Leitsatz (amtlich)

Das Berufungsgericht ist an die rechtliche Beurteilung der Revisionsvoraussetzungen durch das Revisionsgericht jedenfalls dann, gebunden, wenn sich an den tatsächlichen Grundlagen dieser Beurteilung nichts geändert hat.

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Entscheidung vom 18.10.1955)

LG Hamburg

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das am 18. Oktober 1955 verkündete Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten der Revisionsinstanz zu entscheiden hat.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Walter S. G., ein Bruder des Klägers, war mit den beiden Inhabern der offenen Handelsgesellschaft F. & P., nämlich den Kaufleuten Otto F. und Karl-Heinz P., Gesellschafter der beklagten GmbH. Er hat seinen Geschäftsanteil dem Kläger treuhänderisch übertragen. Er und der Kläger führten zunächst der OHG, dann der GmbH Millionengeschäfte zu. Im Frühjahr 1951 erhoben sie gegen die Kaufleute F. & P. den Vorwurf, ihre Stellung als Geschäftsführer der GmbH gröblich mißbraucht und vorsätzlich zum Nachteil der Gesellschaft gehandelt zu haben (§ 81 a GmbHG). Am 16. November 1951 kam es zu einem Vergleich, der in einem notariellen Vertrage mit dem Kläger und einem privatschriftlichen Vertrage mit Walter S. G. niedergelegt wurde. Danach trat der Kläger den treuhänderisch für seinen Bruder gehaltenen Geschäftsanteil an die GmbH für 136.500 DM ab, während Walter S. G. von der OHG 160.000 DM erhalten sollte. Ober insgesamt 295.000 DM wurden Wechsel gegeben. Mit Einschreiben vom 18. Januar 1952 focht der Kläger die beiden Verträge wegen arglistiger Täuschung an. Mit der Klage begehrt er die Feststellung, daß der notarielle Vertrag nichtig sei. Er behauptet, nach Abschluß des Vergleichs noch von weiteren Verfehlungen der beiden Geschäftsführer erfahren zu haben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Durch Urteil vom 3. März 1953 wies der 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts die Berufung des Klägers zurück. In der Revisionsinstanz trug die Beklagte vor, der Kläger habe die sämtlichen noch uneingelösten Wechsel über insgesamt 245.000 DM am Tage nach Erlaß des Berufungsurteils präsentiert und eingelöst erhalten. Sie machte geltend, daß der Kläger damit den Vergleich bestätigt habe und seine Beschwer weggefallen sei, und beantragte in erster Linie Verwerfung der Revision. Der Kläger gab die Vorlegung und Einlösung der Wechsel zu und wandte sich dagegen, daß diese Umstände einen Einfluß auf den Prozeß hätten. In seinem Urteil vom 22. September 1954 hielt der Senat den Verwerfungsantrag für unbegründet. Hierzu führte er aus: "Es braucht nicht entschieden zu werden, ob die Abweisung der Klage den Kläger auch dann noch beschwerte, wenn er den angefochtenen Vergleich bestätigt und dem Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Vergleichs damit selbst den Boden entzogen hätte. Denn von einer Bestätigung des Vergleichs kann keine Rede sein, da der Kläger ein berechtigtes Interesse daran hatte, die ihm, sei es auf Grund des Vergleichs, sei es auf Grund fortbestehenden Gesellschaftsverhältnisses zustehenden Wechselsummen zu erhalten, und durch seine eigene Anfechtungserklärung nicht gut gezwungen sein konnte, entweder die Wechsel für die Dauer des Prozesses zu stunden oder den Vergleich zu bestätigten."

In der Sache selbst hielt der Senat die Stellungnahme des Berufungsgerichts zur Frage der arglistigen Täuschung für rechtlich verfehlt. Das Berufungsurteil vom 3. März 1953 wurde daher aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts verwiesen.

Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, ohne auf die Frage der arglistigen Täuschung einzugehen. Es meint: Der Beurteilung durch das Revisionsgericht habe nur dasjenige Parteivorbringen unterlegen, das aus dem Tatbestand des ersten Berufungsurteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich sei (§ 561 Abs. 1 ZPO). Das treffe für die erst nach Erlaß dieses Urteils erfolgte Vorlegung und Einlösung der Wechsel nicht zu. Das Revisionsgericht habe sich insoweit nicht mit einem tatrichterlich gewürdigten Sachvortrag, sondern lediglich "mit einer zwischeninstanzlichen Mitteilung der Beklagten und auch nur unter dem Gesichtspunkt der Beschwer" befassen können. Da das Berufungsgericht nur an die der Aufhebung zugrunde liegende rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts gebunden sei (§ 565 Abs. 2 ZPO), sei es nicht gehindert, die Vorlegung und Einlösung der Wechsel in die erneute Entscheidung einzubeziehen. Der Kläger habe die Wechselsummen nur bei Bejahung des Rechtsbestandes des Vergleichs beanspruchen können. Bei Unwirksamkeit des Vergleichs habe er nur Rechte aus seiner Gesellschafter- und Geschäftsführerstellung geltend machen können. Auf keinen Fall habe er diejenigen Wechselansprüche verfolgen können, die ihm als Gegenleistung für den veräußerten Geschäftsanteil gewährt worden seien. Die einmal abgegebene Anfechtungserklärung habe er einseitig nicht widerrufen können. Die Wirkung der Anfechtung habe auch nicht durch Parteivereinbarung rückgängig gemacht werden können. Der Anfechtende könne aber die Behauptung der arglistigen Täuschung fallen lassen. Geschehe das, so habe der Richter nach dem Verhandlungsgrundsatz die Frage der Anfechtung und Anfechtbarkeit außer Betracht zu lassen. Diese Grundsätze hätten auch zu gelten, wenn sich die Parteien außerhalb des Rechtsstreits so verhielten, daß angenommen werden müsse, daß der Anfechtende von der Durchsetzung seiner Anfechtungserklärung abstehen wolle. Die Beklagte habe eine arglistige Täuschung von Anfang an bestritten. Der Kläger habe diese Behauptung bis zur erneuten Verhandlung vor dem Berufungsgericht aufrechterhalten. Durch die Vorlegung der Wechsel und die Entgegennahme der Wechselsummen habe er aber schlüssig zu erkennen gegeben, daß er die Behauptung, arglistig getäuscht worden zu sein, nicht mehr aufrechterhalte.

Mit der erneuten Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

1.)

Der Senat hatte in seinem Urteil vom 22.9.54 die Vorlegung der Wechsel und die Entgegennahme der Wechselsummen zu beurteilen, obwohl es sich hierbei um Tatsachen handelte, die sich erst nach Erlaß des Berufungsurteils vom 3. März 1953 ereignet hatten und noch nicht vom Berufungsgericht gewürdigt waren. Denn sie betrafen die Zulässigkeit der Revision Derartige Tatsachen dürfen in der Revisionsinstanz vorgebracht werden und sind vom Revisionsgericht zu beurteilen (Stein-Jonas-Schönke ZPO § 561 II 2 b).

2.)

Das Berufungsgericht war nach § 565 Abs. 2 ZPO an die rechtliche Beurteilung dieser Tatsachen durch das Revisionsgericht gebunden, da diese Beurteilung der Aufhebung des Berufungsurteils vom 3. März 1953 zugrunde lag. Nach Lage der Dinge durfte der Senat nur dann eine Sachentscheidung treffen, wenn er die Vorlegung der Wechsel und die Entgegennahme der Wechselsummen nicht als Umstände ansah, die die Zulässigkeit der Revision hinderten. Auf dieser Rechtsmittelvoraussetzung beruhte das Eingehen auf die im Berufungsurteil vom 3. März 1953 enthaltene Sachentscheidung. Darum lag die rechtliche Beurteilung der Vorlegung der Wechsel und der Entgegennahme der Wechselsummen der rechtlichen Beurteilung der Aufhebung zugrunde.

Reichsgericht und Bundesgerichtshof haben allerdings den Standpunkt vertreten, daß das Berufungsgericht grundsätzlich nur an diejenige rechtliche Würdigung des Revisionsgerichts gebunden ist, die unmittelbar die Aufhebung herbeigeführt hat (RG DR 1942, 1238; BGHZ 3, 321 [326]; 6, 76 [79]). Aber hier handelt es sich nicht um die Billigung oder Ablehnung eines zwar für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblichen, aber für die Aufhebung des Berufungsurteils entbehrlichen Gesichtspunkts, sondern um die Beurteilung einer für den Fortgang des Rechtsstreits wesentlichen Rechtsmittelvoraussetzung. Darin unterscheidet sich der gegebene Fall auch von dem im Senatsurteil vom 14.3.51 - II ZR 2/50 - (LM Nr. 1 zu § 565 Abs. 2 ZPO) entschiedenen Falle. Denn dort ging es darum, ob das vom Revisionsgericht bejahte Feststellungsinteresse auf Grund neuer, nach der Zurückverweisung vorgetragener Tatsachen noch vom Berufungsgericht verneint werden könne.

§ 565 Abs. 2 ZPO hat den Sinn, daß die rechtliche Beurteilung, die das Revisionsgericht für Recht gehalten hat, für das weitere Verfahren maßgebend sein soll, weil eine Änderung dieser Beurteilung für alle am Rechtsstreit Beteiligten untragbar und mit der rechtlichen Bedeutung einer Revisionsentscheidung unvereinbar ist (RGZ 149, 157 [163/64]). Dem Revisionsurteil wird eine Wirkung beigemessen, die für den zu entscheidenden Fall der Rechtskraft gleichzusetzen ist (a.a.O. S 164). Dem gegenüber steht der Gedanke, den Rechtsstreit möglichst offen zu halten, damit der ganze in Betracht kommende tatsächliche und rechtliche Stoff, einschließlich seiner möglichen Veränderungen, soweit sie nicht nach den § § 279, 529 Abs. 2 ZPO eingeschränkt sind, berücksichtigt und eine der Sachlage gerecht werdende Entscheidung gefällt werden kann. Die erwähnte Rechtsprechung hat den Widerstreit, der sich im Einzelfall zwischen der Rechtssicherheit und dem Streben nach materieller Gerechtigkeit ergibt, dadurch gelöst, daß sie den § 565 Abs. 2 ZPO auf den unmittelbaren Aufhebungsgrund eingeengt und ausgesprochen hat, daß das Berufungsgericht im übrigen in der sachlichrechtlichen Beurteilung frei ist. Diese Einschränkung hat zur Folge, daß das Berufungsgericht die vom Revisionsgericht gerügten Fehler, die zur Aufhebung geführt haben, nicht wiederholen darf (BGHZ 3, 521 [326]). Wollte man diesen Satz aus seinem Zusammenhang lösen und auch gegenüber den Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision anwenden, so wäre das Berufungsgericht berechtigt, diese Voraussetzungen, soweit sie einer materiellrechtlichen Beurteilung zugänglich sind, frei zu würdigen und auf diese Weise das Ergebnis der Entscheidung des Revisionsgerichts über die Zulässigkeit der Revision zu überprüfen, obwohl der Fortgang des Rechtsstreits und damit die materielle Würdigung jener Zulässigkeitsvoraussetzung nur möglich ist, weil das Revisionsgericht die Revision für zulässig gehalten hat. Das ist jedenfalls in einem Falle ausgeschlossen, in dem sich die vom Revisionsgericht beurteilten Tatsachen nicht verändert haben. Der tragende Grund für die oben erwähnte Einschränkung des § 565 Abs. 2 ZPO geht dahin, daß eine Beschränkung der Wirkung dieser Vorschrift auf die unmittelbaren Aufhebungsgründe notwendig ist, um eine klare Grenzziehung zu gewinnen. Sonst bestände Unsicherheit darüber, ob z.B. ein vom Revisionsgericht mitbeurteilter, für die Endentscheidung wesentlichers aber für die Aufhebung unmaßgeblicher Streitpunkt und eine logisch voraufliegende und billigend entschiedene oder unerwähnt gelassene Frage bindend entschieden ist oder nicht. Eine solche Unklarheit kann bei einer vom Revisionsgericht beurteilten Rechtsmittelvoraussetzung, die ohne jede Veränderung ihrer tatsächlichen Grundlagen lediglich eine andere rechtliche Beurteilung durch eine Partei erfahren hat, nicht entstehen. Hier ergibt sich eine klare Abgrenzung aus der Sache selbst, nämlich daraus, daß das Revisionsgericht die Revision für zulässig gehalten hat und daß zu den Tatsachen, die für diese Entscheidung maßgebend waren, nichts Neues hinzugekommen ist. Das Berufungsgericht war daher in formeller und materieller Hinsicht gebunden und durfte die Vorlegung der Wechsel und die Entgegennahme der Wechselsummen nicht als das Fallenlassen der Täuschungsbehauptung, werten, auch wenn es die Beurteilung dieser Tatsachen durch das Revisionsgericht für unvollständig oder für nicht richtig hielt.

Das Berufungsurteil war daher aufzuheben, damit das Berufungsgericht diejenigen Prüfungen vornimmt, die der Senat in seinem Urteil vom 22.9.54 für unerläßlich gehalten und deretwegen er das Berufungsurteil vom 3.3.53 aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht verwiesen hat.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsinstanz hängt vom endgültigen Ausgang der Sache ab und war daher dem Berufungsgericht vorzubehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018538

BGHZ 22, 370 - 375

BGHZ, 370

NJW 1957, 543

NJW 1957, 543-544 (Volltext mit amtl. LS)

JZ 1957, 446-447

ZZP 1957, 353-355

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