte sich anläßlich eines von den zuständigen Zulassungsausschüssen genehmigten Praxistausches eine gegenseitige Rückkehrbeschränkung auferlegen. Bei dem Austausch der Praxis erscheint es vielmehr gerade als Gebot der guten Sitte, sich so zu verhalten, daß die dem Tauschpartner ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit der Betreuung der Patienten des übernommenen Praxisbereichs nicht sofort wieder geschmälert und damit der von der Standesvertretung gebilligte Zweck des Tauschvertrages gefährdet wird.

Ein vereinbartes Rückkehrverbot würde bei maßvoller örtlicher und zeitlicher Begrenzung auch nicht gegen Art 12 GrundG verstoßen, da es sich nicht um eine Berufsbeschränkung handeln würde, durch die das Grundrecht der freien Berufswahl und freien Berufsausübung entgegen Art 19 Abs 2 GrundG in seinem Wesensgehalt angetastet wäre.

Auch ein Verstoß gegen die alliierten Dekartellisierungsvorschriften kommt nicht in Betracht (AmMilReg 56; BrMilRegVO Nr 78). Diese Bestimmungen wenden sich nur gegen die übermäßige Konzentration deutscher Wirtschaftskraft. Sie können daher auf Wettbewerbsbeschränkungen unter Ärzten, die weder der Schaffung einer wirtschaftlichen Monopolstellung noch überhaupt der Regelung eines wirtschaftlichen Wettbewerbs dienen, keine Anwendung finden (vgl Spitzbarth NJW 1954, 456).

Die hiernach mögliche und notwendige ergänzende Vertragsauslegung kann das Revisionsgericht mit Hilfe der in § 157 BGB enthaltenen objektiven Maßstäbe grundsätzlich selbst vornehmen (vgl Urt d erk Sen v. 24.11.51 - II ZR 51/51 = BGHZ 3, 365). Diese Auslegung führt auf Grund der vorstehenden Darlegungen dazu, daß die Parteien bei verständiger Würdigung des mit dem Praxistausch verfolgten Zwecks dann, wenn sie die Rückkehr eines Vertragsteils in die unmittelbare Nähe seiner früheren Praxis innerhalb einer gewissen Zeit, etwa von 2-3 Jahren seit Vollzug des Praxistausches vorausbedacht hätten, für diesen Fall ein entsprechendes Rückkehrverbot vereinbart haben würden. Denn während eines solchen Zeitraums ist es dem Übernehmer einer Praxis regelmäßig nicht möglich, seine Beziehungen zu den bisher von seinem Vorgänger betreuten Patienten so zu festigen, daß er durch dessen Rückkehr keine wesentliche Einbuße mehr erfahren würde. In diesem Umfang ist mithin ein Rückkehrverbot jedenfalls als Vertragsinhalt zu betrachten. Eine abschließende ergänzende Vertragsauslegung in Richtung auf die genaue örtliche und zeitliche Begrenzung des Rückkehrverbots ist dem Senat jedoch nicht möglich, weil es hierzu unerläßlich ist, die vom Kläger behauptete und unter Beweis gestellte Verkehrssitte als Auslegungsfaktor heranzuziehen. Ob und in welchem Umfang eine Verkehrssitte besteht, gehört dem Gebiet der tatrichterlichen Feststellung an (Urt d BGH v. 12.12.53 - VI ZR 242/52 = BB 1954, 83). Für die Frage der Verkehrssitte dürfte es in besonderem Maße auch auf die allgemeinen örtlichen Verhältnisse in Korntal ankommen, auf Zahl und Zusammensetzung der Bevölkerung, auf die Verkehrsverhältnisse, insbesondere in Richtung auf das naheliegende Stuttgart, auf die Zahl der in K... ansässigen Ärzte und die sich daraus ergebenden Betätigungsmöglichkeiten für Ärzte überhaupt. Es dürfte ferner von Wichtigkeit sein, wie sich der Patientenkreis des Beklagten in K... zusammensetzte und welches Verhältnis insbesondere zwischen Kassen- und Privatpraxis bestand. Bei alledem handelt es sich um Gegenstände tatrichterlicher Feststellung.

Das Berufungsurteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Würde die Zurückverweisung an das Berufungsgericht erfolgen, so würde diesem eine abschließende Entscheidung nicht möglich sein, weil dem Klageantrag zu 2) auf Grund der vorstehenden rechtlichen Erwägungen nur stattgegeben werden könnte, wenn vorher dem Klageantrag zu 1 ), der die Feststellung der Rechtswirksamkeit des Tauschvertrags zum Inhalt hat, stattgegeben worden wäre. Das Berufungsgericht hätte daher das unzulässigerweise auf den Klageantrag zu 2) beschränkte Teilurteil des Landgerichts wegen Verstoßes gegen § 301 ZPO aufzuheben und die Sache gemäß § 539 ZP0 zurückzuverweisen (RGZ 151, 384). Da das Revisionsgericht aber zu einer solchen Entscheidung des Berufungsgerichts selbst in der Lage ist, war unter Aufhebung des Berufungsurteils auch das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Sache zur einheitlichen Verhandlung und Entscheidung über den gesamten Streitstoff an das Landgericht zurückzuverweisen (RGZ 107, 350; OGHZ 3, 24).

Aus Zweckmäßigkeitsgründen war dem Landgericht auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung und der Revision zu überlassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018520

BGHZ 16, 71 - 82

BGHZ, 71

DB 1955, 142 (Volltext mit amtl. LS)

NJW 1955, 337

NJW 1955, 337-338 (Volltext mit amtl. LS)

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