Leitsatz (amtlich)

a) Die Sprungrevision ist gegen alle (der Berufung unterliegenden) Urteile des Landgerichts statthaft, vorbehaltlich der Befugnis des Bundesgerichtshofes, ihre Annahme gegebenenfalls abzulehnen.

b) Regreßansprüche eines Sozialversicherungsträgers aus § 640 RVO sind nicht in entsprechender Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG grundsätzlich ausgeschlossen, wenn ein in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schuldigen lebender Familienangehöriger verletzt worden ist.

 

Normenkette

ZPO § 566a; RVO § 640

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Urteil vom 07.01.1976)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 7. Januar 1976 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen dem Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung für die Landwirtschaft.

Der Beklagte führt als Unternehmer einen landwirtschaftlichen Betrieb. Am 30. April 1974 verletzte sich seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende und auf dem Hof mitarbeitende Mutter beim Sägen von Brennholz erheblich ihre Hand. Die von ihr benutzte Kreissäge war nicht mit einer von den Unfallverhütungsvorschriften der Klägerin geforderten Zuführungsvorrichtung ausgerüstet, in der das Holz während des Schneidens hätte festliegen können.

Die Klägerin hat für die Mutter des Beklagten Heilungskosten und Verletztenrente aufgewandt. Mit der Klage macht sie gegen den Beklagten, der haftpflichtversichert ist, gestützt auf § 640 RVO, wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Unfalles Rückgriffsansprüche geltend.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Mit seiner Sprungrevision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

A.

Die Sprungrevision des Beklagten ist zulässig. Sie ist nicht etwa nach dem am 15. September 1975 in Kraft getretenen neuen Revisionsrecht (Gesetz vom 8. Juli 1975, BGBl. I 1863) unstatthaft.

Der Beklagte hat die schriftliche Einwilligungserklärung des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin des ersten Rechtszuges zur Übergebung der Berufungsinstanz vorgelegt (§ 566 a Abs. 2 ZPO). Der Senat kann die Annahme der Sprungrevision auch nicht ablehnen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 566 a Abs. 3 ZPO).

I. Entgegen der von der Klägerin in ihrer Revisionserwiderung vertretenen Auffassung ist die Annahme einer Sprungrevision durch den Bundesgerichtshof auch in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, bei denen der Wert der Beschwer 40.000 DM nicht übersteigt – Übrigens auch in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten – nicht ausgeschlossen.

1. Zwar ist es dem Bundesgerichtshof insoweit verwehrt, eine Revision gegen ein Urteil eines Oberlandesgerichts anzunehmen, wenn dieses das Rechtsmittel nicht zugelassen hat. Für derartige Revisionen sind nämlich die Vorschriften der §§ 545 ff ZPO maßgebend, die in § 546 ZPO die seit dem Rechtseinheitsgesetz 1950 geltende Einschränkung enthalten, daß die Entscheidung, ob der Zugang zum Revisionsgericht eröffnet oder versperrt ist, allein dem Oberlandesgericht obliegt. Eine Annahme der Revision durch den Bundesgerichtshof, wie sie jetzt in § 554 b ZPO für vermögensrechtliche Streitigkeiten mit einer Beschwer von mehr als 40.000 DM vorgesehen ist, kommt insoweit nicht in Betracht.

2. Alle diese allgemeinen Vorschriften gelten jedoch nicht für die Revisionen, die sich gegen Urteile der Landgerichte richten („Sprungrevisionen”): Ihre Zulässigkeit richtet sich nunmehr allein und ausschließlich nach der (neugefaßten) Bestimmung des § 566 a ZPO. Nicht maßgebend ist insbesondere die Bestimmung des § 546 ZPO, die in den dort genannten Fällen die Statthaftigkeit der Revision von der Zulassung durch das Oberlandesgericht abhängig macht.

a) Dies folgt bereits eindeutig aus der Neufassung des § 566 a Abs. 1 ZPO. Seit dem Rechtseinheitsgesetz 1950 war hier bestimmt, Sprungrevision könne eingelegt werden „in den Fällen, in denen die Revision nach § 546 ohne Zulassung statthaft ist”. Damit war die Revision gegen Landgerichtsurteile mit der in den §§ 545 ff ZPO geregelten Revision gegen Oberlandesgerichtsurteile eng verknüpft; auch sie war nur statthaft, soweit – wäre das Oberlandesgericht letzte Tatsacheninstanz gewesen – eine Revisionszulassung nicht zu erfolgen brauchte, also nur für die sog. Streitwertrevision nach seitherigem Recht. Daher mußten die Parteien in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten und in vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Wert unter 6.000 DM (später 15.000 DM) auch dann, wenn nur rechtsgrundsätzliche Fragen, über die abschließend allein der Bundesgerichtshof befinden konnte, zur Entscheidung standen, den „Umweg” über das Oberlandesgericht gehen. Sie liefen sogar Gefahr, daß das Oberlandesgericht den Zugang zum Bundesgerichtshof versperrte, weil es die Revision (in Verkennung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache) nicht zuließ.

Diese Gefahr wollte das Revisionsänderungsgesetz beseitigen, indem es in § 566 a ZPO die Worte „in den Fällen, in denen die Revision nach § 546 ohne Zulassung statthaft ist”, gestrichen hat. Das ist, wie die amtliche Begründung ergibt, gerade deshalb geschehen, um bei Sprungrevisionen den Zugang zum Bundesgerichtshof zu erweitern, freilich unter dem Vorbehalt der in dem neuen Satz 1 des § 566 a Abs. 3 ZPO dem Bundesgerichtshof verliehenen Befugnis – dies wieder im Sinne der mit dem Gesetz verfolgten Absicht, den Bundesgerichtshof zu entlasten –, Sprungrevisionen nicht anzunehmen, die keine grundsätzliche Bedeutung haben (vgl. BT-Drucks 7/3596 vom 5. Mai 1975, S. 8). Damit ist die Beschränkung der Sprungrevision auf die Fälle der zulassungsfreien Revision (§ 546 ZPO) in Wegfall gekommen.

Dem steht nicht entgegen, daß § 566 a Abs. 1 ZPO n.F. jetzt fast wörtlich wieder seiner durch die Verordnung vom 13. Februar 1924 (RGBl. I S. 135) in das Gesetz eingefügten Erstfassung entspricht. Während seiner Geltung war es zwar allgemeine Meinung, daß die Sprungrevision nicht statthaft war in den von der Notverordnung vom 14. Juni 1932 betroffenen Ehesachen, die schon damals nur nach Zulassung durch das OLG revisibel waren (RGZ 146, 209). Die jetzt vorgenommene Gesetzesänderung verbietet aber eine Auslegung, wie sie die Erstfassung erfahren hat.

Hinzu kommt, daß der neu in § 566 a Abs. 3 ZPO eingefügte Satz 1 eine eigene Bestimmung über die Annahme enthält, die im Gegensatz zu § 546 Abs. 1 ZPO nicht auf die dort genannten Rechtsstreitigkeiten beschränkt ist, und nur wegen des Annahmeverfahrens auf den (neuen) § 554 b Abs. 2 und 3 ZPO verweist. Dieses Satzes 1 hätte es nicht bedurft, wenn auch auf die Sprungrevisionen die allgemein für Revisionen maßgebenden §§ 546, 554 b ZPO anzuwenden wären.

b) Die vorstehende Auslegung der gesetzlichen Neuregelung wird durch den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens bestätigt. Schon nachdem ersten Entwurf der Bundesregierung („Gesetz zur Änderung der Revision in Zivilsachen und in Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit”) sollte die Sprungrevision nicht mehr auf die Fälle der Wertrevision beschränkt bleiben (BT-Drucks 7/444 vom 4. April 1973, S. 35). Sie sollte vielmehr in allen Verfahren statthaft sein, dies aber nur, wenn das Landgericht sie zuließ. Zu diesem dem Landgericht anvertrauten Zulassungsverfahren konnte sich der Gesetzgeber dann allerdings nicht entschließen. Er wählte die jetzige Fassung, nachdem zwischenzeitlich sogar erwogen war, die Sprungrevision völlig abzuschaffen.

Daß § 566 a ZPO n.F. die Möglichkeit der Sprungrevision gegen alle (der Berufung unterliegenden erstinstanzlichen) Urteile des Landgerichts eröffnet, entspricht auch der Meinung des Bundes Justizministers (vgl. seine Einführung in das neue Revisionsrecht in NJW 1975, 1297, 1301). Dem ist nahezu das gesamte Schrifttum gefolgt (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 35. Aufl. Anm. 1 B und Thomas/Putzo, ZPO, 9. Aufl., Anm. 2 A, beide zu § 566 a; Arnold, JR 1975, 485, 491; Holtgrave, Betrieb 1975, 1685, 1687; Schneider NJW 1975, 1537; Schreiber, Anwaltsblatt 1975, 215, 218; Schroeder, Juristisches Büro, 1975, 1013, 1020). Die gegenteilige Ansicht von Jaeger (DRiZ 1977, 65 ff), der im wesentlichen rechtspolitisch argumentiert, überzeugt nicht.

II. Ist somit die im Streitfall (Beschwer unter 40.000 DM) eingelegte Sprungrevision an sich statthaft, so war gemäß § 566 a Abs. 3 ZPO zu prüfen, ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Rechtsgrundsätzlichkeit kann hier schon deshalb bejaht werden, weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage der analogen Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG auf die Ansprüche aus § 640 RVO höchstrichterlich noch nicht entschieden ist und eine solche Entscheidung für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle von Bedeutung sein wird.

B.

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Landgericht stellt – von der Revision nicht beanstandet – fest, der Beklagte habe den Unfall seiner Mutter grob fahrlässig herbeigeführt. Es hält deshalb den von der Klägerin erhobenen Rückgriffsanspruch aus § 640 RVO für berechtigt. Dieser Anspruch sei nicht etwa deswegen ausgeschlossen, weil die Verletzte z.Zt. des Unfalles als Mutter des Beklagten mit ihm in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe. § 67 Abs. 2 VVG sei zwar auf Ansprüche aus §§ 1542 RVO und 87 a BBG, nicht aber auf solche aus § 640 RVO anzuwenden.

II. Diese Ausführungen halten im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.

1. Dem Landgericht ist insoweit zu folgen, als es eine Anwendung des in § 67 Abs. 2 VVG niedergelegten Rechtsgedankens auf Regreßansprüche, die der Sozialversicherungsträger bei einem Arbeitsunfall auf § 640 RVO stützt, ablehnt.

a) Das Landgericht meint im Anschluß an OLG Oldenburg VersR 1969, 183, 184, die entsprechende Anwendung des § 67 Absatz 2 VVG sei hier schon deswegen unzulässig, weil es sich bei § 67 Abs. 2 VVG und bei den Fällen, in denen der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung diese Vorschrift entsprechend anwendet (BGHZ 41, 79; 43, 72; 66, 104), um übergegangene Ansprüche, bei § 640 RVO jedoch um einen originären Anspruch handelt (so z.B. Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 640 RVO Anm. 3). Darin liegt in der Tat ein Unterschied. Doch mag es zweifelhaft sein, ob allein die rechtstechnische Ausgestaltung des Regreßrechtes das Ergebnis des Schadensausgleiches beeinflussen darf (vgl. Hüskes VersR 1966, 20, 22; Wussow WI 1968, 197 ff, von Marschall, VersR 1972, 992, 995).

Hinzu kommt noch ein weiterer Unterschied. In den Fällen, in denen bisher der Rechtsgedanke des § 67 Abs. 2 VVG entsprechend angewendet wurde, ist die Interessenlage des Inanspruchgenommenen anders als in den Fällen des § 640 RVO. Denn die Unfallversicherung ist nicht nur – wie z.B. die Soziale Krankenversicherung – eine Leistungsversicherung zugunsten des Geschädigten. Sie gewährt dem Unternehmer als Schädiger auch grundsätzlich eine Haftungsfreistellung in der Art einer Haftpflichtversicherung.

b) Es kann jedoch offen bleiben, ob diese Unterschiede schon eine entsprechende Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG verbieten würden. Entscheidend ist jedenfalls, daß § 640 RVO keine Regelungslücke enthält, wie dies der Senat für die §§ 1542 RVO, 87 a BBG (BGHZ 41, 79; 43, 72) und zuletzt auch für § 4 Lohnfortzahlungsgesetz (BGHZ 66, 104) angenommen hat. In § 640 Abs. 2 RVO ist nämlich ausdrücklich vorgesehen, daß die Sozialversicherungsträger nach billigem Ermessen auf den Ersatzanspruch nach Absatz 1 verzichten können. Sie sind, wie der Senat in seinem Urteil vom 28. September 1971 entschieden hat, dazu, wenn billiges Ermessen es gebietet, sogar verpflichtet (BGHZ 57, 96, 99). Diese Vorschrift enthält daher, was Wussow (Unfallhaftpflichtrecht, 12. Aufl., Tz 1562) übersieht, bereits eine Regelung über den Ausschluß des Rückgriffsrechts, die gleichzeitig ein Regulativ zur Vermeidung sozialer Härten darstellt (vgl. Baltzer, VersR 1973, 101, 109). Sie erfaßt auch die Fälle des häuslichen Zusammenlebens von Schädiger und Verletzten (zweifelnd insofern offenbar Benz BG 1965, 228, 230 f). Denn dem Gesetzgeber des Unfallversicherungsneuregelungsgesetzes vom 30. April 1963, das die §§ 636 ff RVO anstelle der früheren §§ 898, 899 RVO geschaffen hat, waren, wie die Gesetzesmaterialien ergeben, Umfang und Bedeutung der Familienbetriebe, wie sie vor allem in der Landwirtschaft vorkommen, bekannt (vgl. Beil, BG 1968, 269 f). Dennoch hat er für sie keine Sonderregelung getroffen. Andererseits beschränkt sich die Anwendung des § 640 Abs. 2 RVO nicht auf soziale Härtefälle. Bei der Ermessensentscheidung sind zwar, wie das Gesetz sagt, „insbesondere” die wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Diesen kommt damit, da es sich nur um eine beispielhafte Erwähnung handelt, allenfalls ein gewisser Vorrang bei der Beurteilung der Frage zu, ob auf den Ersatzanspruch zu verzichten ist. Andere Gründe, wie die Wahrung des Familienfriedens, können und müssen indes ebenfalls berücksichtigt werden.

Bei dem Regreß aus § 640 RVO kann daher im Hinblick auf Absatz 2 dieser Bestimmung nicht von einer Lücke gesprochen werden. Damit ist für eine Analogie zu § 67 Abs. 2 VVG von vornherein weder Raum noch Bedürfnis (so im Ergebnis auch OLG Oldenburg, VersR 1969, 183; Baltzer a.a.O. und Beil a.a.O. S. 270; Benz a.a.O.; Bischoff, BG 1970, 30 ff; Geigel, Haftpflichtprozeß, 16. Aufl. 32 Kap. Rdn. 7; auch Wussow, a.a.O., der noch anderer Ansicht ist, meint, die hier vertretene Ansicht habe beachtliche Gründe für sich).

2. Das Landgericht hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die frühere höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 903 RVO auch unter der Geltung des § 640 RVO noch Bedeutung hat, wonach die Haftung des Unternehmers ausgeschlossen war, wenn er selbst (§ 898 RVO) oder seine Ehefrau als Repräsentant des Unternehmens (§ 899 RVO) einen von ihnen selbst grob fahrlässig herbeigeführten Arbeitsunfall erlitten hatte (RGZ 89, 330; vgl. auch Geigel a.a.O. und Lauterbach a.a.O.). Das beanstandet die Revision zu Unrecht. Wohl ist ihr zuzugeben, daß eine solche Beschränkung des Regresses auch jetzt noch dem 1963 geänderten Gesetz entspricht, jedenfalls dann, wenn der verletzte Unternehmer selbst Leistungsversicherter ist (vgl. Seitz, Die Ersatzansprüche der Sozialversicherungsträger nach §§ 640 und 1542 RVO, 2. Aufl., S. 233). Der Beklagte gehört nun zwar als Mitglied einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft auch zum Kreis der versicherten Personen. Als solcher behält er seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung, wenn er selbst durch grobe Fahrlässigkeit verletzt ist. Nur insoweit ist aber § 640 RVO gegen ihn nicht anwendbar. Eine Freistellung von § 640 RVO darf dagegen keine Ausdehnung auf Unfallfolgen erfahren, die sonstige, in häuslicher Gemeinschaft mit dem Unternehmer lebende Personen erleiden (vgl. OLG Köln VersR 1962, 648).

3. Die Revision rügt allerdings mit Recht, daß das Landgericht nicht geprüft hat, ob im Streitfalle die Billigkeitsregelung des § 640 Abs. 2 RVO dem Klageanspruch entgegensteht. Dies führt jedoch ebenfalls nicht zu einem Erfolg der Revision.

§ 640 Abs. 2 RVO verpflichtet die Berufsgenossenschaft nicht in jedem Fall zu einem Rückgriffsverzicht, wenn ein mit dem Verletzten in häuslicher Gemeinschaft lebender Angehöriger mit dem Rückgriff aus Absatz t dieser Vorschrift bedroht ist. Die Entscheidung darüber, ob der Träger der Sozialversicherung auf den Anspruch zu verzichten hat, ist vielmehr von den Umständen des Einzelfalles abhängig. Da das Gesetz selbst darauf verweist, daß die nach billigem Ermessen zu treffende Entschließung vor allem von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schädigers abhängig zu machen ist, muß entscheidend berücksichtigt werden, ob der Rückgriffsschuldner Versicherungsschutz genießt oder nicht (BGHZ 57, 96, 104; zustimmend Baltzer a.a.O. S. 107, Bischoff a.a.O. S. 32 Lauterbach a.a.O. § 640 Anm. 44; anderer Ansicht von Marschall, VersR 1972, 991, 995). Die Berücksichtigung des Haftpflichtversicherungsschutzes entspricht auch dem Sinn der in den §§ 636 ff RVO getroffenen Regelung. Danach kann derjenige, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die Genossenschaftsinteressen schädigt, grundsätzlich nicht erwarten, daß die Gefahrengemeinschaft, deren „Genosse” er ist, den Schaden endgültig ausgleicht, indem sie auf ihr Rückgriffsrecht verzichtet (vgl. auch die Regelung des § 61 VVG).

Es ist auch nicht ersichtlich, daß im vorliegenden Fall der Rückgriff den „Familienfrieden” derart stören könnte, daß die klagende Berufsgenossenschaft etwa deshalb zu einem Verzicht gezwungen wäre.

 

Unterschriften

Dr. Weber, Dunz, Scheffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann befindet sich in Urlaub Dr. Weber

 

Fundstellen

BGHZ

BGHZ, 354

NJW 1978, 218

Nachschlagewerk BGH

JZ 1978, 355

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