Leitsatz (amtlich)

Der bloße Umstand, daß der Eigentümer sein Grundstück nicht nutzt, führt auch nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nicht dazu, daß er die Inanspruchnahme des Grundstücks durch den Nachbarn dulden muß.

 

Normenkette

BGB §§ 903, 1004

 

Verfahrensgang

Thüringer OLG

LG Erfurt

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 25. März 1998 im Umfang der Annahme gemäß Senatsbeschluß vom 12. Mai 1999, berichtigt durch Senatsbeschluß vom 29. Juli 1999, und im Kostenpunkt aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil gegen die Beklagten zu 2 und 3 ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die landwirtschaftlich genutzt werden. Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten zu 1 ist der Beklagte zu 4; die Beklagten zu 2 und 3 waren früher Geschäftsführer der Beklagten zu 1.

Die Beklagte zu 1 hat auf einem Teil des Grundstücks der Klägerin zwei Güllebehälter errichtet. Ob sie darüber hinaus auf dem Grundstück der Klägerin auch Erdaufschüttungen vorgenommen hat, ist streitig.

Die Klägerin hat von den Beklagten die Beseitigung der Güllebehälter und Wiederherstellung des vorherigen Zustandes sowie die Beseitigung von Betonteilen, Bauschutt und Erdaufschüttungen verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels die Beklagten zu 1 und 4 zur Beseitigung der Güllebehälter und Wiederherstellung des vorherigen Zustandes verurteilt, die Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 insoweit als unbegründet und die Klage im übrigen als unzulässig abgewiesen.

Mit ihrer Revision, die der Senat nur angenommen hat, soweit der auf Beseitigung von Betonteilen gerichtete Klageantrag abgewiesen wurde, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagten zu 1 und 4 beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hält den im Revisionsverfahren noch zu beurteilenden Klageantrag für unzulässig, weil er zu unbestimmt und deshalb nicht vollstreckungsfähig sei. In einer Hilfserwägung meint es, der Antrag sei auch unbegründet. Die Klägerin habe den Grundstücksteil, auf dem die Betonteile abgelagert wurden, in der Vergangenheit nicht genutzt und eine konkrete Nutzungsabsicht für die Zukunft nicht dargetan. In dieser Situation sei ihr die vorübergehende Lagerung der Betonteile aufgrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zuzumuten.

II.

Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Die Beklagten zu 2 und 3 waren trotz ordnungsgemäßer Ladung im Verhandlungstermin nicht vertreten. Deshalb ist insoweit über die Revision durch Versäumnisurteil zu entscheiden; inhaltlich beruht das Urteil allerdings nicht auf der Säumnisfolge (vgl. Senat, BGHZ 37, 79, 81 ff; Senatsurt. v. 6. Juni 1986, V ZR 96/85, NJW 1986, 3085, 3086; BGH, Urt. v. 4. Oktober 1995, IV ZR 73/94, NJW-RR 1996, 113).

2. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, dem Antrag fehle die nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderte Bestimmtheit.

a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muß die Klageschrift außer der bestimmten Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs einen bestimmten Klageantrag enthalten. Er muß den erhobenen Anspruch konkret (beziffert oder gegenständlich) bezeichnen, den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 Abs. 1 ZPO) erkennbar abgrenzen, den Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 Abs. 1 ZPO) erkennen und schließlich die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lassen (vgl. BGH, Urt. v. 11. Oktober 1990, I ZR 35/89, NJW 1991, 1114, 1115).

b) Diesen Anforderungen genügt der Antrag. Insbesondere besitzt er einen vollstreckungsfähigen Inhalt. Die zu entfernenden Gegenstände, nämlich abgelagerte Betonteile, und ihre Lagerstätte (unmittelbar im nördlichen Anschluß an die errichteten Güllebehälter auf dem Flurstück der Flur 8 in der Gemarkung W.) sind für eine Vollstreckung nach § 887 Abs. 1 ZPO hinreichend präzise angegeben.

2. Die Hilfserwägungen des Berufungsgerichts sind nicht frei von Rechtsirrtum. Eine Verpflichtung der Klägerin aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zur Duldung der Ablagerung von Betonteilen auf ihrem Grundstück besteht nicht.

a) Die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn haben insbesondere durch die Vorschriften der §§ 906 ff BGB eine ins einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Sie unterliegen außerdem dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben; daraus entspringt für die Nachbarn eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall man unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammenfaßt (Senatsurt. v. 26. April 1991, V ZR 346/89, NJW 1991, 2826, 2827 m.w.N.). Unter besonderen Umständen kann die Ausübung eines an sich bestehenden Rechts unzulässig sein. Eine derartige Einschränkung muß aber mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen eine aus zwingenden Gründen gebotene Ausnahme bleiben und kommt nur dann in Betracht, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint; unter diesem Gesichtspunkt kann auch die Ausübung des Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung vorrangiger Interessen des Störers unzulässig sein (Senatsurt. v. 26. April 1991, aaO).

b) Ein solcher Ausnahmefall liegt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor. Es kommt nicht darauf an, daß die Klägerin in der Vergangenheit den Grundstücksteil nicht genutzt und eine konkrete Nutzungsabsicht für die Zukunft nicht dargelegt hat. Sie kann nach § 903 Satz 1 BGB mit ihrem Grundstück nach Belieben verfahren; gesetzliche Bestimmungen oder Rechte Dritter, die dem entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Deshalb braucht sie ihre Nutzung des Grundstücks nicht zu rechtfertigen. Im übrigen hat das Berufungsgericht keine Umstände – wie z.B. die fehlende Möglichkeit zur Lagerung der Betonteile auf dem Grundstück der Beklagten zu 1 – festgestellt, die eine Duldungspflicht der Klägerin als dringend geboten erscheinen lassen.

III.

Ist der Antrag zulässig und nicht aus den Hilfserwägungen des Berufungsgerichts unbegründet, kommt es zunächst darauf an, ob die Betonteile auf der im Antrag angegebenen Fläche abgelagert wurden. Hierzu hat das Berufungsgericht bisher keine Feststellungen getroffen. Es wird dies nachzuholen haben.

Das Berufungsurteil enthält auch keine Feststellungen zur Beteiligung der Beklagten zu 2 bis 4 an der Ablagerung der Betonteile. Auch diese wird das Berufungsgericht nachholen müssen.

 

Unterschriften

Wenzel, Lambert-Lang, Tropf, Klein, Lemke

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 17.12.1999 durch Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 556276

DB 2000, 820

NJW 2000, 1719

BGHR

BauR 2000, 1915

IBR 2000, 383

NZM 2000, 567

Nachschlagewerk BGH

WM 2000, 832

ZAP 2000, 336

ZfIR 2000, 201

AgrarR 2000, 310

AgrarR 2001, 248

DNotZ 2000, 465

MDR 2000, 516

NJ 2000, 261

RdL 2000, 96

VersR 2001, 1248

GV/RP 2001, 464

FSt 2001, 239

FuBW 2001, 385

FuHe 2001, 468

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