Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die bauliche Beschaffenheit eines Hotels, für das der Reiseveranstalter mit „kindgerechter Ausstattung” wirbt

 

Leitsatz (amtlich)

Bewirbt der Reiseveranstalter eine Unterkunft mit "kindgerechter Ausstattung", kann das Vorhandensein einer notwendig zu benutzenden Eingangstür aus nicht bruchsicherem Glas und ohne sichtbare Kennzeichnung eine Verletzung der dem Reiseveranstalter obliegenden Verkehrssicherungspflicht darstellen.

 

Normenkette

BGB § 651a ff., §§ 823, 847 a.F.

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 08.03.2004; Aktenzeichen 16 U 70/03)

LG Köln (Entscheidung vom 02.07.2003; Aktenzeichen 25 O 646/01)

 

Tenor

Die Revision gegen das am 8.3.2004 verkündete Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Köln wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1]Die Eltern der 1991 geborenen Klägerin buchten bei der beklagten Reiseveranstalterin für die Familie im Sommer 1999 eine Pauschalflugreise in das Aparthotel "M.". Im Prospekt der Beklagten war die kindgerechte Ausstattung der Anlage aufgeführt. Das Appartement, das der Klägerin mit ihren Eltern zunächst zugewiesen war, war von außen nur über die Terrasse durch eine nicht besonders gekennzeichnete, von einem Stahlrahmen von 10 bis 15 cm Breite eingefassten Glasschiebetür aus einfachem, nicht bruchfestem Glas zugänglich. Zum Öffnen wurde die Tür über ein gleich breites Fenster geschoben. Am Morgen des dritten Urlaubstags, dem 3.8.1999, prallte die Klägerin von innen gegen die geschlossene Glastür, wobei sie Verletzungen erlitt, von denen Beeinträchtigungen zurückblieben. Die Klägerin, die in der ungesicherten Glasschiebetür eine Verletzung der der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht gesehen hat, hat diese auf angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 76.693,78 EUR (150.000 DM), nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgelds von 25.000 EUR verzinslich verurteilt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag im Umfang der zweitinstanzlichen Verurteilung weiter.

 

Entscheidungsgründe

[2]Die zulässige Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

[3]I. Das Berufungsgericht hat anders als die Vorinstanz angenommen, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil die Glastür nicht so gekennzeichnet gewesen sei, dass sie auch für Kinder leicht zu erkennen gewesen wäre. Eine weitere Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hat es darin gesehen, dass sich die Beklagte nicht darüber vergewissert habe, ob splitterfreies Glas verwendet worden sei. Ein Mitverschulden der Klägerin hat es verneint.

[4]II. Die Revision sieht es als rechtsfehlerhaft an, dass das Berufungsgericht eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bejaht hat. Die Sicherungspflicht, die der Senat (im Urt. v. 14.12.1999 - X ZR 122/97, WM 2000, 888, 890) im Anschluss an BGHZ 103, 298, 303 bejaht habe, werde nicht schon durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst. Sie begrenze sich auf Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar seien und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halte, um andere vor Schaden zu bewahren. Auch die Pflicht, Kinder vor den Folgen ihres eigenen unvernünftigen Tuns zu schützen, habe ihre Grenzen. Die Glasschiebetür habe den örtlichen Bauvorschriften entsprochen und auch den Anforderungen des Baurechts in Nordrhein-Westfalen genügt. Die Tür habe nicht dem öffentlichen Verkehr gedient, sondern zum vertrauten Wohnbereich der Familie der Klägerin gehört. Hierfür hätten keine besonderen Sicherungsvorkehrungen getroffen werden müssen. Die Einfassung der Tür habe zudem dem Eindruck entgegengestanden, dass die Tür geöffnet sei, was das LG zutreffend festgestellt habe. Glastürfertigelemente wie vorliegend verwendet seien in Hotels weitgehend üblich. Wenn überhaupt, habe nur ein verborgener Mangel vorgelegen, nach dem zu suchen die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei. Davon sei auch nicht wegen der Zusicherung der kindgerechten Ausstattung abzuweichen, da sich diese ersichtlich nicht auf die bauliche Beschaffenheit des Gebäudes bezogen habe.

[5]III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision stand.

[6]1. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass ein Reiseveranstalter, der mit der "kindgerechten Ausstattung" für eine Urlaubsunterkunft wirbt, auch Gefahren, die sich aus der baulichen Ausstattung für Kinder ergeben können, im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht gering zu halten und nach Möglichkeit zu beseitigen hat, und dass die Beklagte als Reiseveranstalter der Klägerin für die Verletzung dieser Pflichten nach §§ 823, 847 BGB a.F. haftet, und zwar internationalprivatrechtlich nach Art. 40 Abs. 2 EGBGB (vgl. BGHZ 103, 298, 303 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1483). Das gilt auch für Gefahren, die sich beim notwendigen Passieren von Glastüren, die - wie hier - den einzigen Zugang zum Wohnraum bilden und nicht aus splitterfreiem Glas hergestellt sind, auswirken können. Es kann dabei dahinstehen, ob die Beklagte, der als Reiseveranstalterin neben dem Beherbergungsbetrieb ebenfalls eine Verkehrssicherungspflicht bezüglich Auswahl und Kontrolle des Vertragshotels oblag (vgl. BGHZ a.a.O.), schon generell Veranlassung hatte, gegen den nach dem unwiderlegt gebliebenen Vortrag der Beklagten nicht gegen öffentlich-rechtliche Bauvorschriften verstoßenden Zustand der Unterkunft einzuschreiten. Auch wenn man eine dahingehende Verpflichtung der Beklagten verneint (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 16.5.2006 - VI ZR 189/05, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu Mietverhältnissen), ergibt sich ihre Haftung dem Grunde nach aber daraus, dass sie die Unterkunft als mit einer "kindgerechten Ausstattung" versehen beworben hat. Grundsätzlich sind bei Ausübung eines Gewerbes diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Danach ist für die deliktsrechtliche Haftung des Reiseveranstalters wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten von Bedeutung, welche vertragsrechtlichen Verpflichtungen ihm nach dem Gesetz und den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen typischerweise obliegen. Denn die gewerblichen Berufspflichten begründen und begrenzen zugleich auch Verkehrssicherungspflichten (BGHZ a.a.O.). Im vorliegenden Fall werden die Pflichten maßgeblich von der Angabe der Ausstattung als "kindgerecht" mitbestimmt. Diese Angabe durfte nach dem Verständnis der Kunden der Beklagten dahin verstanden werden, dass sie sich nicht nur auf zusätzliche Ausstattungselemente, sondern auch auf die bauliche Beschaffenheit der Unterkunft selbst bezog. Insoweit vermag die Revision mit ihrer abweichenden Auffassung einen Verfahrensfehler des Berufungsgerichts nicht aufzuzeigen. Ob damit auch bei der Ausstattung etwa von Gaststätteneinrichtungen oder Hoteleingangstüren entsprechende Sicherheitsmaßstäbe anzulegen sind, bedarf im vorliegenden Fall keiner Klärung, weil sich die Anpreisung nach dem maßgeblichen Kundenverständnis jedenfalls auf die eigentlichen Unterkunftsräume bezog. Dass die Beklagte die Ausstattung trotz der Umstände als "kindgerecht" bezeichnet hat, dass die nicht bruchsichere Glasschiebetür der einzige Zugang zu den Wohnräumen und zudem nicht gekennzeichnet war und ihr geschlossener Zustand jedenfalls von Kindern nicht sicher erkannt werden konnte, trägt den Vorwurf pflichtwidrigen und schuldhaften Verhaltens der Beklagten und damit auch deren Verurteilung und unterscheidet den Fall von dem vom LG Frankfurt/M. (in RRa 2003, 73) entschiedenen.

[7]2. Gegen die Verneinung eines Mitverschuldens seitens der Klägerin sowie gegen die Bemessung des Schmerzensgelds erhebt die Revision keine Einwände. Rechtsfehler treten insoweit nicht hervor.

[8]IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1560915

NJW 2006, 2918

BGHR 2006, 1302

EBE/BGH 2006, 285

FamRZ 2006, 1370

JurBüro 2006, 665

NZM 2006, 752

DAR 2006, 689

MDR 2007, 200

NZV 2006, 538

RRa 2006, 210

VersR 2006, 1504

VuR 2006, 361

GuT 2006, 255

RdW 2006, 594

VRR 2006, 322

ZGS 2006, 446

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